MKL1888:Boston

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Boston“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 253255
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Boston. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 253–255. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Boston (Version vom 15.04.2023)

[253] Boston, ein zur Zeit des amerikanischen Freiheitskampfes erfundenes Kartenspiel. Es wird mit Whistkarte unter vier Personen gespielt; eine zweite Karte dient zum Farbemachen. Das aufgedeckte Blatt gibt die beste Farbe an. Ist es z. B. rot, so ist die andre rote Farbe die zweitbeste, und die beiden schwarzen stehen in dritter Reihe. Der Wert der Karten ist der natürliche, und die vier höchsten Blätter werden als Honneurs bezahlt, wie im Whist. Jeder erhält 13 Blätter in zwei oder drei Würfen. Die Vorhand meldet nun, wieviel Stiche sie zu machen glaubt, wobei fünf (B.) das Niedrigste ist. Die Farbe, in der sie spielen will, sagt sie aber erst dann an, wenn ihr das Spiel gelassen ist. Die Hinterhand kann entweder mit gleicher Stichzahl in höherer Farbe oder mit größerer Stichzahl überbieten. Spielt man, wie es meist der Fall ist, allein, so muß man es gleich melden, widrigenfalls man nicht mehr das Recht hat, einen andern, welcher „Whist“ sagt, d. h. sich zum Gehilfen anbietet, zurückzuweisen. Der Gehilfe muß, wenn B. angesagt ist, 3, wenn 6–8 Stiche (Groß B., Indépendance und Grande Indépendance) angesagt sind, 4 Stiche machen; von 9 Stichen (Philadelphia) ab muß man allein spielen. Die höchsten Spiele (11, 12 und 13 Stiche) heißen Souveraine, Grande Souveraine und Concordia. Die Farbe, in welcher derjenige spielt, der die meisten Stiche gemeldet hat, ist Trumpf, und jede Farbe wird bedient. Außer den schon genannten Spielen kann nun auch Petite Misère (ouverte), Grande Misère (ouverte), Misère troquante, Misère à quatre as und Révolution angesagt werden. Alles dies sind Spiele, wo es darauf ankommt, keinen Stich zu machen. Bei Petite Misère legt der Spieler eine Karte weg, bei Misère troquante vertauscht er eine aus der Hand, bei Misère à quatre as zeigt er vier As auf und braucht dann nur die drei letzten Stiche zu bedienen; bei Révolution decken alle vier die Karten auf, und drei beraten sich, wie dem Spieler ein Stich beizubringen sei. Es erhellt, daß Misère à quatre as das am leichtesten zu gewinnen ist. Noch wird im Fall, daß alle vier gepaßt haben, Misère générale gespielt, wobei derjenige verliert, der die meisten Stiche bekommt. Der Kartengeber setzt stets vier Marken Stamm; hinzugerechnet wird ein Block, den man verschieden (meistens wohl 12 oder 24) spielt. Wer ein Spiel gewinnt, zieht Block und Stamm und setzt 2 für den Rock (Rocambole) ab. Wer ein Spiel verliert, zahlt Bête. Der Rock geht nach dem dritten gewonnenen Spiel, und es setzt zu ihm ein jeder einen Block von 12 als Extra-Bête. Wer auf den Rock gewinnt, zieht (außer der Bezahlung für sein Spiel) alles ein, was im Pot steht; wer darauf verliert, setzt doppeltes Bête und zwar 1) die viermal 12, welche für den Rock zu zahlen sind, 2) die 10, welche den Rock bilden, 3) die vier für den Stamm und 4) etwa gesetzte Passer, also mindestens 62. Auf den Rock darf man nicht allein spielen, sobald sich ein [254] „Whist“ meldet. Auch müssen auf den Rock mindestens 6 Stiche in der besten Farbe oder 7 in einer andern gemeldet werden.

