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MKL1888:Agrikulturchemie

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Agrikulturchemie“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 204205
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Agrikulturchemie. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 204–205. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Agrikulturchemie (Version vom 11.09.2022)

[204] Agrikulturchemie (Ackerbauchemie), die Lehre von den Naturgesetzen des Feldbaus oder in weiterm und gebräuchlicherm Sinn die Lehre von den physischen Erscheinungen, welche für das Gedeihen der landwirtschaftlich wichtigen Organismen in Betracht kommen. Der Name der Wissenschaft stammt aus einer Zeit, wo man alles Heil für die Landwirtschaft von der Chemie erwartete; man hat aber bald eingesehen, daß die Chemie zur Lösung der Aufgabe allein nicht ausreicht, und die im Interesse der Landwirtschaft unternommenen naturwissenschaftlichen Arbeiten erstrecken sich jetzt gleichmäßig auch auf Physik, Mineralogie, Pflanzen- und Tierphysiologie. So ist die A. eine Verbindung naturwissenschaftlicher Disziplinen im Interesse der Landwirtschaft. Die A. zerfällt in einen rein theoretischen Teil: die Ernährungslehre der von dem Landwirt gezogenen und kultivierten Organismen, und in einen praktischen Teil: die Lehre von den realen Bedingungen, unter welchen in der landwirtschaftlichen Technik die zweckentsprechende Entwickelung der Organismen erreicht wird.

