MKL1888:Afrikanische Sprachen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Afrikanische Sprachen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 178179
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Afrikanische Sprachen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 178–179. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Afrikanische_Sprachen (Version vom 08.05.2022)

[178] Afrikanische Sprachen. Afrika bietet in sprachlicher Beziehung, wie bei dem am wenigsten von höherer Kultur durchdrungenen Weltteil nicht anders zu erwarten ist, das Bild einer außerordentlichen Zerklüftung, und erst in neuester Zeit ist es der Sprachforschung (Bleek, Lepsius, Fr. Müller u. a.) gelungen, auf Grund des reichen von Entdeckungsreisenden (wie Barth, Munzinger, Schweinfurth, Nachtigal u. a.) und namentlich von Missionären (wie Isenberg, Kölle, Krapf, Moffat, H. Hahn, Krönlein, Endemann, Wuras u. a.) gesammelten, teilweise auch schon zu Grammatiken und Wörterbüchern verarbeiteten sprachlichen Materials wenigstens die nord- und südafrikanischen Sprachen der Eingebornen in abschließender Weise zu klassifizieren, während die zahlreichen total verschiedenen Sprachen Innerafrikas, soweit sie bisher näher bekannt sind, sich noch nicht mit Sicherheit in irgend einen größern Sprachstamm einreihen lassen. Von besonderer Wichtigkeit ist die namentlich in Bleeks „Comparative grammar of South-African languages“ (Lond. 1862–69, 2 Tle.) wissenschaftlich begründete Zusammengehörigkeit der meisten Sprachen Südafrikas mit dem großen Sprachstamm der sogen. Bantusprachen. Diese in grammatischer Beziehung hoch entwickelten Sprachen, die nach Norden zu bis etwa 5° nördl. Br. reichen und in drei Hauptgruppen zerfallen (s. Bantuvölker), zeichnen sich namentlich durch die höchst charakteristischen artikelartigen Vorsätze aus, so in den Namen der Ba-suto, der Be-tschuanen, der Ama-zulu, der Ama-xosa (Kaffern), des durch Livingstone bekannt gewordenen Königs Mo-silikatse, der Ma-tonga, Ma-hloenga etc. Einen ganz andern Bau zeigen dagegen die übrigens in raschem Aussterben begriffenen Dialekte der Hottentotten und die mit denselben durch das häufige Vorkommen von Schnalzlauten verwandte, jedoch grammatisch ganz unentwickelte, gleichfalls dem Erlöschen nahe Sprache der Buschmänner. Außerdem gehört die Hauptsprache der Insel Madagaskar, das Malagassy, dem malaiisch-polynesischen Sprachstamm an, von dem sich auch die Sprachen der gegenüberliegenden Küste von Mosambik beeinflußt zeigen. Einen kaum minder weit als der südafrikanische Bantustamm, aber jetzt größtenteils über sehr dünn bevölkerte Gegenden verbreiteten Sprachstamm besitzt Nordafrika in den hamitischen Sprachen (s. Hamiten), deren südlichste, die Sprache der Galla südlich von Abessinien, an die nordöstlichste Bantusprache, das Kisuaheli, direkt angrenzt. Andre Sprachen dieses Stammes ziehen sich bis an den Golf von Aden und das Rote Meer hin, und nordwärts reichen sie mit manchen Unterbrechungen bis nach Oberägypten; von hier aus erstrecken sie sich als Sprachen der Berber und andrer nomadisierender Wüstenstämme quer durch ganz Nordafrika bis an die Westküste hin. Im Altertum gehörte diesem Sprachstamm auch die durch geschichtliche Bedeutung hervorragendste Sprache Afrikas, das Altägyptische, nebst ihrer ebenfalls ausgestorbenen Tochter, dem Koptischen, an, außerdem die Sprachen der Libyer, Numidier und andrer einheimischer Völker Nordafrikas und der Kanarischen Inseln. Schon im Altertum gab es an der nordafrikanischen Küste auch bedeutende nordsemitische (phönikische) Niederlassungen; durch den Islam hat sich eine südsemitische Sprache, das Arabische, über den ganzen nördlichen Küstenrand sowie fast über ganz Ägypten verbreitet und ist als Handelssprache und vermittelst der noch