MKL1888:Baumwolle

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 2 (1885), Seite 519523
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Baumwolle. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 519–523. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Baumwolle (Version vom 30.04.2022)

[519] Baumwolle, das Samenhaar mehrerer Arten und Varietäten der zur Familie der Malvaceen gehörigen Gattung Gossypium L. (s. Tafel „Spinnfaserpflanzen“); diese umfaßt Sträucher oder Kräuter mit drei- bis neunlappigen, selten ungeteilten Blättern, großen, meist gelben oder purpurnen Blüten und drei- bis fünfklappigen Kapseln, aus welchen die die Samen bedeckenden langen, weichen Wollhaare bei der Reife elastisch hervorquellen. Die Gattung, deren Arten schwer auseinander zu halten sind, ist wohl in Asien und Amerika (vielleicht auch in Afrika) heimisch, durch Kultur aber über fast alle Länder zwischen dem 40. oder 41.° nördl. und dem 30.° südl. Br. verbreitet. Die größten Quantitäten B. liefern erwiesenermaßen folgende Spezies: G. barbadense L. (westindische B.), ein 2–5 m hoher Strauch mit langgestielten, am Grund herzförmigen Blättern und gelben, am Grund roten Blüten, stammt von den Bahamas und wird wegen ihrer langen Faser fast überall, hauptsächlich in zwei Varietäten in Nordamerika, kultiviert. G. herbaceum L. (krautige B.), einjährig, 1,5–2 m hoch, mit fünflappigen Blättern, kurzgestielten, blaßgelben, im Grund purpurroten Blüten und Samenkapseln von der Größe einer Walnuß, wächst am Irawadi und wird in Indien, Kleinasien, Nordamerika, Ägypten und Südeuropa kultiviert. Eine Varietät ist wohl G. punctatum Schum., welche in Afrika verwildert vorkommt, in Senegambien, am Mittelländischen Meer und in einigen Teilen Amerikas kultiviert wird. G. arboreum L. (baumartige B.), 3–3,8 m hoher Strauch mit braun purpurroten Blüten, stammt aus Ostindien und wird in China, Ägypten, Ostindien, am Mittelmeer, in Nordamerika und Westindien kultiviert. In Südamerika herrscht G. peruvianum Cav. vor, deren Samen nierenförmig zusammenkleben. G. religiosum L. (gelbe oder chinesische B.), ein 1–1,25 m hoher Halbstrauch in China und Hinterindien und von dort nach Ost- und Westindien verpflanzt, hat gelbe oder gelbbraune Samenhaare, welche zu Nanking verarbeitet werden, wird von manchen Botanikern aber nur als eine Varietät und die gelbe Färbung der Samenhaare als Folge eigentümlicher klimatischer oder Bodenverhältnisse betrachtet. G. hirsutum L., aus dem wärmern Amerika, wird in Westindien, Guayana und Nordamerika kultiviert und hat Samenkapseln fast von Apfelgröße.

[Kultur.] Die B. gedeiht am besten bei einer mittlern Temperatur von 19–25° in einem feuchtwarmen Klima. In Nordamerika erstreckt sich der Baumwollbau bis zum 35.° nördl. Br., am Mississippi sogar bis zum 37.° und wird besonders in Alabama, Mississippi, Georgia, Süd- und Nordcarolina, Tennessee, Virginia, Louisiana, Arkansas, Texas, Florida und in neuester Zeit auch in Kalifornien betrieben. In China und Japan gedeiht B. bis 41° nördl. Br.; sie wird auch in Vorder- und Hinterindien und in Vorderasien kultiviert. In Europa geht sie in der Krim und bei Astrachan sogar bis 46° nördl. Br. und wird auch auf dem Peloponnes und den Cykladen, in Südspanien, bei Neapel und auf Sizilien gebaut. Nordafrika liefert aus Algerien und namentlich aus Ägypten viel B. Außerdem findet sich Baumwollkultur im Kaffernland, in Natal und am Kap, in Brasilien, Paraguay, Uruguay und in einem Teil der La Plata-Staaten östlich vom La Plata, im nordöstlichen Australien und auf mehreren Inseln der Südsee. Die günstigsten Verhältnisse findet die B. an der Ostküste Nordamerikas zwischen 25°10′ und 32°40′, also in Florida, Georgia und Südcarolina, wo namentlich auch auf den kleinen Inseln die berühmte langfaserige Sea Island-B. (nach Royle G. barbadense, nach andern eine aus Persien stammende, über Anguilla und die Bahamas eingeführte Sorte, also wohl G. herbaceum) kultiviert wird. Die B. verlangt einen humosen, an Kali und Kalk reichen Boden, unter Umständen ausgiebige Bewässerung, zur Erntezeit aber trockne Witterung, weil der die geöffneten Kapseln treffende Regen die B. bräunt und verdirbt.

