MKL1888:Argonauten
[798] Argonauten („Argoschiffer“), die Teilnehmer jenes Zugs hellenischer Helden, der unternommen ward, um von Kolchis das Goldene Vlies zu holen (80 Jahre vor dem Trojanischen Krieg oder um 1350 v. Chr. gesetzt). Iason (s. d.), des Äson Sohn, erhielt von seinem Oheim Pelias, dem Herrscher von Iolkos in Thessalien, auf Heras Veranlassung den Auftrag, das Goldene Vlies (vgl. Chrysomallos) des Widders, auf welchem Phrixos und Helle (s. d.) entflohen waren, aus dem Areshain in Kolchis zu holen, wo es, von Phrixos in einer Eiche aufgehängt, von einem Drachen bewacht ward. Zu dieser Fahrt ließ Iason von Argos, dem Sohn des Phrixos, die 50ruderige Argo bauen. Das Schiff war so groß, wie noch keins gesehen worden, und von einer Holzart, welche im Meer nicht fault; Athene selbst hatte den Bau geleitet und an dem Schiff ein Stück dodonäisches Eichenholz angebracht, welches die Gabe zu sprechen und Orakel zu erteilen besaß. Iason forderte hierauf die berühmtesten Helden Griechenlands zur Teilnahme an dem Unternehmen auf. Von diesen Helden, welche sehr verschieden und in sehr verschiedener Zahl genannt werden, sind als die bekanntesten zu nennen: Admetos, Amphiaraos, Amphion, Ankäos, Argos (der Erbauer des Schiffs), Herakles, Iason, Idas, Idmon, Kalais, Kastor, Kepheus, Laertes, Lynkeus, Meleagros, Mopsos, Nestor, Oileus, Orpheus, Peleus, Philammon, Polydeukes (Pollux), Polyphemos, Telamon, Theseus, Tiphys, Tydeus, Zetes. Als sie alle versammelt waren, wurden die Plätze verlost. Iason ward Befehlshaber, Tiphys (und nach dessen Tod Ankäos) Steuermann, Lynkeus machte den Lotsen, Zetes und Kalais beaufsichtigten die Ruderer. Im Vorderteil des Schiffs saß Herakles, im Hintergrund Peleus, der Vater des Achilleus, und Telamon, der Vater des Aias. Iolkos war der Sammelplatz. Bald hatte das Schiff den Hafen von Iolkos hinter sich; Orpheus belebte den Mut mit Harfenspiel und Gesang. Zuerst stieg man am Pelion aus und besuchte Cheiron; dann ging die Fahrt um Chalkidike nach Samothrake. Von hier wurde das Schiff an die ilische Küste verschlagen und von da nach der Insel Lemnos, wo die Frauen ihre Männer wegen Untreue ermordet hatten und als Amazonen lebten. Sie gewährten den Fremden gastliche Aufnahme, und die Helden würden in der Umarmung dieser Weiber Kolchis vergessen haben, wenn nicht Herakles, der mit einigen Genossen auf dem Schiff zurückgeblieben war, die Säumigen gemahnt hätte. Iason riß sich von Hypsipyle los und bestieg zuerst das Schiff. Thrakische Winde trieben es in die Nähe der phrygischen Küste nach Kyzikos, wo die sechsarmigen Giganten und die friedlichen Dolionen nebeneinander wohnten. Letztere nahmen die A. gastlich auf und unterrichteten sie über den Weg, den sie zu nehmen hätten. Inzwischen waren aber von der andern Seite der Insel die „Sechsarmigen“ hervorgebrochen und hatten den Hafen mit Felsblöcken gesperrt. Herakles, der auch diesmal nicht vom Schiff wich, erschoß ihrer viele mit Pfeilen, Gleiches thaten seine zurückkehrenden Genossen. Rasch wurden darauf die Anker gelichtet; aber in der Nacht trieb ein heftiger Sturm die A. noch einmal dem Lande der Dolionen zu, ohne daß sie es erkannten. Ebensowenig erkannten die Dolionen ihre Gastfreunde wieder. König Kyzikos, der die Ankommenden für Räuber hielt, begann den Kampf und wurde von Iason mit dem Speer durchbohrt; die Dolionen flohen. Am Morgen wurde der Irrtum offenbar. Drei Tage lang trauerten Hellenen und Dolionen und stellten den Gefallenen zu Ehren Trauerkampfspiele an. Iason errichtete zur Sühne der Rhea einen Altar nebst [799] Bildsäule auf dem Berg Dindymos. Doch zürnte sie, und der