MKL1888:Attitüde

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Attitüde“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 33
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Attitüde. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 33. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Attit%C3%BCde (Version vom 27.04.2023)

[33] Attitüde (franz.), Haltung, Stellung oder Lage menschlicher Figuren, in künstlerischem Sinn zur Andeutung eines bedeutungsvollen Seelenzustands oder Lebensmoments gewählt, daher für die bildende Kunst (Bildhauerei wie Malerei) von Wichtigkeit. Der günstige Effekt einer glücklich getroffenen A. veranlaßte neuere dramatische Künstler zu dem Versuch, die A. in Darstellung sogen. lebender Bilder (tableaux vivants, s. d.) zu noch selbständigerm Kunstakt zu erheben. Die bekannte Lady Hamilton (s. d.) war es zunächst, die zu Ende des vorigen Jahrhunderts das ihr eigentümliche Talent, lebende Personen zu kopieren, bei ihrem Aufenthalt in Italien auf die Nachbildung der Antiken anwendete und bald nachher auch in Deutschland, Frankreich und England öffentliche pantomimische Darstellungen antiker Statuen veranstaltete, welche die allgemeinste Bewunderung erregten. Den artistischen Erfolg machte sie so ausschließlich von der A. abhängig, daß selbst das Material ihres Anzugs zu den verschiedensten Darstellungen wesentlich immer dasselbe war: eine lange, mit einem Band einfach über der Brust zusammengeknüpfte Tunika und ein darübergeworfener Shawl, mit welchem sie alle erforderlichen Bekleidungen und Faltenwürfe leicht hervorbrachte. Ihre Darstellungen wurden in Deutschland von Friedr. Rehberg gezeichnet, von Draggendorf lithographiert und von Rud. Marggraff in München mit Text versehen. Vielfach erhöht und erweitert ward diese Kunsterfindung durch die deutsche Schauspielerin Händel-Schütz (s. d.), welche durch Rehbergs Zeichnungen in Frankfurt angeregt wurde, ihr Nachahmungstalent auf diese belebte Plastik zu richten. Ein gewandter, schön gebauter Körper, eine feine Beobachtungs- und eine echt künstlerische Erfindungsgabe vereinigten sich in dieser Darstellerin, um das Höchste in diesem Kunstzweig zu leisten. Die Händel-Schütz blieb nicht bei Nachbildungen einzelner Statuen und Gemälde stehen, sie suchte vielmehr in ganzen Reihen von Attitüden wechselnde Handlung und verschiedene Momente der Leidenschaft zur Anschauung zu bringen. Dabei besaß sie das noch größere Talent, poetische Attitüden zu erfinden und in dem angemessenen Stil darzustellen, so daß sie sowohl in Hinsicht auf Idealität als an Reichtum der Charaktere und Gestalten und in der Kenntnis der moralischen Wirkung, welche sie durch große Leichtigkeit in Handhabung der Gewänder und Anordnung einer sehr passenden Beleuchtung überall an den Tag legte, ihre Vorgängerin weit übertraf. Auch ihre Attitüden sind, obwohl nicht immer glücklich, von Peroux und Ritter (Frankf. a. M. 1809) gezeichnet und gestochen, einige auch in dem Taschenbuch „Urania“ für 1812 nachgebildet und von Falk lehrreich besprochen worden. Weniger Glück hat Elise Bürger in Darstellungen dieser Art gehabt; Vortreffliches leistete dagegen Sophie Schröder. Unter den männlichen Künstlern erlangte der in Amerika verstorbene Seckendorf, genannt Patrick Peale, welcher zugleich Vorlesungen über seine Darstellungen hielt, großen Ruf. Dann sind Professor Keller und Rappo in Berlin auf den Gedanken gekommen, mit einer eignen Gesellschaft öffentliche Vorstellungen in der Nachahmung plastischer Kunstwerke zu geben, und haben damit einen großen, wenn auch keineswegs rein künstlerischen Erfolg erzielt; denn es wurde hierbei das sinnliche Element über Gebühr kultiviert. Sie haben bis jetzt zahlreiche Nachahmer gefunden, welche aus dem ganzen Genre eine niedrige Spekulation auf den sinnlichen Reiz gemacht haben. – Im Ballett heißen Attitüden alle Stellungen auf Einem Fuß ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung.