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MKL1888:Arbeitsteilung

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Arbeitsteilung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 761763
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Arbeitsteilung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 761–763. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Arbeitsteilung (Version vom 24.11.2024)

[761] Arbeitsteilung nennt man in der Volkswirtschaft die Spezialisierung der Berufsarten und die technische Zerlegung wirtschaftlicher Verrichtungen in verschiedenartige einfachere Operationen. Die einfachste A. finden wir schon im Schoß der Familie ausgebildet, indem sich die Frau der Erziehung der Kinder und dem Haushalt, der Mann seiner Berufsthätigkeit (dem Erwerb) widmet. Ist in unentwickelten Kulturepochen des Jäger- und Hirtenlebens oder auch der Agrikultur die Einzelwirtschaft insofern eine mehr selbständige, als sie ihren Lebensbedarf fast ganz durch eigne Thätigkeit deckt, so findet auf vorgeschrittenern Stufen eine Scheidung in der Art statt, daß der eine mit der Landwirtschaft, der andre mit dem Gewerbe, der dritte mit dem Handel sich ausschließlich befaßt. Diese volkswirtschaftliche A. dehnt sich mit steigender Kultur und Vermannigfaltigung der Produkte immer weiter aus, indem nicht allein neue Produktionszweige sich ausbilden, sondern auch die Erzeugung einer ganzen Gattung von Gütern sich in selbständige Geschäfte, welche sich speziell mit der Herstellung der einzelnen Arten befassen, verzweigt. Schließlich entstehen selbst Gewerbe, welche lediglich einzelne Teile eines ganzen Produkts darstellen. Diese letztere Art der A. kann am weitesten getrieben werden, wenn die Teiloperationen einheitlich und planmäßig in einer Anstalt (Fabrik) zusammengefaßt werden. Bei einer solchen privatwirtschaftlichen A. können endlich die einfachsten Operationen bis zur geisttötenden Monotonie besondern Personen zur ausschließlichen Beschäftigung zugewiesen werden. Man unterscheidet persönliche A. (objektive nach List), bei welcher sich verschiedene Personen mit ungleichen Thätigkeiten befassen; zeitliche, bei welcher ein und derselbe Mensch solche Thätigkeiten ausübt, aber derart, daß er die gleichartigen zeitlich zusammenfaßt, erst die eine, dann die andre Art von Arbeiten vollständig ausführt; ferner die räumliche A. (nationale, internationale A.), bei welcher an verschiedenen Orten ungleiche Güter erzeugt werden. [762] Letztere ist bedingt durch örtliche Eigentümlichkeiten, ungleiche natürliche Verhältnisse (Bodenbeschaffenheit, Klima etc.) sowohl als auch durch Verschiedenheit aller durch Kultur- und Staatsleben geschaffenen Produktionsfaktoren, wie Arbeitstüchtigkeit, Moralität, Gesetzgebung und Verwaltung, Gewohnheit, geschichtlich entwickelte Kapitalkraft, Dichtigkeit der Bevölkerung etc. Diese Bedingungen der internationalen A. sind teils derart, daß sie überhaupt nicht beseitigt werden können (tropische Gewächse, Holz aus gemäßigtem und kaltem Klima), teils ist die Beseitigung möglich, aber dann nicht immer in kurzer Frist, da die vorteilhafte eigne Erzeugung vieler Produkte, welche seither von außen bezogen wurden, mitunter gewaltige Umgestaltungen in Verkehrswesen, nationaler Arbeitsgliederung, Verteilung der Bevölkerung etc. erfordert. Durch die A. wird eine innige Interessenverkettung zwischen Personen und Ländern hervorgerufen und eine enorme Steigerung der produktiven Kräfte ermöglicht. Durch ausschließliche Beschäftigung mit einer Arbeitsart und spezielle Heranbildung für dieselbe wird die Leistungsfähigkeit erhöht, die verschiedenen Kräfte lassen sich zweckmäßig verwenden, die A. gestattet die Anwendung kostspieliger Werkzeuge und Maschinen und hat auch schon zur Erfindung spezialisierter Arbeitsinstrumente hingeführt etc. Hand in Hand mit der A., und diese hierdurch zu einer organischen Arbeitsgliederung gestaltend, muß eine richtige Arbeitsvereinigung gehen, d. h. die verschiedenen Produkte und Produktenteile müssen zu einander in richtigem Quantitätsverhältnis stehen, wenn Arbeits- und Kapitalvergeudungen vermieden werden sollen. Dieses organische Ineinandergreifen der verschiedenen Arbeiten wird um so vollkommener stattfinden, je leichter die Kenntnis von Bedarf und Vorrat allgemeinere Verbreitung finden kann, je mehr verbesserte Kommunikation die Ausgleichung von Mangel und Überfluß gestattet, je weniger künstliche Störungen des Gleichgewichts hervorgerufen werden etc. In einem andern Sinn spricht man von Arbeitsvereinigung, wenn mehrere Kräfte gemeinschaftlich auf eine Operation sich konzentrieren, wenn mehrere Verrichtungen gleicher Art von einer Person ausgeführt werden oder gleiche Verrichtungen, welche zeitlich nacheinander als kontinuierliche Teile eines Ganzen vorgenommen werden, verschiedenen Personen überwiesen sind. Der A. und Arbeitsvereinigung entspricht die Kapitalteilung und Kapitalvereinigung (Differenzierung der Arbeitsinstrumente, Verwendung eines Objekts für verschiedene Zwecke oder bei größerm Umfang für eine größere Zahl gleichartiger Zwecke etc.). Wie die Arbeit zum Segen und zum Fluch werden kann, so auch die A. Wenn sie gewisse Grenzen überschreitet, kann sie Geist und Körper schädigen, durch Ermöglichung der Anwendung billiger Frauen- und Kinderarbeit Familienleben, Bildung und Moralität untergraben, durch Schwierigkeit vollständiger Anpassung und Eingliederung unter verschiedenen Verhältnissen Störungen, Krisen und damit Verluste an Kapital und Arbeit bewirken etc. Im allgemeinen würden die gegen diese Gefahren der A. anzuwendenden Mittel weniger gegen die letztere an und für sich als vielmehr gegen ihre schädlichen Wirkungen zu richten sein (Beschränkung der Arbeitszeit, gute Verwendung der Ruhepausen für Erholung, Bildung und Familie etc.).

