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MKL1888:Arbeiterwohl

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeiterwohl“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Arbeiterwohl“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 18 (Supplement, 1891), Seite 4445
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Arbeiterwohl. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 44–45. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeiterwohl (Version vom 24.11.2024)

[44] Arbeiterwohl. Die Vereine für A. in Deutschland dürften ihre Vorläufer in den Gewerbevereinen haben, welche in den 30er Jahren entstanden und mit Rücksicht auf die emporblühende Industrie an erster Stelle die Heranbildung ihrer Mitglieder bezweckten. Als im Laufe der Zeit die soziale Frage, d. h. der Inbegriff aller Bestrebungen der wirtschaftlich schwachen Volksklassen nach Verbesserung ihrer Lage, an Bedeutung zunahm, bildeten sich Vereine von Angehörigen der besitzenden Klassen, um „auf dem Boden der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung das Wohl der arbeitenden Klassen in wirtschaftlicher, sittlicher und religiöser Richtung zu fördern, für ein gutes Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu wirken und alle ein solches Verhältnis störenden und den Frieden gefährdenden Bestrebungen zu bekämpfen“ (Statuten des Bergischen Vereins für Gemeinwohl). Als den ersten gemeinnützigen Verein dieser Art müssen wir die im J. 1827 begründete Industrielle Gesellschaft von Mülhausen i. E. bezeichnen, welche allerdings im Anfang hauptsächlich bezweckte, ihre Mitglieder mit den technischen Fortschritten fortlaufend bekannt zu machen, später aber durch zahlreiche Einrichtungen für das Wohl der Arbeiter auf sozialpolitischen Gebiete thätig wurde. Im J. 1844 entstand der Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen in Berlin, zunächst für Preußen, 1872 für ganz Deutschland bestimmt. Im Laufe der Jahre bildeten sich dann folgende Vereine mit gleichen oder ähnlichen Grundsätzen: der Verein für Volkswohl in Halle a. S. (1874), der Verein zur Förderung des Wohles der Arbeiter: „Concordia“ (in Mainz 1879), Dortmunder Wohlthätigkeitsverein (1879), Arbeiterwohl, Verband katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde (1881 in M’Gladbach), Verein für Volkswohl in Leipzig [45] (1882), Verein der Anhaltischen Arbeitgeber (in Dessau 1887), Verein für das Wohl der Arbeiterbevölkerung in Duisburg (1888), Bergischer Verein für Gemeinwohl (in Elberfeld 1886), Verein der Arbeitgeber des Amtsbezirks Mittweida (1885), Linksrheinischer Verein für Gemeinwohl (in M’Gladbach 1888), Verein Volkswohl in Dresden (1888), Verein für Volkswohl für Schönebeck und Umgegend (1890), Gemeinnütziger Verein an der Saar (Verein gegen Wucher), Verein Vaterland zu Quedlinburg, Arbeitgeber-Verband Hamburg-Altona, Fabrikanten-Verein für Hannover-Linden, Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen in Stuttgart u. a.

