MKL1888:Calas

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Calas“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 730
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Calas. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 730. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Calas (Version vom 19.06.2021)

[730] Calas (spr. -lās), Jean, ein Opfer des Religionsfanatismus, geb. 19. März 1698 als Protestant zu Lacaparède bei Chartres, lebte in Toulouse mit seiner Familie als unbescholtener Kaufmann. Am 13. Okt. 1761 wurde sein ältester Sohn im Magazin erhängt gefunden. Derselbe war seit einiger Zeit schwermütig gewesen, da er aber angeblich katholisch geworden war oder es doch werden wollte, so wurde der Vater beschuldigt, ihn aus Religionshaß ermordet zu haben. Die ganze Familie wurde darauf gefänglich eingezogen. Die Mönche thaten alles, um das Volk aufzureizen: sie bestatteten den Leichnam aufs pomphafteste und priesen den Toten als Märtyrer des katholischen Glaubens. Vergeblich beteuerte C. seine Unschuld, das durch Volkstumulte eingeschüchterte Parlament erklärte ihn, wiewohl mit schwacher Stimmenmehrheit, des Mordes überführt und verurteilte ihn zum Tode durchs Rad von unten auf nach vorhergegangener Folter. Dieses Urteil wurde 9. März 1762 vollzogen. C. starb mit seltener Standhaftigkeit und beteuerte bis zum letzten Atemzug seine Unschuld. Sein Vermögen wurde eingezogen; die Kinder brachte man in ein Kloster. Die Witwe zog mit einem der Söhne nach Genf, wo sie viele Freunde fand. Besonders nahm sich Voltaire der Sache an, brachte den Prozeß durch seine Schrift „Sur la tolérance à cause de la mort de Jean C.“ vor die Öffentlichkeit und bewirkte so eine Revision des ganzen Prozesses. Nach Einsicht der Akten annullierten 1765 König und Rat einstimmig das Urteil, erklärten C. und seine Familie für unschuldig und gaben derselben ihre eingezogenen Güter zurück; doch wurden weder die Gerichte von Toulouse wegen dieses Justizmordes noch die fanatischen Pfaffen ihres die Menge aufreizenden Treibens wegen zur Rechenschaft gezogen. Vgl. Coquerel, J. C. et sa famille (2. Aufl., Par. 1870).