Die Güte der B. hängt in erster Linie von der Stammpflanze ab. Im allgemeinen liefern die baumartigen Formen bessere Wolle als die strauchigen und diese bessere als die krautartigen. Aber auch Klima, Boden und Kulturverhältnisse sind von großem Einfluß. Bei zu großer Trockenheit bleibt die Wolle kurz. Man säet die B., indem man mehrere Körner in 1 m voneinander entfernte Löcher legt, beseitigt von den schnell hervorkommenden Keimpflanzen [520] die schwächlichen und entspitzt nach 3–4 Monaten die Schößlinge, damit die Pflanzen recht buschig werden, weil die besten Früchte an jungen Trieben wachsen. Fünf Monate nach der Aussaat beginnt die Ernte. Perennierende Arten werden im zweiten Jahr kurz über dem Boden abgeschnitten, die Ernte fällt aber bei ihnen von Jahr zu Jahr geringer aus, und nach einigen Jahren müssen sie umgepflügt werden. Die Ernte umfaßt wegen des ungleichen Reifens der Kapseln immer eine längere Zeit; man pflückt die Wolle mit den Samenkörnern und läßt die Hülsen stehen, weil dieselben leicht zerstückeln und sich dann schwer von der B. trennen lassen. Zur Abscheidung der pfefferkorn- bis erbsengroßen Samen benutzt man Egreniermaschinen, durch deren Erfindung die Baumwollkultur mächtig gefördert wurde. Sie sind für verschiedene Baumwollsorten von ungleicher Konstruktion. Auf einer rasch umlaufenden Welle befinden sich z. B. 20–80 Kreissägen, welche mit ihren spitzen, schräg gestellten Zähnen durch die eng stehenden Zähne eines eisernen Rostes hindurchgreifen, die auf einem Zuführtisch ausgebreitete B. erfassen und durch den Rost hindurchzerren, während die Samenkörner abspringen. Eine mit Bürsten besetzte Welle, welche sich hinter der Sägewelle dreht, nimmt von dieser die B. ab. Es ist leicht einzusehen, daß langhaarige B. bei diesem etwas gewaltsamen Prozeß leicht zerrissen wird. Um dies zu vermeiden, wendet man eine Walzenmaschine (roller-gin) an, welche die B. zwischen zwei glatten oder geriffelten Walzen hindurchzieht, wobei wieder die Samen, welche nicht folgen können, abspringen. Eine große Baumwollpflanze kann bis 21/2 Pfd. rohe B. liefern, häufig wird aber nur der zehnte Teil dieses Ertrags gewonnen. Man schätzt den Ertrag von 1 Acre (0,4 Hektar) bei Sea Island auf 75–150 Pfd. gereinigte B., bei Upland 150–250 Pfd.; in Indien rechnet man aber nur 50–60 Pfd., in Natal 200 Pfd. vom Acre. Von den geringen Sorten liefern 900 Pfd. rohe Wolle einen Ballen von 300–350 Pfd., von den besten Sorten gehören dazu bis 2000 Pfd. rohe B.

[Beschaffenheit.] Die Baumwollfaser bildet eine einzige langgestreckte Pflanzenzelle, ist vor der Reife mit einem körnigen Inhalt erfüllt, zur Zeit der Reife aber leer und zu einem glatten, meist schraubenartig gedrehten Band zusammengefallen, welches unter dem Mikroskop doppelt konturiert erscheint (Fig. 3, 4, 6). Die Außenfläche der Zelle bekleidet ein feines Häutchen, die Cuticula, welches an gröbern, besonders glanzlosen, Baumwollsorten stark entwickelt ist und als ein feinkörniges oder streifiges oder astförmig gezeichnetes Häutchen erscheint, aber im allgemeinen um so undeutlicher bleibt, je feiner und glänzender die B. ist. Die Breite der Haare schwankt zwischen 0,0119 und 0,0420 mm, die Länge zwischen 2,5 und 6 cm. Die am häufigsten vorkommenden Werte für die Längen (Stapel) der nachstehenden Baumwollsorten sind:

