MKL1888:Deutscher Orden

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
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Band 4 (1886), Seite 775779
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Deutscher Orden. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 775–779. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Deutscher_Orden (Version vom 13.03.2023)

[775] Deutscher Orden (Orden der Ritter des Hospitals St. Marien des deutschen Hauses oder der Deutschen zu Jerusalem, später auch wohl Kreuzherren, Deutschherren und Marianer genannt), der jüngste der zur Zeit der Kreuzzüge im Heiligen Land entstandenen drei großen geistlichen Ritterorden. Bei der Belagerung von Akka im dritten Kreuzzug errichteten deutsche Kaufleute aus Lübeck und Bremen unter Leitung eines gewissen Siegebrand zur Pflege kranker Landsleute aus ihren Schiffssegeln Zelte zu einem Hospital. Der Zeit und den Umständen gemäß wurde dies eine geistliche, klosterähnliche Stiftung und erhielt die Regeln der Johanniter, deren Meister die Oberaufsicht führen sollte. Bei ihrer Heimkehr übergaben die Kaufleute ihre Stiftung zwei Begleitern des Herzogs Friedrich von Schwaben, dem Kaplan Konrad und dem Kämmerer Burkhard, zu besserm Schutz; sie erhielt jetzt den Namen Hospital St. Marien der Deutschen zu Jerusalem, vielleicht in Anknüpfung an jenes ältere Hospital in Jerusalem, welches nach der Eroberung der Stadt durch Saladin (1187) den Deutschen verloren gegangen war, aber später nach der Wiederbefreiung der Stadt durch Kaiser Friedrich II. dem Deutschen Orden übertragen wurde. Herzog Friedrich nahm sich der frommen Stiftung gern an und empfahl sie seinem Bruder, Kaiser Heinrich VI.; auf sein Bemühen erfolgte auch, wenngleich erst einige Wochen nach seinem eignen Tode, die päpstliche Bestätigung, 6. Febr. 1191. Sofort und in den nächsten Jahren flossen dem Hospital weitere sehr reichliche Schenkungen zu, zumal an Grundbesitz, zunächst in dem bald eroberten Akka selbst und in Palästina überhaupt. Als die deutschen Fürsten, welche 1197 nach dem Heiligen Land gekommen waren, auf die Nachricht vom Tode des Kaisers zur Heimkehr sich anschickten, verwandelten sie 5. März 1198 in Akka, mit Beirat der beiden ältern Ritterorden und andrer geistlicher und weltlicher Großen des Orients, den Krankenpflegerorden in einen geistlichen Ritterorden. Papst Innocenz III. ging bereitwillig darauf ein und sprach seine Zustimmung in der Bulle vom 19. Febr. 1199 aus; zu ihren drei Mönchsgelübden erhielten die Mitglieder des neuen Ritterordens nun noch die Regeln der Templer, d. h. die Verpflichtung zum Heidenkampf; als äußeres Zeichen ihrer Selbständigkeit wurde ihnen eine eigne Kleidung verliehen: der weiße Mantel mit schwarzem Kreuz.