immer mächtig fortschreitenden Propaganda des Islam in raschem Vordringen nach Süden zu begriffen. In Abessinien herrschen ebenfalls südsemitische Sprachen, von dem jetzt ausgestorbenen, durch seine alte Litteratur hervorragenden Äthiopischen abstammend, das schon in vorgeschichtlicher Zeit aus Südarabien eingedrungen sein muß. Von den zentralafrikanischen Sprachen sind die bis jetzt bekanntesten die der Wolof am Kap Verde, der Fulbe (Pul) östlich davon bis zum Tsadsee hin, und etwa von 10 bis 20° nördl. Br. südwestlich davon das Mandingo und andre Mandesprachen, im Niederland von Sierra Leone das Temne und Bullom, am Kap Palmas das Kru, weiter östlich an der Guineaküste die nahe miteinander verwandten Sprachen Odschi bei den Aschanti, Ga in Akra, Ewe in Dahomé, Jomba, Efik und das ferner stehende Ibo; dann im Innern südöstlich von Timbuktu das Sonrhai, südöstlich hiervon das Haussa, wegen seiner hamitischen Elemente von Lepsius u. a. für einen westlichen Ausläufer des hamitischen Stammes gehalten, östlich vom Haussa das Kanuri in Bornu, nördlich hiervon das Teda oder Tibbu, südlich vom Kanuri das Logone, Wandala u. a., weiter östlich das Bagirmi, nordöstlich hiervon die Mabasprache in Wadai, östlich hiervon das Kondschara in Dar Fur und weiter südlich das Tumale, die sechs letzten nach Lepsius miteinander verwandt; endlich in Ostafrika die Gruppe der Nilsprachen, Dinka, Bari, Schilluk, Bongo und Oigob, und weiter stromabwärts die Sprachen der Barea und der schon dem Altertum bekannten Nubier oder Nuba. Alle diese Sprachen oder Sprachgruppen zeigen wenigstens in betreff ihres Wortschatzes nicht die geringste Verwandtschaft, weshalb Fr. Müller sie für ebenso viele selbständige Ursprachen hält. Die Fulbe (Pul) und die Nubier hält er zugleich ihrer natürlichen Merkmale wegen für von den übrigen zentralafrikanischen Stämmen, als reinen Negervölkern, geschiedene Rassen und nimmt teils der sprachlichen, teils der natürlichen Merkmale wegen [179] an, daß die beiden erstern sowie die Bantuvölker aus einer Vermischung mit den aus Asien eingewanderten Hamiten hervorgegangen seien. Dagegen hält Lepsius zunächst aus anatomischen Gründen, namentlich der vorgebeugten Haltung des Oberkörpers wegen, alle einheimischen afrikanischen Rassen für verwandt und sucht insbesondere bei fast sämtlichen zentralafrikanischen Sprachen nachzuweisen, daß dieselben ihrem Grundcharakter nach, namentlich in betreff der Klasseneinteilung der Substantiva, mit den Bantusprachen identisch und nur durch die Einwirkung der hoher zivilisierten Hamiten in einen Zersetzungsprozeß eingetreten seien; bloß die Hottentotten hält er für nach Süden abgedrängte Verwandte der Hamiten, mit denen sie sprachlich die Unterscheidung der Geschlechter gemein haben. Jedenfalls herrscht darüber allgemeine Übereinstimmung, daß zwischen den Hamiten und Semiten einerseits und allen oder fast allen übrigen afrikanischen Völkern anderseits sowohl sprachlich als kulturgeschichtlich eine tiefe Kluft liegt. Nur erstere besitzen eine alte Schrift, Litteratur und Geschichte; was sich bei letztern von Litteratur findet, beschränkt sich auf der neuesten Zeit angehörige christliche Erbauungsbücher, Bibelübersetzungen u. dgl. und einige Sammlungen von Volkserzählungen und Tiermärchen. Daß die Hamiten ebenso wie später, zum Teil schon in geschichtlicher Zeit, die Semiten aus Asien eingewandert sind, beweist teils ihre geographische Stellung, namentlich aber ihre zu dem semitischen Sprachstamm in unleugbaren Beziehungen stehende Sprache. Vgl. die „Sprachenkarte“ und Fr. Müller, Grundriß der Sprachwissenschaft, Bd. 1 (Wien 1876–77); Lepsius, Nubische Grammatik, mit einer Einleitung über die Völker und Sprachen Afrikas (Berl. 1880); Cust, Sketch of the modern languages of Africa (Lond. 1884, 2 Bde.).