MKL1888:Chrysippos

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Chrysippos“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 113
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Chrysippos. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 113. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Chrysippos (Version vom 18.11.2023)

[113] Chrysippos, im griech. Mythus Sohn des Pelops und der Nymphe Axioche, Halbbruder des Atreus und Thyestes. Der Thebaner Laios, von Zethos und Amphion aus der Heimat vertrieben und von Pelops gastlich aufgenommen, gewann den schönen Jüngling lieb (das erste Beispiel von Knabenliebe bei den Hellenen), unterrichtete ihn im Wagenlenken und entführte ihn auf seinem Wagen nach Theben. C. tötete sich aus Scham, während Pelops den Fluch über Laios aussprach, wodurch alles Unglück über die Labdakiden kam. Nach peloponnesischer Sage fand C. seinen Tod durch Atreus und Thyestes, welche deren Mutter, die eifersüchtige Hippodeima, dazu anreizte. Die Entführung des C. durch Laios war Gegenstand einer Tragödie des Euripides.

Chrysippos, griech. Philosoph, geboren um 282 v. Chr. zu Soli (nach andern zu Tarsos), kam etwa 262 nach Athen, wo er die Stoiker Zenon und Kleanthes sowie die Akademiker Arkesilaos und Lakydes hörte. Durch seine Dialektik und seinen schriftstellerischen Fleiß (er soll nach Diogenes Laërtius über 705 Schriften verfaßt haben) wurde er gleichsam der zweite Begründer der stoischen Schule, so daß man sagte: Wenn es keinen C. gegeben hätte, so gäbe es keine Stoa. Mit Ausnahme einer jüngst in Herculaneum entdeckten Schrift: „Über die Vorsehung“, sind von seinen Werken nur Bruchstücke (besonders bei Plutarch) erhalten. Als Dialektiker ging C. von der Theorie der hypothetischen und lemmatischen Schlüsse aus; als Physiker lehrte er, daß zu gewissen Zeiten die Welt in Feuer aufgelöst und dieses die Weltseele (das leitende Prinzip, Zeus) sei; indem ein Teil desselben, gleichsam ein von ihm ausgestreuter Same, in dichtere Stoffe übergehe, beständen neben Zeus die Einzelwesen. Als Psycholog lehrte er, daß die Vorstellung zwar eine Veränderung der Seele, aber keine Abbildung des äußern Gegenstandes sei (worüber er mit Zenon und Kleanthes in Streit geriet); auch sei die Seele körperlich, da nur Körper aufeinander zu wirken vermöchten, wohne in der Brust, nicht im Haupte, da die Stimme, der Ausdruck der Gedanken, von dorther komme, und es sei nur die Seele des Weisen unsterblich. Als Theolog behauptete er, daß auch die Gottheit als alle Dinge durchdringender Verstand körperlicher, wenngleich der menschlichen weit überlegener Natur und die alles beherrschende Notwendigkeit nichtsdestoweniger mit der menschlichen Freiheit verträglich sei. Als Moralist bezeichnete er diejenige Natur, mit welcher in Harmonie zu leben Tugend sei, als die Einheit der menschlichen und der allgemeinen Natur, weil die Bestandteile der erstern (Seele und Leib) zugleich Teile der Natur überhaupt (Weltseele und Weltstoff) seien. Er starb 209 v. Chr. Seine Büste enthält eine Herme der Villa Albani zu Rom. Vgl. Petersen, Phliosophiae Chrysippeae fundamenta (Altona u. Hamb. 1827); Th. Bergk, De Chrysippi libris περὶ ἀποφαντικῶν (Kassel 1841).