Nunmehr wuchs der Orden schnell an Besitz und Macht. Den ersten Grundbesitz in Europa hatte schon das Hospital durch Heinrich VI. in Unteritalien erhalten, und hier folgten dem gegebenen Beispiel die Vormünder Friedrichs II. und dann nicht minder dieser selbst; weiterer Besitz kam hinzu in Griechenland, Spanien, Frankreich, vorzugsweise und im reichsten Maß aber in Deutschland. Die oberste Leitung der Angelegenheiten des gesamten Ordens führte der Hochmeister, an der Spitze größerer Bezirke standen Landmeister oder Landkomture, in jeder größern Burg waltete ein Komtur (Kommentur, commendator). Aber keiner dieser Beamten war in seinem Teil unumschränkt: wie dem Hochmeister als ständiger engerer Rat fünf Großwürdenträger und als weiterer das jährlich einmal zusammentretende große oder Generalkapitel zur Seite standen, so pflegte jeder Landkomtur mit der Jahresversammlung seines Landkapitels Rat, und jedem Komtur ging der Konvent der zu seiner Burg gehörigen Ordensritter mit Rat und That zur Hand. Jene fünf obersten Beamten oder obersten Gebietiger waren: der Großkomtur, der die Aufsicht über den Ordensschatz und alle Vorräte zu führen und den Hochmeister bei längerer Krankheit oder Abwesenheit zu vertreten hatte; der oberste Marschall, dem das Kriegswesen [776] (Burgen, Kriegsgeräte, Waffenfabriken, Pferde und Wagen), der oberste Spittler, dem die Krankenpflege und das ganze Spitalwesen, der oberste Trappier, dem die Beschaffung und Verteilung aller Kleidung, endlich der Treßler, dem die Verwaltung des gesamten Finanzwesens oblag. Diese und die Landmeister bildeten das Generalkapitel, die unter einem Landmeister stehenden Burgkomture sein Landkapitel. Das Generalkapitel hatte die maßgebende Mitwirkung an der gesetzgebenden Gewalt sowie bei der Entscheidung über Fragen von allgemeiner Wichtigkeit; es nahm die Rechenschaft entgegen, welche die zur Teilnahme berechtigten Gebietiger über ihre Amtsführung, zumal über Einnahmen und Ausgaben, abzulegen hatten, und wurde bei Ernennung, Absetzung und Beförderung derselben gehört. Dem entsprachen die Machtvollkommenheit der Landkapitel: Rechenschaftsabnahme und Ein- und Absetzung derjenigen Beamten, über welche der Landmeister nicht allein, sondern eben nur mit Zustimmung seines Kapitels verfügen durfte, Beratung und Entscheidung über die innere Landesordnung und über die Verhältnisse zum Ausland. Die Beamten, die überdies als Mitglieder eines geistlichen Ordens zu unbedingtem Gehorsam gegen ihre Obern verpflichtet waren, blieben so lange in ihren Stellen, bis sie entweder untüchtig und unbrauchbar oder einer Beförderung würdig erschienen; der Hochmeister dagegen, der nur in ganz besondern Fällen abgesetzt werden konnte, wurde stets auf Lebenszeit gewählt und zwar auf einem Generalkapitel, meist auf einem dazu besonders berufenen, außerordentlichen. – Die zur vollen Mitgliedschaft aufgenommenen Brüder, die rittermäßigen Standes sein mußten, zerfielen, dem doppelten Zweck des Ordens entsprechend, in Ritterbrüder und Priesterbrüder; neben ihnen gab es, wie in allen geistlichen Körperschaften, auch dienende Brüder niedern Standes (Graumäntler); zu gewissen Dienstleistungen (in den Hospitälern und auf den Höfen) konnten auch weibliche Personen als Halbschwestern aufgenommen werden. Damit ferner der Orden mehr Leuten nütze sein möge, wie es in den Statuten heißt, in Wirklichkeit aber wohl mehr, um die Verpflichtung, für das Wohl des Ordens mitzuwirken, auf weitere Kreise auszudehnen und um Erbschaften zu erlangen, war es auch weltlichen Leuten, verheirateten und unverheirateten, gestattet, „die Heimlichkeit des Ordens zu empfangen“, ohne daß sie aus ihrem Stand austraten; zum Zeichen trugen sie Kleider von geistlicher Farbe mit einem halben Kreuz. Genauere Einsicht in das Wesen und die Verwaltung des Ordens gewähren die Statuten oder Ordensbücher, von denen das älteste vorhandene Exemplar (in deutscher Sprache) der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. angehört.

Neben den oben angedeuteten Güterschenkungen liefen schon in den ersten Jahrzehnten des Bestehens des Ordens Verleihungen stattlicher Rechte und Privilegien durch Päpste, Kaiser und Könige her. Nach den päpstlichen Privilegien, welche in der Hauptbulle Honorius’ III. vom 15. Dez. 1220 zusammengefaßt sind, war die Stellung des Ordens zu Kirche und Geistlichkeit folgende: Von den Besitzungen, welche er bereits vor dem großen Laterankonzil von 1215 besaß, durfte niemand von ihm den Zehnten fordern, sondern nur von den später erworbenen; nahm der Orden Geistliche, die nicht zu ihm selbst gehörten, an, so hatte über sie nicht der Diözesanbischof, sondern Meister und Kapitel die Jurisdiktion, andre bischöfliche Funktionen aber (Weihe von Altären und Kirchen, Einsetzung von Geistlichen und andre kirchliche Sakramente) standen dem Meister nicht zu, sondern blieben dem Bischof vorbehalten, allerdings zu unentgeltlicher Leistung; in Gebieten endlich, die der Orden den Heiden abnahm, durfte er Kirchen und Kapellen anlegen, die nur dem päpstlichen Stuhl unterworfen sein sollten. Vom König von Jerusalem erhielt der Orden, wie später auch in andern Ländern, Zollfreiheit und als Besserung seines Wappens auf seinem schwarzen Kreuz das goldene Kreuz Jerusalems (nach der Tradition 1219). Kaiser Friedrich II. verlieh ihm das Recht, Reichslehen und Allodien durch Schenkung oder Kauf an sich zu bringen, und gewährte dem Hochmeister sowie dem Landmeister in deutschen Landen eine bestimmt geregelte, sehr gastfreie Aufnahme am Hof.

