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MKL1888:Anthropologenkongreß

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Anthropologenkongreß“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 2630
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Anthropologenkongreß. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 26–30. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Anthropologenkongre%C3%9F (Version vom 16.03.2023)

[26] Anthropologenkongreß. Die 21. allgemeine Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte tagte vom 11.–14. Aug. 1890 in Münster. Die erste Sitzung wurde von dem Vorsitzenden Prof. Waldeyer-Berlin mit einer Ansprache eröffnet, welche die Beziehungen Westfalens zur Urgeschichte kennzeichnete. Das Land der roten Erde sei eins der ältesten Kulturgebiete unsers deutschen Vaterlandes, das Land, in welchem sich wie kaum irgendwo anders bei uns verbriefte Geschichte und Urgeschichte die Hand reichen, es sei aber auch das Land, in welchem zum erstenmal das Deutschtum als geschlossen wirkende Macht in der Abwehr gegen die Fremden erfolgreich in die Schranken trat, so erfolgreich, daß die Varusschlacht im Teutoburger Walde die ganze damalige Kulturwelt erschütterte. Jener Waffenklang töne heute noch an unser Ohr und solle immerdar daran tönen, nicht mehr mahnend zum Krieg, sondern zur Einigkeit aller deutschen Stämme in festem Zusammenhalten zu friedlicher Arbeit. Redner gab nun eine kurze Geschichte der Gesellschaft. Auf der Naturforscherversammlung in Innsbruck 1869 entstand in der anthropologischen Sektion der Plan, eine deutsche anthropologische Gesellschaft zu gründen. 1870 gelangte diese Gründung in Mainz zum Abschluß. Von den Leistungen der Gesellschaft ist, abgesehen von ihrem Korrespondenzblatt, anzuführen die in Arbeit befindliche prähistorische Karte von Deutschland, die Vereinbarung über die Methoden der Körpermessung, namentlich betreffs des Schädels, die Katalogisierung der sämtlichen in deutschen Museen befindlichen Schädel, die Anregung zu der erfolgten Untersuchung der germanischen Völker auf die Farbe ihrer Haut, Haare und Augen, die Verständigung mit den deutschen Staatsregierungen behufs Schutzes der Altertümer und behufs Erweiterung der ethnologischen Sammlungen mittels Inanspruchnahme der Marine etc. Was den Stand der urgeschichtlichen Forschung in Westfalen betrifft, so sind zwar beachtenswerte Ergebnisse gewonnen: es besteht eine westfälische Gruppe der Deutschen anthropologischen Gesellschaft, die namentlich in Hamm, Iserlohn und Letmathe ihre Pflegestätten besitzt, es sind über die westfälischen Höhlen, so neuerdings über die Bilsteiner Höhle bei Warstein, ausführliche Untersuchungen angestellt; die bei Hamm gefundenen Totenbäume (Baumstämme, so ausgehöhlt, daß ein Leichnam gerade hineinpaßt) waren schon früher Gegenstand der Verhandlung in der Anthropologischen Gesellschaft, von Schaaffhausen sind viele Ausgrabungen veranlaßt, aber doch bleibt gerade in Westfalen noch viel zu thun übrig. – Nach den üblichen Begrüßungsreden begannen die wissenschaftlichen Verhandlungen mit einem Vortrag von Prof. Hosius-Münster über die Geognosie von Westfalen mit besonderer Berücksichtigung der für vorgeschichtliche Fundstellen wichtigen Formationsglieder. Zwei geognostische Gebiete kommen allein für die Urgeschichte in Betracht: das Höhlengebiet und das Diluvium. Die westfälischen Höhlen finden sich sämtlich im Stringocephalenkalk (Eifelkalk, Elberfelder Kalk, Massenkalk), einem festen, zähen, in sehr mächtigen Lagen anstehenden Kalkstein, der eben dieser Eigenschaften halber für Höhlenbildung besonders geeignet erscheint. Der Massenkalk, eins von den obern Gliedern des mittlern Devon, kommt an vier gesonderten Stellen vor, und zwar zieht sich die eine von Hagen über Letmathe, Limburg und das Gönnethal [27] nach Balda hin, die zweite, übrigens weniger zu Höhlen geeignete, ist das Plateau von Brilon, die dritte die Mulde von Attendorn, die vierte die Insel von Warstein. Zwischen 30 und 40 Höhlen sind erschlossen, alle mehr oder weniger voneinander verschieden, manche ganz trocken, andre mit Tropfstein oder Schlamm und Tropfstein in wechselnden Verhältnissen erfüllt. Manche enthalten organische Reste, andre wieder nicht. Der Lehm in den Höhlen enthält keine nordischen Geschiebe, das vorkommende Geröll entstammt sämtlich den in der Nähe anstehenden Gesteinen, und die gefundenen Feuersteine sind bearbeitet ebenso wie die vereinzelt auftretenden Bernsteinstücke. Meist enthält der Lehm 8–9, selbst 14 Proz. phosphorsauern Kalk. Die organischen Reste umfassen 30–35 Säugetiere, 5–6 Vögel, einige Amphibien und Schnecken, sämtlich aus der Fauna der Gegenwart oder der ihr unmittelbar vorhergehenden Periode. So findet sich der Höhlenlöwe, die Höhlenhyäne, der Höhlenwolf und Höhlenbär, letzterer besonders häufig. Der Riesenhirsch ist zweifelhaft, ebenso Bos priscus, dagegen mit Sicherheit erkannt das große und kleine Renntier, Bos primigenius, Pferd, Nashorn, Elefant und Mammut. Hippotherium und Hippopotamus sind mehr als zweifelhaft. In den Höhlen der Lenne, dem erstbezeichneten Höhlengebiet, sind die genannten Tiere sämtlich vorhanden, in den übrigen nur teilweise und in wechselnden Verhältnissen. Reste menschlicher Thätigkeit, rohe Topfscherben, Holzkohle, bearbeitete Kieselschiefer, finden sich in verschiedenen Schichten, zuweilen gerade in den tiefsten, jedenfalls nie derart neben Mammutresten, daß man berechtigt wäre, eine gleichzeitige Existenz von Mensch und Mammut anzunehmen. Im Diluvium finden sich überhaupt keine Gegenstände aus der Hinterlassenschaft des Menschen, bez. scheint es, als wenn die hier und da gefundenen Geräte und Waffen erst nachträglich in die betreffenden Erdschichten hineingeraten sind; erst die jetzige geologische Epoche zeigt sichere Spuren des Menschen. Das Diluvium erfüllt einen großen Teil des Münsterschen Beckens und findet sich ferner am Teutoburger Wald, wo es bis 190 m aufsteigt. Von N. bis zur Lippe enthält es nordische Geschiebe, südlich dieses Flusses Rheingeröll. Die Tierreste des Diluviums umfassen in der Hauptsache die großen Pflanzenfresser des Diluviums. Sie sind sicher in jener Zeit dort gewesen und nicht nachträglich hineingeraten; die Knochen sind besser erhalten als die Knochen der Höhlentiere; merkwürdigerweise kommen sie gerade in den untersten Schichten zahlreich, in den mittlern spärlich, in den obersten gar nicht mehr vor. Dies deutet auf ein Aussterben, eine Vertreibung der Tiere, jedenfalls veranlaßt durch die Eisverhältnisse der Diluvialzeit. Aus den eben angedeuteten Verhältnissen der Geschiebe ergibt sich, daß das nordische Eis in der Vergletscherungsperiode mit den Gletschern der rheinischen Mittelgebirge etwa an der Lippe zusammengestoßen ist; diejenigen Tiere, welche nicht einen Ausweg nach der rheinischen Ebene fanden, gingen aus Mangel an Nahrung und Wärme zu Grunde.