Gossypium barbadense, Sea Island 4,05 Centim.
Brasilien 4,00
Ägypten 3,89
arboreum, Indien 2,50
herbaceum, Makedonien 1,82
Bengalen 1,03

Außer diesen Haaren findet sich auf den Samen eine Grundwolle, aus kleinen, etwa 0,5–3 mm langen Haaren bestehend, teils gleichmäßig den Samen überziehend oder auf die Spitze und Basis beschränkt. Wenn zur Zeit der Reife der Baumwollhaare deren körniger Inhalt zu schwinden beginnt, so verdickt sich die Zellwand, bis sie etwa 1/32/3 vom Durchmesser des Haars erlangt hat. Die Wand der Baumwollzelle kann sich in Bezug auf ihre Dicke nicht mit der Flachsfaser, wohl aber mit sehr vielen andern Bastfasern messen und übertrifft bei weitem alle übrigen technisch verwendeten Pflanzenhaare. Von der Stärke dieser Verdickungsschicht hängen nun aber die Weichheit und Biegsamkeit der Faser, die schraubenzieherartige Drehung und damit die Elastizität sowie die Festigkeit ab; was letztere betrifft, so zerreißt Louisiana bei 2,5, Georgia bei 3,66, Jumel bei 4,33, kurze Georgia bei 4,5 g Belastung. Das spezifische Gewicht der B. beträgt 1,47–1,5; sie ist sehr hygroskopisch, und zwar vermehrt nach vollkommenem Trocknen im luftleeren Raum 1 g ungesponnene B. ihr Gewicht auf

Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 1 u. 2. Faser der toten oder unreifen Baumwolle. Fig. 3 u. 4. Reife Baumwolle (400mal vergrößert). Fig. 5 Querschnitte der toten, Fig. 6 der reifen Baumwolle.

1,3092, Gespinst auf 1,2593 in einer bei 18° mit Feuchtigkeit gesättigten Luft. Die B. besteht im wesentlichen aus Cellulose C6H10O5, die Cuticula scheint aber andre Zusammensetzung zu haben. Sie ist im allgemeinen weiß mit einem Stich ins Gelbliche, und zwar ist gerade die feinste u. festeste B. gelblich. Die Nankingbaumwolle ist gelb oder gelbbraun. Aber auch die weiße ist fast niemals rein weiß, und die Grundwolle zeigt meist gelbe, bisweilen grüne Färbung. B. löst sich in konzentrierter Schwefelsäure, u. beim Verdünnen der Lösung entsteht Dextrin; als Zwischenstufe entsteht eine dem Stärkekleister sich höchst ähnlich verhaltende Substanz, das sogen. Amyloid; in verdünnter Schwefelsäure quillt die B. etwas auf; konzentrierte Salpetersäure oder ein Gemisch von Salpeter und konzentrierter Schwefelsäure verwandelt sie in Pyroxylin, welches entweder in Ätheralkohol unlöslich ist (Schießbaumwolle), oder sich darin löst (Kollodiumwolle). Kali- und Natronlauge wirken bei

Fig. 7.
Querschnitt mercerisierter Baum­wolle.