Sturm hielt die A. zwölf Tage zurück. Nach mühevoller Fahrt landeten sie endlich zwischen der Propontis und dem Schwarzen Meer bei der Stadt Kios (später Prusias), wo sie von den Mysiern freundlich empfangen wurden. Während die Genossen beim Mahl saßen, begab sich Herakles in den Wald, um sich ein neues Ruder zu holen. Inzwischen war sein Liebling Hylas ausgegangen, um Wasser zu schöpfen, und wurde von den Nymphen in die Flut hinabgezogen. Polyphemos hörte seinen Hilferuf, fand ihn jedoch nicht mehr. Während er noch mit Herakles aus war, den Verlornen zu suchen, segelten die A. ab. Zu spät vermißten sie die tapfern Gefährten; nun erhob sich Streit darüber, ob sie die beiden treulos verlassen sollten. Telamon drängte zürnend zur Rückkehr, aber der Meergott Glaukos mahnte zur Weiterfahrt. Am andern Morgen landeten die A. an einer Landzunge im Bebrykenland (Bithynien). Der König Amykos hatte allen Fremden auferlegt, sich mit ihm im Faustkampf zu messen; verächtlich forderte er die Helden heraus, worauf Pollux ihn tötete. Dann aber entspann sich ein blutiger Kampf zwischen den A. und den Bebryken, in welchem die letztern in die Flucht geschlagen wurden. Die Helden warfen sich auf die Herden der Besiegten und machten reiche Beute. Weiter fahrend, wurden sie an die thrakische Küste nach Salmydessos verschlagen, wo Phineus, weil er die von Apollon ihm verliehene Wahrsagergabe mißbrauchte, mit Blindheit geschlagen, von den Harpyien gequält wurde, die ihm seine Speise raubten oder ungenießbar machten. Den abgemagerten Greis retteten Zetes und Kalais, denen Zeus unermüdliche Fittiche verlieh. Sie hatten die Ungeheuer erreicht, als Iris erschien und den großen Göttereid schwur, daß die Raubvögel Agenors Sohn nicht mehr beunruhigen sollten. Dafür verkündete Phineus den A., was von ihrem Schicksal die Götter zu enthüllen gestatteten, und zeigte ihnen den Weg durch die am Eingang ins Schwarze Meer stehenden Symplegaden oder Kyaneischen Felsen, welche alles Durchpassierende leicht zerquetschten. Zuerst wurden die A. durch 40tägige Nordwestwinde aufgehalten, bis Opfer und Gebet halfen. Im besten Segeln begriffen, vernahmen sie das Krachen der Symplegaden. Mit Hilfe der Athene kam jedoch das Schiff glücklich durch; nur die äußersten Bretter des Hinterteils wurden zermalmt. Seitdem standen die Felsen still. Auf der Fahrt durchs Schwarze Meer kamen die Helden zu den Mariandynern, deren König Lykos sie als die Besieger seines Feindes Amykos freundlich aufnahm. Während sie hier in Ehren und Freuden lebten, wurde Idmon von einem Eber getötet, Tiphys einer Krankheit Raub. Nach zwölf Tagen kamen sie an die Mündung des Kallichoros, wo sie den ihnen erscheinenden Geist des Helden Sthenelos, der mit Herakles in den Amazonenkrieg gezogen und hier gefallen war, mit einem Trankopfer ehrten. Weiter fahrend, gelangten sie an die 96 schlangenartig sich windenden Mündungen des Thermodon. An dem breitesten Ausfluß wohnten die Amazonen, von denen ein günstiger Westwind die A. fern hielt. Nach eintägiger Fahrt kamen sie an das Land der Chalyber, dann noch zu mancherlei Völkern und zur Insel Dia (Aresinsel), wo die stymphalischen Raubvögel hausten, welche ihre ehernen Federn als Pfeile abschossen, vor denen sich die Helden durch Helme und Schilde retteten. Auch trafen sie hier die vier Kinder des Phrixos, welche, nach ihres Vaters Tod von ihrem Großvater Äetes, dem Beherrscher des kolchischen Landes, ausgesandt, um die Schätze, die jener in Orchomenos gelassen, abzuholen, durch einen Sturm an diese unwirtliche Küste verschlagen worden waren. Iason nahm die ihm verwandten Jünglinge mit sich. Nach