MKL1888:Arbeiterschutzgesetzgebung
[32] Arbeiterschutzgesetzgebung (seit 1885). Im Artikel „Fabrikgesetzgebung“ (Bd. 5, S. 997 ff.) ist die Geschichte und der Stand der A. in einzelnen Staaten, insbesondere in England, der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich bis zum Jahr 1885 dargestellt worden. Damals gewährten England, die Schweiz und Österreich der Arbeiterklasse den weitestgehenden Schutz, und in diesen Staaten sind auch, mit Ausnahme eines englischen Gesetzes vom 16. Sept. 1887 zur Verbesserung der bisherigen das Truckverbot betreffenden Bestimmungen, seitdem keine neuen Schutzbestimmungen erlassen worden. Dagegen sind in einer Reihe andrer Staaten, namentlich in Deutschland, Italien, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Finnland und Rußland, in denen die A. teils ganz fehlte, teils völlig ungenügend war, neue Arbeiterschutzgesetze ergangen, die im folgenden besprochen werden sollen. Das bei weitem bedeutsamste dieser Gesetze ist das neue deutsche Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891[WS 1].
Im Deutschen Reich sind in der Geschichte der sozialpolitischen Gesetzgebung und insbesondere auch der A. drei Stadien zu unterscheiden. Das erste umfaßt die Zeit von 1870 bis 1876, das zweite die Zeit von 1877 bis zur Entlassung des Fürsten Bismarck (März 1890), das dritte die Zeit seitdem. In dem ersten Stadium, in welchem Minister Delbrück der eigentliche Leiter der Wirtschafts- und Sozialpolitik war, war die Sozialpolitik eine wenig arbeiterfreundliche. Im Reichstag und bei den Bundesregierungen herrschten damals, wie 1869, als die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes beschlossen wurde, manchesterliche Anschauungen vor. Die Manchesterdoktrin, seit dem Anfang der 60er Jahre in Deutschland durch die die öffentliche Meinung, die Presse und die gesetzgebenden Körperschaften in den wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen beherrschende „Deutsche Freihandelspartei“ (s. Arbeiterfrage, Bd. 1, S. 751) vertreten, verteidigt im Wirtschaftsleben überhaupt die volle individuelle Freiheit und die Politik des laisser faire und laisser aller, die Nichteinmischung der Staatsgewalt in die individuelle Erwerbsthätigkeit und in die Gründung und den Betrieb der wirtschaftlichen Unternehmungen, sie ist auf dem Gebiete der Sozialpolitik Gegnerin jeder A., selbst der Bestimmungen zum Schutz der Kinder, der jugendlichen und weiblichen Arbeiter, sie ist Gegnerin jeder öffentlich-rechtlichen Arbeiterversicherung, d. h. jeder Regelung der Arbeiterversicherung, die einen Versicherungszwang ausspricht und durch den Staat Versicherungsanstalten für Arbeiter organisiert. Delbrück vertrat im wesentlichen den Standpunkt dieser Richtung nicht nur in der Handels- und Zollpolitik, sondern auch in der Gewerbe- und Sozialpolitik. Fürst Bismarck hat zwar persönlich nie die Anschauungen der individualistisch-freihändlerischen Richtung geteilt, aber in jener Zeit überließ er die Leitung der Wirtschafts- und Sozialpolitik seinem Mitarbeiter Delbrück, er selber war durch die auswärtige Politik und durch andre Organisationsfragen, zuerst des Norddeutschen Bundes, dann des Deutschen Reiches, so sehr in Anspruch genommen, daß er, wie er selbst gesagt hat, sich nicht auch noch um die Wirtschaftspolitik kümmern konnte, und er sah sich um so weniger veranlaßt, der Politik Delbrücks entgegenzutreten, als die große Majorität des Reichstags mit dieser einverstanden war. Die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes vom 21. Juni 1869[WS 2], die nach der Gründung des Deutschen Reiches die Reichsgewerbeordnung wurde und die Arbeitsverhältnisse regelte, enthielt nur ganz wenige und sehr dürftige Arbeiterschutzbestimmungen. Sie verbot die „regelmäßige“ Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren in Fabriken, Bergwerken, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen oder Gruben, normierte in diesen Unternehmungen die Maximalarbeitszeit für Kinder von [33] 12–14 Jahren auf 6 Stunden, für jugendliche Arbeiter von 14–16 Jahren auf 10 Stunden, verbot in ihnen für diejenigen unter 16 Jahren die Sonntags- und Festtagsarbeit sowie die Nachtarbeit und traf für industrielle Arbeiter Bestimmungen zur Verhinderung des sogen. Trucksystems, d. h. einer Ausbeutung derselben durch direkte oder indirekte Ablöhnung mit Waren. Im übrigen enthielt sie nur noch die allgemeine Bestimmung (§ 107): „Jeder Gewerbeunternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebs und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit notwendig sind.“ Da man aber unterließ, obrigkeitliche Organe zu verpflichten, für die Durchführung dieser Vorschrift zu sorgen, bez. solche Organe einzurichten, so hatte die Bestimmung, mit Ausnahme weniger Distrikte, wie z. B. im Regierungsbezirk Düsseldorf, wo die Regierung auf Grund jenes Paragraphen selbständig weitere Ausführungsbestimmungen traf und deren Befolgung durchsetzte, keine praktische Bedeutung. Auch die andern Schutzbestimmungen wurden mangels obrigkeitlicher Kontrolle vielfach nicht befolgt. Außerdem hatte nur noch das sogen. Haftpflichtgesetz vom 7. Juni 1871 die bisherige gemein- und partikularrechtliche Haftpflicht der Unternehmer bei Betriebsunfällen dahin erweitert: 1) daß Eisenbahnunternehmer haften, sofern sie nicht beweisen, daß der Unfall durch höhere Gewalt oder durch eignes Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist; 2) Bergwerks-, Steinbruchs-, Gräberei- (Gruben-), Fabrikunternehmer haften, wenn ein Bevollmächtigter oder ein Repräsentant oder eine zur Leitung oder Beaufsichtigung des Betriebes oder der Arbeiten angenommene Person durch ein Verschulden in Ausführung der Dienstverrichtungen den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt hat. Aber auch dies Gesetz hatte für industrielle Arbeiter eine geringe Bedeutung, weil es für die weitaus meisten Betriebsunfälle keine Haftpflicht der Unternehmer anerkannte und für die andern dem Verunglückten, bez. dessen Hinterbliebenen die schwierige Beweislast auferlegte.
Das zweite Stadium beginnt mit dem im J. 1876 erfolgten Rücktritt Delbrücks. Fürst Bismarck wurde nun auch der Leiter der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Delbrücks Sturz hatte seinen Grund nicht in den Anschauungen beider Staatsmänner über die Sozialpolitik, sondern in ihren Ansichten über die Zoll- und Eisenbahnpolitik. Bismarck wollte statt der seit 1865 befolgten Freihandelspolitik eine Schutzzollpolitik und in Preußen eine Verstaatlichung der Eisenbahnen durchführen; Delbrück war dagegen. Die Zollpolitik wurde seit 1879 eine entschieden schutzzöllnerische. Aber es erfolgte auch eine Änderung der Sozialpolitik. Diese Änderungen waren nur dadurch möglich, daß sich inzwischen auch ein Umschwung in der öffentlichen Meinung in den wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen vollzogen hatte. Einerseits war durch die energische Agitation der Großindustriellen (Zentralverband der deutschen Industriellen) und der sogen. Agrarier, welche durch die schädlichen Folgen der großen wirtschaftlichen Krisis von 1873 unterstützt wurde, die bisher herrschende freihändlerische Strömung einer schutzzöllnerischen gewichen, welche bei den Reichstagswahlen von 1877 zum Ausdruck gelangte und zu einer schutzzöllnerischen Majorität führte; anderseits war durch die Gründung des Vereins für Sozialpolitik und durch die Bekämpfung der Lehren des Mancherstertums seitens der Vertreter der Nationalökonomie an den deutschen Universitäten eine neue sozialpolitische Lehre und Richtung, die sozialreformatorische, begründet worden (s. Arbeiterfrage, Bd. 1, S. 752), welche in weiten Kreisen Anhänger gefunden hatte und eine Erfüllung der berechtigten Anforderungen der Arbeiterklasse im Sinn dieser Richtung forderte; eine energische Inangriffnahme der sozialen Reform wurde um so dringlicher, als die schweren Mißstände in den Verhältnissen der industriellen Arbeiter die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse steigerten und die Sozialdemokratie eine bedenkliche Ausdehnung erlangte. Für die sozialpolitische Gesetzgebung in diesem Stadium ist nun charakteristisch, daß durch den Einfluß des Fürsten Bismarck die öffentlich-rechtliche Regelung der Arbeiterversicherung in einem sehr weiten Umfang erfolgte, dagegen für den weitern Ausbau der A. sehr wenig geschah. Allerdings wurden im Anfang dieser Periode durch das den Titel VII der Gewerbeordnung abändernde Gesetz vom 17. Juli 1878[WS 3] auch einige neue Arbeiterschutzbestimmungen erlassen. Die bisher für Fabriken etc. bestehenden Schutzbestimmungen wurden noch auf einige andre Gewerbebetriebe (Werkstätten mit regelmäßigem Dampfkraftbetrieb, Hüttenwerke, Bauhöfe u. Werften) ausgedehnt, in allen diesen Unternehmungen wurde jetzt die Beschäftigung von Kindern unter 12 Jahren unbedingt und den Wöchnerinnen die Arbeit während 3 Wochen nach ihrer Niederkunft verboten. Verboten wurde den Arbeiterinnen in Bergwerken, Salinen etc. die Arbeit unter Tage. Die bisher auf Arbeiter unter 16 Jahren beschränkte polizeiliche Kontrolle wurde auf alle Arbeiter unter 21 Jahren ausgedehnt. Eingeführt wurde ferner die obligatorische Fabrikinspektion durch besondere Aufsichtsbeamte, und der Bundesrat erhielt endlich noch die Befugnis, unter gewissen Voraussetzungen und unter dem Vorbehalt nachträglicher Genehmigung des Reichstags den Schutz für Kinder, jugendliche und weibliche Arbeiter in Bezug auf übermäßige Arbeitszeit, gesundheits- oder moralschädliche Arbeit, Nacht- und Sonntagsarbeit auszudehnen, unter Umständen aber auch einzuschränken. Von dieser Befugnis hat der Bundesrat nach beiden Richtungen (der Schutzerweiterung und -Beschränkung) Gebrauch gemacht, nach jener durch die Bekanntmachungen vom 23. April 1879 betr. Walz- und Hammerwerke, vom 23. April 1879 betr. Glashütten, vom 10. Juli 1881 betr. Steinkohlenwerke, vom 3. Febr. 1886 betr. Drahtziehereien, vom 12. April 1886 betr. Bleifarben- u. Bleizuckerfabriken, vom 9. Mai 1888 betr. Zigarrenfabriken, vom 21. Juli 1888 betr. Gummiwarenfabriken, nach dieser durch die Bekanntmachung vom 20. Mai 1879 betr. Spinnereien. Aber bei diesen wenigen Änderungen ließ man es auch in dieser ganzen Periode bewenden. Dagegen erfolgten in den 80er Jahren großartige Reformen auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung. Diese Gestaltung der deutschen Sozialpolitik ist das Werk des Fürsten Bismarck. Bismarcks sozialpolitischer Standpunkt war ein eigentümlicher. Er wollte die staatliche Fürsorge für das Wohl der arbeitenden Klassen lediglich auf die Fälle der Erwerbsunfähigkeit der Arbeiter beschränken, auf die öffentlich-rechtliche Regelung der Unfall-, Kranken-, Invaliditäts- und Altersversicherung, und er hat konsequent und energisch diese Arbeiterversicherung in den Jahren 1883–89 (s. darüber die betr. [34] Artikel, auch in Bd. 17) durchgesetzt. Er war aber entschieden gegen die weitere Ausdehnung der A., gegen völlige Beseitigung der Kinderarbeit, gegen die staatliche Regelung der Arbeit der jugendlichen und weiblichen Personen, der Sonntags- und Nachtarbeit etc.; in allen diesen Betriebsverhältnissen wollte er weder der Industrie und den industriellen Unternehmern noch den Arbeitern gesetzliche Beschränkungen auferlegen. Er stand mit dieser Ansicht entgegen nicht nur den wissenschaftlichen Vertretern der sozialen Reform, sondern auch allen Parteien des Reichstags und den meisten Bundesregierungen, und daher kam es, daß alle Anträge und Gesetzentwürfe, welche seit der Mitte der 80er Jahre von allen Parteien im Reichstag eingebracht, bez. unterstützt und mit großen Majoritäten beschlossen wurden, und welche eine Ausdehnung des Arbeiterschutzes namentlich für Kinder, jugendliche und weibliche Arbeiter und bezüglich der Sonntagsarbeit bezweckten, gelegentlich vom Fürsten Bismarck bekämpft, sonst aber vom Bundesratstisch mit einem beredten Schweigen gewürdigt und vom Bundesrat nicht weiter berücksichtigt wurden. Wenn man erwägt, daß Arbeiterschutzgesetze, welche den Arbeitern und ihren Familien unmittelbar und sofort zu gute kommen und den Arbeitern keine materiellen Opfer auferlegen, die Arbeiter zufriedener machen als Arbeiterversicherungsgesetze, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß, wenn schon früher die heute durch das Gesetz vom 1. Juni 1891 eingeführte A. erlassen wäre, es der Sozialdemokratie nicht in dem Maße gelungen wäre, in der Arbeiterbevölkerung Anhänger zu gewinnen, wie es thatsächlich in den 80er Jahren geschehen ist. Bismarcks Standpunkt in der Frage des Arbeiterschutzes hat für Deutschland insofern auch eine große Tragweite gehabt, als er eine der wesentlichen sachlichen Ursachen der Entlassung des Reichskanzlers gewesen ist, da Kaiser Wilhelm II. in dieser Frage völlig andrer Ansicht war. Der Kaiser gab derselben in seinen Erlassen vom 4. Febr. 1890 einen feierlichen Ausdruck.