Nach dem wissenschaftlichen Jahresbericht des Generalsekretärs Prof. Ranke-München erläuterte Landesbauinspektor Honthumb das Modell eines westfälischen Bauernhauses aus der Nähe von Osnabrück. Nach langem Suchen hatte er das betreffende Haus als ein den reinen Typus des schon mehr entwickelten niedersächsischen Hauses noch möglichst getreu wiedergebendes ermittelt, genau vermessen und in 0,05 der natürlichen Größe nebst allem Mobiliar und Inventar in den entsprechenden Materialien nachbilden lassen.

In der zweiten Sitzung sprach Prof. Nordhoff über eine Reihe wichtiger vorgeschichtlicher Funde aus Westfalen, die er vorlegte, und gedachte dabei einer neuerdings mehrfach aufgetauchten Ansicht, der zufolge die Hünengräber (Riesenbetten) erst nach der Römerzeit errichtet sein sollen. Zur Begründung dieser Ansicht, die schon um deswillen nicht sehr wahrscheinlich ist, weil bei so jugendlichem Alter jener Denkmäler wohl noch Überlieferungen über ihre Entstehung und Bedeutung im Volk aufzuspüren sein würden, wird angeführt, daß auffallenderweise die römischen Schriftsteller, welche über Deutschland berichten, der Hünengräber nirgends Erwähnung thun, obschon vielfach die Römerstraßen gerade mitten durch die Steinsetzungen hindurchführen, daß ferner aber neben ältern Gegenständen solche neuern Ursprungs, namentlich auch Eisengerät, in den Hünengräbern gefunden werden. Nach Tischler-Königsberg sind aber diese Begründungsversuche hinfällig. Zunächst charakterisieren sich die megalithischen Denkmäler in ihren Einschlüssen an keramischen Gegenständen und Steingeräten so augenscheinlich als der jüngern Steinzeit angehörig, daß die vereinzelten jüngern Gegenstände, die hin und wieder gefunden sein mögen, dagegen gar nicht in Betracht kommen. Die Denkmäler sind so oft (von den alten Schatzgräbern) durchwühlt, daß bei diesen Besuchen sehr wohl Geräte, Werkzeuge u. dgl. von den Schatzgräbern verloren, bez. zurückgelassen sein können. Daß die römischen Schriftsteller über die Hünengräber schweigen, erklärt sich leicht, da in damaliger Zeit überhaupt noch nicht eine so eingehende, umfassende und objektive Art der Reisebeschreibung üblich, zudem aber schon damals im Volksbewußtsein nichts mehr über Entstehung und Bedeutung der Steinmassen übriggeblieben war, also auch dieser Anreiz zur Aufmerksamkeit fehlte. Daß Römerstraßen durch die Riesenbetten gehen, mag durch die Lage mancher der letztern bedingt, oft aber auch Werk des Zufalls gewesen oder durch Kuriositätensucht veranlaßt worden sein, insofern die Erbauer die Steine möglicherweise aus der Nachbarschaft an die Straße versetzten.

Den zweiten Vortrag hielt Prof. Virchow-Berlin über kaukasische und kleinasiatische Prähistorie. Anknüpfend an die alte Anschauung, als hänge der Kaukasus zusammen mit der Wiege des Menschengeschlechts, als sei von ihm alle Kultur ausgegangen und auch die Bronzedarstellung habe von dort ihren Ausgang genommen, gedachte Redner neuerer Beobachtungen auf dem Gebiete des Bergbaues in der Gegend von Batum, dem alten Chaldäa, wo Werner Siemens ein Kupferbergwerk errichtet hat. Man ist dort auf ausgedehnte Halden, von altem Bergbau herrührend, gestoßen, aber auch dieser alte Bergbau war auf Kupfer beschränkt, und nirgends hat man eine Spur von Zinn, dem zweiten Bestandteil der antiken Bronze, gefunden, wenn nicht die Erzählung eines Aufsehers, er habe bei einem Streifzug ins Daghestan ein Stück Zinnerz gefunden, für bedeutungsvoll erachtet werden soll. Gegenwärtig kennt man Zinnerzlagerstätten nur in England und Ostindien, und es bleibt daher unklar, woher das Zinn zu der Bronze gekommen, da man doch kaum annehmen wird, daß von England Zinn nach dem Schwarzen Meer oder andern Stätten der Kupferverhüttung gebracht worden sei. Und das müßte doch für den Kaukasus der Fall gewesen sein, wenn dort wirklich Bronze gemacht worden wäre. Bei der Suche nach [28] Zinn an prähistorischen Fundstätten ist man nun aber auf Antimon gestoßen. Antimonknöpfe fanden sich in Gräbern am Nordrande des Gebirges, ferner ist Antimon aus assyrisch-babylonischen Fundstätten bekannt geworden und im Mestem, der Augenschminke der alten Ägypter, enthalten. Hierdurch widerlegt sich die frühere Annahme, als sei das Antimon erst im Mittelalter bekannt geworden. Bessere Aufschlüsse über den Gang der kaukasischen Kultur erhält man bei Berücksichtigung der Ornamente auf den kaukasischen Bronzen. Obenan steht der Gürtelschmuck für Männer aus Bronzeblechen, die vorn durch ein Schloß von beträchtlicher Größe zusammengehalten werden. In den Funden aus dem Norden des Gebirges zeigen die Bleche keine oder nur ganz unbedeutende Verzierungen, das Schloß dagegen zeigt reiche, eingepunzte und oft mit Email gefüllte Ornamente. Die Gürtel aus dem Süden besitzen rundherum eine sehr ausgebildete, künstlerische Verzierung, die jedoch so zart ist, daß sie bei der Zerbrechlichkeit der sehr dünnen Bleche oft schwer sichtbar zu machen ist. Die Motive des Ornaments sind stets dem Tierreich entnommen und weisen auf den mandschurischen Hirsch und den Grunzochsen hin. Ein Anhalt, daß diese Tiere jemals im Kaukasus gelebt haben, besteht nicht, und somit weisen die Ornamente nach dem östlichen Asien hin, wo jene gegenwärtig vorkommen. Im zweiten Teil seines Vortrags berichtete Virchow über die neuesten Ausgrabungen Schliemanns am Hügel Hissarlik.