einiger Konzentration und nicht zu langer Berührung zusammenziehend auf die Fasern, diese schwellen an, verdicken und verkürzen sich, zeigen sich unter dem Mikroskop bedeutend stärker gedreht, mit fast kreisrundem Querschnitt und sehr enger Höhlung. So veränderte B. heißt mercerisiert (Querschnitt, Fig. 7), sie nimmt beim Färben dunklere Nüancen an als unveränderte B. unter denselben Verhältnissen. Wasserglas, welches bisweilen bei der Appretur gebraucht wird, macht die B. besonders bei dichter Verpackung [521] mürbe; es zerfällt nämlich in ein sehr saures Silikat und in sehr basisches Salz oder freies Alkali, und beim Kristallinischwerden der Salze leiden dann die Zellwände. Kalkmilch verändert die B. auch in der Wärme wenig, beim Trocknen scheint aber auf Kosten des Kohlen- und Wasserstoffs der B. Kohlensäure und Wasser gebildet zu werden, und infolgedessen wird die Faser mürbe und zerfällt. Auf den Wandungen der Haare finden sich endlich getrocknete Saftbestandteile, teils löslich, teils unlöslich in Wasser; sie machen die rohe B. schwierig benetzbar, weichen aber der abwechselnden Behandlung mit alkalischen Laugen und verdünnten Säuren und den Bleichmitteln. Feuchte B. absorbiert an der Luft allmählich Sauerstoff und oxydiert sich zu Kohlensäure und Wasser (Verwesungsprozeß). Mit Öl getränkte und in großen Massen locker aufgehäufte B. kann sich infolge der lebhaften Oxydation des Öls bis zur Selbstentzündung erhitzen. Schwere Schiefer- und Kohlenöle erschweren das Eintreten der Oxydation. Wo also, wie in der Rotgarnfärberei oder bei der Benutzung der Abfälle der Spinnereien als Putzmaterial, solche Tränkungen der B. mit Öl vorkommen, ist Vorsicht geboten und besonders die Anhäufung großer Massen zu vermeiden. Nicht selten kommen in der B. Fasern vor, die nicht zu völliger Reife gelangt, sondern auf einer tiefern Entwickelungsstufe stehen geblieben sind; die Verdickungsschicht hat sich bei denselben nur in sehr geringem Grad entwickelt, und der körnige Inhalt ist in größerer Menge zurückgeblieben. Solche B. zeigt sich unter dem Mikroskop in Gestalt flacher Bänder, ohne Höhlung, nicht gedreht und häufig gefleckt. Sie nimmt beim Färben mit gewissen Farben, z. B. Krapprosa und Indigo, keine Farbe an und wird deshalb tote B. genannt (Fig. 1, 2, 5). Durch Sorgfalt bei der Kultur und Ernte soll das Auftreten toter B. vermindert werden können, aber es bleibt immer Aufgabe der Spinnereien, die unausgebildeten Fasern durch die Vorbereitungsmaschine zu entfernen, und in der That gelingt dies sehr gut. Trockne B. gibt 1,83 Proz. Asche.

[Handelssorten.] Im Handel unterscheidet man zunächst nach der Länge der Fasern: langstapelige (long staple) und kurzstapelige (short staple). In beiden Abteilungen wird der Wert der Baumwollsorten nicht nur nach der absoluten Länge der Fasern und den übrigen Eigenschaften, sondern ganz besonders auch nach der Gleichförmigkeit der Faserlänge bestimmt. Zu den langstapeligen Sorten mit 20–40 mm Faserlänge werden die folgenden gerechnet:

Lange Georgia 25–29 mm
Bourbon 20–27
Jumel, Mako 34–38
Puerto Rico 20–25
Lange Cayenne 27–34
Haïti – –
Minas 20–25
Guadeloupe 27–34
Cuba – –
Pernambuco 32–38
Bahia 27–34
Camouchi 23–29
Pará 20–27
Maranhão 23–29
Martinique 27–34
Trinidad – –
Cumana, Orinoko 23–27
Cartagena 20–27

Zu der kurzfaserigen B. mit 16–25 mm rechnet man außer kurzer Cayenne-, Alabama-, Mobile-, Tennessee-, Virginia-, Surate-, Madras-, Alexandria- und bengalischer B. noch:

Louisiana 18–25 mm
Kurze Georgia 18–25
Senegal 18–23
Sauboujatz 18–23
Kirkajatz 16–20
Kinich 16–20

Bezüglich der Feinheit ist zu bemerken, daß die Fasern der amerikanischen und ostindischen Sorten, besonders die von G. barbadense, etwas dicker sind als die der übrigen. Um den Raum von 2,6 cm beim Nebeneinanderlegen auszufüllen, sind erforderlich: 160 Haare von langer Georgia, 150 von Santo Domingo, Puerto Rico, Mako, Bourbon, 135 von Louisiana, 125 von Guaragua, 120 von Castellamare, Cayenne, Cartagena, kurzer Georgia, Bengalen, bester Surate, Pernambuco, 100 von makedonischer, 80 von Attah, Saloniki, Pera, Adenos und ordinärer Surate. Man benennt die verschiedenen Sorten der B. im Handel nach ihrem Vaterland, unterscheidet aber von jeder wieder verschiedene Qualitäten, für deren Bezeichnung jetzt allgemein die englischen Ausdrücke

