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MKL1888:Algĕbra

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Algĕbra“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 340341
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Algĕbra. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 340–341. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Alg%C4%95bra (Version vom 10.11.2021)

[340] Algĕbra, ein Teil der reinen Mathematik, nämlich die Lehre von den Gleichungen. Das Wort stammt aus der arabischen Sprache, in welcher der vollständige Ausdruck Al gebr wal mokâbala s. v. w. Ergänzung und Vergleichung bedeutet, was sich auf Transposition und Reduktion der positiven und negativen Größen in Gleichungen bezieht. Bei den Italienern hieß die A. früher Arte maggiore, weil sie es mit höhern Rechnungen zu thun hat, und noch häufiger Regola de la cosa, indem man die unbekannte Größe Cosa, d. h. Ding, nannte, was zu der bei den ältern deutschen Algebraisten üblichen Benennung „Regel Coß“ oder „die Coß“ Veranlassung gegeben hat. Im gemeinen Leben pflegt man unter A. die Buchstabenrechnung (s. d.) zu verstehen, insofern diese die Anwendung der arithmetischen Operationen auf allgemeine, durch Buchstaben ausgedrückte Größen lehrt; doch ist dieselbe eigentlich nur die Vorbereitung auf die A., wie diese auf die Analysis (s. d.). Zuweilen nimmt man auch A. für gleichbedeutend mit Analysis; als Lehre von den Gleichungen (s. d.) ist jene aber nur der erste Teil der Analysis, dies Wort im weitesten Sinn genommen. Schon die alten Griechen beschäftigten sich mit der Lösung algebraischer Probleme, und die Lösung algebraischer Gleichungen vom zweiten Grad war ihnen bereits bekannt; aber das Abendland lernte diese Wissenschaft erst durch die Araber kennen, namentlich durch das Werk von Mohammed ben Musa (gest. 820), welches von Rosen ins Englische („The Algebra“, Lond. 1831) übersetzt worden ist. Großes Verdienst um Verbreitung algebraischer Studien erwarb sich der italienische Kaufmann Leonardo Fibonacci aus Pisa, der um 1200 den Orient bereiste und sich dort Kenntnisse in der A. erwarb. Das erste algebraische Werk, welches im Abendland im Druck erschien, hat den Minoritenmönch Luca Pacioli zum Verfasser (Vened. 1494) und betrachtet die Lösung der kubischen Gleichungen als unmöglich. Doch schon Scipio Ferreo aus Bologna fand um 1505 die Auflösung eines Falles der kubischen Gleichungen, und [341] Tartaglia aus Brescia entdeckte dieselbe nochmals selbständig. Seine Lösung wurde 1545 von Cardano veröffentlicht, zugleich mit der von dessen Schüler Ferrari herrührenden Lösung der Gleichungen vierten Grades. In Deutschland kam das Studium der A. zu Anfang des 16. Jahrh. in Aufnahme. Einer ihrer ersten Bearbeiter war Christian Rudolf aus Jauer, dessen Werk, das erste algebraische, welches in Deutschland gedruckt wurde, 1524 erschien und 1571 von Stifel von neuem herausgegeben wurde. Der letztgenannte, einer der eifrigsten Beförderer der in Rede stehenden Disziplin, verfaßte auch ein eignes Werk: „Arithmetica integra“ (Nürnb. 1544). Ihm reiht sich Scheybl, Professor in Tübingen, an, dessen Werk über A. 1552 zu Paris erschien. Um diese Zeit waren Recorde in England und Peletarius in Frankreich für Vervollkommnung dieser Wissenschaft thätig. Die namhaftesten Verdienste aber erwarb sich in dieser Beziehung der Franzose Vieta (gest. 1603), dessen Werke von Schooten zu Leiden 1656 herausgegeben wurden. Dieser führte die Rechnungsart mit allgemeinen Zeichen in die A. ein und bediente sich zur Bezeichnung bekannter Größen der Konsonanten, zur Bezeichnung unbekannter der Vokale des großen lateinischen Alphabets. Auf ausgezeichnete Weise bearbeiteten auch der Engländer Harriot in seiner „Artis analyticae praxis“ (Lond. 1631) und der nicht genug gewürdigte Niederländer Girard (gestorben um 1633) in seiner „Invention nouvelle en algèbre“ (Amsterd. 1629) die A. Descartes erwarb sich dadurch großes Verdienst um Förderung dieser Wissenschaft, daß er sie zuerst auf die Geometrie anwendete, indem er die Natur krummer Linien durch Gleichungen darstellte und dadurch den Anstoß zur Anwendung der Analysis auf die Geometrie gab. Auch Fermat (gest. 1663) bereicherte die A. durch verdienstliche Entdeckungen. Vor allen aber ist Newton zu nennen, der geniale Schöpfer ganz neuer Teile der Mathematik, der in seiner „Arithmetica universalis“ auch die A. durch die tiefsten Forschungen direkt und indirekt förderte.