Prof. Schaaffhausen-Bonn sprach über das Alter des Menschengeschlechts. Nach der mosaischen Überlieferung ist das Menschengeschlecht 6000 Jahre alt, nach Lyell 200,000 Jahre. Am wahrscheinlichsten dürfte ein Alter von 15–20,000 Jahren sein; immerhin beruht auch das auf bloßer Schätzung. Als man die Spuren der Eiszeit entdeckte, meinte man zunächst, der Mensch könne erst nach dieser entstanden sein. Aber die Funde von Wetzikon, welche Beweise für das gleichzeitige Dasein von Mensch und Moschusrind zeigten, bewiesen, daß der Mensch schon während der Eiszeit gelebt habe. Seine Spuren im Tertiär bleiben allerdings zweifelhaft, obwohl man doch annehmen muß, daß der Mensch auch bereits der Tertiärzeit angehörte. Lage und Funde sprechen dafür, daß der Mensch zusammen mit dem Mastodon in Amerika gelebt hat, und einen sichern Beweis seines gleichzeitigen Vorkommens mit dem Mammut in Europa liefern die des Markes wegen frisch ausgeschlagenen Knochen aus den Höhlen von Krakau und Mähren. Die Rassen entstehen unter dem Einfluß von Klima und Kultur, die niedrigsten Rassen sind die ältesten, und die Merkmale roher Rassen kehren in fossilen Funden wieder; dem kinnlosen Unterkiefer von La Naulette gleicht der Kiefer der Wilden von Neuguinea. Die große Alveole der letzten Mahlzähne bei jenen entspricht den letzten großen Mahlzähnen der Australier. Die Männer der Höhle von Spy lassen erkennen, daß der aufrechte Gang des Menschen sich allmählich entwickelt hat. Dem entsprechend gehen die rohesten Wilden mit vorgebeugtem Körper und gebogenem Knie. Die Lage des Hinterhauptloches, die hinten abgerundete Tibia, die geringe Entwickelung der Wadenmuskeln, die mehr ausgehöhlte hintere Gelenkfläche des Metatarsus der großen Zehe beim Wilden wie beim vorgeschichtlichen Menschen – das alles steht im notwendigen Zusammenhang. Die helle Farbe von Haut und Haar ist wie die blaue Iris ein Erwerb der Kultur. Sie finden sich bei keiner wilden Rasse, nicht bei den höhern Affen, nicht bei den Säugetieren im freien Zustand, nur ausnahmsweise bei Haustieren, wie beim Hunde; doch kommt die blaue Iris bei Vögeln vor, bei der Gans infolge der Zähmung. Wenn man den Ursprung betrachtet, gibt es nur zwei Rassen, die mongolische und die äthiopische; die kaukasische ist ein Erzeugnis der Kultur. Alte Schriftsteller schildern die heutigen Bewohner Europas als Barbaren, und die Schädelfunde entsprechen diesem Urteil. Daß aber die Rassen als solche schon sehr alt sind, beweisen die ägyptischen Wandmalereien, die 1500 v. Chr. hellfarbige, blauäugige Menschen neben dem Neger, dem Juden, Mongolen und dem bezopften Chinesen zeigen. Neben diesen rohen Rassen geben sie aber auch edlere Züge in den Bildern der Herrschergeschlechter, die schon erkennbar auf das griechische Schönheitsideal hinweisen. In Fayum haben sich Abbildungen menschlicher Gesichter gefunden, die aussehen, als wenn sie Leuten von heutzutage angehörten. In der Größe des Gehirns drückt sich der Unterschied zwischen Mensch und Tier am greifbarsten aus. Zwischen höhern und niedern Rassen beträgt der Unterschied in der Größe des Gehirns 150–200 ccm. Schon in der Vorzeit gab es Kurz- und Langschädel ebenso wie Mittelformen, aber der Schädelindex erschöpft die Eigenart der Schädelform nicht, also auch nicht die Bildung des Gehirns, und der große Fortschritt der Menschheit ist undenkbar ohne die Fortentwickelung des Gehirns, also auch des Schädels. Der Gorillaschädel hat einen durchschnittlichen Inhalt von 485 ccm, der des Neanderthalmenschen einen solchen von 1099, der des Philosophen Kant einen solchen von 1730 ccm. Sicher hat das Klima Einfluß auf die Schädelbildung; ist der Mensch in den Tropen entstanden, so hat er doch seine höchste Ausbildung in den gemäßigten Klimaten erlangt. In Europa wohnte vor den Kelten ein den Lappen verwandtes Volk; wer vor diesem da war, wissen wir nicht. Der Neanderthaler hat nichts vom Kelten und nichts vom Lappen. Da der in ihm vertretene eigentümliche Formenbau in den Skeletten von Spy sich nahezu wiederfindet, so kann man mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß dieser Formenbau der Typus einer eingebornen Rasse ist. Amerika hatte keine ureingeborne Rasse; überall weist die Überlieferung auf erfolgte Einwanderung hin. Der Affe brachte es in Amerika nicht über die geschwänzten Formen hinaus. Auch Australien besitzt nur eingewanderte Bewohner, die Tierwelt leistet dort ihr Höchstes in den niedrigstehenden Beuteltieren. Was übrigens die Thatsachen der Brachy- und Dolichokephalie betrifft, so sind diese nicht so unveränderlich, wie es vielleicht scheinen könnte. Unter den kurzköpfigen Mongolen treten langköpfige Chinesen auf, und unter den langköpfigen Negern stößt man auf nicht wenige kurzschädelige Stämme und Individuen. Der Neanderthaler ist langschädelig, aber die große Länge wird hervorgebracht durch den Bau der Stirnteile und der Augenhöhlen; rechnet man diese Vorsprünge ab, so bleibt eine Mittelform, ja fast Kurzköpfigkeit übrig. Über alle diese Verhältnisse kann man auf keine andre Weise endgültigen Aufschluß gewinnen als mit Hilfe der Entwickelungsgeschichte.

