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MKL1888:Abstrákt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Abstrákt“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Abstrákt“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 1 (1885), Seite 66
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Abstrákt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 66. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Abstr%C3%A1kt (Version vom 21.01.2023)

[66] Abstrákt (lat., „abgezogen“), Bezeichnung eines Begriffs, welcher nur die allgemeinen und darum wesentlichen Merkmale eines Dinges enthält. Die mehreren Gattungen von Pflanzen, Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Moosen etc. gemeinsamen Merkmale, zu einem Begriff vereinigt, geben z. B. den abstrakten Begriff einer Pflanze. Auf dieselbe Weise kann man aus einer Anzahl einzelner Erscheinungen im Leben, die gewisse Merkmale gemein haben, eigentümliche Begriffe zusammensetzen, z. B. die Begriffe Tugend, Kunst, schön, wahr oder einzelne hervortretende Merkmale eines vorhandenen Begriffs auffassen und daraus einen neuen ableiten, z. B. weibisch, kindlich. Die Abstraktion wird demnach durch ein Absehen vom Besondern und ein Ausscheiden des bloß Individuellen vollzogen, daher der Name. Solcher Abstraktionen aber unterscheidet man zweierlei, quantitative und qualitative. Wird von der Form eines Ganzen oder der Verbindungsweise der einzelnen Teile desselben eine klare, von den einzelnen Teilen selbst aber eine undeutliche Darstellung gegeben, so haben wir eine quantitative Abstraktion. Der Mathematiker (welcher diese Art von Abstraktionen am meisten gebraucht) will nicht ein rotes oder grünes Dreieck, sondern er richtet seine Aufmerksamkeit bloß auf die Weise der Verbindung der einzelnen Linien und Winkel zu einem Dreieck, spricht deswegen von einem rechtwinkeligen, schiefwinkeligen, gleich- und ungleichseitigen. Ebenso spricht er von abstrakten („unbenannten“) Größen und will, wenn er mit seinem a, b, c, x, y, z rechnet, nicht gerade Münzen, Steine etc. bezeichnen, sondern nur auf eine Verbindung von Einheiten hinweisen. Die Sieben ist ihm eine Verbindung von Einheiten, kurz jede Zahl an sich nur eine Darstellung eines bestimmten Verhältnisses der Vielheit zur Einheit. Die quantitativen Abstraktionen liefern uns alle Raum- und Zeitbestimmungen, daher denn auch die Worte „dort“, „wann“, „wo“, „über“, „unter“ solche Abstraktionen sind. Anders steht es mit den qualitativen Abstraktionen. Behalten jene von dem in der anschaulichen Erkenntnis mit allen seinen Beschaffenheiten aufgefaßten Gegenstand das Ding selbst vor dem Bewußtsein, lassen aber die Beschaffenheiten der einzelnen Teile verbleichen, so heben die Abstraktionen der zweiten Art die Beschaffenheiten des angeschauten Gegenstands recht hervor, lassen aber die Vorstellung des Gegenstands selbst dunkler werden. Liefern jene die Subjektvorstellungen für jedes Urteil, so geben diese dafür die Prädikate. – In der bildenden Kunst ist eine Darstellung abstrakt, wenn der Künstler sich bloß gemeinsamer Begriffe zur Bezeichnung seiner Ideen bedient, also die Individualisierung ausschließt, wodurch die Anschaulichkeit verloren geht. Daher ist der abstrakte Vortrag beim Redner, der bewegen, beim Dichter, der schildern und malen soll, ein Fehler.