Mit diesen Erlassen beginnt das dritte Stadium der Sozialpolitik des Deutschen Reiches. Der Kaiser erklärte den weitern Ausbau der A. als eine notwendige und dringende Aufgabe und die Lösung derselben als seinen festen und entschiedenen Entschluß. Eingeleitet wurde die neue Ära durch eingehende Beratungen des preußischen Staatsrats unter dem Vorsitz des Kaisers über die Änderungen der bisherigen Gesetzgebung und durch die vom Kaiser veranlaßte internationale Arbeiterschutzkonferenz, welche in Berlin 15.–29. März 1890 stattfand (s. Arbeiterschutzkonferenz, Bd. 18). Nach dem Rücktritt des Fürsten Bismarck wurden dem Reichstag von dem neuen Reichskanzler v. Caprivi 6. Mai 1890 zwei große und wichtige sozialpolitische Gesetzentwürfe vorgelegt. Der eine betraf die Organisation von Gewerbegerichten, die zugleich als Einigungsämter wirken können, und wurde noch 1890 (Gesetz vom 29. Juli 1890[WS 4]) erledigt (s. Gewerbegerichte, Bd. 18). Der zweite enthielt die neue Gestaltung der A. und wurde nach sehr eingehenden Kommissionsberatungen und langen Verhandlungen unter zahlreichen Abänderungen vom Reichstag in dritter Lesung 8. Mai 1891 angenommen. Die Bundesregierungen stimmten der vom Reichstag beschlossenen Fassung zu, das Gesetz wurde 1. Juni 1891 vom Kaiser unterzeichnet und publiziert.
Die neuen Schutzbestimmungen ändern den Titel VII der Gewerbeordnung, welcher die Verhältnisse der gewerblichen Arbeiter regelt, in so vielen Paragraphen ab, daß der Bundesrat es für zweckmäßig fand, durch die Vorlage den bisherigen Titel VII zu ersetzen. Deshalb enthält die Vorlage und ebenso das neue Gesetz auch noch einige weitere Abänderungen und Ergänzungen der bisherigen Gesetzgebung, die zwar nicht in den Kreis der eigentlichen A. fallen, sich aber auch auf die Regelung der Arbeiterverhältnisse beziehen und auch schon längst als notwendig, bez. wünschenswert anerkannt worden sind. Es handelt sich hier, von einigen minder wichtigen Bestimmungen abgesehen, besonders um Ergänzungen der Bestimmungen über die Arbeitsbücher der Minderjährigen (§ 107–114), die den Zweck verfolgen, durch Stärkung der elterlichen Autorität der zunehmenden Zuchtlosigkeit der Jugend entgegenzuwirken, und um die bisher nicht erfolgte besondere Regelung der Verhältnisse der Betriebsbeamten, Werkmeister und Techniker in gewerblichen Unternehmungen (Abschnitt III a, § 133a–133e). Wir unterlassen es, hier auf diese Bestimmungen des neuen Gesetzes einzugehen und beschränken uns auf die Darstellung der Schutzbestimmungen.
Was diese betrifft, so ist zwar, wie schon erwähnt, durch die Kommission und den Reichstag die Regierungsvorlage in vielen einzelnen Punkten abgeändert worden und zum Teil gegen den Widerspruch der Vertreter der Bundesregierungen, aber im allgemeinen herrschte doch zwischen Bundesrat und Reichstag Übereinstimmung über Art und Umfang der Ausdehnung des Arbeiterschutzes, und die Differenzen betrafen im wesentlichen Spezialpunkte von geringerer Tragweite, deren Entscheidung vorzugsweise eine Frage der Zweckmäßigkeit war. Dagegen zeigte sich eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit zwischen dem Bundesrat und der Majorität der Kommission wie des Reichstags über eine andre Frage, die nicht den Schutz der Arbeiter, sondern den Schutz der Arbeitgeber betraf, und die den wichtigsten Streitpunkt bei den Verhandlungen bildete. Die Bundesregierungen wollten, indem sie auf der einen Seite den Arbeitern einen viel größern Schutz gewährten, auf der andern Seite die Arbeitgeber mehr als bisher schützen gegen Kontraktbruch und widerrechtliche gemeinsame Arbeitseinstellungen, die im letzten Jahrzehnt sehr zahlreich vorgekommen waren, und sie wollten dies erreichen durch zwei neue Bestimmungen, von denen die eine dem Arbeitgeber wie dem Arbeiter beim Kontraktbruch ein Recht auf eine gesetzlich in ihrem Maximalbetrag begrenzte Buße des Kontraktbrüchigen einräumte, die andre aber die öffentliche Aufforderung zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit, ebenso die zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern unter Strafe stellte. Diese Bestimmungen stießen auf die lebhafteste Opposition, und es gelang den Bundesregierungen nicht, für dieselben eine Majorität zu erhalten.
Die erste Bestimmung enthielt der § 125 der Regierungsvorlage: „Hat ein Geselle oder Gehilfe vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber an Stelle der Entschädigung eine an ihn zu erlegende Buße fordern, welche für den Tag des Vertragsbruches und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für 6 Wochen, bis auf die Höhe des ortsüblichen Tagelohns (§ 8 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883), sich belaufen darf. Dasselbe [35] Recht steht dem Gesellen oder Gehilfen gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von diesem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entlassen worden ist.“ Die Motive führten aus: Bei den zahlreichen gewerblichen Arbeitseinstellungen, die mit Vertragsbruch verbunden waren, hat sich der erhebliche Mißstand gezeigt, daß der Rechtsschutz, welchen der Arbeitgeber dem vertragsbrüchigen Arbeiter gegenüber hat, thatsächlich ungenügend ist. Will er zivilrechtlich einen Entschädigungsanspruch geltend machen, so muß er das Vorhandensein eines Schadens und dessen Höhe nachweisen. Wenn auch der Richter, sofern nur das Vorhandensein eines zu ersetzenden Schadens im allgemeinen nachgewiesen ist, nach § 260 der Zivilprozeßordnung über die Höhe desselben unter Würdigung aller Umstände, nötigen Falls nach Anhörung von Sachverständigen, nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, so ist es doch für den Arbeitgeber meist schwierig und langwierig, dem Richter eine genügende Grundlage für eine sachgemäße Beurteilung des Schadenbetrags zu gewähren. Unter Umständen wird es für den Arbeitgeber selbst mißlich, ja unausführbar sein, in öffentlicher Verhandlung seine durch den Vertragsbruch herbeigeführte Lage aufzudecken. Ja, oft wird ein Entschädigungsanspruch deshalb scheitern, weil die Mittel fehlen, um selbst nur die Existenz eines Schadens im allgemeinen überzeugend darzulegen. Die langwierige, genaue gerichtliche Feststellung des Schadens ist aber auch der Regel nach zwecklos, weil in den seltensten Fällen der geschädigte Arbeitgeber vollen Schadenersatz vom kontraktbrüchigen Arbeiter thatsächlich erlangen kann, selbst wenn er vom Gericht ihm zuerkannt wird. Das weitläufige Schadenersatzverfahren wird deshalb von dem geschädigten Arbeitgeber fast nie eingeschlagen, weil es für ihn keinen praktischen Wert hat. Für ihn wäre es weit wichtiger, eine kleinere Geldbuße an Stelle des größern Schadens rasch einklagen zu können. Die geringere Geldbuße, die wirklich verhängt wird, schreckt mehr vom Vertragsbruch ab als die Gefahr eines großen Schadenersatzes, der selten eingeklagt wird. Das Strafgesetzbuch hat bei Beleidigungen und Körperverletzungen einen alternativen Anspruch auf Geldbuße eingeräumt. In ähnlicher Weise geben die Urheberrechtsgesetze, das Patentgesetz, das Gesetz über den Markenschutz und das Feld- und Forstpolizeigesetz vom 1. April 1880 (§ 69–76) dem Beschädigten das Recht, statt jeder Entschädigung eine an ihn zu entrichtende Buße oder ein Ersatzgeld zu verlangen. Die Schwierigkeit des Nachweises eines bestimmten Schadenbetrags hat in diesen Gesetzen dahin geführt, neben der dem Staat verwirkten Strafe dem Beschädigten einen Sühnebetrag als Buße zuzusprechen. Es erscheint rechtlich unbedenklich, auch beim Bruch des Arbeitsvertrags dem Beschädigten die Wahl zu lassen, statt des Entschädigungsanspruchs eine an ihn zu entrichtende Geldbuße zu fordern. Der innere Grund der Einräumung eines Rechtes auf Buße liegt nicht sowohl darin, daß die Rechtsverletzung zugleich eine zivil- und kriminalrechtliche ist, als darin, daß die Ermittelung des konkreten Schadens zu schwierig ist, und daß das öffentliche Rechtsgefühl eine leichte und rasche Sühne verlangt. Hier wie dort soll die Buße dem Beschädigten mehr eine Rechtsgenugthuung als einen Ersatz seines Schadens gewähren. In der Kommission wurde dagegen sachlich geltend gemacht, daß der Arbeitsvertrag auf dem Boden des Zivilrechts stehe und daher nur den Schutz aller Zivilrechte (Klage auf Erfüllung und Entschädigung), nicht aber den des Strafrechts benötige. Die Strafbestimmung trage den Charakter eines Ausnahmegesetzes gegen die Arbeiter und würde den sozialen Frieden gefährden. Gegen die praktische Verwendbarkeit der Bußbestimmung wurde die Schwierigkeit hervorgehoben, welche aus dem Mangel jeder gesetzlichen Handhabe für das richterliche Ermessen erwachsen müsse. Es würde für den gewissenhaften Richter der subtilsten Erwägungen hinsichtlich der Schaden- und Schuldfrage bedürfen, um nach Maßgabe der vorgeschlagenen Bestimmung die Höhe der Buße festzusetzen; Willkür sei hierbei nicht zu vermeiden, die Unparteilichkeit und das Ansehen der Richter würden zumal bei großen Arbeiterbewegungen gefährdet. Jedenfalls sei mit Einführung eines so weit gehenden richterlichen Ermessens für die Festsetzung der Buße mindestens dieselbe Schwierigkeit geschaffen, die man bei dem Beweis der Höhe der Entschädigung fürchte. Übrigens sei letzterer Beweis durch die neuere Gesetzgebung ansehnlich erleichtert, da nach § 260 der Zivilprozeßordnung die freie richterliche Überzeugung im Schadenbeweis walte und die Einführung der Gewerbegerichte die Prozeß- und Beweisführung in Fragen des Arbeiterrechts wesentlich vereinfache. Diesen Äußerungen gegenüber