Den letzten Vortrag hielt Dr. Buschau über Heimat und Alter der europäischen Kulturpflanzen. Die älteste Halmfrucht ist der Weizen, schon 3000 Jahre v. Chr. wurde er der Sage nach in China eingeführt; bei uns, ebenso in Österreich, Italien, Frankreich, Ungarn, der Schweiz, kommt er schon recht häufig in der jüngern Steinzeit vor, häufiger noch in der Bronzezeit. Die Insel Laaland ist die nördlichste seiner alten Fundstellen; in den Kjökkenmöddinger [29] fehlt jede Kornfrucht. Am häufigsten ist unter den vorgeschichtlichen Weizenfunden Triticum vulgare und zwar die kleinere Spielart desselben, von Heer deshalb als T. antiquorum bezeichnet. Spelz (T. spelta) fehlt unter den vorgeschichtlichen Funden gänzlich, auch die Römer scheinen ihn noch nicht gekannt zu haben. Vereinzelt, z. B. auch unter den trojanischen Funden, kommt das Einkorn (T. monococcum) vor, häufiger der Bartweizen (T. turgidum), wahrscheinlich ein Kreuzungsprodukt. Die Heimat des Weizens sucht Vortragender in den Gebieten zwischen Ägypten, Kleinasien und Griechenland. Die Gerste dagegen stammt wohl aus Ägypten, wo sie sich in den ältesten Grabkammern findet, während sie unter den Funden Europas seltener ist als der Weizen. Am häufigsten findet sich die sechszeilige Gerste sowie eine kleinere Art derselben (Hordeum sanctum Heer), minder häufig die zweizeilige, nirgends die vierzeilige, die wohl erst in späterer Zeit durch Kreuzung jener beiden gezüchtet worden ist. Den Roggen erwähnt zuerst Plinius, er gibt an, die Tauriner in den Alpen bauten Secale. Früher und südlicher ist keine Spur des Roggens zu finden, weder in den altägyptischen Gräbern noch in den Schweizer Pfahlbauten der Steinzeit. Die indischen und semitischen Sprachen besitzen keinen Ausdruck für Roggen. Der älteste Roggenfund gehört dem Pfahlbau von Olmütz (Bronzezeit) an; dann tritt die Frucht häufiger in den mittelalterlichen slawischen Ansiedelungen auf. Jedenfalls haben die Slawen den Roggen, dessen Name selbst slawisch ist, aus Osteuropa (Rußland) nach Westen gebracht. Hafer war in Assyrien, Judäa, Ägypten unbekannt. In China wird er etwa 800 n. Chr. zum erstenmal erwähnt. Die ältesten Haferfunde entstammen dem bronzezeitlichen Pfahlbau von Montelier, der Petersinsel und Hallstatt. Diese drei südlich der Alpen gelegenen Funde sind die einzigen bis zum Mittelalter, wo dann der Hafer nördlich der Alpen erscheint und häufig angetroffen wird. Das Hafermus der alten Deutschen, welches Plinius erwähnt, erscheint dem Redner deshalb nicht ganz zweifellos; als Heimat des Hafers betrachtet er die Ostseeländer. Die wilde Art des Weinstocks ist in Europa heimisch, und zwar erscheint die Gattung Vitis bereits in der Tertiärzeit. Aus der Steinzeit liegt ein Fund von Rebenresten vor, der dem Pfahlbau Bovere im Scheldethal entnommen wurde. Mehrfach stieß man auf Weintraubenkerne in den italienischen Terramaren. Diese Kerne gehören einer kleinen, vermutlich wild wachsenden Art des Weinstocks an. Ob diese Art auch angebaut wurde, ist zweifelhaft; nirgends in den Terramaren finden sich Spuren von Geräten zur Kelterung des Weins. Auch die Topfreste der Terramaren sind aus so porösem Stoff, daß sie nicht zur Aufbewahrung des Weins gedient haben können. Dagegen ist im alten Griechenland die Rebenkultur im ausgedehnten Maß betrieben worden. Schon Homer beschreibt sie. Als Heimat des Weinstocks bezeichnet Redner den Süden des Kaukasus. Das Schlußergebnis der Ausführungen geht dahin: Die ersten Kulturpflanzen treten in der jüngern Steinzeit auf; neben Weizen und Gerste finden sich Bohnen, Erbsen, Linsen, Flachs, Hirse, Weintrauben. Der Mensch der ältern Steinzeit trieb noch keinen Pflanzenbau, er lebte vielmehr von Jagd und Fischfang, bis, wie Redner vermutet, die Arier den Ackerbau nach Europa verpflanzten.

Prof. Ascherson ergänzte den Vortrag durch einige Bemerkungen über die Stammformen unsrer Getreidearten, wie solche durch neuere und neueste Forschungen bestimmt worden sind. So hat Körnicke überzeugend nachgewiesen, daß der Roggen nicht, wie früher angenommen, von dem in den Steppenländern wachsenden Secale fragile, sondern von dem am östlichen Mittelmeer heimischen S. montanum abstammt. Die Urform unsers Weizens ist das Einkorn (Triticum monococcum), welches von T. dicoccum wohl zu unterscheiden ist. Die Gerste ist auf Hordeum spontaneum zurückzuführen; Taubert hat diese Art neuerdings in der Kyrenaika wild wachsend angetroffen. Auch der Hafer stammt von Arten, die im Gebiete des Mittelmeers heimisch sind.

In der dritten Sitzung berichtete Prof. Schaaffhausen über die Fortschritte des Schädelkatalogs; man dürfe hoffen, es werde der knöcherne Kodex der Schädellehre mit seinen genauen Angaben über 9–10,000 Schädel binnen zwei Jahren vollendet sein. Bei Erwähnung der Vorschläge zur Erweiterung der Körpermessung gedachte Redner der an Studierenden der Universität Cambridge ausgeführten Messungen. Die jungen Leute standen im Alter von 19–24 Jahren. Sie wurden nach ihrer geistigen Begabung in drei Gruppen geteilt, und es zeigte sich nun, daß bei den minder Begabten der Schädel bereits mit dem 19. Lebensjahr seinen größten Umfang erreicht hatte, während er bei den Bestbeanlagten bis zum 24. Jahre wuchs. Die Körperkraft war aber bei den geistig Unbedeutendern merklich höher als bei den geistig Höherstehenden; sie erreichte durchschnittlich im 23. Jahre ihren Höhepunkt, und auch die Atmungsgröße entsprach dem, insofern die Lungen im 23. Jahre ihre höchste Leistung äußerten. Prof. Ranke-München berichtete über Rekrutenmessungen in Bayern, welche von der Militärbehörde unter der Bedingung gestattet worden waren, daß die Leute zu denselben nicht gezwungen werden sollten. Indessen entzogen sich von 1200 Rekruten nur 9 den Messungen, die ohne Störung des Aushebungsgeschäfts, aber mit einem Kostenaufwand von 25 Pf. pro Mann ausgeführt wurden. Man nahm dabei mit Ausnahme der Ohrhöhe alle in Wien als wünschenswert bezeichneten Maße. Generalarzt Friedrich befürwortete die Ausführung derartiger Körpermessungen in größern Spitälern. Die vorgeschichtliche Karte von Deutschland schreitet rüstig fort und wird bereits im nächsten Jahre in großen Teilen vorliegen. Nunmehr sprach Dr. Finke-Münster über die Urgeschichte Westfalens bis zur Einführung des Christentums. Redner widmete eingehende Erörterung der vielumstrittenen Schlacht im Teutoburger Walde, besprach dann die geschichtliche Entwickelung der einzelnen germanischen Stämme, soweit sie Westfalen berührt haben, und schloß mit einem Überblick über die Entwickelung der Kulturzustände auf der roten Erde während der besprochenen geschichtlichen Periode. An den Vortrag knüpfte sich eine lebhafte Debatte zwischen Virchow und Nordhoff über das Alter der westfälischen Hünengräber. Für den