MKL1888:Corpus evangelicorum
[287] Corpus evangelicorum (lat.), die geschlossene Körperschaft, in welche die protestantischen deutschen Reichsstände auf den Reichstagen zusammentraten, wenn die Verhandlungen Religions- und kirchliche Angelegenheiten betrafen. Ausdrücklich und regelmäßig geschah dies erst seit dem Westfälischen Frieden. Vorher waren dergleichen Vereinigungen weder allgemein noch von Dauer, wie z. B. das Torgauer Bündnis 1526 und der 1531 geschlossene Schmalkaldische Bund. Als aber nach dem Augsburger Religionsfrieden das Bedürfnis gemeinsamer Vertretung und Wahrung der Interessen der evangelischen Stände gegenüber den katholischen sich fühlbar machte, traten sie allmählich als eine geschlossene Körperschaft auf, deren Haupt der Kurfürst von Sachsen und später der Kurfürst von der Pfalz war, bis 1633 der schwedische Reichskanzler Oxenstierna die Leitung der Geschäfte übernahm. Durch den Westfälischen Frieden (Art. V, § 8 und 52) wurde sodann ausdrücklich festgesetzt, daß im Reichstag in kirchlichen Angelegenheiten nicht nach Stimmenmehrheit entschieden, sondern zwischen protestantischen und katholischen Ständen als zwischen zwei besondern, gleichberechtigten Korporationen auf gütliche Weise verfahren werden solle. Bei der ersten Sitzung und eigentlichen Konstituierung des C. 22. Juli 1653 auf dem Reichstag zu Regensburg erhielt Kursachsen wieder das Direktorium. Als der Kurfürst Friedrich August I. 1697 durch seinen Übertritt zur katholischen Kirche unfähig wurde, die protestantischen Kirchenangelegenheiten ferner zu leiten, übergab er die Direktion 1698 dem Herzog Friedrich II. von Gotha, ordnete ihm jedoch das Geheimratskollegium in Dresden bei, das er deshalb in Bezug auf die Besorgung kirchlicher Dinge vom Gehorsam gegen seine Person entband. Als Herzog Friedrich schon 1700 zurücktrat, übernahm der Herzog Johann Georg von Sachsen-Weißenfels die Oberleitung. Auch als der Kurprinz Friedrich August II. 1717 zur katholischen Kirche übergetreten war, blieb die Direktion bei Kursachsen, obgleich Kurbrandenburg darauf Anspruch machte, dessen Wahl Hannover und andre Stände hintertrieben. Insofern das C. durch den Westfälischen Frieden als besondere Körperschaft eingesetzt war, stand demselben das Recht zu, Versammlungen zu halten, Beschlüsse zu fassen und Vorstellungen an den Kaiser zu richten; doch fruchteten die Vorstellungen desselben zu gunsten der Rechte der Protestanten meist weniger als die Drohungen der mächtigern protestantischen Reichsstände. Seit 1770 bestanden zwei ständige Deputationen, die eine zur Untersuchung der Religionsbeschwerden, die andre zur Aufnahme der sechs dem C. zugehörenden Kassen. Im J. 1806 ging das C. zugleich mit der deutschen Reichsverfassung zu Grabe. Vgl. Frantz, Das katholische Direktorium des C. (Marb. 1880).