MKL1888:Dendrologīe

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Dendrologīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 673674
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Dendrologīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 673–674. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Dendrolog%C4%ABe (Version vom 01.04.2022)

[673] Dendrologīe (griech.), die „Wissenschaft von den Bäumen“, aber mit der Beschränkung auf diejenigen, welche in einem bestimmten Land im Freien aushalten und zu Anpflanzungen benutzt werden können. Die gut durchforschte Flora eines Landes hat es nur mit einer ziemlich sicher abgeschlossenen Zahl von Arten zu thun; aber die D. erhält jährlich neuen und sehr bedeutenden Zuwachs an Arten, Varietäten, Formen, da Reisende und Gärtner bemüht sind, neue Gehölze einzuführen und die Zahl der vorhandenen durch Kulturvarietäten zu vermehren. Eine der schwierigsten Aufgaben der D. ist es nun, eine richtige Nomenklatur der Gehölze herzustellen, die Synonyme zu ermitteln und die nicht selten von gewinnsüchtigen Handelsgärtnern aufgestellten falschen Namen als solche nachzuweisen. Die Arbeit des Dendrologen ist aber um so schwieriger, als die Gehölze wegen ihres spätern und seltenern Blühens viel schwieriger zu bestimmen sind als krautartige Gewächse und überdies die Kulturvarietäten mehr oder weniger leicht aus ihrem geschlossenen Formenkreis heraustreten und je nach den herrschenden Kulturverhältnissen variieren. Manche Gehölze bewahren auch bei sehr langer Kultur mit großer Zähigkeit die ursprüngliche Form; andre bilden schon nach wenigen Jahrzehnten Varietäten, die dann sogar geschlechtlich aufeinander einwirken und die Zahl der Formen noch weiter vermehren helfen. Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten kommen gleichfalls sehr häufig vor, und so läßt sich die spezifische Natur mancher Pflanzen erst nach jahrelanger Beobachtung feststellen, und oft gelangt man nur durch immer wiederholte Aussaaten und Auswahl der erhaltenen Pflanzen zum Ziel. Der Kunstgärtner macht auch solche Aussaaten, aber er wählt von den Sämlingen zu weiterer Behandlung immer diejenigen aus, welche sich am meisten von der ursprünglichen Form entfernen, und erhält dadurch sein immer wechselndes Material für den Markt. Der Dendrolog verfährt in seinem Baumgarten (Arboretum) umgekehrt: er sucht bei seinen Aussaaten nach denjenigen Exemplaren, welche am meisten der ursprünglichen Form sich zu nähern scheinen, und ermittelt auf solche Weise die Abstammung unsrer Zier- und Nutzgehölze. Blutbuche und Pyramideneiche konnten die Gärtner vor 10–15 Jahren nur auf ungeschlechtlichem Weg vermehren; gegenwärtig sind die Varietäten schon so konstant geworden, daß bei der Aussaat nur 20, höchstens 50 Proz. der Sämlinge zurückschlagen, und bei rationellem Verfahren wird man sie in 40–50 Jahren ganz konstant erhalten, so daß nur sehr lange im entgegengesetzten Sinn fortgeführte Aussaaten die ursprünglichen Arten werden erkennen lassen.