fine | good | fair | middling | ordinary | inferior

mit mehreren Zwischenstufen üblich sind. Unter allen Baumwollsorten nimmt die nordamerikanische die erste Stelle ein. Sie zeichnet sich durch Länge und Feinheit, Zähigkeit und Haltbarkeit der Faser, durch sorgfältige Behandlung und Reinigung aus. Keine andre B. ist besser zum Spinnen, selbst der feinsten Nummern, geeignet und erträgt die Streckung und Reibung im Webstuhl besser als die amerikanische. Man unterscheidet Sea Island, welche an den Küsten von Georgia, Südcarolina und Florida gewonnen und zwei- bis dreimal höher bezahlt wird als kurze Georgia. Die Sea Island ist die langstapeligste aller Sorten und überragt auch in den meisten andern Eigenschaften, besonders in der Feinheit, die übrige Wolle; sie hat aber stets einen Stich ins Gelbe und wird in der Farbe von den meisten brasilischen Arten übertroffen, welche auch glänzender, seidiger sind. Man hat versucht, die Sea Island in andre baumwollliefernde Länder einzuführen und in der That recht gute Sorten erzielt, welche aber doch der originalen Sea Island nachstehen; ihre Produktionsmenge beträgt nur 11/2 Proz. des gesamten nordamerikanischen Wuchses, und ihre Verwendung ist eine verhältnismäßig beschränkte. Unter der Benennung Upland (Oberland) werden sowohl die Wollen aus den höhern Gegenden Georgias als die aus den andern südlichen Küstenstaaten verstanden, die unter sich an Güte wieder verschieden sind. Nächst der Sea Island ist die zarte, kräftige, weiße Louisiana am meisten geschätzt; sie wird fast ausschließlich als Kette benutzt, bei welcher es besonders auf Stärke und Länge des Fadens ankommt. Die westindische B. ist meist von guter Qualität, mit langen, zarten, kräftigen und knötchenfreien Fasern und daher den bessern nordamerikanischen Sorten gleichkommend oder sie zum Teil übertreffend; doch liefert sie wegen mangelhafter Reinigung 20–25 Proz. Abgang. Hauptsorten sind: Haïti, Santo Domingo, Puerto Rico (gut gereinigt), Cuba, Martinique, Jamaica, Barbados, Trinidad, Grenada. Unter der südamerikanischen B. steht die brasilische durch Länge, Feinheit und Seidigkeit der Fasern obenan. Pernambuco und Paraibo kommen der Sea Island am nächsten. Dann folgen Ceara, Alagoas, Bahia, Minas novas, Maranhão. Geringere Sorten sind: Pará, Macayo, Rio de Janeiro. Die Reinigung ist meist mangelhaft. Die B. aus den Kolonien Guayanas, die Surinam, Cayenne, Essequebo, Berbice, steht im allgemeinen hinter der brasilischen zurück, noch minderwertiger sind die kolumbischen Sorten Cartagena, Cumana, Caracas, Laguayra und die peruanischen etc. Von der ägyptischen Wolle wird die kurze, geringwertige Alexandriner oder Merkantilwolle nur noch wenig gebaut; die Jumel aus Pernambucosamen ist mittellang, zart und kräftig, aber unrein; sie wird jetzt mehr verdrängt durch die aus Sea Island-Samen gezogene Mako (oft auch Jumel genannt), eine sehr schöne und lange Ware. Die langstapelige, weiche, glänzende, aber [522] wenig feste Bourbon-B. stammt von der gleichnamigen Insel und den Seschellen. Die ostindische B. ist im allgemeinen kurz, fast grob, brüchig, stark gelblich und unrein, aber wohlfeil und wird massenhaft auf Schuß- und Strumpfgarne verarbeitet. Die hauptsächlichsten Baumwolldistrikte sind die Ebenen von Gudscharat in Surate, welcher Distrikt der indischen B., am englischen Markte den Namen gegeben hat, außerdem die Tiefebenen von Berar und den Zentralprovinzen sowie die Hochplateaus von Dekhan. Die besten heimischen Sorten sind in den Zentralprovinzen und Berar zu Hause und im Handel als Hingaugat und Amraoti bekannt, geringer sind Dhollerah, Broach, Dharwar, Madras, Bengal. Die Manila von den Philippinen ist besser als die ostindische, kommt aber wenig auf den europäischen Markt. Dagegen hat China in neuerer Zeit angefangen, B. nach Europa zu expedieren, welche den mittlern und geringern ostindischen Sorten ähnlich, meist weißer und seidenartiger, aber minder lang und kräftig ist. Die persische B. stimmt mit der indischen Dhollerah überein. Die levantische und die europäische B. sind von untergeordneter Qualität. Größere Bedeutung für den Markt dürfte die australische B. erlangen, denn einzelne Sorten, wie die aus Honolulu, sind in jeder Beziehung ausgezeichnet. Die im Welthandel nachweisbare Menge von B. betrug (in Millionen Pfund):

  1876–77 1882–83
in den Vereinigten Staaten 1972,0 3266,1
Britisch-Ostindien 566,2 690,9
Ägypten 262,5 251,0
Brasilien 59,8 52,0
Türkei 35,7 8,2
Westindien und Peru 14,6 9,6
Zusammen: 2910,8 4277,8

Die bedeutendsten Exporthäfen für B. sind: New Orleans, Mobile, Galveston, Charleston, Savannah, Bombay, Kalkutta, Alexandria; die bedeutendsten Handelsplätze: Liverpool, New York, Kanton, Havre, London, Glasgow, Amsterdam, Rotterdam, Marseille, Smyrna, Genua, Barcelona, in Deutschland Bremen, Hamburg, Chemnitz, in Österreich Triest und Wien.

Geschichte der Baumwollindustrie. Statistisches.

B. tritt als Kulturpflanze schon in den ältesten Zeiten in Indien, China, Ägypten und in Amerika auf, und vielleicht haben die Bewohner dieser Länder unabhängig voneinander die Benutzung des von der Natur bequem dargebotenen Faserstoffs begonnen. In den ältesten sanskritischen Schriften werden Baumwollgewebe erwähnt, und zu Herodots Zeiten waren baumwollene Gewebe die allgemeine Kleidung der Einwohner. In China wurden Baumwollgewebe zu des Kaisers Yao Zeiten (um 2300 v. Chr.) hergestellt, aber es ist allerdings fraglich, ob die B. damals in China kultiviert wurde; jedenfalls geschah dies nicht in großem Umfang, da die Chinesen noch sehr viel später B. aus Indien holten. Erst durch die Tataren fand der Anbau der B. im 9. Jahrh. größere Verbreitung in China. In Ägypten wurde die B. sehr hoch geschätzt und namentlich auch von den Priestern getragen. Joseph erhielt vom Pharao als Geschenk ein baumwollenes Gewand. In Mexiko, Westindien, Brasilien und Peru, aber nicht in Nordamerika, fanden die Entdecker Amerikas baumwollene Gewebe von hoher Schönheit, woraus man auf ein sehr hohes Alter dieser Industrie schließen muß. Von Indien aus gelangten die B. und Baumwollgewebe nach Vorderasien und Europa. Die Griechen erhielten die feinsten Musseline aus dem Gebiet des Ganges und nannten sie gangetikoi. Alexanders Feldzug vermittelte bessere Bekanntschaft mit der B., und die Insel Kos lieferte bald vorzügliche Gewebe. Auf Malta errichteten die Karthager Manufakturen, deren weiche und feine Stoffe sie den afrikanischen Völkern zuführten. Im 2. Jahrh. unsrer Zeitrechnung brachten arabische Kaufleute B. aus Indien nach den Häfen am Roten Meer. Damals führte die indische Stadt Barygaza allerlei geblümte Kattune und Musseline aus Masalia aus. Abu Abdallah sandte an Karl d. Gr. baumwollene Zeuge, welche in Spanien erzeugt worden waren. Abd ur Rahmân III. (912–961) beförderte Anbau und Verarbeitung der B., und hauptsächlich in Granada wurde letztere im 14. Jahrh. sehr schwunghaft betrieben. Von da gelangte der Baumwollbau auch nach Italien und Griechenland, aber niemals hat die B. in diesen Ländern als Kulturpflanze eine wichtige Rolle gespielt. Im J. 1252 waren Kattune, die man aus Turkistan bezogen, in der Krim ein gewöhnlicher Handelsartikel; auch verwendete man in der südlichen Tatarei baumwollene Gewebe, die aus Persien und dessen Umgebung kamen, zu Kleidungsstoffen. Die Mauren in Spanien und die Araber in Sizilien trugen baumwollene Turbane, aber in christlichen Ländern beachtete man nicht viel einen von den Ungläubigen hochgeschätzten Stoff, und die Baumwollkultur erlosch daher auch in Spanien wieder nach Vertreibung der Mauren. Nach dem venezianischen Geschichtschreiber Marino soll zu Anfang des 14. Jahrh. die B. in Venedig eingeführt worden sein, und von dort verbreitete sie sich bald über die benachbarten italienischen Städte und später nach der Schweiz und nach Augsburg. Nach Guicciardini betrug die Ausfuhr an Barchenten aus Deutschland nach den Niederlanden um die Mitte des 16. Jahrh. an 600,000 Kronen, wobei er bemerkt, daß in Gent und Brügge Kattune wie die indischen (die ersten in Europa) fabriziert worden seien. Auch Frankreich verarbeitete B., man bezog dieselbe meist aus der Levante und Makedonien; aber vom Schluß des 16. Jahrh. an brachten die