Boston (spr. bost’n), 1) alte Stadt in Lincolnshire (England), 8 km oberhalb der Mündung des Witham in das Wash, mit vielen Kirchen, darunter die von St. Botolph mit 85 m hohem Turm, ein gotischer Prachtbau, und (1881) 14,932 Einw. Die Industrie liefert landwirtschaftliche Geräte, Ölkuchen, Federn und Tabak. Schiffe von 400 Ton. gelangen mit der Flut bis zur Stadt, und der Handel mit dem Norden Englands sowohl als mit Holland ist von einiger Bedeutung. Auch der Fischfang wird emsig betrieben. Doch war B. früher bedeutender. Schon die Römer hatten hier ein Castrum, und im Mittelalter, namentlich im 11. Jahrh., konkurrierte die Stadt mit London (jetzt nur 59 Schiffe von 2997 Ton.). Die Hanseaten hatten damals hier einen Kaufhof.

2) Hauptstadt des nordamerikan. Staats Massachusetts, eine der größten, ältesten Städte und wichtigsten Handelshafen der Union, liegt im Innern der Massachusettsbai, nordöstlich von New York, größtenteils auf einer 5 km langen und 1,6 km breiten Halbinsel, welche ehedem nur durch eine schmale Landzunge (Boston Neck) mit dem Festland verbunden war, die durch Auffüllung zu beiden Seiten jetzt zur Breite der Halbinsel herangewachsen ist (s. Plan). Nordwestlich von der Halbinsel fließt der breite Charles River, B. von Cambridge und Charlestown trennend; südwestlich davon drängt sich die Südbai, ein Teil des Hafens, in die Stadt ein. Außer diesem eigentlichen B. umfaßt aber die städtische Gemeinde seit 1875 noch die Vorstädte Roxbury im SW., Dorchester im S., Südboston jenseit der Südbai, über die zwei Brücken führen, Charlestown im N. des Charles River, mit B. durch zwei 456 und 396 m lange Brücken verbunden, und Ostboston auf Noddles Island im Hafen. Aber auch Cambridge (s. d.) hängt fast mit B. zusammen und steht mit ihm durch zwei 840 und 850 m lange Brücken in Verbindung. Außerdem führt die Western Avenue, ein Damm, der eine Bucht des Charles River abschneidet, in westlicher Richtung nach Brookline. Das ganze Terrain der Stadt ist uneben. Auf der Halbinsel selbst erheben sich drei Hügel (daher der alte Name Tremont), von denen Beacon Hill 45 m hoch ist. Im S. liegen die malerischen Dorchester Heights (40 m) und Parker Hill in Roxbury (70 m). Der alte Teil der Stadt, ursprünglich ohne System angelegt und dem Terrain angepaßt, hat viele enge und krumme Straßen und hat auch nach dem großen Brand 1872, der 800 Häuser in Asche legte, seinen Charakter bewahrt. In den neuern Stadtteilen sind indes die Straßen breit und gerade. Washingtonstreet ist Hauptverkehrsader für den Kleinhandel, Statestreet ist Sitz der großen

Situationsplan von Boston (Massachusetts).