nächstjährigen Kongreß wurde dann Königsberg gewählt. Aus der Vorstandswahl gingen Virchow als erster, Schaaffhausen als zweiter und Waldeyer als dritter Vorsitzender hervor. Dann sprach Dr. Hachwitz-Bochum über die volksgebräuchlichen Freudenfeuer, Osterfeuer, Johannisfeuer. Bei seinen Forschungen ist dem Redner aufgefallen, daß wo die Osterfeuer nach Süden aufhören, die Johannisfeuer beginnen. Erstere hat Redner verfolgt von Zerbst aus über Bernburg, den Südharz, den Kyffhäuser, die Hainleite, das Eichsfeld, den Hüffelsberg bei Eschwege bis zum Meißner. Im hessischen Lande fand er sie [30] nicht mehr vor, plötzlich aber wieder im Siegener Lande. Er bittet nun um Nachrichten, wie weit das Osterfeuer nach Osten und Westen über die bezeichnete Strecke hinausgeht, ebenso über die Verbreitung der mit den Freudenfeuern verbundenen Volksbräuche. Prof. Ranke-München berichtet über die Durchforschung der Steinbachhöhle bei Sulzbach in Bayern. Beim Aufräumen eines längere Zeit durch herabgeworfene Steine verschüttet gewesenen Ganges fand man eine schräge Mauer, aus Geröllsteinen und Höhlenschlamm errichtet, und hinter dieser Mauer, welche einen Felsenspalt verschloß, eine große Anzahl Skelette, deren Schädel ausgesprochene Dolichokephalie zeigten, während die der jetzigen Bevölkerung brachykephal sind. In Verbindung mit der Beschaffenheit der bei den Skeletten gefundenen Gefäßscherben rechtfertigt dieser Umstand den Schluß, daß diese unterirdische Begräbnisstätte vor oder während der Völkerwanderung angelegt ist. Eine neben der Mauer aufgefundene Brandstelle ergab keine weitere Aufklärung. Dr. Naue-München sprach über einen zu Mykenä gefundenen Goldschmuck, dessen Charaktere auf barbarische Abstammung deuten. Nach der Ansicht des Vortragenden dürfte der Schmuck mit dem Zuge des Alarich nach Makedonien und Griechenland hinein zusammenhängen. Zum Schlusse sprach Prof. Waldeyer über die Gehirne des Menschen und der anthropoiden Affen. Mit Hilfe vorzüglicher, in sehr großem Maßstab angelegter Zeichnungen veranschaulichte der Redner die Form der in Betracht kommenden Gehirne mit ihren typischen Windungen und Furchen und erörterte die große Ähnlichkeit des Menschengehirns mit demjenigen des Gorillas, des Schimpansen, des Orang-Utans und des Gibbons. Diese Ähnlichkeit ist sehr viel größer als diejenige des Affengehirns mit dem Gehirn tiefer stehender Tiere. Indessen sind doch auch regelmäßig wiederkehrende Unterschiede unverkennbar. Einmal ist beim Menschen eine gewisse von der Mittelrinne etwa auf halber Länge dieser und ungefähr rechtwinkelig zu ihr nach beiden Seiten auslaufende Furche, die beim Affen sehr lang und tief ist und deshalb Affenspalte heißt, nur angedeutet, ferner ist der Hinterhauptlappen beim Menschen ungleich mehr ausgebildet, was wiederum einen mehr longitudinalen Verlauf der diesen Lappen vom Scheitellappen trennenden Rinne veranlaßt, und endlich ist an der mit dem Sprachzentrum in Verbindung stehenden Hirnpartie das Menschengehirn viel reicher an Windungen, während beim Affen eine lange Furche diese Partie in zwei Teile zerlegt und so die Windungen abschneidet. Nach einigen Bemerkungen Virchows über die Festschrift: „Die Bilsteinhöhle bei Karthaus“ wurde die Versammlung geschlossen.

Beim Besuch der Binoller Höhle auf einer der Exkursionen der Gesellschaft wurden eigentümliche Stalaktiten beobachtet. Während Stalaktiten ihrer Entstehung zufolge stets senkrecht herabhängen, findet man hier Zäpfchen, die unten scharf im rechten Winkel umbiegen, wagerecht weitergehen, hierbei zuweilen sich krümmen und namentlich am Ende oft hakig aufwärts gebogen sind. Ein Erklärungsversuch nimmt den heftigen Luftzug zur Hilfe, der zur Zeit der Bildung dieser Zäpfchen durch die Höhle gegangen sein und die einseitige Verdunstung des kalkhaltigen Wassers bewirkt haben soll. Da nun aber ziemlich benachbarte Zäpfchen nach ganz verschiedenen Richtungen umbiegen, müßte man schon einen sehr häufigen Wechsel der Zugrichtung annehmen. Nun findet man aber gar einen Deckenzapfen, von welchem kleinere Zäpfchen nach verschiedenen Richtungen sich abzweigen, ähnlich dem Fußwerk einer Spinne. Da kann jene Erklärung kaum noch zutreffen. Vielleicht kann die Annahme einer allmählichen Verschiebung der Punkte des Abtröpfelns die Erklärung herbeiführen.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 2831
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[28] Anthropologenkongreß. Die 22. allgemeine Versammlung der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte tagte vom 3. bis 5. Aug. 1891 in Danzig. Die erste Sitzung eröffnete Virchow mit einer Rede, welche sich in gewohnter lichtvoller Weise über die mannigfachsten Beziehungen der Wissenschaft verbreitete und namentlich den westpreußischen Teilnehmern ein genaues Verständnis der Arbeiten und Ziele der Gesellschaft zu vermitteln suchte. Er gedachte der schmerzlichen Verluste, welche die Gesellschaft im letzten Jahr erlitten, und wies anläßlich des unvergeßlichen Trojaforschers auf die trojanischen Gesichtsurnen (die Eulenurnen Schliemanns) der Berliner Sammlung hin. Diese Urnen finden ihr Gegenstück in zahlreichen Gesichtsornamenten auf Gegenständen der westpreußischen Sammlung und zwar in so überraschender Weise, daß ein phantasiereicher Betrachter auf den Gedanken kommen könnte, Äneas habe auf seiner Flucht in Westpreußen eine trojanische Kolonie gegründet. Redner machte bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung über den Zeichenunterricht auf unsern Schulen. Die Zeichnungen auf den prähistorischen Gegenständen, so unvollkommen und kindlich sie auch erscheinen, sind doch häufig ungemein charakteristisch und ihrer Bedeutung nach leicht bestimmbar. Dem gegenüber sei in der Gegenwart die Kunst, eine Zeichnung in ihren Hauptzügen typisch treu zu entwerfen, trotz allen Zeichenunterrichts nicht häufig, und bei der Wichtigkeit, die namentlich die Naturwissenschaft dem Zeichnen beilege, müsse man erhebliche Vervollkommnungen des systematischen Zeichenunterrichts wünschen. Wenn manche Gelehrte die Zeichnungen der Renntierzeit gerade wegen ihrer Naturtreue nicht für echt halten, so sei er entgegengesetzter Ansicht und möchte sagen, jene alten Zeichner haben ihre Sache um deswillen so gut gemacht, weil sie nicht durch unsre Zeichenschulen hindurchgegangen sind. Im letzten Teil seiner Rede deutete der Vortragende die noch ganz dunkeln ethnologischen Verhältnisse der vorgeschichtlichen Zeit in den baltischen Ländern, wo Kelten, Germanen und Slawen nach- oder nebeneinander gesessen, das Rätsel des Einfalls der Goten, das Auftreten des Eisens und die weiter an diese Dinge sich knüpfenden Fragen an, indem er die Aufhellung derselben als das besondere Arbeitsfeld der westpreußischen Forscher bezeichnete.