Holländer auch viel unverarbeitete ostindische B. nach Europa und gaben dadurch Veranlassung zum vermehrten Spinnen und Weben derselben auf dem Kontinent. Von 1650 bis 1740 war Amsterdam der größte Baumwollmarkt in Europa; er verfiel, als Holland den Rang der ersten See- und Handelsmacht an England überließ. Um welche Zeit die Baumwollindustrie in England anfing, kann nicht mit Sicherheit angegeben werden; wahrscheinlich wurde sie durch eingewanderte niederländische Protestanten frühstens im ersten Viertel des 16. Jahrh. dorthin gebracht. Kleine Quantitäten B. wurden zwar schon um 1350 in Lancashire verarbeitet, doch meist nur zu Lampendochten und als Einschlag zu halbleinenen Geweben. Um die Mitte des 17. Jahrh. bestanden in Manchester Baumwollfabriken, die bereits eine bedeutende Ausdehnung erlangt hatten. Nach Fuller war Manchester vorzüglich wegen seiner Kattune berühmt. Alle diese Gewebe waren aber bis 1770 noch halbleinene, weil man nicht verstand, Baumwollgarn für die Kette stark genug anzufertigen. Auch kauften die Engländer viel Baumwollgarn vom Kontinent. Die Einführung des Kattundruckes und die gesetzliche Beschränkung der Einfuhr ostindischer Zeuge in den Jahren 1700 und 1721 begünstigten die englische Baumwollindustrie ungemein. Dazu kam die Erfindung der Schnellschütze durch Kay 1783 und vor allem die Erfindung der Maschinenspinnerei (1770–1780). Großbritannien hatte 1812 schon 4 Mill. Spindeln in Thätigkeit, und 1816 begann die Twistausfuhr [523] nach dem Kontinent. Gleichzeitig veränderten sich auch die Verhältnisse in der Baumwollkultur. Vor 1786 hatte England nie über 20 Mill. Pfd. B. importiert und zwar 6 Mill. aus Westindien, fast ebensoviel aus den spanischen und französischen Kolonien, den Rest aus den holländischen und portugiesischen Besitzungen und aus der Levante. Nun trat auch Nordamerika in die Reihe der Produzenten. Schon 1621 fand ein erster Versuch mit Baumwollpflanzung statt, aber die erste Einfuhr nordamerikanischer B. nach England fällt allem Anschein nach ins Jahr 1747. Im J. 1791 exportierten die Vereinigten Staaten nur 81 Sack, 1821 aber schon 125 und 1826 über 200 Mill. Pfd. Im J. 1849 überstieg die Ausfuhr zum erstenmal 1000 Mill. Pfd. So war durch die Erfindungen in Spinnerei und Weberei und durch die eigentümlichen Kulturverhältnisse in Nordamerika Ostindien sowohl in der Produktion als in der Verarbeitung der B. aus dem Feld geschlagen, die Vereinigten Staaten und England behaupteten von nun an weitaus den ersten Rang in der Baumwollindustrie. Der Hauptsitz der englischen Baumwollindustrie ist die Grafschaft Lancashire, in Schottland Glasgow, und es ist charakteristisch für die Fabriken, daß sie fast sämtlich große Etablissements sind. In Deutschland wurde die Baumwollindustrie Ende des 18. Jahrh. namentlich unter dem Einfluß der Kontinentalsperre begründet, Sachsen, Rheinland, Württemberg wurden Hauptsitze für die Baumwollindustrie, in Frankreich das Elsaß und die Normandie; in den letzten Jahren hat Rußland Riesenfortschritte gemacht, sonst kommen für Europa noch die Schweiz, Spanien und Österreich-Ungarn in Betracht, während die Baumwollindustrie in Italien, Belgien, Schweden und Norwegen, Holland weniger bedeutend ist. Zur Zeit des Ausbruchs des nordamerikanischen Bürgerkriegs war die Baumwollindustrie vollständig von Amerika abhängig geworden und mußte deshalb die Störungen in der Produktion sehr schwer empfinden. Die wichtigste Folge war der mit großer Energie auftretende Wettbetrieb Ostindiens, Ägyptens und Brasiliens. Zwar konnten diese trotz der größten Anstrengungen den Ausfall bei weitem nicht decken, aber die Produktion gewann daselbst festen Boden und behauptete sich auch für die spätere Zeit. Namentlich ist sie in Ostindien mit der Entwickelung der Hand- u. Maschinenindustrie beständig gestiegen, so daß in 3 Jahren die Zahl der Arbeiter von unter 40,000 auf über 52,000 anwuchs.

