MKL1888:Bildung
[947] Bildung, dem ältern Sprachgebrauch nur in der eigentlichen Bedeutung von Gestaltung oder Gestalt (Bild) geläufig, wird in der neuern Sprachweise (seit J. Möser) vorwiegend im übertragenen Sinn von der durch Erziehung und Unterricht bedingten geistigen Entwickelung des Menschen gebraucht. In dieser Anwendung ein bevorzugtes Schlagwort des Zeitalters, teilt es mit den meisten Lieblingswörtern desselben das Schicksal, daß sein Gepräge, wie bei einer abgegriffenen Münze, sich verwischt hat und sein Sinn vieldeutig geworden ist. Oft wird vergessen, daß zur wahren B. des innern Menschen die B. des Verstandes und des Gemüts (d. h. des Gefühls und des Willens) gehört; oft wird ein äußerlich angenommener Schliff mit wirklicher B. verwechselt. Daß unter B. sowohl die Thätigkeit des Bildens (Unterrichtens, Erziehens) als auch das Ergebnis dieser Thätigkeit verstanden werden kann, liegt in der Form des Worts begründet. Minder berechtigt ist die Unterscheidung materialer B. (Bereicherung oder Reichtum an Kenntnissen) und formaler B. (Befähigung zur Auffassung, Beurteilung, Darstellung), da eigentlich ausschließlich die letztere den Namen B. beanspruchen und die erstere nur als Hilfsmittel der B. angesehen werden kann, wogegen wieder mit Recht die allgemeine B. der Fachbildung, die harmonische der einseitigen, die gesunde B. der Verbildung, die abgeschlossene der Halbbildung gegenübergestellt wird. Ganz entsprechend der zu Grunde liegenden Vorstellung des künstlerischen Bildens, spricht man von verschiedenen Bildungsidealen und demnach von christlicher, patriotischer, nationaler, humaner, humanistischer oder gelehrter, realistischer B. Nach dem Bildungsgang endlich unterscheiden sich akademische und seminaristische, Gymnasial- und Realschulbildung etc. Übrigens ist der ältere Sinn des Worts durch diesen neuern pädagogischen Gebrauch nicht völlig verdrängt. In den Naturwissenschaften z. B. findet sich dasselbe noch oft in jenem Sinn gebraucht (organische B., normale B. etc.).