wurde von den Regierungskommissaren darauf hingewiesen, daß die Häufigkeit der Vertragsbrüche den Charakter einer öffentlichen Kalamität trage, daß daraus große Schädigungen des Volksvermögens, Benachteiligungen insbesondere auch der Arbeiter selbst und gefährliche Schwankungen auf fast allen Gebieten des gewerblichen Lebens entstanden seien. Bußbestimmungen seien unserm Recht auch in Zivilverhältnissen nicht fremd, es liege in ihnen kein Verstoß gegen die sonstigen Grundsätze des Privatrechts, da hier öffentliche Verhältnisse in dieses hineinragten. Angesichts der großen Belastung, welche das neue Gesetz zum Wohl der Arbeiter den Arbeitgebern auferlege, könne ein berechtigtes Mißtrauen, als suche man die Arbeiter durch Ausnahmebestimmungen zu kränken, hier ebensowenig wie bei der Strafbestimmung des § 153 (s. unten) aufkommen. Anderseits habe der Arbeitgeber, dem das Gesetz so große Opfer ansinne, ein Recht auf nachhaltigen Schutz des mit diesen Opfern belasteten Arbeitsverhältnisses. Nur die vorgeschlagene Buße könne diesen Schutz ausreichend gewähren. Auch dem Arbeiter bringe die Bußbestimmung Vorteile, indem sie dem unsittlichen Gedanken, als dürfe der Arbeiter aus Vertragsbrüchen eine Besserung seiner Lage erwarten, entgegenwirke, dadurch die Neigung des Arbeiters kräftige, seine Verträge zu ehren etc. Indes weder die Kommission noch der Reichstag acceptierten den prinzipiellen Standpunkt der Bundesregierungen, man verstand sich nur zu einer neuen Regelung des Schadenersatzanspruchs im Fall des Kontraktbruchs, begrenzte aber diese Entschädigung viel geringer als die Regierungsvorlage und ließ dieselbe nur für kleine und mittlere Unternehmungen zu. Die vom Reichstag angenommene neue Bestimmung (§ 124b des Gesetzes) lautet: „Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohns (§ 8 des Krankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883) fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weitern [36] Schadenersatz ausgeschlossen. Dasselbe Recht steht dem Gesellen oder Gehilfen gegen den Arbeitgeber zu, wenn er von diesem vor rechtmäßiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses entlassen worden ist.“ Dazu bestimmt § 134, Abs. 2: „Auf Arbeitgeber und Arbeiter in Fabriken, in welchen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, finden die Bestimmungen des § 124b keine Anwendung.“
Die zweite Bestimmung enthielt der § 159 der Regierungsvorlage. Die Gewerbeordnung hatte bisher die Bestimmungen: § 152: „Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbtreibende, gewerbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen u. Vereinigungen zum Behuf der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittels Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter werden aufgehoben. Jedem Teilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzterm weder Klage noch Einrede statt.“ § 153: „Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§ 152) teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten, oder andre durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu 3 Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.“ Die Regierungsvorlage wollte diesen § 153 durch folgende Bestimmung ersetzen: „Wer es unternimmt, durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzungen oder durch Verrufserklärung 1) Arbeiter oder Arbeitgeber zur Teilnahme an Verabredungen der im § 152 bezeichneten Art zu bestimmen oder am Rücktritt von solchen Verabredungen zu hindern, 2) Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen oder an der Fortsetzung oder Annahme der Arbeit zu hindern, 3) Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern zu hindern, wird mit Gefängnis nicht unter einem Monat bestraft. Ist die Handlung gewohnheitsmäßig begangen, so tritt Gefängnis nicht unter einem Jahr ein. Die gleichen Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher Arbeiter zur widerrechtlichen Einstellung der Arbeit oder Arbeitgeber zur widerrechtlichen Entlassung von Arbeitern öffentlich auffordert.“ Die Motive bemerken dazu: Die Arbeitseinstellungen der letzten Zeit haben in den meisten Fällen mit einem Kontraktbruch der Arbeiter begonnen und waren vielfach von Bedrohungen der in der Beschäftigung verbliebenen Arbeiter durch die Feiernden begleitet. Dabei hat sich der § 153 in seiner bisherigen Fassung insofern als ungenügend gezeigt, als die angedrohte Strafe zu gering ist, und als die durch die bezeichneten Mittel bewirkte oder versuchte Abhaltung von der Fortsetzung der Arbeit nur dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie erfolgt, um andre Arbeiter zu nötigen, an Verabredungen zur Einstellung der Arbeit teilzunehmen oder ihnen Folge zu leisten. Da der Versuch, andre Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu nötigen, nicht selten vorkommt, ohne daß eine Verabredung stattgefunden hat oder nachgewiesen werden kann, so wird die Strafe auch unabhängig von einer Verabredung vorgesehen werden müssen. Das in der neuen Fassung vorgesehene Strafmaß rechtfertigt sich durch die Schwere des Vergehens und durch das Bedürfnis, dem neuerdings hervorgetretenen Umsichgreifen desselben mit Nachdruck entgegenzutreten. Zu dem Ende sollen namentlich solche Personen, die sich (oft in agitatorischer Weise) ein Geschäft daraus machen, die fraglichen Handlungen zu begehen, einer schärfern Strafbestimmung unterworfen werden. Wenn auch der Bruch des Arbeitsvertrags mit Strafe nicht bedroht werden soll, so erscheint es mit Rücksicht darauf, daß durch die seitens der Arbeiter in großer Zahl unter Bruch des Arbeitsvertrags zur Ausführung gebrachten Arbeitseinstellungen die öffentlichen Interessen vielfach schwer geschädigt werden, und daß dadurch auch das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern eine allgemeine Verbitterung erfahren muß, welche die Beilegung entstehender Streitigkeiten immer schwieriger macht, geboten, die öffentliche Aufforderung zu einem solchen Verfahren unter Strafe zu stellen. Nach der Auslegung, die der § 110 des Strafgesetzbuchs („Wer öffentlich vor einer Menschenmenge, oder wer durch Verbreitung oder öffentlichen Anschlag oder öffentliche Ausstellung von Schriften oder andre Darstellungen zum Ungehorsam gegen Gesetze … auffordert, wird mit Geldstrafe bis zu 600 Mk. oder mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft“) durch neuere Erkenntnisse des Reichsgerichts erhalten hat, ist eine solche Aufforderung nur dann strafbar, wenn sie auf Herbeiführung einer bewußten Auflehnung gegen das Gesetz gerichtet ist, nicht aber, wenn sie nur die Herbeiführung der dem Gesetz widersprechenden Handlung bezweckt. Bei dieser Auslegung, welche die Strafbarkeit von der in den seltensten Fällen möglichen Feststellung der Absicht des Auffordernden abhängig macht, genügt der § 110 des Strafgesetzbuchs dem praktischen Bedürfnis nicht. Diesem soll demnach durch die neue Fassung des § 153 der Gewerbeordnung genügt werden. In der Kommission wurden noch amtliche Mitteilungen über die Streiks im Deutschen Reich in der Zeit vom 1. Jan. 1889 bis Ende April 1890 gemacht. Danach fanden 1131 größere gewerbliche Arbeitseinstellungen statt, d. h. solche, bei welchen mehr als 10 Arbeiter beteiligt waren. Hierbei waren 394,440 Arbeiter ausständig, und von diesen waren 264,407 oder 67 Proz. kontraktbrüchig. Bekannt war damals, daß in 187 Fällen die Arbeiter ihre Forderungen gänzlich, in 468 Fällen zum Teil, in 420 Fällen gar nicht durchgesetzt haben. Der beantragte § 153 wurde aber in der Kommission und ebenso später im Reichstag abgelehnt. Gegen die neuen Straffälle unter 2) und 3) wurde namentlich, trotzdem man das Unzulässige, ja vielfach Strafbare der hier bedrohten Handlungen nicht verkenne, eingewandt, daß bei der Formlosigkeit des Arbeiterverkehrs, bei der natürlichen Aufregung, welche namentlich größere Arbeitseinstellungen begleite, und bei der Schwierigkeit der Beweiserhebung die Gefahr naheliege, daß dem Strafgesetz in der praktischen Anwendung Handlungen und Äußerungen unterworfen würden, welche lediglich zur Wahrnehmung berechtigter Interessen stattfanden und eine strafrechtliche Behandlung nicht verdienen. Wenn nun außerdem das Minimum und Maximum der Strafe so hoch gestellt werde, wie vorgeschlagen, und überdies der in der Rechtsprechung schwer zu handhabende Begriff der Gewohnheitsmäßigkeit einer noch schärfern Bestrafung zu Grunde gelegt werde, so werde man in zahlreichen Fällen Unschuldige, in andern Fällen minder Schuldige mit ungerechten und zu hohen Strafen belegen, das Vereinsleben der Arbeiter und ihr Koalitionsrecht ernstlich gefährden und die leider [37] schon so vielfach vorhandenen Elemente des Mißtrauens in der Arbeiterwelt gegen die staatliche Ordnung noch ansehnlich verstärken. Die Bestrafung der öffentlichen Aufforderung zum Kontraktbruch aber sei eine Ungerechtigkeit gegen die Arbeiterklasse, widerspreche dem Geist unsrer Strafgesetzgebung und würde nur die Folge haben, daß eine geschickte Agitation im geheimen das leisten würde, was öffentlich verboten sei, dagegen die Verbitterung der Arbeiterkämpfe sich steigern müsse, wenn man „die vielfach von den besten Beweggründen beseelten Führer für eine im einzelnen Fall vielleicht übereifrige Agitation mit Strafen belege, deren Rahmen das Strafmaß für zahlreiche gemeine Vergehen ansehnlich übersteige“. Man hat sich im Reichstag auch nicht zu einer anderweitigen Änderung des § 153 veranlaßt gesehen, und so sind § 152 und 153 in ihrer bisherigen Fassung noch heute in Geltung.