In den Vereinigten Staaten datiert die Baumwollspinnerei seit 1643, wo man den Rohstoff aus Barbados bezog. Die erste größere Fabrik wurde 1791 in Rhode-Island angelegt, 1816 gab es etwa 15 Fabriken, welche 11 Mill. Pfd. B. verarbeiteten. Im J. 1830 zählte man schon 801 Fabriken, 1880 zwar nur 756, dafür war aber die Spindelzahl von 1,246,703 auf 10,653,435, die der Webstühle von 33,433 auf 225,759, die der Arbeiter von 62,208 auf 172,544 gestiegen, statt 77 Mill. Pfd. wurden 1880–1881: 1012 Mill. Pfd. verarbeitet. Die größten Fabriken befinden sich vornehmlich in Massachusetts, Rhode-Island, Connecticut, New Hampshire, Pennsylvanien und New York. Die Baumwollindustrie nimmt unter allen Zweigen der Textilindustrie den ersten Rang ein, sie benutzte zuerst die großen Erfindungen der Neuzeit und brachte dieselben an der Hand praktischer Erfahrungen zu ihrer jetzigen Vollkommenheit. Nach einer Schätzung betrug 1883 die gesamte Zahl der Spindeln aller Länder 78,860,000, wovon auf Großbritannien 42 Mill., auf den europäischen Kontinent 22,5, auf die Vereinigten Staaten 12,66, auf Ostindien 1,7 Mill. entfielen. Im J. 1881 gab es Spindeln in

Großbritannien 40600000
Vereinigte Staaten 11375000
Frankreich 5000000
Deutschland 4815000
Rußland 3640000
Schweiz 1850000
Spanien 1835000
Österreich-Ungarn 1765000
Ostindien 1496300
Italien 985000
Belgien 800000
Schweden und Norwegen 310000
Holland 245000
Zusammen: 74716300

Dagegen betrug 1877 die Zahl aller Spindeln der vorstehenden Länder erst 70,334,000, die industrielle Thätigkeit auf dem Gebiet der Baumwollmanufaktur ist also trotz wiederholter Rückschläge rüstig vorwärts geschritten.

Vgl. Baines, History of cotton manufacture in Great Britain (Lond. 1835; deutsch von Bernoulli, Stuttg. 1836); Royle, Culture and commerce of cotton in India (Lond. 1851); Derselbe, The fibrous plants of India (das. 1855); Ellison, Handbuch der Baumwollkultur und Industrie (deutsch von Noest, Brem. 1869); Mac Henry, The cotton-trade (Lond. 1863); Reybaud, Le coton; son régime, ses problèmes, son influence en Europe (Par. 1863); Alcan, Traité de la filature du coton (2. Aufl., das. 1875); Nieß, Die Baumwollspinnerei in allen ihren Teilen (2. Aufl., Weim. 1885, mit Atlas); Derselbe, Führer des Baumwollspinners (2. Aufl., das. 1874), Leigh, Science of modern cotton spinning (3. Aufl.; Lond. 1875, 2 Bde.); Todaro, Relazione sulla cultura dei cotoni in Italia (Rom 1878); Dana, Cotton from seed to loom (Lond. 1878); Richard, Gewinnung der Gespinstfasern (Braunschw. 1880); Bowman, Structure of cotton fibre in relation to technical application (2. Aufl., Lond. 1882); Jannasch, Die europäische Baumwollindustrie (Berl. 1882).