Den mehr oder minder gemeinsamen Zweck suchen die Vereine für A. durch die sogen. Wohlfahrtseinrichtungen (s. d.) zu erreichen, die von dem einen Verein in diesem, von dem andern in jenem Umfang programmmäßig gefördert werden. Als die hauptsächlichsten Bestrebungen dieser Art nennen wir die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse (Baugesellschaften) und Einrichtungen zur Pflege und Sicherung der Gesundheit der Arbeiter (Erholungsgärten, Genesungshäuser, Ferienkolonien, Kindergärten), die Sorge für weitere Ausbildung der Arbeiter (Schriftliche Lehrverträge, Fortbildungs- und Fachschulen, Einrichtungen zur Erlernung der Haushaltung und weiblicher Handarbeiten, Frauenvereine, Vorträge, Volksbibliotheken, Lesezirkel- u. -Zimmer), die Beförderung des Sparsinnes (Sparprämien, Pfennigsparkassen), der Kranken-, Sterbe-, Invaliden- und Witwenkassen und aller auf eigner Mitwirkung der Arbeiter beruhenden Wohlfahrtseinrichtungen. Hierhin gehört ferner die Bekämpfung der Trunksucht und Pflege edler geselliger Vergnügungen (gesellige Vereine, Volksbelustigungen, Gesellschaftsabende), die Anbahnung von gewerblichen Schiedsgerichten und Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern über die Regelung des Arbeitsverhältnisses (Ältesten-Kollegien), endlich Arbeitsnachweis, direkte materielle Unterstützungen oder Vorkehrungen zu billiger Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel für die Arbeiter und ihre Familien (Masseneinkäufe, Volksküchen, Kaffeehallen) u. a. Außerdem richten die Vereine für A. gewöhnlich ihre Thätigkeit auf den Schutz des Familienlebens durch Beschränkung der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit, der Frauen- und Kinderarbeit, soweit solche sittliche und wirtschaftliche Gefahren in sich bergen, sowie auf die Unterstützung und Förderung schon vorhandener oder neu hervortretender Bestrebungen zur Hebung der Sittlichkeit, der Religiosität und der Vaterlandsliebe. Was die Mitgliedschaft zu den Vereinen für A. angeht, so nehmen einige Vereine nur Arbeitgeber auf, andre stellen einem jeden unbescholtenen Bürger den Beitritt frei, erschweren den letztern für die Arbeiterklasse aber durch einen hohen Beitrag, noch andre Vereine endlich drücken schon durch den minimalen Beitrag die Absicht aus, neben den Arbeitgebern eine möglichst große Anzahl von Arbeitern als Mitglieder heranzuziehen und auf diese Weise den Klassenunterschied nach Möglichkeit zu überbrücken. Während von den meisten Vereinen ein bestimmter Beitrag (meistens in einem Mindestbetrag festgesetzt) erhoben wird, richtet sich der Beitrag der Mitglieder der reinen Arbeitgebervereine gewöhnlich nach der Zahl der von ihnen beschäftigten Arbeiter. Die Vereine für A. sind konfessionslos, mit Ausnahme des Verbandes katholischer Industrieller und Arbeiterfreunde: „Arbeiterwohl“, auf der einen Seite, und der evangelischen Vereine für innere Mission, sofern wir dieselben auf Grund ihrer Bestrebungen in neuerer Zeit zu dieser Kategorie rechnen können, auf der andern Seite.

Von verschiedenen Vereinen wird ein Vereinsorgan zum Austausch der Meinungen und zur Anregung der einzelnen Mitglieder benutzt, bez. herausgegeben, so vom Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen „Der Arbeiterfreund“ (Berlin) und die Zeitschrift „Volkswohl“ (Herausgeber beider Schriften V. Böhmert in Dresden), vom Verband Concordia die Zeitschrift „Concordia“ (Mainz), vom Verband Arbeiterwohl die Zeitschrift „Arbeiterwohl“ (Herausgeber Franz Hitze in M’Gladbach), vom Bergischen und Linksrheinischen Verein für Gemeinwohl gemeinsam die Zeitschrift „Gemeinwohl“ (Elberfeld, Herausgeber R. Stegemann in Lennep), vom Verein der Anhaltischen Arbeitgeber die „Deutsche Arbeiter-Zeitung“ (Berlin), vom Verein Volkswohl in Dresden das „Monatsblatt“. Bemerkenswert ist, daß auf Anregung des Anhaltischen Vereins verschiedene größere Etablissements in dem Bezirke desselben für ihre Arbeiter eine eigne Zeitung gegründet haben.

Die Thätigkeit der Vereine für A. ist eine sehr segensreiche gewesen, wovon die zahlreichen Wohlfahrtseinrichtungen in den verschiedenen Bezirken den besten Beweis liefern. Mit sachlichem Interesse haben alle Mitglieder an diesen Schöpfungen mitgearbeitet, obwohl viele Schwierigkeiten, namentlich die Agitation der gegnerisch gesinnten Sozialdemokraten, ihrem Wirken sich gegenüberstellten. Die Streikbewegung der letzten Jahre hat indessen dieser Vereinsthätigkeit viel Abbruch gethan und war die Veranlassung zur Gründung einer Anzahl von reinen Arbeitervereinen, welche zwar auch das Wohl der arbeitenden Klassen zu fördern bestrebt sind, an erster Stelle aber der für Wirtschaft und Moral schädlichen Streikbewegung einen Damm entgegensetzen wollen.