Die neuen Schutzbestimmungen sind folgende:
1) Die neue Regelung der Sonn- und Festtagsarbeit der Arbeiter (§ 105a–105i). Die berechtigte Forderung, die Sonn- und Festtagsarbeit in gewerblichen Unternehmungen nur da zu gestatten, wo sie aus technischen Gründen oder ohne schwere Schädigung berechtigter Interessen nicht vermieden werden kann, diese Ausnahmefälle aber gesetzlich, resp. im Wege der Verwaltung zu bestimmen und für einen Schichtwechsel der Sonntags beschäftigten Arbeiter zu sorgen, ist jetzt erfüllt. Die Sonn- und Festtagsarbeit (Bestimmung der Festtage durch die Landesregierungen) ist im Betrieb von Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, von Hüttenwerken, Fabriken und Werkstätten (auch hausindustriellen), von Zimmerplätzen und andern Bauhöfen, von Werften und Ziegeleien sowie bei Bauten aller Art verboten (Ruhezeit für jeden Sonn- und Festtag mindestens 24, für zwei aufeinander folgende Sonn- und Festtage 36, für das Weihnachts-, Oster- und Pfingstfest 48 Stunden; die Ruhezeit ist von 12 Uhr nachts zu rechnen und muß bei zwei aufeinander folgenden Sonn- und Festtagen bis 6 Uhr abends des zweiten Tages dauern; in Betrieben mit regelmäßiger Tag- und Nachtschicht kann sie frühstens um 6 Uhr abends des vorhergehenden Werktags, spätestens um 6 Uhr morgens des Sonn- oder Festtags beginnen, wenn für die auf den Beginn der Ruhezeit folgenden 24 Stunden der Betrieb ruht). Im Handelsgewerbe dürfen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage gar nicht, an andern Sonn- und Festtagen nicht länger als 5 Stunden beschäftigt werden; die Gemeinde oder der Kommunalverband kann jedoch für alle oder einzelne Handelsgewerbe die Beschäftigung auf kürzere Zeit einschränken oder ganz untersagen; für die letzten 4 Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde die Beschäftigung bis zu 10 Stunden zulassen. Das generelle Verbot erstreckt sich nicht: a) auf Arbeiten, welche in Notfällen oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen; b) auf Arbeiten zur Durchführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Inventur für einen Sonntag; c) auf die Bewachung der Betriebsanlagen, auf Arbeiten zur Reinigung und Instandhaltung, durch welche der regelmäßige Fortgang des eignen oder eines fremden Betriebs bedingt ist, sowie auf Arbeiten, von welchen die Wiederaufnahme des vollen werkthätigen Betriebs abhängig ist, sofern nicht diese Arbeiten an Werktagen vorgenommen werden können; d) auf Arbeiten, welche zur Verhütung des Verderbens von Rohstoffen oder des Mißlingens von Arbeitserzeugnissen erforderlich sind, sofern auch diese Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können; e) auf die Beaufsichtigung des Betriebs, soweit er nach a–d an Sonn- und Festtagen stattfindet. (Dauern die Arbeiten zu c und d länger als 3 Stunden, oder hindern sie die Arbeiter am Besuch des Gottesdienstes, so muß jeder Arbeiter entweder an jedem dritten Sonntag volle 36 Stunden oder an jedem zweiten Sonntag mindestens von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends von der Arbeit freigelassen werden; Ausnahmen durch die untere Verwaltungsbehörde unter gewissen Voraussetzungen zulässig.) Der Bundesrat kann aber die Sonn- und Festtagsarbeit gestatten für bestimmte Gewerbe, insbesondere für Betriebe, in denen Arbeiten vorkommen, welche ihrer Natur nach eine Unterbrechung oder einen Aufschub nicht gestatten, sowie für Betriebe, welche ihrer Natur nach auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, oder welche in gewissen Zeiten des Jahres zu einer außergewöhnlich verstärkten Thätigkeit genötigt sind (aber für alle Betriebe derselben Art gleichmäßig und unter Berücksichtigung der vorstehenden Bestimmungen über die Freilassung an jedem zweiten, bez. dritten Sonntag). Weitere Ausnahmen von dem Verbot sind zulässig durch die höhern Verwaltungsbehörden für Gewerbe, deren vollständige oder teilweise Ausübung an Sonn- und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, sowie für Betriebe, welche ausschließlich oder vorwiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft bewegten Triebwerken arbeiten müssen, und durch die untern Verwaltungsbehörden für bestimmte Zeit, wenn zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens ein nicht vorherzusehendes Bedürfnis der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Feiertagen eintritt. Durch kaiserliche Verordnung kann mit Zustimmung des Bundesrats das Verbot der Sonn- und Festtagsarbeit auch auf andre Gewerbe ausgedehnt werden. Der Zeitpunkt, an welchem diese Bestimmungen ganz oder teilweise in Kraft treten, wird durch kaiserliche Verordnung bestimmt.
2) Neu geregelt ist der Schutz der Arbeiter gegen Gefahren für Leben, Gesundheit u. Sittlichkeit bei der Arbeit. Statt der frühern allgemeinen und unzulänglichen Vorschrift (Gewerbe-Ordnung § 107, später § 120, Abs. 3) sind jetzt in zweckmäßiger Weise bestimmte gesetzliche Anforderungen an die Betriebsanlagen und -Einrichtungen und Grundsätze aufgestellt, über deren Erfüllung die Behörden zu wachen haben, und die Polizei-, resp. Verwaltungsbehörden können zur Durchführung der Grundsätze für einzelne Anlagen die erforderlichen Maßnahmen anordnen; außerdem sind der Bundesrat und allenfalls die Landesbehörden ermächtigt, weitere Ausführungsverordnungen zu erlassen (§ 120a–120e). Die Gewerbeunternehmer sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten und den Betrieb so zu regeln, daß die Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Gesundheit so weit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebs gestattet; insbesondere ist für genügendes Licht, ausreichenden Luftraum und Luftwechsel, Beseitigung des bei dem Betrieb entstehenden Staubes, der dabei entwickelten [38] Dünste und Gase sowie der dabei entstehenden Abfälle Sorge zu tragen; ebenso sind diejenigen Vorrichtungen herzustellen, welche zum Schutz gegen gefährliche Berührungen mit Maschinen oder Maschinenteilen oder gegen andre in der Natur der Betriebsstätte oder des Betriebs liegende Gefahren, namentlich auch gegen die Gefahren, welche aus Fabrikbränden erwachsen können, erforderlich sind; endlich sind diejenigen Vorschriften über die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter zu erlassen, welche zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs erforderlich sind. Die Gewerbeunternehmer sind ferner verpflichtet, diejenigen Einrichtungen zu treffen und zu unterhalten und diejenigen Vorschriften über das Verhalten im Betrieb zu erlassen, welche erforderlich sind, um die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes zu sichern; insbesondere muß, soweit es die Natur des Betriebs zuläßt, bei der Arbeit die Trennung der Geschlechter durchgeführt werden, sofern nicht die Aufrechterhaltung der guten Sitten und des Anstandes durch die Einrichtung des Betriebs ohnehin gesichert ist; in Anlagen, deren Betrieb es mit sich bringt, daß die Arbeiter sich umkleiden und nach der Arbeit reinigen, müssen ausreichende, nach Geschlechtern getrennte Ankleide- und Waschräume vorhanden sein; die Bedürfnisanstalten müssen so eingerichtet sein, daß sie für die Zahl der Arbeiter ausreichen, daß den Anforderungen der Gesundheitspflege entsprochen wird, und daß ihre Benutzung ohne Verletzung von Sitte und Anstand erfolgen kann. Werden Arbeiter unter 18 Jahren beschäftigt, so müssen bei der Einrichtung der Betriebsstätte und bei der Regelung des Betriebs diejenigen besondern Rücksichten auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen werden, welche durch das Alter dieser Arbeiter geboten sind. Die Polizeibehörden können namentlich auch anordnen, daß den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit geheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Aber den bei Erlaß des Gesetzes bereits bestehenden Anlagen gegenüber können, solange nicht eine Erweiterung oder ein Umbau eintritt, nach diesen Normen Anforderungen nur gestellt werden, welche zur Beseitigung erheblicher, das Leben, die Gesundheit oder die Sittlichkeit der Arbeiter gefährdender Mißstände erforderlich oder ohne unverhältnismäßige Aufwendungen ausführbar erscheinen. — Außerdem ist der Bundesrat ermächtigt worden, und das ist eine auch prinzipiell wichtige Neuerung, für solche Gewerbe, in welchen durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird, für alle Arbeiter Dauer, Beginn und Ende der zulässigen täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorzuschreiben und die zur Durchführung dieser Vorschriften erforderlichen Anordnungen zu erlassen. Diese Bestimmung ermöglicht es, in solchen Gewerbszweigen, in welchen es im Interesse der Arbeiter wünschenswert, bez. geboten ist, allgemein eine Maximalarbeitszeit vorzuschreiben; die in der Kommission und im Reichstag gestellten Anträge, nach dem Vorgang der Schweiz und Österreichs allgemein einen gesetzlichen Maximalarbeitstag von 11, bez. 10 Stunden einzuführen, wurden in der Kommission und im Reichstag mit Recht abgelehnt.