Namens der Staatsregierung begrüßte hierauf der Oberpräsident v. Goßler die Versammlung. Vielleicht sei niemand von den Teilnehmern so wie er in der Lage, zu übersehen, welch ungeheuern Fortschritt für die ganze gebildete Welt die Anthropologie in dem seither verflossenen Zeitraum vermittelt habe, vielfach auf Kosten der benachbarten Wissenschaften, welche Teile ihres Gebiets abtraten und manche bis dahin festgehaltene Anschauungen von Grund aus umgestalten mußten. Die Anthropologen könnten versichert sein, daß sie im breiten Strom schwimmen und volles Verständnis bei ihren Volksgenossen finden. Die größten Forscher aller Fächer seien in der Lage und gern bereit, in ihren Mußestunden anthropologische Fragen zu fördern, und anderseits könne jeder gebildete Laie, wenn er Glück habe, bahnbrechend in der Anthropologie wirken. In den Arbeiten der Anthropologen verdiene besondere Anerkennung das Moment der strengen Wissenschaftlichkeit, die mit vorsichtiger Beschränkung für wahr halte, was durch thatsächliche Beobachtungen als wahr erwiesen ist. Freilich lasse sich die letzte wissenschaftliche Wahrheit nicht allein auf dem Wege der sogen. exakten Forschung ermitteln; es werde schließlich ein Augenblick eintreten, wo das zur Hilfe genommen werden muß, was man gewöhnlich als Einbildungskraft bezeichnet, um den Funken des Verständnisses für die gesuchte Wahrheit zu entfachen; aber wann dieser Augenblick eintrete, richte sich ganz nach der Individualität des Forschers. Die größte aller Fragen, diese nämlich, wann und wo der Mensch in die Welt gekommen ist, habe in den letzten Jahrzehnten, nicht ohne Mitverschulden der Wissenschaft, eine Überspannung der Behandlung erfahren. Wenn neuerdings wieder eine Änderung eingetreten sei, so gehöre das Hauptverdienst dieses Umschwunges der [29] Deutschen anthropologischen Gesellschaft, welche zweierlei erwiesen habe, erstens, daß die Wissenschaft immer noch die Kraft besitze, aus sich selbst heraus von überschwenglichen Ansichten zur Wahrheit zurückzukehren, und zweitens, daß kein religiöses Empfinden, keine religiöse Überzeugung die Beschäftigung mit der Anthropologie zu scheuen brauche. Redner kam sodann auf Danzig und Westpreußen zu sprechen und bezeichnete die wichtigsten Beziehungen des Landes zu den prähistorischen Arbeiten, zunächst die fabelhafte Gegend der Bernsteinküste mit dem wunderbaren Bilde des Bernsteinhandels in alter Zeit, wie das unscheinbare und eigentlich wertlose Baumharz ein Mittel gewesen ist, die Fackel der Aufklärung in die ganze damalige Welt zu tragen, sodann die Werke des Deutschen Ordens, den man zwar als einen Vernichter der Prähistorie betrachten kann, in dessen Gebieten aber eigentümlicherweise die Vorgeschichte weiter in die geschichtliche Zeit hineinreicht als in andern deutschen Gebieten. Dankbare Aufgaben bietet das Land der ethnologischen Forschung. Die Preußen, Letten, Litauer und Kurländer sind von den Slawen und allen möglichen deutschen Völkern überdeckt worden, so daß sehr verwickelte Verhältnisse entstanden, um deren Aufhellung sich die Versammlung sehr verdient machen kann. Lissauer-Danzig sprach hierauf über den gegenwärtigen Stand der prähistorischen Wissenschaft in der Provinz Westpreußen. Bereits im 16. Jahrh. hat man prähistorische Funde in Danzig und Elbing gesammelt. Im 18. Jahrh. gab es sogar schon eine Litteratur über die preußische Vorgeschichte. Eine ethnologische Sammlung konnte im vorigen Jahrhundert durch reiche Schenkungen Rankes und Solanders, die Cook auf seiner ersten Reise um die Erde begleiteten, von der Naturforschergesellschaft in Danzig begründet werden. Aber erst in der Mitte unsers Jahrhunderts untersuchte ein Lehrer in Danzig Pomerellen selbst auf seine Altertümer. Einen gemeinsamen Mittelpunkt gewannen diese Bestrebungen erst nach Gründung der Deutschen anthropologischen Gesellschaft und des Lokalvereins in Danzig, und mit der Schöpfung des westpreußischen Provinzialmuseums nahm die prähistorische Wissenschaft in der Provinz einen großen Aufschwung. Das Museum und die kleinern Sammlungen in Elbing, Marienwerder, Graudenz, Thorn geben ein Gesamtbild der prähistorischen Kulturentwickelung der Provinz von der jüngern Steinzeit an, in welcher der Mensch zuerst in Westpreußen von S. her beiderseits der Weichsel einwanderte. Als Zeugnisse dieser fernen Epoche, welche weit bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreicht, führte der Vortragende die Feuersteinstationen von Oxhöft und Weißenberg, in denen allerwärts charakteristische Gefäßscherben mit schönen Schnurornamenten gefunden wurden, sowie die Küchenabfälle von Tolkemit an; weiterhin wies er auch auf die Bernsteinschmucksachen hin, welche mit Feuerstein bearbeitet sind, ebenso auf die mannigfachen Werkzeuge aus Stein und Knochen, welche in der ganzen Provinz verstreut gefunden werden. Gräber aus dieser Epoche sind nur in geringer Zahl vorhanden. Zuerst findet man die Skeletthügel, später aber tritt schon Leichenbrand auf mit Steinsetzungen nach Form der kujavischen Gräber, wie im Kulmer Land. Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. tritt Westpreußen durch den Bernsteinhandel allmählich mit den westlichen und südlichen Völkern in Verkehr und zwar durch einen vermittelnden Tauschverkehr zu Lande, wie durch Pommern und Mecklenburg nach der Elbe, durch Posen, die Lausitz und Sachsen zum Rhein hin und die Weichsel aufwärts nach der Donau zu, wo in Ungarn schon früh eine große Bronzeindustrie bestand. Die Zeugnisse dieses Verkehrs aus der Bronzezeit stellte Redner in einer der Versammlung gewidmeten Festschrift dar. In diese Periode zählen die meisten Hügelgräber mit den interessanten Gesichtsurnen, von welchen das Provinzialmuseum eine sehr große Zahl besitzt. Die folgende La Tène-Kultur in den letzten Jahrhunderten v. Chr. ist ebenfalls durch großartige Funde aus den Brandgräbern von Oliva und Rondsen vertreten, ebenso wie die Zeit des Handelsverkehrs mit den Provinzen des römischen Kaiserreichs vom 1. bis 4. Jahrh. n. Chr. durch prächtige Funde von Elbing und kunstvolle Gefäße aus dem Kulmer Lande, durch viele Fibeln und Münzen. Dann folgt eine Zeit von fast 400 Jahren, aus welcher kein Fund in Westpreußen bekannt ist, gerade so, als wenn die gesamte Bevölkerung zur Zeit der Völkerwanderung ausgewandert wäre. Erst wieder aus der slawischen Zeit besitzt das Museum reiche Funde von Haarsilber, von kufischen und deutschen Münzen, von Reihengräbern mit Schläfenringen und von Burgwällen, welche den Beweis liefern, daß das untere Gebiet der Weichsel wieder mehr bewohnt gewesen und sowohl mit der morgenländischen als mit der abendländischen Welt wieder in Verkehr getreten war. Im Anfang unsers Jahrtausends beginnt dann die Geschichte auch über diese Gegend Licht zu verbreiten. Zum Schluß erstattete Ranke (München) den wissenschaftlichen Jahresbericht.