Die Geschichte der A. fällt in ihren Anfängen mit der Geschichte der genannten Wissenschaften zusammen, und die großen pflanzenphysiologischen Arbeiten von Hales (1727), Senebier (1783), Ingenhouß (1784) u. besonders von Saussure („Recherches chimiques sur la végétation“, 1804) bilden die Basis der A., welche durch Humphry Davy („Elements of agricultural chemistry“, Lond. 1813; deutsch 1814) zu einer selbständigen Wissenschaft erhoben wurde. Gazzeri untersuchte die chemischen und physikalischen Verhältnisse des Düngers und gab eine „Neue Theorie des Düngers“ (deutsch 1823), dann folgten die Arbeiten von Hermbstädt, welcher ebenso wie die rationellen Landwirte Thaer, Schwerz, Burger, Schönleitner, Fellenberg u. a. auf dem Boden der Humustheorie stand. Sie nahmen an, daß die Pflanze ihre Nährstoffe jener braunen Masse entnehme, welche sich beim Verwesen vegetabilischer Substanz bildet und allgemein als Humus bezeichnet wird. Sprengel lieferte zwar 1828 wichtige Untersuchungen über den Humus und wies nach, daß derselbe nur eine Vermittlerrolle spiele und gleichsam das Reservoir für den Ammoniakgehalt des Bodens bilde; auch Schübler lieferte 1820–30 bedeutende Arbeiten über die physikalischen Verhältnisse des Bodens; aber ein Umschwung vollzog sich erst 1840, als Wiegmann und Polstorf endgültig feststellten, daß alle im Pflanzenkörper vorhandenen Elemente auf natürlichem Weg von außen aufgenommen werden müssen. Gleichzeitig erschien Liebigs „Organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie“, und von diesem Werk datiert die neue Epoche der A. und der Landwirtschaft. Liebig betonte vor allem die Bedeutung der für die Ernährung der Pflanzen wichtigen Mineralstoffe, welche im Boden nur in beschränkter Menge vorhanden sind und offenbar endlich erschöpft werden müssen, wenn nicht vollständiger Ersatz für die in den geernteten Früchten dem Boden entzogenen Stoffe stattfindet. Er warnte vor solchem „Raubbau“ und verwies auf die rationelle Bodenkultur der Japaner. Liebig fand mit seiner neuen Theorie sehr viele Gegner, und namentlich wollte eine Reihe von Chemikern dem Stickstoff, als wesentlicher Pflanzennahrung, höhern Wert beilegen als den Mineralstoffen. Die Versuche von Lawes und Gilbert zu Rothamstead in England schienen für die Stickstofftheorie zu sprechen; allein Liebig zeigte, daß dieselben nur zur Bestätigung seiner Lehren dienten. Die ganze Zeit des Kampfes hat eine große Fülle der wertvollsten Arbeiten geliefert (Wiegmann und Polstorf, Salm-Horstmar, Knop etc.), und namentlich hat Boussingault, welcher eine Musterwirtschaft in Bechelbronn im Elsaß leitete, sehr viel zum Ausbau der A. gethan. So erreichte die Wissenschaft in kurzer Zeit eine hohe Vollendung; durch Liebigs glänzende Beleuchtung der naturwissenschaftlichen Forschungsmethode wurden aber zugleich die Landwirte für die A. gewonnen, welche dadurch erst ihre jetzige eminente Bedeutung erhielt. Der Streit zwischen Mineralstofflern und Stickstofflern fand seine Ausgleichung in der Erkenntnis, daß alle Nährstoffe für die Pflanzen von gleicher Bedeutung sind, und daß ein genügender Ersatz des Kali und der Phosphorsäure vor allem not thut. Auf Liebigs Anregung wurde auch die Tierchemie in Angriff genommen und durch Haubner, Henneberg und Stohmann, Grouven, Kühn, Bischoff, Voit und Pettenkofer mächtig gefördert. Der von letzterm konstruierte große Respirationsapparat ermöglichte eine genaue Verfolgung der chemischen Vorgänge im tierischen Körper, und so ist man in der Fütterungslehre zu mancher wichtigen Erkenntnis gelangt. Die praktische Landwirtschaft, welche sich zuerst ablehnend gegen die A. verhielt, hat deren Wert mehr und mehr erkannt, und die landwirtschaftlichen Lehranstalten, besonders auch die Versuchsstationen, haben glücklich zwischen Wissenschaft und Praxis vermittelt. Die letztere hat durch ihre Erfolge die Richtigkeit der Theorie dargethan, und überall ist man gegenwärtig bemüht, das Lehrgebäude weiter auszubauen. Vgl. Liebig, Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie (9. Aufl. 1875–76, 3 Tle.) und mehrere andre Schriften Liebigs; Stöckhardt, Chemische Feldpredigten (3. Aufl., Leipz. 1854, 2 Bde.); Boussingault, Die Landwirtschaft in ihrer Beziehung zu Chemie etc. (deutsch, 2. Aufl., Halle 1851, 2 Bde.; Supplemente 1854 u. 1856); Wolff, Die naturgesetzlichen Grundlagen des Ackerbaus (3. Aufl., Leipz. 1856, 2 Bde.); Derselbe, Landwirtschaftliche Fütterungslehre (Stuttg. 1861); Fraas, Die Natur der Landwirtschaft (Münch. 1857, 2 Bde.); Mulder, Chemie der Ackerkrume (deutsch, Leipz. 1862, 2 Bde.); Hoffmann, Theoretisch-praktische Ackerbauchemie (3. Aufl., das. 1876); F. Schulze, Lehrbuch der Chemie für Landwirte (3. Aufl., das. 1877); Knop, Der Kreislauf des Stoffs (das. 1869); Mayer, Lehrbuch der A. (2. Aufl., Heidelb. 1875–76, 2 Bde.); Hamm, Katechismus der A. (6. Aufl., Leipz. 1884); Grouven, Vorträge über A. (3. Aufl., Köln 1872); Bischoff und Voit, Die Gesetze der Ernährung der Fleischfresser (Leipz. 1860); Henneberg und Stohmann, Beiträge zur Begründung einer rationellen [205] Fütterung der Wiederkäuer (Braunschw. 1860–64, 2 Bde.; „Neue Beiträge“, das. 1870–72); Kühn, Die zweckmäßigste Ernährung des Rindviehs (8. Aufl., Dresd. 1881); Settegast, Landwirtschaftliche Fütterungslehre (2. Aufl., Bresl. 1878); Dietrich und König, Zusammensetzung und Verdaulichkeit der Futterstoffe (Berl. 1874); Grandeau, Handbuch für agrikulturchemische Analysen (das. 1878). Zeitschriften: „Jahresbericht über die Fortschritte der A.“ (Berl. 1858 ff.); „Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen“ (hrsg. von Nobbe, seit 1859, Berl.); „Zentralblatt für A.“ (hrsg. von Biedermann, Leipz. 1872–80).