In der Naturwissenschaft heißt A. (Differenzierung) die Bildung ungleichartiger Formen oder Organe aus gleichartiger Grundlage, wobei die Neubildungen gesonderte Funktionen übernehmen. Alle Organismen entstehen aus einer einzelnen Zelle, welche sich bei weiterer Entwickelung zunächst in gleichartige Zellen von gleicher Funktion teilt. Diese letztern vermehren sich weiter, und nun tritt eine Differenzierung der Zellen hervor, indem die einzelnen Gruppen sich in verschiedener Weise ausbilden und gewisse zur Erhaltung des Organismus erforderliche Leistungen ausschließlich übernehmen. Durch diese Beschränkung können sie aber vermöge ihrer besondern Einrichtung jene Leistungen in reicherm Maß und vollendeterm Grad zur Ausführung bringen und unter der Voraussetzung des geordneten Ineinandergreifens der Arbeiten sämtlicher Zellen dem Organismus Vorteile zuführen, welche ihn zu einer höhern und vollkommenern Lebensstufe befähigen. Physiologische A. und morphologische Differenzierung (Divergenz des Charakters) bedingen einander, und was von den einzelnen Zellen gilt, gilt auch von den Organen und von den Individuen. Die A. wurde zuerst von Milne Edwards als eins der Hauptmomente bei der Vervollkommnung der Wesen im Fortschritt der Organisation von niederer zu höherer Stufe erkannt. So sind z. B. Kiemenfußkrebse und Trilobiten trotz ihrer oft sehr zahlreichen, gleichartigen Funktionen dienenden Füße in der Stufenleiter der Organismen viel tiefer stehende Wesen als die Garneelen und Flußkrebse, bei denen die in ihrer Zahl verminderten Seitenglieder sich zu Fühlern, Kiefern, Freßzangen, Scheren, Lauf- und Ruderfüßen umgebildet haben. Die A. ist aufzufassen als eine Folge des Kampfes ums Dasein, welcher zwischen zwei Organismen um so heftiger entbrennt, je näher sich dieselben in jeder Beziehung stehen, je gleichartiger sie sind. Bei einem und demselben Individuum führt dieser Kampf zur Differenzierung der Zellen und Organe, bei Individuen einer und derselben Spezies, welche an einem und demselben Ort beisammen leben, zur Bildung von Abarten und neuen Spezies. In eigentümlicher Weise gestaltet sich die A. bei den Tierstöcken oder „zusammengesetzten Tieren“, bei welchen eine Anzahl meist durch Sprossung aus einem Einzeltier hervorgegangene Individuen, auf gemeinsamem Stock vereinigt, zum Teil sehr stark umgebildet, auf ganz bestimmte Funktionen angewiesen sind und sich wie Organe eines Ganzen verhalten (Polymorphismus). Das schönste Beispiel derartiger A. zeigen die Siphonophoren. An einem Mittelstamm, der gemeinsamen Körperachse, sitzen ringsherum Hunderte und oft Tausende von Medusen und Polypen, welche durch A. höchst verschiedene Form und Bildung angenommen haben. Der Zentralstamm, ein sehr verlängerter einfacher Polypenleib, ist oben zu einer Schwimmblase ausgedehnt, welche den ganzen Tierstaat an der Meeresoberfläche schwimmend erhält. Unter der Blase sitzen glockenförmige Medusen ohne Arme, ohne Ernährungs- und Fortpflanzungsorgane, nur zur Fortbewegung der Tierstocks geeignet. Auf diese „Lokomotiven“ folgen Medusen, welche zu blattförmigen Schuppen zurückgebildet sind und lediglich als passive Schutzorgane für birnförmige Freßpolypen dienen, welche die Nahrung für den ganzen Tierstock aufnehmen und allein mit Verdauungsorganen ausgestattet sind. Zwischen den Freßpolypen sitzen die Sinnes- oder Tastpolypen, bei denen allein die Geistesthätigkeiten entwickelt sind, und endlich die beiderlei Geschlechtstiere, denen die Fortpflanzung des ganzen Stocks zufällt. Ähnliche A. findet sich auch bei höhern gesellig lebenden Tieren, die zum Teil, wie die Bienen und besonders die Ameisen, Staaten bilden, in welchen den verschiedenen Individuen ganz [763] bestimmte Arbeiten zugewiesen sind. Man findet bei ihnen wenigstens drei, nicht selten vier und selbst fünf Formen von Individuen, welche durch regelmäßige A. entstanden sind und mit ihren nach bestimmten Richtungen ausgebildeten Fähigkeiten dem Staat besser dienen, als wenn alle Individuen gleichartig gestaltet wären. Vgl. Leuckart, Über den Polymorphismus der Individuen oder die Erscheinung der A. in der Natur (Gießen 1851); Häckel, Über A. in Natur- und Menschenleben (in seinen „Gesammelten Vorträgen“, Bonn 1878); Espinas, Die tierischen Gesellschaften (Braunschw. 1879).