Banken, Pearlstreet der Schuh- und Stiefelhändler, während die 82 m breite, in der Mitte mit Bäumen besetzte Commonwealth Avenue eine der schönsten Straßen der Stadt ist. Im eigentlichen Herzen der Stadt liegen die ehemalige Gemeindewiese (B. Common), jetzt reizender Park, und die öffentlichen Gärten, zusammen 28 Hektar groß. Hier stehen ein Kriegerdenkmal, Th. Balls Reiterstatue Washingtons, Storys Statue E. Everetts und ein Denkmal zur Verherrlichung der Entdeckung der anästhetischen Eigenschaften des Äthers. Mit Wasser wird die Stadt aus dem 30 km entfernten Cochituatesee versehen. Die bei Brookline liegenden Reservoirs fassen 4200 Mill. Lit. Der Hafen von B. gehört zu den besten in Amerika, und Schiffe jeglicher Größe können bis zu den mit stattlichen Speichern besetzten Kais der Stadt gelangen. Er friert nur selten zu. Im ganzen 190 qkm groß, ist er mit fast 50 Inseln übersäet, die zwar einen malerischen Anblick gewähren, aber das Fahrwasser einengen. Auf drei dieser Inseln liegen starke Forts, nämlich Fort Independence auf Castle Island, Fort Winthrop auf Governors Island und Fort Warren auf Georges Island. Unter den [255] zahlreichen Kirchen der Stadt ist die protestantisch-bischöfliche Christuskirche (1722 erbaut) die älteste, die katholische Kathedrale, ein gewaltiger gotischer Bau mit 97,5 m hohem Turm, seit 1867 errichtet, die schönste. Die öffentlichen Gebäude sind meist aus Granit aufgeführt. Unter ihnen ragen hervor: das Staatenhaus (State House), 1798 vollendet, mit vergoldeter Kuppel, unter der Chantreys Statue Washingtons steht, während Bildsäulen Dan. Websters und Horace Manns vor dem Gebäude aufgestellt sind; die neue City Hall, 1865 vollendet, mit einer Statue Franklins vor derselben; das großartige Postamt und das 1837–49 erbaute Zollamt. Ferner sind zu erwähnen: der Gerichtshof, das Grafschaftsgefängnis, die Börse, der Freimaurertempel (mit Räumen im ägyptischen, korinthischen und gotischen Stil), die Halle der Oddfellows und die große Markthalle (Quincy market). Historisch merkwürdig sind die 1742 erbaute Faneuil Hall, die „Wiege der Freiheit“, in deren Saal der Gedanke an die völlige Losreißung der Vereinigten Staaten von England sich zuerst Bahn brach, und das alte Staatenhaus, jetzt für Geschäftsbüreaus vermietet. In dem Stadtteil Charlestown befinden sich eine Werfte der Union und das Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht von Bunker Hill, ein 72 m hoher Obelisk. B. ist Sitz eines deutschen Konsuls.

Die Bevölkerung, welche 1790: 18,038, 1850: 136,881 betrug, belief sich 1880 auf 362,839 Seelen, einschließlich von 7396 Deutschen und 64,793 Iren. In religiöser Beziehung teilt sich diese Bevölkerung, wie auch sonst in Amerika, in zahlreiche Gemeinden der verschiedensten Richtung, unter denen die freien religiösen Anschauungen huldigenden Unitarier eine hervorragende Stelle einnehmen. B. war seines Reichtums wegen von jeher berühmt und verdankt denselben vorzugsweise seinem Handel, wofür es durch seine Lage an einem vorzüglichen Hafen, den Kanäle und Eisenbahnen mit allen Teilen des gewerbthätigen Neuengland in Verbindung setzen, vorzüglich begünstigt ist. Seine Handelsbewegung mit dem Ausland hat sich seit 1868 mehr als verdoppelt und betrug 1883–84 für die Einfuhr 65,865,551 Doll. (davon deutsch 1,999,727 Doll.), für die Ausfuhr 63,497,829 Doll. Regelmäßige Dampferlinien verbinden B. mit Liverpool, Antwerpen, New York und andern Häfen Amerikas, und die Handelsverbindungen der Bostoner Kaufleute erstrecken sich bis nach Rußland und Ostindien. Vom Ausland liefen 3018 Schiffe von 1,416,231 Ton. ein, dorthin gingen 2850 Schiffe von 1,305,172 T.; die Küstenschiffahrt ist fast ebenso bedeutend. Zum Hafen gehörten 898 Fahrzeuge von 270,159 T. Zur Ausfuhr gelangen namentlich Manufakturwaren, Fleischwaren, Fische, Mehl, Vieh und Eis. Auch in Bezug auf Industrie behauptet B. einen hervorragenden Rang. In seinen 3521 gewerblichen Anstalten waren 1880: 113,626 Arbeiter beschäftigt. Es bestehen namentlich Kleider- und Stiefelfabriken, Gießereien und Maschinenbaustätten, Druckereien, Schlächtereien, Zuckersiedereien, Teppichfabriken, Gerbereien, Brauereien, Orgel- und Pianofabriken, Gummifabriken u. dgl. In der Umgegend leuchten zahlreiche Hochöfen, Eisen- und Stahlhütten. Insgesamt schätzte man den Wert sämtlicher gewerblicher Produkte auf fast 123,4 Mill. Doll. Zahlreich sind die Wohlthätigkeitsanstalten. Neben drei größern Krankenhäusern findet man eine 1831 gegründete Blindenschule (Perkin’s Institution), eine Taubstummenanstalt, eine Anstalt für Blödsinnige, ein Irrenhaus und eine Besserungsanstalt für jugendliche Verbrecher, beide letztere auf Deer Island im Hafen gelegen. B. betrachtet sich nicht mit Unrecht als Sitz der Intelligenz in der Neuen Welt, wenn es auch keinen Anspruch darauf macht, wie Spötter wollen, die „Nabe des Weltalls“ (hub of the universe) zu sein. Seine Einwohner sind in der That feiner gebildet und von größerer geistiger Regsamkeit als die der Mehrzahl amerikanischer Städte. Das städtische Schulwesen ist vorzüglich geregelt, und in der nahen Harvard University (s. d.) und in seinen eignen zahlreichen Vereinen und Anstalten besitzt die Stadt zahlreiche Mittelpunkte anregenden geistigen Verkehrs. Die medizinische Fakultät der Harvard-Universität hat in B. ihren Sitz, und außerdem besteht die methodistische Boston-Universität (1869 von I. Rice mit 2 Mill. Doll. gegründet) mit Schulen für Rechtspflege, Gottesgelahrtheit und Musik. Auch eine medizinische Schule für Frauen (New England Medical College) besteht seit 1848. Außerdem sind zu nennen das von Jesuiten geleitete Boston College und das technologische Institut. Unter den Bibliotheken ist die Public Library, mit 375,000 Bänden und musterhaft geordnet, die zweitgrößte in ganz Amerika. Ein neuerbautes Museum enthält die Kunstsammlungen der Stadt. Unter den Vereinen sind zu nennen: die 1780 gegründete Akademie der Künste und Wissenschaften (mit Kunstschule), das Athenäum (mit großer Bibliothek), der Naturgeschichtliche Verein (mit Museum und Bibliothek), der Verein für die Geschichte Neuenglands, der Kunstverein u. die Gartenbaugesellschaft (mit großer Ausstellungshalle). Auch für die Unterhaltung ist besser gesorgt als sonstwo, und außer drei großen Theatern besitzt die Stadt eine Musikhalle mit gewaltiger Orgel von Walker in Ludwigsburg.