Die D. steht im Dienste der Landschaftsgärtnerei und Landesverschönerung und hat dieser ein möglichst reiches Material zu liefern. Baumpflanzungen finden sich in den ältesten Zeiten; die Schönheit und Majestät der Bäume hat überall und zu allen Zeiten mächtig auf das Gemüt der Menschen eingewirkt, und dem Baumkultus (s. d.) begegnet man schon in den ersten Anfängen aller Kultur. Früh entwickelte sich auch bei semitischen, indischen und iranischen Völkern im mittlern und südlichen Asien die Gartenkunst, und von den Chinesen haben die Engländer die ersten Anregungen zur Ausbildung jenes Gartenstils erhalten, welchen man jetzt als den vollkommensten schätzt. Die Römer gefielen sich in geschmacklosem Verschneiden von Bäumen und Gesträuchern zu Tiergestalten, Namenszügen etc., und die Franzosen trieben diese Richtung durch Lenôtre auf eine geistlose Spitze. Während dieselbe aber im Norden Europas nur allzu willige Nachahmung fand, ging man in Südfrankreich ganz andre Bahnen und suchte in glücklicher Erkenntnis der eigentümlichen Schönheit verschiedenartiger Gehölze den Bestand durch Einführungen aus dem Süden und Osten Europas und besonders aus Nordamerika zu vergrößern. Das erste dendrologische Werk, Duhamels „Traité des arbres et arbustes“ (Par. 1755, 2 Bde.), konnte schon 250 Gehölze von diesem Terrain beschreiben und abbilden. In den Niederlanden gelangte gleichzeitig die Landschaftsgärtnerei zu bedeutender Entwickelung, und Knoop lieferte in seiner „Dendrologie“ (Leeuwarden 1763, Amsterd. 1790) eine wissenschaftliche Übersicht des vorhandenen Materials. Als dann der englische Gartenstil auch in Deutschland Anerkennung und Nachahmung fand, entstanden, namentlich im Südwesten, mehrere noch jetzt berühmte Anlagen, von denen besonders die in Harbke bei Helmstedt und Schloß Weißenstein (jetzt Wilhelmshöhe) wichtig sind, weil sie für die D. epochemachend wurden. Der Braunschweiger Duroi gab 1771–72 das erste klassische dendrologische Werk: „Die Harbkesche wilde Baumzucht“ (Braunschw., 2 Bde.; mit Vermehrungen und Veränderungen von Pott, das. 1791–1800, 3 Bde.), heraus, und Mönch lieferte ein „Verzeichnis ausländischer Bäume des Lustschlosses Weißenstein“ (Leipz. u. Frankf. 1785). Weißenstein hatte seine nordamerikanischen Hölzer namentlich durch den Freiherrn v. Wangenheim, der als Hauptmann der hessischen Garde 1778 nach Nordamerika gegangen war, erhalten; in Frankreich aber vermehrte André Michaux durch seine Reisen in Persien (1782–85) und Nordamerika (1785–96) die Zahl der kultivierten Gehölze. Dort begann 1801 die Herausgabe des „Nouveau Duhamel“ (2. Aufl. von Duhamels „Traité“, Par. [674] 1801–19, 7 Bde.), während in Deutschland Kerner 1783 die inländischen (Stuttg. 1783–92, 9 Hefte) und 1796 die ausländischen Gehölze (Leipz., 4 Hefte) zu beschreiben anfing. In diese Epoche gehören außerdem Schmidts „Österreichische Baumzucht“ (Wien 1792–1822, 4 Bde.) und das bahnbrechende Werk von Willdenow: „Wilde Baumzucht“ (Berl. 1796, 2. Aufl. 1811). Hayne begann mit Guimpel und Willdenow 1815 die Abbildungen deutscher und 1819 die der fremden Holzarten und schrieb seine „Dendrologische Flora der Umgegend und der Gärten Berlins“ (Berl. 1822); Loudons „Arboretum et Fruticetum britannicum“ (Lond. 1838, 8 reich illustrierte Bände) blieb bis in die neueste Zeit der hauptsächlichste wissenschaftliche dendrologische Ratgeber. Aber erst durch Kochs „Dendrologie“ (Erlang. 1869–72, 2 Bde.) hat die D. eine dem jetzigen Standpunkt der Wissenschaft entsprechendere Ausbildung erfahren. Das dendrologische Material ist in den letzten Jahren außerordentlich stark vermehrt worden. Willdenow beschrieb 1811 nur 770, Koch führt nahezu 1400 Arten auf; nun hat sich aber seit Willdenow die Liebhaberei für Ab- und Spielarten und Formen ungemein entwickelt, und mit Hinzurechnung der letztern stehen der Gärtnerei jetzt weit über 3000 verschiedene Gehölze, die bei uns im Freien aushalten, zur Verfügung. Vgl. noch Lauche, Deutsche D. (Berl. 1880); Hartwig und Rümpler, Illustriertes Gehölzbuch (das. 1875).