einer Tagesfahrt sahen die A. die Spitzen des Kaukasus emporragen und vernahmen des Prometheus Stöhnen und den Flügelschlag des Adlers, der in dessen Leber wühlte. Nun gelangten sie ans Ziel, an den Fluß Phasis, in den sie das Schiff ruderten. Links schaute man den ragenden Kaukasus und die Hauptstadt Kyta, rechts, als Schauplatz der Dinge, die da kommen sollten, Feld und Hain des Ares. Am andern Morgen begab sich Iason mit Telamon und den Kindern des Phrixos zum König Äetes, um das Goldene Vlies zu begehren. Äetes versprach es auszuliefern, wenn Iason die feuerschnaubenden, erzfüßigen Stiere, die ihm Hephästos geschenkt, anschirre, mit ihnen vier Morgen der Aresflur pflüge und darein die von Phrixos mitgebrachten Drachenzähne säe. Iason verzweifelte an dem Gelingen des Unternehmens. Aber Medea, des Äetes Tochter, eine Zauberin und von Liebe zu Iason entbrannt, brachte ihm eine Salbe, mit deren Hilfe er ohne Gefahr die Stiere jochen und das Feld umackern konnte. Iason vollbrachte beides, säete die Drachenzähne und veranlaßte nach Medeas Rat die aus der Drachensaat entstandenen Giganten durch einen unter sie geworfenen Stein, einander selbst anzugreifen, so daß er sie nun leicht besiegen konnte. So waren des Äetes Bedingungen erfüllt, und Iason forderte das Vlies. Äetes verweigerte es aber und gedachte über Nacht die Fremden zu erschlagen. Da entdeckte Medea dem Iason ihres Vaters Plan und half ihm bei Nacht das Vlies entführen, nachdem er geschworen, sie zur Gemahlin zu nehmen. Eine siebenfache Mauer umschloß den Hain, und unter der Eiche lag das wachehaltende Ungeheuer, mit den Augen funkelnd und sich zischend den Nahenden entgegenwälzend. Medeas Zauberformeln und ein Zauberöl schläferten jedoch den Drachen ein, Iason ergriff das Vlies und fuhr nun mit seiner Doppelbeute der Mündung des Flusses zu.
Über die Heimfahrt der A. weichen die Sagen sehr voneinander ab. Die einen lassen sie auf demselben Weg, den sie gekommen, andre durch den Phasis in den Okeanos, um Asien herum, durch den Nil und teils zu Lande, wo sie das Schiff auf den Achseln trugen, teils zu Wasser über Libyen (Afrika) durch den See Triton in das Mittelländische Meer gelangen. Zufolge Apollonios („Argonautica“) wollten die A. nach Phineus’ Rat nicht auf demselben Weg zurückkehren, sondern durch den Pontus Euxinus in den Ister (Donau) fahren; die Kolchier folgten ihnen aber und schnitten ihnen den Ausweg ab. Da sie sich zum Kampf mit deren Anführer Absyrtos, dem Sohn des Äetes, zu ungleich fühlten, knüpfte Iason Unterhandlungen mit diesem an, ermordete ihn aber meuchlings. Nach andrer Sage hatte Medea das Kind Absyrtos mit sich genommen, tötete es, als Äetes kam, und warf die Stücke des Leichnams in das Meer. Äetes sammelte diese und begrub sie bei Tomi, und Iason und Medea entkamen inzwischen. Darauf gelangten die A. aus dem Ister in den Adriatischen Meerbusen und gelangten nach Elektris, einer Insel an der Mündung des Eridanos (Po?), fuhren dann zum Lande der Hylleer in Illyrien, weiter an den Libyrnischen Inseln, an Korkyra, Melite und Kalypsos Insel vorbei. Auf des Zeus Befehl wurden sie wegen der Ermordung des Absyrtos von Stürmen nach Elektris zurückgeworfen, wo ihnen das redende Brett der Argo verkündete, daß sie die Heimkehr nicht [800] erlangen würden, wofern sie sich nicht durch Kirke vom Morde des Absyrtos entsündigen ließen. Sie schifften nun den Eridanos hinauf, in den Rhodanos, fuhren mit Hilfe der Dioskuren bei den Kelten und Ligurern vorbei zu den Stöchadischen Inseln, von da zur Insel Äthalia (Elba), dann ins Ausonische und Tyrrhenische Meer und nach Aiäa, dem Wohnsitz der