3) Obligatorisch ist gemacht für Fabriken und diesen gleichgestellte (§ 154) Betriebe (Hüttenwerke, Zimmerplätze und andre Bauhöfe, Werften, ferner Ziegeleien, über Tage betriebene Brüche und Gruben, welche nicht bloß vorübergehend oder in geringem Umfang betrieben werden), sofern in ihnen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, der Erlaß einer Arbeitsordnung, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der Arbeiter bestimmt; zugleich ist in zweckmäßiger, allen berechtigten Anforderungen der Arbeiter entsprechender Weise der notwendige und zulässige Inhalt derselben, die Art ihres Erlasses und die Kontrolle durch Behörden, ob die Arbeitsordnung den gesetzlichen Vorschriften entspricht, gesetzlich geregelt worden. Die neuen Bestimmungen, die diesen Gegenstand besser regeln, als es in andern Staaten, welche eine solche Regelung haben (Schweiz, Österreich, Ungarn), geschehen ist, sind im einzelnen folgende: Für jede der betreffenden Unternehmungen ist innerhalb 4 Wochen nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes (1. April 1892) oder nach der Eröffnung des Betriebs eine Arbeitsordnung zu erlassen. Für die einzelnen Abteilungen des Betriebs oder für die einzelnen Gruppen der Arbeiter können besondere Arbeitsordnungen erlassen werden. Der Erlaß erfolgt durch Aushang. Die Arbeitsordnung muß den Zeitpunkt, mit welchem sie in Wirksamkeit treten soll, angeben und von demjenigen, welcher sie erläßt, unter Angabe des Datums unterzeichnet sein. Abänderungen ihres Inhalts können nur durch den Erlaß von Nachträgen oder in der Weise erfolgen, daß an Stelle der bestehenden eine neue Arbeitsordnung erlassen wird. Die Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben treten frühstens 2 Wochen nach ihrem Erlaß in Geltung (§ 134a). Die Arbeitsordnung muß Bestimmungen enthalten: a) über Anfang und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sowie der für die erwachsenen Arbeiter vorgesehenen Pausen; b) über Zeit und Art der Abrechnung und Lohnzahlung; c) sofern es nicht bei den gesetzlichen Bestimmungen bewenden soll, über die Frist der zulässigen Aufkündigung sowie über die Gründe, aus welchen die Entlassung und der Austritt aus der Arbeit ohne Aufkündigung erfolgen darf; d) sofern Strafen vorgesehen werden, über die Art und Höhe derselben, über die Art ihrer Festsetzung, und, wenn sie in Geld bestehen, über deren Einziehung und über den Zweck, zu welchem sie verwendet werden sollen; e) sofern die Verwirkung von Lohnbeträgen nach Maßgabe der Bestimmung des § 134 (s. unten) durch Arbeitsordnung oder Arbeitsvertrag ausbedungen wird, über die Verwendung der verwirkten Beträge. Strafbestimmungen, welche das Ehrgefühl oder die guten Sitten verletzen, dürfen in die Arbeitsordnung nicht aufgenommen werden; Geldstrafen dürfen die Hälfte des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes nicht übersteigen; jedoch können Thätlichkeiten gegen Mitarbeiter, erhebliche Verstöße gegen die guten Sitten sowie gegen die zur Aufrechterhaltung der Ordnung des Betriebs, zur Sicherung eines gefahrlosen Betriebs oder zur Durchführung der Bestimmungen der Gewerbeordnung erlassenen Vorschriften mit Geldstrafen bis zum vollen Betrag des durchschnittlichen Tagesarbeitsverdienstes belegt werden; alle Strafgelder müssen zum Besten der Arbeiter der Fabrik verwendet werden; das Recht des Arbeitgebers, Schadenersatz zu fordern, wird durch diese Bestimmung nicht berührt. Dem Besitzer der Fabrik bleibt überlassen, neben den unter a–e bezeichneten noch weitere die Ordnung des Betriebs und das Verhalten der Arbeiter im Betrieb betreffende Bestimmungen in die Arbeitsordnung aufzunehmen. [39] Mit Zustimmung eines ständigen Arbeiterausschusses können in die Arbeitsordnung Vorschriften über das Verhalten der Arbeiter bei Benutzung der zu ihrem Besten getroffenen, mit der Fabrik verbundenen Einrichtungen sowie Vorschriften über das Verhalten der minderjährigen Arbeiter außerhalb des Betriebs aufgenommen werden (§ 134b). Der Inhalt der Arbeitsordnung ist, soweit er den Gesetzen nicht zuwiderläuft, für die Arbeitgeber und Arbeiter rechtsverbindlich. Andre als die in der Arbeitsordnung oder in § 123 und 124 vorgesehenen Gründe der Entlassung und des Austritts aus der Arbeit dürfen im Arbeitsvertrag nicht vereinbart werden. Andre als die in der Arbeitsordnung vorgesehenen Strafen dürfen über den Arbeiter nicht verhängt werden. Die Strafen müssen ohne Verzug festgesetzt und dem Arbeiter zur Kenntnis gebracht werden. Die verhängten Geldstrafen sind in ein Verzeichnis einzutragen, welches den Namen des Bestraften, den Tag der Bestrafung sowie den Grund und die Höhe der Strafe ergeben und auf Erfordern dem in § 139b bezeichneten Beamten (d. h. den Aufsichtsbeamten für Fabriken, resp. den ordentlichen Polizeibehörden) jederzeit zur Einsicht vorgelegt werden muß (§ 134c). Vor dem Erlaß der Arbeitsordnung oder eines Nachtrags zu derselben ist den in der Fabrik oder in den betreffenden Abteilungen des Betriebs beschäftigten großjährigen Arbeitern Gelegenheit zu geben, sich über den Inhalt derselben zu äußern. Für Fabriken, für welche ein ständiger Arbeiterausschuß besteht, wird dieser Vorschrift durch Anhörung des Ausschusses über den Inhalt der Arbeitsordnung genügt (§ 134d). Die Arbeitsordnung sowie jeder Nachtrag zu derselben ist unter Mitteilung der seitens der Arbeiter geäußerten Bedenken, soweit die Äußerungen schriftlich oder zu Protokoll erfolgt sind, binnen 3 Tagen nach dem Erlaß in zwei Ausfertigungen unter Beifügung der Erklärung, daß und in welcher Weise der Vorschrift des § 134d genügt ist, der untern Verwaltungsbehörde einzureichen. Die Arbeitsordnung ist an geeigneter, allen beteiligten Arbeitern zugänglicher Stelle auszuhängen. Der Aushang muß stets in lesbarem Zustand erhalten werden. Die Arbeitsordnung ist jedem Arbeiter bei Eintritt in die Beschäftigung zu behändigen (§ 134e). Arbeitsordnungen und Nachträge zu denselben, welche nicht vorschriftsmäßig erlassen sind, oder deren Inhalt den gesetzlichen Bestimmungen zuwiderläuft, sind auf Anordnung der untern Verwaltungsbehörde durch gesetzmäßige Arbeitsordnungen zu ersetzen oder den gesetzlichen Vorschriften entsprechend abzuändern. Gegen diese Anordnung findet binnen 2 Wochen die Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde statt (§ 137f). Arbeitsordnungen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen worden sind, unterliegen den Bestimmungen der Paragraphen 134a—134c, 134e, Abs. 2, 134f und sind binnen 4 Wochen der untern Verwaltungsbehörde in zwei Ausfertigungen einzureichen. Auf spätere Abänderungen dieser Arbeitsordnungen und auf die seit 1. Jan. 1891 erstmalig erlassenen Arbeitsordnungen finden die Paragraphen 134d und 134e, Abs. 1 Anwendung (§ 134g). — Den Unternehmern von Fabriken, in welchen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, ist untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszubedingen (§ 134, Abs. 2).
4) Verbessert und verschärft sind die Bestimmungen zur Verhinderung des Trucksystems (§ 115—119b). Es dürfen insbesondere jetzt auch dann, wenn den Arbeitern vom Arbeitgeber unter Anrechnung bei der Lohnzahlung Wohnung, Landnutzung, Werkzeuge, Stoffe, Feuerung etc. verabreicht werden, die dafür angerechneten Beträge für Wohnung und Landnutzung die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, für Werkzeuge, Stoffe, Feuerung etc. die durchschnittlichen Selbstkosten nicht übersteigen, ausgenommen für Werkzeuge und Stoffe bei Akkordarbeiten, sofern der höhere Preis den ortsüblichen nicht übersteigt und im voraus vereinbart ist. Die Hauptbestimmung (§ 115) lautet: „Die Gewerbtreibenden sind verpflichtet, die Löhne ihrer Arbeiter in Reichswährung zu berechnen und bar auszuzahlen. Sie dürfen den Arbeitern keine Waren kreditieren. Doch ist es gestattet, den Arbeitern Lebensmittel für den Betrag der Anschaffungskosten, Wohnung und Landnutzung gegen die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, Feuerung, Beleuchtung, regelmäßige Beköstigung. Arzneien und ärztliche Hilfe sowie Werkzeuge und Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten für den Betrag der durchschnittlichen Selbstkosten unter Anrechung bei der Lohnzahlung zu verabfolgen. Zu einem höhern Preise ist die Verabfolgung von Werkzeugen und Stoffen für Akkordarbeiten zulässig, wenn derselbe den ortsüblichen nicht übersteigt und im voraus vereinbart ist.“ Ausdrücklich ist (§ 119b) bestimmt, daß die Truckvorschriften auch für solche hausindustriellen Arbeiter gelten, welche selber die Roh- und Hilfsstoffe beschaffen.
5) Bezüglich der Lohnzahlung sind noch weitere Schutzbestimmungen erlassen. Es dürfen Lohn- und Abschlagszahlungen nicht ohne Genehmigung der untern Verwaltungsbehörde in Gast- und Schankwirtschaften erfolgen, und sie dürfen nicht an Dritte erfolgen auf Grund von Rechtsgeschäften oder Urkunden über Rechtsgeschäfte, welche nach § 2 des Gesetzes, betr. die Beschlagnahme des Arbeits- oder Dienstlohns vom 21. Juni 1869[WS 5], rechtlich unwirksam sind (§ 115a). Ferner kann durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weitern Kommunalverbandes für alle Gewerbebetriebe oder gewisse Arten derselben festgesetzt werden: a) daß Lohn- und Abschlagszahlungen in festen Fristen erfolgen müssen, welche nicht langer als einen Monat und nicht kürzer als eine Woche sein dürfen; b) daß der von minderjährigen Arbeitern verdiente Lohn an die Eltern oder Vormünder und nur mit deren schriftlicher Zustimmung oder nach deren Bescheinigung über den Empfang der letzten Lohnzahlung unmittelbar an die Minderjährigen gezahlt wird; c) daß die Gewerbtreibenden den Eltern oder Vormündern innerhalb gewisser Fristen Mitteilung von den an minderjährige Arbeiter gezahlten Lohnbeträgen zu machen haben (§ 119a, Abs. 2). Weil eine allgemeine gesetzliche Durchführung bestimmter Fristen für die Auslöhnung, um den Übelstand zu langer Zahlungstermine zu verhindern, bei zahlreichen großen Unternehmungen auf kaum zu überwindende Schwierigkeiten stoßen würde, so wurden darauf gerichtete Anträge in der Kommission und im Reichstag abgelehnt, aber man wollte doch durch die Bestimmung zu a) gesetzlich die Möglichkeit gewähren, lokal, wo das Bedürfnis vorhanden sei, dem Übelstand zu begegnen. Die Bestimmung zu b) und c) will dem Leichtsinn und der Verschwendung minderjähriger Arbeiter entgegentreten und zugleich die elterliche Autorität gegenüber denselben schützen und stärken. Die Regierungsvorlage [40] enthielt die eventuelle Regelung durch die Arbeitsordnung, die Kommission und der Reichstag aber entschieden sich für die eventuelle Regelung durch kommunale Behörden.
