MKL1888:Alexandriner

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Alexandriner“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 330
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Alexandriner. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 330. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Alexandriner (Version vom 26.02.2024)

[330] Alexandriner, Versart, welche aus sechs iambischen Füßen besteht, gewöhnlich gereimt ist und als charakteristisches Kennzeichen nach dem dritten Iambus einen Einschnitt oder Ruhepunkt (Cäsur) hat, wodurch jeder A. in zwei gleichmäßige Stücke zerfällt und seinen bekannten monotonen Charakter erhält. Der Ausgang des Alexandriners kann sowohl männlich als weiblich sein; gern wird mit beiden abgewechselt. Den ersten Gebrauch dieser Versart findet man bei den Spaniern und Franzosen, welche in derselben im 13. Jahrh. die Thaten Alexanders d. Gr. und Karls d. Gr. zu besingen anfingen. Sie soll zuerst von dem spanischen Dichter Segura in seinem Gedicht von Alexander d. Gr. angewendet worden sein und daher ihren Namen erhalten haben. In der sogen. klassischen Litteraturperiode der Franzosen wurde dann der A. der herrschende und allein gültige Vers sowohl für die Tragödie und das Lustspiel als für das Epos und die didaktische, ja zum Teil auch für die lyrische Poesie, und er ist es im allgemeinen bis heute geblieben. Der A. sagt allerdings ihrer unrhythmischen Sprache besser zu als der Hexameter und bietet dem Schauspieldichter durch die Cäsur und den Reim Gelegenheit zu den zahlreichen Pointen und Schlagwörtern, Repliken und Antithesen, auf denen zu nicht geringem Teil die Wirkung der französischen Dramen, besonders des klassischen Lustspiels, beruht. Gegen den Gebrauch, der als Regel galt, daß mit jedem Vers auch eine Sinnpause eintrete, begannen erst in den 20er Jahren unsers Jahrhunderts französische Dichter sich aufzulehnen, indem sie sich des sogen. Enjambements bedienten, d. h. einen Vers öfters in den folgenden übergreifen ließen, so daß der Schluß des ersten dem Sinne nach keinen Ruhepunkt bildete. Von Frankreich aus verbreitete sich der A. über Holland, Deutschland und England. Im Deutschen, wo derselbe bei der rhythmischen Bestimmtheit der Sprache um vieles steifer erschien, erhielt er namentlich durch Opitz eine fast uneingeschränkte, über alle Dichtungsgattungen sich erstreckende Herrschaft und behauptete dieselbe das 17. und 18. Jahrh. hindurch, bis Klopstock durch Einführung der antiken Metra und Lessing durch den fünffüßigen Iambus sein Reich stürzten. Seitdem ist der A. als eine Reminiszenz des Zopfstils mißachtet gewesen und kam nur ausnahmsweise (z. B. nicht ohne Wirkung in kleinen Lustspielen bei Müllner und Immermann) in Anwendung. Erst in neuerer Zeit wurde er uns durch Rückert (in seinem „Lehrgedicht“, in „Rostem und Suhrab“ etc.), später durch Freiligrath, Geibel u. a. wieder zugeführt, und letztern gelang es dadurch, daß sie neben der Hauptcäsur noch andre ebenso scharfe Verseinschnitte anbrachten und Anapästen und Spondäen wechselvoll einstreuten, teils auch, indem sie (nach dem Vorgang französischer Dichter) Strophen bildeten, in welchen der A. mit dem vierfüßigen Iambus wechselt, dem einförmigen Metrum größere Mannigfaltigkeit und einen beweglichern Charakter zu verleihen. Freiligrath selbst schildert den A. in dem bekannten Gedicht „Der A.“, das mit der Strophe beginnt: „Spring an, mein Wüstenroß aus Alexandria!“