Kirke, der Schwester des Äetes, die sie entsühnte, ohne sie zu erkennen, dann aber, als sie hörte, Medea sei bei ihnen, sie vertrieb. Hera begünstigte die weitere Fahrt. Orpheus’ Gegengesang brachte sie glücklich bei den Sirenen vorbei, Thetis und die Nereiden durch Skylla und Charybdis (Meerenge von Messina), und so kamen sie fröhlich zu dem glücklichen Volk der Phäaken, dessen König Alkinoos sie gastlich aufnahm. Letzterer, von den einholenden Kolchiern, welche eine Schlacht oder die Medea forderten, wie von den verfolgten A. als Schiedsrichter anerkannt, wollte nur die Jungfrau Medea den Kolchiern zusprechen. Seine Gattin Arete aber wußte Iasons und Medeas eheliche Verbindung zu bewirken, und die Kolchier mußten verzichten. So zum letztenmal geschützt und reichbeschenkt, segelten die A. an den Echinadischen Inseln vorbei. Schon sahen sie den Peloponnes, da verschlug sie ein Sturm in die Syrte. Libysche Nymphen und Poseidon retteten sie, und sie trugen ihre Argo zwölf Tage und zwölf Nächte bis an den Tritonischen See. Hier fand Mopsos den Tod, Triton aber zeigte ihnen den Weg in das Mittelländische Meer. Glücklich erreichten sie Karpathos; aber bei Kreta würde der Riese Talos die Argo, ohne Medeas Zauber, mit seinen Felswürfen versenkt haben. Bei den Sporadischen Inseln rettete sie Apollon aus dem Sturm. Endlich landeten sie auf der Insel Ägina und gelangten in die Heimat. Nach Ovid lebte Äson noch bei Iasons Rückkehr und ward von Medea verjüngt. Iasons Mutter hatte dem Pelias geflucht und sich getötet; auch ihren Sohn Promachos hatte Pelias ermordet. Nun kam Iason und überreichte das Goldene Vlies. Nachdem er die Argo dem Poseidon geweiht, forderte er Medea zur Rache an Pelias auf. Diese beredete dessen Töchter, ihren Vater zu zerstücken und zu kochen, um ihn so zu verjüngen, wie Medea einen Widder jung gekocht hatte. Akastos aber, Pelias’ Sohn, bestattete ihn und vertrieb Iason und Medea aus Iolkos. Sie gingen nach Korinth und lebten daselbst glücklich zehn Jahre lang, bis der König Kreon seine Tochter dem Iason verlobte und dieser Medea verstieß. Über die Rache der letztern s. Medea.
Die Argonautensage, in welcher mythische und geschichtliche Elemente zusammengewoben sind, ist vielfach poetisch bearbeitet worden, sowohl als Epos wie auch als Tragödie, z. B. von Eumelos, Peisandros, Äschylos, Sophokles u. a. Was wir besitzen, sind die griechischen Epen des Apollonios und des sogen. Orpheus und das lateinische Heldengedicht des Valerius Flaccus. Eine ziemlich ausführliche Geschichte dieses Zugs gibt auch Pindar in dem vierten pythischen Siegeslied. Auch Künstler machten den Argonautenzug zum Gegenstand ihrer Darstellungen, so Lykios in einem plastischen Bildwerk, worüber nichts Näheres bekannt ist; der Maler Mikon stellte die Rückkehr der A. im Tempel der Dioskuren zu Athen dar. Auch das vom Redner Hortensius um 144,000 Sesterzien angekaufte Gemälde des Kydias behandelt die Argonautensage (vielleicht dasselbe, welches später im Porticus Neptuni oder Argonautarum zu Rom aufgestellt war). Unter den noch vorhandenen Kunstwerken ist die Darstellung der Besiegung des Amykos durch Polydeukes auf der sogen. Ficoronischen Ciste (s. d.) in Rom als das schönste uns erhaltene Werk der zeichnenden Kunst der Alten zu nennen. Auch auf Vasenbildern ist der Mythus mehrfach behandelt. Von neuern Darstellungen verdienen Erwähnung: der Argonautenzug von Carstens (hrsg. von Riegel, Leipz. 1884, 24 Tafeln) und der Szenen daraus enthaltende Fries von Schwanthaler in der Residenz zu München. Vgl. Vater, Der Argonautenzug (1845), und Stender, De Argonautarum expeditione (Kiel 1874).