Der § 119a enthält noch in Abs. 1 die von der Kommission und dem Reichstag dem Gesetzentwurf zugefügte Bestimmung: „Lohneinbehaltungen, welche von Gewerbeunternehmern zur Sicherung des Ersatzes eines ihnen aus der widerrechtlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens oder einer für diesen Fall verabredeten Strafe ausbedungen werden, dürfen bei den einzelnen Lohnzahlungen ein Viertel des fälligen Lohnes, im Gesamtbetrag den Betrag eines durchschnittlichen Wochenlohns nicht übersteigen.“ Daneben bestimmt der neue, schon oben erwähnte § 124b: „Hat ein Geselle oder Gehilfe rechtswidrig die Arbeit verlassen, so kann der Arbeitgeber als Entschädigung für den Tag des Vertragsbruchs und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für eine Woche, den Betrag des ortsüblichen Tagelohns fordern. Diese Forderung ist an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden. Durch ihre Geltendmachung wird der Anspruch auf Erfüllung des Vertrags und auf weitern Schadenersatz ausgeschlossen.“ Aber diese Bestimmungen des § 124b finden nach dem neuen § 134, Abs. 2 keine Anwendung auf die Arbeitgeber und Arbeiter in Fabriken und diesen gesetzlich (§ 154) gleichgestellten Betrieben, in welchen in der Regel mindestens 20 Arbeiter beschäftigt sind. Nach demselben § 134 ist den Unternehmern dieser Fabriken und Betriebe auch „untersagt, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter als Schadenersatz die Verwirkung des rückständigen Lohnes über den Betrag des durchschnittlichen Wochenlohns hinaus auszubedingen“. Wünschen die Inhaber solcher Fabriken für den Fall des Kontraktbruchs ihrer Arbeiter feste Entschädigungen in der Art der in § 124b vorgesehenen in Form von Lohnverwirkung, so müssen sie dieselben besonders ausbedingen, aber bezüglich der Lohneinbehaltung bleibt die Vorschrift des § 119a maßgebend.
6) Erweitert ist der Schutz für die Kinder (Personen unter 14 Jahren, welche bisher vom 13. Jahre ab beschäftigt werden durften) sowohl in Bezug auf die Altersklassen als hinsichtlich der gewerblichen Unternehmungen, in denen die Beschäftigung von Kindern untersagt ist. Die Zahl der in Deutschland in den industriellen Unternehmungen 1888 beschäftigten Kinder betrug etwa 23,000. Der § 135 bestimmt: „Kinder unter 13 Jahren dürfen in Fabriken nicht beschäftigt werden. Kinder über 13 Jahre dürfen in Fabriken nur beschäftigt werden, wenn sie nicht mehr zum Besuch der Volksschule verpflichtet sind. Die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren darf die Dauer von 6 Stunden täglich nicht überschreiten“, mit einer Pause von mindestens einer halben Stunde (§ 136). Der neue § 139a ermächtigt den Bundesrat, die Verwendung von nicht mehr schulpflichtigen 13jährigen Kindern in Fabrikationszweigen, welche mit besondern Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen oder von besondern Bedingungen abhängig zu machen, anderseits für sie aber auch in gewissen Betrieben Ausnahmen von den Schutzbestimmungen (Maximalarbeitszeit, Pausen) zu gestatten, aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit darf in diesem Fall 36 Stunden nicht überschreiten. Die Bestimmungen gelten auch (nach § 154, 154a) für Hüttenwerke, Zimmerplätze und andre Bauhöfe, Werften sowie für solche Ziegeleien, über Tage betriebene Brüche und Gruben, welche meist bloß vorübergehend oder in geringem Umfang betrieben werden, ferner für Werkstätten, in welchen durch elementare Kraft (Dampf, Wind, Wasser, Gas, Luft, Elektrizität etc.) bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend zur Verwendung kommen, und für Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, unterirdisch betriebene Brüche oder Gruben. Sie treten in Kraft 1. April 1892, aber für Kinder, welche vor Verkündung des Gesetzes in Fabriken und den andern Unternehmungen schon beschäftigt waren, bleiben die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen bis zum 1. April 1894 in Geltung. Durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats können die Schutzbestimmungen auch auf andre Werkstätten, ausgenommen solche, in welchen der Arbeitgeber ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen beschäftigt, und auf Bauten ganz oder teilweise, auch nur für bestimmte Bezirke ausgedehnt werden. Die Absicht der Gesetzgebung war, die schädliche Kinderarbeit in den genannten Unternehmungen völlig zu beseitigen, aber daß man demgemäß nicht wie in der Schweiz und in Österreich die Beschäftigung von Kindern, d. h. den Personen unter 14 Jahren, unbedingt verbot, hat seinen Grund darin, daß bei 13jährigen, nicht mehr schulpflichtigen und einen Schulunterricht genießenden Kindern der Mangel an Beschäftigung und Aufsicht für diese schädlicher ist als eine maßvolle, obrigkeitlich überwachte regelmäßige Erwerbsthätigkeit, daß aber in Deutschland noch teilweise, z. B. in Bayern, die Schulpflicht mit dem 13. Jahre abschließt, und auch in den Staaten, wo die Schulpflicht vom 7.–14. Jahre besteht, der Austritt aus der absolvierten Schule für einen Teil der 13jährigen Kinder vor Beendigung des 14. Lebensjahrs erfolgt.
7) An den bisherigen besondern Schutzbestimmungen für jugendliche Arbeiter (Personen von 14–18 Jahren), welche nur die 14- und 15jährigen betreffen, ist wenig geändert worden. Es sind nur einige bessere Bestimmungen bezüglich der nach § 139a zulässigen Ausnahmen in dem neuen § 139a getroffen worden. Außerdem sind die bisherigen Schutzbestimmungen noch auf einige weitere Betriebe (§ 154) ausgedehnt worden und können ebenfalls durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats ganz oder teilweise, auch nur für bestimmte Bezirke, auf Werkstätten ausgedehnt werden, sofern in ihnen der Arbeitgeber nicht ausschließlich zu seiner Familie gehörige Personen beschäftigt. Die dringend wünschenswerte Ausdehnung des Schutzes auch auf die 16- und 17jährigen (Maximalarbeitszeit, Verbot der Nachtarbeit) ist leider noch unterblieben.
8) Dagegen ist jetzt endlich den weiblichen industriellen Arbeitern (über 16 Jahren) der lang entbehrte Schutz zu teil geworden (§ 137–139a). Die wichtigsten Neuerungen sind, außer dem oben erwähnten allgemeinen Verbot der Sonn- und Festtagsarbeit, für die in Fabriken und diesen, wie bezüglich der Kinderarbeit, gleichgestellten Betrieben (§ 154, 154a, s. oben) Beschäftigten die elfstündige Maximalarbeitszeit, das Verbot der Nachtarbeit und der obligatorische Schluß der Arbeitszeit am Sonnabend und an den Vorabenden vor Festtagen spätestens 51/2 Uhr nachmittags. An diesen Tagen darf die Beschäftigung der Arbeiterinnen die Dauer von 10 Stunden nicht überschreiten. Zwischen den Arbeitsstunden muß ihnen eine mindestens einstündige [41] Mittagspause gewährt werden. Arbeiterinnen über 16 Jahre, welche ein Hauswesen zu besorgen haben, sind auf ihren Antrag 1/2 Stunde vor der Mittagspause zu entlassen, sofern diese nicht mindestens 11/2 Stunde beträgt. Die Zahl der Personen, für welche diese Bestimmungen in Betracht kommen, beträgt über 300,000, davon waren im August 1890 etwa 130,000 verheiratet. Die bisherige Arbeitszeit war vielfach länger als 11 Stunden, nach den Motiven überwiegend 12–13 Stunden, dazu kam, daß diese Arbeitszeit sehr häufig durch Überstundenarbeit verlängert wurde. Die Motive erwähnen die von dem badischen Fabrikinspektor 1889 angeführte Thatsache, die auch nicht selten anderswo vorkommt, daß in der Textilindustrie einige Werke mit 12stündiger Arbeitszeit noch stets an zwei Wochentagen 4–5 Überstunden gearbeitet haben. Die Nachtarbeit dagegen ist nicht häufig; es wurden nur gegen 13,000 Arbeiterinnen nachts beschäftigt. Um den berechtigten Bedürfnissen der Industrie Rechnung zu tragen, sollen Ausnahmen von diesen Bestimmungen teils für gewisse Betriebe durch den Bundesrat (§ 139a, aber dann wöchentliche Maximalarbeitszeit in Ziegeleien 70 Stunden, in andern Betrieben 65 Stunden und Maximalarbeitszeit für Nachtarbeit mit Schichtwechsel 10 Stunden), teils vorübergehend für den einzelnen Fall durch die Verwaltungsbehörden in bestimmten Grenzen und unter gewissen Kautelen (§ 138a, 139) zugelassen werden können. Der Bundesrat ist, wie schon früher, ermächtigt, die Verwendung von Arbeiterinnen für gewisse Fabrikationszweige, welche mit besondern Gefahren für Gesundheit oder Sittlichkeit verbunden sind, gänzlich zu untersagen oder von besondern Bedingungen abhängig zu machen (§ 139a). Die neuen Schutzvorschriften im Interesse von Moral und Sittlichkeit (§ 120b) sind schon unter 2) erwähnt worden. Erweitert ist auch der Schutz der Wöchnerinnen; sie dürfen während 4 Wochen (bisher 3 Wochen) nach ihrer Niederkunft überhaupt nicht und während der folgenden 2 Wochen nur beschäftigt werden, wenn das Zeugnis eines approbierten Arztes dies für zulässig erklärt. Die Schutzbestimmungen für weibliche Arbeiter können ebenso, wie die für Kinder und jugendliche Arbeiter, durch kaiserliche Verordnung auf andre Betriebe ausgedehnt werden. Die neuen Bestimmungen treten mit dem 1. April 1892 in Kraft. Nur für Betriebe, in welchen vor Verkündung des Gesetzes Arbeiterinnen über 16 Jahre nachts beschäftigt worden sind, kann die Landeszentralbehörde die Ermächtigung erteilen, längstens bis zum 1. April 1894 solche Arbeiterinnen in der bisherigen Anzahl während der Nachtzeit weiter zu beschäftigen, wenn die Fortführung des Betriebs im bisherigen Umfang bei Beseitigung der Nachtarbeit Betriebsveränderungen bedingt, die ohne unverhältnismäßige Kosten nicht früher hergestellt werden können. Die Nachtarbeit darf aber in 24 Stunden die Dauer von 10 Stunden nicht überschreiten und muß in jeder Schicht durch eine oder mehrere Pausen in der Gesamtdauer von mindestens 1 Stunde unterbrochen sein, und die Tag- und Nachtschichten müssen wöchentlich wechseln. — Bei den Verhandlungen in der Kommission und im Reichstag ist auch die Frage aufgeworfen und erörtert worden, ob nicht verheirateten Frauen die industrielle Arbeit außer dem Hause ganz untersagt oder doch wenigstens für sie eine geringere Maximalarbeitszeit als für nicht verheiratete weibliche Arbeiter vorgeschrieben werden sollte. Aber so wünschenswert es an sich ist, daß verheiratete Frauen, wenigstens solche, die noch für unerwachsene Kinder zu sorgen haben, nicht in industriellen Unternehmungen außerhalb ihres Hauses beschäftigt werden, so würde doch das Verbot dieser Beschäftigung für viele Familien, in denen zur Erhaltung derselben dieser Verdienst der Frau nicht entbehrt werden könnte, zu einem größern Übelstande werden als eine den neuen Bestimmungen entsprechend geregelte Beschäftigung derselben. Aus dem gleichen Grunde ist auch nicht zu befürworten eine gesetzliche Vorschrift, welche die Maximalarbeitszeit der verheirateten Frauen geringer bemißt als die der unverheirateten weiblichen Arbeiter, weil sie, da eine verschiedene Arbeitszeit derselben Arbeiterklasse in derselben Unternehmung für den Betrieb mit großen Schwierigkeiten verknüpft und unter Umständen gar nicht durchführbar ist, die Folge haben könnte und wohl vielfach haben würde, daß in solchen Betrieben die Beschäftigung verheirateter Frauen ganz aufhören würde. Mit Recht wurden deshalb auch Anträge in dieser Richtung abgelehnt.