In der zweiten Sitzung sprach Jentzsch-Königsberg über die geologischen Verhältnisse Westpreußens. Der Boden der Provinz besteht der Hauptsache nach aus Bildungen des Diluviums, doch finden sich an wenigen Orten, punktförmig aus dem Diluvium hervorbrechend, Gebilde der Tertiärformation, an zwei Stellen südlich von Marienberg auch Kreide. Die nähere Untersuchung des westpreußischen Diluviums ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft, weil infolge der großen Ausdehnung der Lager alle Anhaltspunkte zur speziellern Bestimmung der einzelnen Schichten fehlen. Redner besprach sodann die mehrfachen Überflutungen, durch deren Vermittelung schwedisches Material nach dieser Gegend heruntergeführt wurde. Ursprünglich fand das Meer wenig vor, was der Zerstörung durch Wasser hätte anheimfallen können. Später boten die ungeheuern von Bernsteinbäumen gebildeten Wälder Angriffspunkte genug. Im Zusammenhang mit dem Vorrücken und Zurücktreten des Meeres stehen die großen Vereisungen, welchen die Provinz zweimal unterworfen war, während dazwischen eine mäßige Temperatur, der heutigen ähnlich, vorherrschte. Bei spätern Überflutungen trat das Meer durch abwechselnde Hebungen und Senkungen kleinern Maßstabes mit dem Lande in innigere Berührung, und so finden sich nahe dem sogen. Vogelsang als ein Unikum in ganz Europa Meeresschichten und Süßwasserschichten unmittelbar nebeneinander. Den Beweis dafür, daß das ganze Land früher viel höher gelegen haben muß, liefert die Auffindung von Süßwasserschichten noch in einer Tiefe von 100 m unter dem Meeresspiegel. Der Bernstein findet sich ursprünglich im Eocän und Oligocän, ist aber später, wesentlich wohl infolge von Eiswirkungen, in jüngere Schichten gelangt. Das Verbreitungsgebiet des Bernsteins deckt sich etwa, was mit obigem zusammenhängt, mit der Zone der erratischen Blöcke. Von organischen Resten nannte der Redner unter anderm die [30] Renntierreste, die sich sowohl aus der vorglazialen als aus der zwischen- und nachglazialen Zeit vorfinden, und zwar solche aus vorglazialer Zeit eben nur in Ost- und Westpreußen, sonst nirgends in Europa. Der Mensch kann während der ältern Steinzeit ebensowenig in Westpreußen gelebt haben wie in Dänemark. Selbst nach der zweiten Eisperiode setzte das zunächst noch sehr rauhe Klima der Besiedelung Schwierigkeiten entgegen. Reste des Menschen aus der jüngern Steinzeit sind unter anderm in jenen tiefgesenkten Süßwasserschichten aufgefunden worden, stammen also aus einer Zeit vor der erfolgten Senkung. Redner sprach weiter über die Veränderungen der Meeresküsten und der Flußläufe, über die Deltabildung und die Moore, von denen Westpreußen eine ganz ungeheure Anzahl, meist aber von geringer Größe, besitzt.

Den nächsten Vortrag hielt Montelius-Stockholm über die Chronologie der jüngern Steinzeit in Skandinavien. Die jüngere Steinzeit (ohne die Kjökkenmöddinger) hat in Skandinavien eine sehr lange Dauer gehabt und beansprucht für dies Land deshalb wohl die Bedeutung einer selbständigen und umfangreichen Entwickelung. Aus diesem Grunde scheint der Versuch lohnend, die dortigen Reste der jüngern Steinzeit unter sich wieder chronologisch zu ordnen. Die Angriffspunkte zu dieser Ordnung bilden die verschiedenen Formen der Gräber sowie die Typen der Waffen und Geräte, unter den Waffen namentlich die Feuersteinaxt. Nach Montelius bestand ein älterer Zeitabschnitt, aus welchem keine Gräber erhalten sind, wohl aber Äxte mit spitz-ovalem Durchschnitt. Diese Form ändert sich bei dem zweiten Zeitabschnitt derartig, daß die Axt Schmalseiten mit dünnem Nacken, bei den folgenden Abschnitten Schmalseiten mit breitem Nacken aufweist. Vom zweiten Zeitraum an treten dann die Gräber auf und zwar zunächst Dolmen (Hünengräber), die gänzlich freistehen, aber keinen Innengang besitzen. Die dritte Periode enthält Ganggräber, die vierte Steinkisten und zwar anfänglich mit mehr oder weniger frei stehendem Deckel, später völlig von dem aufgehöhten Hügel verdeckt, zum Teil sogar unter der gewachsenen Erdoberfläche. Diese Einteilung wird durch die sonstigen Einschlüsse der Gräber (Steinwerkzeuge und Waffen, Thongefäße, Bernsteinstücke etc.) bestätigt. Die Bernsteinfunde in den skandinavischen Dolmen beweisen, daß das Meer keine trennende Schranke zwischen der Halbinsel und dem Festland gebildet haben kann. Aber die Beziehungen Skandinaviens zum übrigen Europa gingen viel weiter, denn auch die Formen der skandinavischen Gräber und der sonstigen Funde stehen nicht vereinzelt, sie kehren vielmehr vielfach in Westeuropa, in Mittel- und Südeuropa, ja bis nach Cypern wieder. Hieraus ist zu schließen, daß die nordische Kultur durch Einflüsse des Südens gesteigert wurde, und daß in dieser Weise ihre schon in der Steinzeit auffallende Entwickelung erklärt werden muß. Jene Übereinstimmung der Formen wird aber auch dazu führen, die Chronologisierung der skandinavischen Funde zu erleichtern, und aus dem, was sich schon jetzt in diesem Sinn erkennbar macht und was Redner im einzelnen ausführte, ergibt sich (und das Studium der Bronzezeit bestätigt es), daß die Entwickelung der Kultur in den verschiedenen Ländern Europas viel gleichmäßiger, bez. gleichzeitiger vor sich gegangen ist, als man bisher angenommen hat.