B. wurde 1630, wo sich John Winthrop mit seinen Genossen hier niederließ, gegründet und zuerst nach drei kleinen Erhebungen Tremont oder Trimountain benannt, ein Name, der von Dichtern und Rednern noch jetzt zuweilen gebraucht wird, erhielt aber später zu Ehren eines aus B. in England eingewanderten Geistlichen seine jetzige Bezeichnung; der indianische Name der Halbinsel war Shawmut. Historisch ist B. vornehmlich dadurch berühmt, daß in ihm die amerikanische Revolution zum Ausbruch kam. Schon 5. März 1770 stießen Bürger und Soldaten zusammen (Boston Massacre), dann ereignete sich 1773 der bekannte „Bostoner Theesturm“ (tea-riot). Am 17. Juni 1775 ward die Schlacht von Bunker Hill geschlagen, zu deren Gedächtnis man in der Vorstadt Charlestown ein Monument, gleichsam das Wahrzeichen von B., errichtete. Endlich im März 1776 wurden die britischen Truppen durch die auf den Höhen von Dorchester aufgestellten Batterien gezwungen, B. zu verlassen, und die Amerikaner besetzten die Stadt. John Hancock, der zuerst die Unabhängigkeitserklärung unterschrieb, war ein Bürger von B., und Benjamin Franklin war (17. Jan. 1706) hier geboren. Am 2. Juni 1813 war hier vor dem Hafen ein Seegefecht, worin die Briten eine Unionsfregatte eroberten. Auch in der Antisklavereibewegung standen Bostoner Bürger immer voran. 1869 wurde in B. (15.–19. Juni) das „Friedensjubiläum“ gefeiert, und Ende 1882 fand eine größere internationale Industrieausstellung statt. Vgl. Shurtleff, Description of B. (2. Aufl., Boston 1875); Winsor, History of B. (das. 1881, 2 Bde.).