Die vorstehenden neuen Schutzbestimmungen zeigen die wichtige sozial-politische Bedeutung des Gesetzes vom 1. Juni 1891. Es sind zwar noch nicht alle berechtigten und ausführbaren Anforderungen an die Arbeiterschutzgesetzgebung erfüllt, noch fehlen z. B. notwendige Schutzbestimmungen für die männlichen 16- und 17jährigen Arbeiter, für die Hausindustrie, ferner bezüglich der Nachtarbeit, der Arbeiterwohnungen etc., und manche Vorschriften werden im Laufe der Zeit auch noch günstiger für die Arbeiter gestaltet werden können und müssen, aber die noch wünschenswerten Maßregeln erfordern wegen der kollidierenden Interessen und der zum Teil sehr schwierigen Durchführung reifliche Erwägungen, umfassende Erhebungen und hätten schon deshalb, mit wenigen Ausnahmen, nicht gleichzeitig beschlossen werden können. Das Gesetz erfüllt jedenfalls die wichtigsten und dringlichsten Anforderungen und ermöglicht auch die weitere Ausdehnung des Schutzes nach Maßgabe der realen Bedürfnisse und berechtigten Interessen im Verwaltungsweg. Das Gesetz bedeutet einen großen Fortschritt in der Aufgabe, der Arbeiterklasse ohne Schädigung ebenso berechtigter anderweitiger Interessen den notwendigen Schutz zu gewähren und dadurch den sozialen Frieden zu fördern, und das Deutsche Reich ist mit ihm in die Reihe derjenigen Staaten getreten, welche der Arbeiterklasse den weitestgehenden Schutz gewähren.
In Italien ist der Zustand der A. trotz mannigfacher Reformversuche noch sehr unbefriedigend. Sie beschränkt sich dort noch heute auf die Kinderarbeit. Ihre erste Regelung erfolgte für die Lombardei und Venedig durch Verordnung vom 7. Dez. 1843, welche in den größern industriellen Etablissements die Verwendung von Kindern unter 9 Jahren und in lebens- und gesundheitsgefährlichen Betrieben die Kinderarbeit überhaupt verbot, daneben Beschränkungen der Arbeitszeit, der Nachtarbeit etc. aussprach. Im J. 1859 wurde durch das Bergwerksgesetz (Artikel 88) für Piemont, die Lombardei und die Marken die Arbeit von Kindern unter 10 Jahren im Innern von Bergwerken untersagt; diese Bestimmung wurde 1885 auf das ganze Königreich ausgedehnt, aber mangels genügender Strafbestimmungen wenig beachtet. Das Gesetz vom 21. Dez. 1873 verbot die Verwendung von Kindern in herumziehenden Gewerben. Die erste allgemeine, aber auch noch keineswegs [42] genügende Regelung der Kinderarbeit für das Königreich ist erst durch das Gesetz vom 11. Febr. 1886 (dazu königl. Verordnung vom 17. Sept. 1886) erfolgt. Nach demselben ist das Minimalalter der Beschäftigung für Kinder in Fabriken (d. h. allen industriellen Betrieben mit einem mechanischen Motor, oder in welchen dauernd wenigstens 10 Arbeiter vereinigt thätig sind), Gruben und Bergwerken 9 Jahre, bei unterirdischer Arbeit 10 Jahre, und die Beschäftigung von Personen unter 15 Jahren in ihnen nur gestattet auf Grund des Zeugnisses eines hierzu durch den Bezirks-Sanitätsrat autorisierten Arztes, daß sie gesund und zu der für sie bestimmten Arbeit tauglich sind. Die Beschäftigung von Personen unter 15 Jahren ist verboten oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht bei gewissen gefährlichen oder ungesunden Arbeiten; ferner ist die Nachtarbeit für Kinder unter 12 Jahren verboten und für Kinder von 12–14 Jahren auf 6 Stunden beschränkt. Die Maximalarbeit für Kinder unter 13 Jahren ist 8 Stunden.
In Belgien fehlte bis 1885 jede A., abgesehen von der königl. Verordnung vom 28. Juni 1884, welche die Arbeit von Knaben unter 12 Jahren, von Mädchen unter 14 Jahren in den Gruben verbot. 1886 wurde eine Arbeitskommission zur Feststellung der Zustände der industriellen Arbeiter und Erwägung von Reformmaßregeln eingesetzt und von dieser eine umfangreiche Enquete veranstaltet. Seitdem ist ergangen: 1) das Gesetz vom 16. Aug. 1887 betr. die Lohnzahlung (Verbot, die Löhne anders als in gesetzlichem Metall- oder Papiergeld zu zahlen, Anrechnung von Wohnung, Grundstücken, Werkzeugen, Stoffen, Kleidung, Lebensmitteln etc. zum Kostenpreis, teilweise nur mit Erlaubnis der Permanenzdeputation, Verbot der Lohnzahlung in Wirtshäusern, Lohnzahlungstermine bei Zeitlohn bis 5 Frank mindestens zweimal im Monat, bei Akkordlöhnen mindestens einmal im Monat etc.); 2) das Gesetz vom 16. Aug. 1887 betr. die Conseils de l’industrie et de travail (Einigungsämter, bestehend aus gewählten Vertretern beider Parteien; sie können errichtet werden, wo sich ein Bedürfnis herausstellt, und haben über die gemeinsamen Interessen von Arbeitgebern und Arbeitern zu beraten, Streitigkeiten vorzubeugen, solche beizulegen etc.); 3) das Gesetz vom 18. Aug. 1887 (Beschränkung der Übertragung von Lohnforderungen und der Beschlagnahme von Löhnen); 4) das Gesetz vom 28. Mai 1888 betr. den Schutz der Kinder in Wandergewerben, insbesondere der Akrobaten, Seiltänzer etc.; endlich 5) das Gesetz vom 13. Dez. 1889 betr. den Schutz der Kinder, der jugendlichen Arbeiter unter 16 Jahren und der weiblichen Arbeiter unter 21 Jahren (Minimalalter der Beschäftigung für Kinder 12 Jahre, Maximalarbeitszeit für Kinder, jugendliche Arbeiter unter 16 Jahren und weibliche Arbeiter unter 21 Jahren 12 Stunden inkl. 11/2 Stunde Ruhepausen; durch königl. Verordnung kann die Arbeitszeit herabgesetzt werden; Verbot der Nachtarbeit von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens, Verbot der Beschäftigung an mehr als 6 Tagen in der Woche, Schonzeit von 4 Wochen für Wöchnerinnen, Einführung der Fabrikinspektion). — Ein Gesetz vom 9. Aug. 1889 (dazu Zirkular vom 15. Okt. 1889) verfolgt wesentlich den Zweck, durch Errichtung von Comités de patronage, Ermächtigung der Caisse générale d’épargne et de retraite zu Darlehen, durch Gebühren- und Steuerermäßigungen, Begünstigung von Baugesellschaften etc. den Bau von gesunden und billigen Arbeiterwohnungen zu befördern.
In Holland bestand bis 1885 nur das Gesetz vom 19. Sept. 1872 betr. Maßregeln zur Verhinderung übermäßiger Arbeit der Kinder und deren Verwahrlosung mit sehr wenigen und dürftigen Bestimmungen. Das neue Gesetz vom 5. Mai 1889 betr. Maßregeln zur Verhinderung übermäßiger und gefährlicher Arbeit von jungen Leuten und weiblichen Arbeitern (in allen gewerblichen Betrieben) schreibt vor: Minimalalter der Beschäftigung 12 Jahre für Kinder und jugendliche Arbeiter unter 16 Jahren, Maximalarbeitszeit 11 Stunden für Kinder mit großen Pausen, für andre mit 1 Stunde Pause; Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit; Möglichkeit des Verbots der Arbeit in lebens- und gesundheitsgefährlichen Betrieben durch königl. Verordnung. Für weibliche Arbeiter enthält das Gesetz folgende Schutzbestimmungen: Maximalarbeitszeit 11 Stunden mit 1 Stunde Pause; Verbot der Sonntagsarbeit; Verbot der Nachtarbeit (Ausnahmen durch königl. Verordnung unter gewissen Bedingungen zulässig); Schonzeit von 4 Wochen für Wöchnerinnen; Möglichkeit des Verbots gesundheitsschädlicher oder gefährlicher Arbeit durch königl. Verordnung.
In Dänemark bestanden vor 1885 das Fabrikgesetz betr. die Arbeit der Kinder und jungen Leute in Fabriken und fabrikmäßig betriebenen Werkstätten vom 23. Mai 1873 (für Kinder: Minimalalter 10 Jahre; Maximalarbeitszeit 61/2 Stunden inkl. 1/2 Stunde Ruhepause; Verbot der Nachtarbeit, der Sonn- und Festtagsarbeit; ärztliche Untersuchung der Kinder vor der Beschäftigung; obligatorischer Unterricht für beschäftigte Kinder. Für jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren: Maximalarbeitszeit für die von 14–16 Jahren 61/2 Stunden inkl. 1/2 Stunde Pause, für die von 16–18 Jahren 12 Stunden inkl. 2 Stunden Pausen; Verbot der Nacht-, Sonn- und Festtagsarbeit. Für Kinder und jugendliche Arbeiter Schutzbestimmungen zur Verhinderung gesundheitsschädlicher Arbeit) und das Gesetz vom 14. Febr. 1874 betr. die Zündhölzerfabriken. Im J. 1889 ist ein weiteres Gesetz vom 12. April betr. die Verhütung von Unfällen beim Gebrauch von Maschinen erlassen, mit Vorschriften über die Einrichtung und die Aufstellung gefährlicher Maschinen, über Beleuchtung der Arbeitsräume mit Maschinen, über die Beschäftigung von jungen Leuten unter 16 Jahren bei Maschinen etc.; das Gesetz regelt auch neu die Fabrikinspektion durch zwei vom König ernannte Fabrikinspektoren, denen Assistenten (bis je 12) beigegeben werden können, und durch Aufseher in den kleinern Städten und auf dem Lande, welche von den kommunalen Behörden ernannt werden.