In der dritten Sitzung wurde Ulm zum Vorort des nächsten Kongresses gewählt. Helm-Danzig sprach über die chemische Zusammensetzung der westpreußischen Bronzen. Er fand besonders bei einer beträchtlichen Zahl von Exemplaren der ältesten Zeit einen auffallend hohen Antimongehalt. Da in einzelnen Fällen dieser Gehalt auf 7 Proz. steigt, so ist die Annahme ausgeschlossen, daß das Antimon durch irgend einen Zufall in die Bronze gelangt sei. Von großem Wert sind daher die Angaben Virchows über prähistorische Gewinnung und Verarbeitung von Antimon im Kaukasus. Die Frage, wie das heute so seltene Antimon in die prähistorischen Bronzen gelangt sei, glaubt Helm damit beantworten zu können, daß zu Anfang der Bronzezeit noch viel herumexperimentiert wurde, um die vorteilhafteste Mischung herauszubekommen. Unterstützt wird diese Annahme dadurch, daß einzelne Legierungen aus 6–8 Metallen zusammengeschmolzen sind. Waldeyer-Berlin sprach über die sogen. Reilsche Insel und die Sylvische Furche des Gibbon und die bei den übrigen menschenähnlichen Affen, dem Orang-Utan, Gorilla und Schimpanse, vorhandenen entsprechenden Bildungen. Die Inselwindungen dieser Affen zeigen stufenweise eine Fortentwickelung vom Gibbon bis zum Schimpanse, indem sich der Orang-Utan unmittelbar an den Gibbon anlehnt, der Gorilla eine weitere Ausbildung aufweist, der Schimpanse aber die höchste Stufe unter den Geschöpfen dieser merkwürdigen Gruppe erreicht. Wenn auch die Grundform der Insel bei den Anthropoiden und dem Menschen dieselbe ist, so zeigt sich doch zwischen dem letztern und dem Schimpanse in der Ausbildung der Inselfurchung eine auffallende Kluft. Die Zahl der Windungen ist beim Menschen größer, namentlich hat der untere oder temporale Lappen der Insel, welcher bei den Anthropoiden windungsfrei bleibt oder höchstens schwache Spuren von Windungen zeigt, beim Menschen 3–4 deutliche Windungen. Ein Fall von erblicher Zwerghaftigkeit, welchen Lissauer-Danzig vorstellte, regte lebhaften Meinungsaustausch an. Es handelte sich um einen 42jährigen Bernsteinarbeiter, dessen Beine und Arme außerordentlich kurz sind. Das infolgedessen sehr kleine Männchen hat eine normal gebaute Person zur Frau, und aus dieser Ehe sind zwei Mädchen hervorgegangen, von denen das ältere, jetzt zehnjährige, die Zwergnatur des Vaters, das jüngere, jetzt vierjährige, den normalen Bau der Mutter geerbt hat, so daß das vierjährige Kind ganz erheblich größer ist als das zehnjährige. Ranke-München sprach über das Verhältnis des Schädels zum Gehirn beim Tier und beim Menschen. Unter Vorlegung von verschiedenartigen Schädeln suchte er den Nachweis zu führen, daß die räumliche Ausbildung des Gehirns von entscheidendem Einfluß auf den Unterschied in der Form des menschlichen und tierischen Schädels ist. Je stärker entwickelt das Gehirn, um so mehr werden die vordern Schädelteile weiter nach vorn gedrängt, in demselben Verhältnis treten dann die untern Gesichtsteile gegen die obern zurück, und der tierische Prognathismus, die Schnauzenbildung, verschwindet, um der reinern menschlichen Gesichtsform zu weichen. Mies-Berlin und Rabl-Gratz sprachen über Schädelmessung, darauf berichtete ersterer über die Feststellung der Persönlichkeit für polizeiliche oder gerichtliche Zwecke durch Körpermessung. Die photographische Fixierung von Leuten, die man sicher wiederkennen will, genügt aus naheliegenden Gründen nicht, namentlich nicht in großen Städten, wo die Blätter des „Verbrecheralbums“ ungemein zahlreich werden. Die früher übliche Brandmarkung [31] mit glühendem Eisen kommt heute nicht mehr in Frage, die gelindere Tättowierung ist nicht untrüglich, da man, wie es scheint, ausreichenden Methoden auf der Spur ist, dieselbe zu beseitigen (Einreiben von Milch in die durch Nadelstiche zugänglich gemachte Haut der tättowierten Stelle). Viel zuverlässiger erscheint Bertillons „anthropometrisches Signalement“ (s. den folgenden Artikel), welches in Frankreich sich gut bewährt hat und auch bei uns eingeführt werden dürfte. Dabei sind gewisse Einflüsse zu berücksichtigen, welche Körpermaße, namentlich die Körperlänge ändern und von Simulanten benutzt werden können. Morgens ist der Mensch gewöhnlich größer als abends, weil nach längerer Beschäftigung in aufrechter Stellung die zwischen den Wirbeln liegenden Scheiben zusammengedrückt werden. Auch durch nachlässige Haltung kann man sich kleiner machen. Wer nur wenig mehr als Militärmaß besitzt und die Nacht vor der Messung stehend und gehend verbracht hat, auch sich nachlässig hält, kann leicht als zu klein für den Militärdienst befunden werden. Sombathy-Wien sprach über die Auffindung einer Bronze-Situla vom Typus derer von Bologna und Match. Die neue Situla wurde bei Göttweih in Niederösterreich entdeckt und ist demnach die nördlichste unter sämtlichen ihresgleichen. Der dorische Typus ihrer getriebenen Ornamente weist auf südliche Abstammung hin. Dorr-Elbing berichtete über seine Forschungen an den zahlreichen Steinkistengräbern in der Gegend von Elbing und knüpfte an die Beschreibung der Funde Erörterungen über die vormalige Besiedelung der Elbinger Gegend. Dabei erwähnte er eine Stelle des Plinius, wo Pytheas von den Goten erzählt, daß sie die Küste des aestuarium oceani bewohnten, da, wo die Bernsteininsel Abalus zu Schiffe leicht in einem Tag erreicht werden könne. Vortragender wandte sich gegen die Deutung, daß die Bernsteininsel nach der Nordsee zu verlegen sei, weil aestuarium das der Ebbe und Flut ausgesetzte Land bedeutet, und führte aus, daß man wohl auch annehmen könne, es habe der häufige, durch Nordwind verursachte Aufstau des Haffwassers, welcher in früherer Zeit jedesmal zur Überflutung des damals noch nicht durch die Dämme geschützten Landes führte, Anlaß zu der Anwendung des Wortes Ästuarium geboten. An der Nordsee gab es nun einmal keinen Bernstein (Olshausen hat dieser Annahme gegenüber darauf hingewiesen, daß die Nordsee keineswegs völlig frei von Bernstein ist, und daß anderseits die Elbinger Gegend zu wenig Funde ergeben hat, um als das von Plinius gemeinte Land gelten zu können). Grempler-Dresden sprach über die Merowinger Fibel. Er suchte nachzuweisen, daß der sogen. Merowinger Typus eigentlich als gotischer Typus bezeichnet werden müsse. Auf der Krim hat er nämlich in Kertsch Fibeln gefunden, welche ihrem Aussehen nach zu dem merowingischen Typus zu rechnen sind. Lissauer sprach über den Formenkreis der slawischen Schläfenringe. Er erörterte zunächst die verschiedenen Formen, welche diese Ringe an andern Orten, hauptsächlich aber in Ungarn, Böhmen und Polen zeigen. Obgleich seit dem Jahr 1877, wo Sophus Müller diese Ringe bereits für slawischen Ursprungs erklärte, etwa sechsmal soviel wie in frühern Jahren gefunden worden sind, hat man dennoch bisher keine Ursache gehabt, von dieser Anschauung abzuweichen. Von großer Bedeutung sind die Funde, welche bei Keszthely in Ungarn gemacht wurden; man brachte hier unter anderm Schläfenringe zu Tage, welche 3–5mal schlangenförmig gewunden waren, also von der gewöhnlichen Form vollkommen abwichen. Allerwärts, wo Slawen herrschten, sind von der Zeit der Völkerwanderung an diese schlangenförmigen Ringe bis zu Anfang dieses Jahrtausends deutlich nachzuweisen. Buschan-Kiel legte eine Sammlung von Samen prähistorischer Kulturpflanzen vor. Bedeutend sind unter diesen besonders spanische Funde, welche von den Gebr. Siret gemacht wurden und Aufschlüsse über den Zeitpunkt des ersten Auftretens gewisser Kulturpflanzen in Spanien gaben.