In Schweden gewährte die Gewerbeordnung vom 18. Juni 1864 einen sehr geringen Schutz, Fabrikherren und Handwerker wurden nur angewiesen, bei der Beschäftigung ihrer Arbeiter allezeit Rücksicht auf deren Gesundheit zu nehmen. Besondere Schutzmaßregeln wurden getroffen für die bei der Fabrikation von Zündhölzern beschäftigten Arbeiter durch die Verordnung vom 18. Febr. 1870, weitere allgemeine Schutzbestimmungen zur Verhinderung gesundheitsschädlicher und gefährlicher Arbeit gaben die Bauordnung für die Städte vom 8. Mai 1874 und die Verordnung vom 25. Nov. 1874 (allgemeines Verbot der Sonntagsarbeit durch das allgemeine Strafgesetzbuch, sofern die Arbeit zu andrer Zeit verrichtet werden kann, Notfälle ausgenommen). Am 18. Nov. 1881 wurde ein besonderes Schutzgesetz für Minderjährige in Fabriken, Handwerksbetrieben, Gruben und Steinbrüchen erlassen (für Kinder: [43] Minimalalter der Beschäftigung 12 Jahre, Maximalarbeitszeit 6 Stunden mit Ruhepause; Verbot der Arbeit unter Tage, der Nachtarbeit; obligatorischer Unterricht der beschäftigten Kinder. Für jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren: Verbot der Nachtarbeit; Maximalarbeitszeit 10 Stunden), aber die Vorschriften wurden mangels einer besondern Arbeitsinspektion wenig befolgt. Im J. 1884 wurde auf Antrag des Reichstags eine Kommission eingesetzt, um zu untersuchen, ob und wie weit eine gesetzliche Regelung der Unfallentschädigung angezeigt und nach welchen Grundsätzen eine Altersversicherung für Arbeiter und ihnen sozial gleichstehende Personen einzurichten wäre. Die Kommission legte im Juli 1888 neben einer ausführlichen Darstellung der Arbeiterverhältnisse mehrere Gesetzentwürfe vor. Dieselben betrafen Maßregeln zum Schutz der Arbeiter beim Betrieb, die Unfallversicherung der Arbeiter und Seeleute und eine Reichsversicherungsanstalt. Später folgte als Ergebnis der Arbeiten der Kommission neues statistisches Material und im Mai 1889 der Entwurf eines Altersversicherungsgesetzes. Außerdem wollte die Kommission noch einen Gesetzentwurf betr. die Krankenversicherung ausarbeiten. Bisher ist auf Grund dieser Arbeiten das Gesetz vom 10. Mai 1889 betr. den Schutz gegen Gefahren im Betrieb für alle industriellen Unternehmungen (seit 1. Juli 1890 in Kraft) ergangen. Das Gesetz gibt eingehende Vorschriften über die Anlagen und Betriebseinrichtungen, um Leben und Gesundheit der Arbeiter zu schützen, und führt zugleich eine Arbeitsinspektion durch vom König ernannte Gewerbeinspektoren ein, aber nur um den Betriebsunternehmern mit Auskünften und Ratschlägen in betreff des Arbeiterschutzes gegen die Gefahren im Betrieb behilflich zu sein und die Befolgung dieses Gesetzes zu überwachen.
In Finnland wurde durch das Gesetz betr. Handel und Gewerbe vom 24. Febr. 1868 die Gewerbefreiheit eingeführt. Dasselbe enthielt auch einige Arbeiterschutzbestimmungen (Verwendung von Personen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit in Fabriken oder Werkstätten nur mit besonderer Erlaubnis; Maximalarbeitszeit für Kinder 6 Stunden; Pflicht der Gewerbtreibenden, darüber zu wachen, daß ihre Arbeiter den nötigen Unterricht erhalten und fleißig die Sonntagsschule für Handwerkslehrlinge oder eine andre entsprechende Unterrichtsanstalt besuchen, und daß bei der Beschäftigung der Arbeiter „deren Gesundheit und Arbeitsfähigkeit gebührend berücksichtigt“ werde. Ein Minimalalter der Beschäftigung war nicht bestimmt). Das neue Gewerbegesetz vom 31. März 1879 gab einige weitere Bestimmungen (Kinder unter 12 Jahren sollten nicht zur Arbeit verwendet werden dürfen, falls nicht ein Arzt schriftlich bescheinigte, daß solches ohne Nachteil für die Gesundheit des Kindes geschehen könne; Maximalarbeitszeit für Personen unter 15 Jahren 8 Stunden mit Pausen; Verbot der Nachtarbeit von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens für Personen unter 18 Jahren ohne ein ärztliches Zeugnis etc.), eine spezielle A. wurde einem besondern Gesetz vorbehalten. Dasselbe ist erst 15. April 1889, Gesetz betr. den Schutz der Arbeiter in den industriellen Gewerben (dazu Ausführungsverordnung vom 21. Dez. 1889), ergangen und 1. Jan. 1890 in Kraft getreten. Die wesentlichen Bestimmungen sind: Schutzvorschriften für alle Arbeiter zur Verhinderung gesundheitsschädlicher und lebensgefährlicher Arbeit; für Personen unter 15 Jahren: Minimalalter der Beschäftigung 12 Jahre, Verbot der Beschäftigung von Kindern, welche infolge von Kränklichkeit oder körperlicher Schwäche unter der Arbeit leiden könnten, Möglichkeit des Verbots der Kinderarbeit überhaupt in gesundheitsschädlichen Betrieben durch Senatsverordnung, Verbot der Arbeit in Gruben, Steinbrüchen und des Reinigens und Einölens im Gang befindlicher Kraftmaschinen oder Transmissionseinrichtungen, Maximalarbeitszeit 7 Stunden inkl. Pause von mindestens 1/2 Stunde nach 4 Stunden Arbeit, Beschäftigung an einem Tage entweder nur vormittags oder nur nachmittags (statthaft auch auf besonderes Gesuch Beschäftigung nach dem System der Arbeit an umschichtigen Tagen, 14 Stunden inkl. 2 Stunden Pause), Verbot der Nachtarbeit (mit Ausnahmen für gewisse Betriebe); für jugendliche Arbeiter von 15–18 Jahren: Verbot der Nachtarbeit, Maximalarbeitszeit 14 Stunden inkl. 2 Stunden Pause, im übrigen gleiche Schutzbestimmungen wie für Personen unter 15 Jahren; obligatorische Arbeitsinspektion (durch Fabrikinspektoren).
In Rußland wurden die ersten neuen Arbeiterschutzgesetze seit 1882 erlassen. 1) Das Gesetz vom 1. Juni 1882 betr. die in Fabriken, Manufakturen und ähnlichen Etablissements arbeitenden Minderjährigen (Minimalalter der Beschäftigung 12 Jahre, ausnahmsweise 10 Jahre; für Personen von 12–15 Jahren: Maximalarbeitszeit 8 Stunden mit Pause nach 4 Stunden, Verbot der Nachtarbeit mit zulässigen Ausnahmen bis zu 4 Stunden, der Arbeit an Sonn- und hohen Festtagen und gesundheitsschädlicher Arbeit). 2) Das Gesetz vom 12. Juni 1884 betr. den Schulunterricht Minderjähriger, die in Fabriken etc. arbeiten, und die Fabrikinspektion (dazu Instruktion vom 19. Dez. 1884 für die Fabrikinspektoren). 3) Das Gesetz vom 3. Juni 1885 betr. das Verbot der Nachtarbeit von jugendlichen Arbeitern bis 17 Jahre und weiblichen Arbeitern (Verbot der Nachtarbeit in Baumwoll-, Leinen- und Wollfabriken, Ermächtigung des Ministers der Finanzen und des Innern, dies Verbot auch auf andre Fabriken auszudehnen; geschehen durch Verordnung vom 10. März 1886 auf Flachsspinnereien und Fabriken, die Flachs brechen und die gemischte Gewebe herstellen). Diese drei Gesetze wurden als provisorische erlassen. 4) Das Gesetz vom 3. Juni 1886 betr. die Aufsicht über das Fabrikwesen und die wechselseitigen Beziehungen der Fabrikanten und Arbeiter zu einander. Es regelt in seinem ersten Teil allgemein unter anderm die Arbeitsverträge, die Lohnzahlungen (Bestimmungen zur Verhinderung des Trucksystems, über Lohnabzüge, Lohnzahlungstermine, Beschlagnahme von Löhnen) etc.; der zweite, zunächst nur für die besonders industriereichen Gouvernements St. Petersburg, Moskau und Wladimir geltende Teil ordnet die Errichtung einer besondern Gouvernementsbehörde für Fabrikangelegenheiten in denselben an, bestimmt den notwendigen und zulässigen Inhalt der obrigkeitlich zu bestätigenden Fabrikordnungen, die statthaften Geldstrafen der Fabrikarbeiter etc. Ein neues Gesetz vom 24. Febr. 1890 betr. die Arbeit der Kinder, jugendlichen und weiblichen Arbeiter setzt an Stelle der bisher nur temporären Bestimmungen dauernde und dehnt, aber nur fakultativ und provisorisch, einen Teil derselben auf das Handwerk aus. Einzelne der frühern Bestimmungen wurden geändert. Statt der 8stündigen, durch Pausen unterbrochenen Arbeitszeit ist für die Personen von 12–15 Jahren auch eine 6stündige ununterbrochene Beschäftigung gestattet, und in solchen Etablissements, in denen eine 18stündige Arbeitszeit durch 2 Schichten existiert, [44] eine Beschäftigung von 9 Stunden mit Pause nach 41/2 Stunden. Das Verbot der Sonntags- und Nachtarbeit für Personen von 15–17 Jahren und weibliche Arbeiter wurde auf alle Unternehmungen, welche Baumwolle, Leinen, Wolle verarbeiten und gemischte Gewebe herstellen, ausgedehnt, aber zugleich wurden für alle geschützten Personen bezüglich dieser Arbeit bedenkliche Ausnahmen zugelassen.
In Frankreich ist man mit einer neuen Regelung und Ausdehnung der A. beschäftigt.
Litteratur. Die Artikel „A. in den einzelnen Staaten“ in Conrads „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“, Bd. 1, S. 401 ff. (Jena 1890; dort auch weitere Litteratur); H. Brauns „Archiv für soziale Gesetzgebung u. Statistik“, Bd. 2–4 (Tübing. 1888–90; Berl. 1891); F. Hitze, Schutz dem Arbeiter (Köln 1890); G. Schönberg im „Handbuch der politischen Ökonomie“ (3. Aufl., Bd. 2, S. 697 ff., Tübing. 1891); Reichstagsakten, 8. Legislaturperiode, 1. Session 1890, Nr. 4, Nr. 190. Praktische Ratgeber über das Reichsgesetz vom 1. Juni 1891 von Hitze („Normalarbeitsordnung, sowie Normalstatut eines Arbeiterausschusses etc.“, Köln 1892), Menzen (Berl. 1892), v. Rüdiger (3. Aufl., das. 1892) u. a.