Als erste Vorsteher des Deutschen Ordens kennen wir aus der Zeit des Hospitals Siegebrand, Gerard (anderwärts Curandus) und Heinrich, dann Hermann Walpoto, dem in der Versammlung vom März 1198 die Meisterwürde übertragen wurde, und nach ihm Otto und Heinrich (anderwärts Hermann). Alle werden gelegentlich in Urkunden erwähnt, dagegen der letzte nur in schriftstellerischen Quellen; der Zusatz v. Bassenheim beim Namen des ersten Meisters sowie die herkömmlichen Familiennamen der andern und die bestimmten Daten für Anfang und Ende ihrer Regierungen gehören erst der Überlieferung des 15. Jahrh. an. Selbst von dem nächsten Meister, dem großen Hermann v. Salza, kennen wir nicht das Datum der Wahl, sondern wissen nur, daß er 15. Febr. 1211 zum erstenmal urkundlich erwähnt wird. In dem langen, erbitterten Streit zwischen Kaiser Friedrich II. und der Kurie, der beinahe das ganze Abendland zerriß und jeden Versuch, die Ungläubigen in Palästina mit vereinten Kräften zu bekämpfen, unmöglich machte, war und blieb Hermann v. Salza der entschiedene, unwandelbar treue Freund und Anhänger des Kaisers; aber dennoch wußte er sich auch durchaus die Achtung und Zuneigung der Päpste zu gewinnen und zu erhalten, so daß er mehrmals den Vermittler zwischen Kaiser und Papst spielen konnte. Nicht bloß Privilegien wußte er seinem Orden zu gewinnen, sondern er legte auch durch ausgedehnten Landerwerb den Grund zu einer Macht und Bedeutung desselben, wie sie keiner der andern während der Kreuzzüge entstandenen Ritterorden auch nur annähernd erreicht hat. Der erste Erwerb freilich war nur vorübergehend. 1211 schenkte der König Andreas von Ungarn dem Deutschen Orden das Land Burza in Siebenbürgen, um die Angriffe der wilden Kumanen abzuwehren und das Land selbst zu kultivieren. Kaum aber hatte der Orden das Gebiet durch Anlegung von Burgen einigermaßen gesichert und Anbau und Kolonisation befördert, als der König es ihm wieder entriß. Daß es nach einigen Jahren der Dazwischenkunft und Ermahnung des Papstes gelang, den König zur Rückgabe des Landes und zur Erweiterung der Freiheiten und Gerechtsame des Ordens zu bewegen, half nicht viel; denn 1225 wurden die Ritter abermals durch den König aus dem Burzenland vertrieben und diesmal für immer.

Fast genau zu derselben Zeit gewann der Orden das Anrecht zu dem bedeutendsten und folgenreichsten Landerwerb. Seit mehreren Jahrzehnten waren die nördlichen Teilfürstentümer Polens von den durch frühere Angriffskriege gereizten heidnischen Preußen in die äußerste Bedrängnis gebracht und standen ihnen zuletzt fast wehrlos gegenüber. Endlich entschloß sich der Herzog Konrad von Kujavien und [777] Masovien auf den Rat des Heidenbekehrers und ersten Bischofs der Preußen, Christian, der selbst vor ihnen hatte flüchten müssen, den Deutschen Orden zur Bekämpfung der gefährlichen Nachbarn herbeizurufen und ihm als Preis für die Hilfe nicht bloß das bereits zum polnischen Reiche gehörige, nur augenblicklich wieder abgerissene Kulmer Land als Eigentum zu verheißen, sondern ihm auch zur Eroberung aller preußischen Gaue seine Einwilligung zu gewähren. Doch durch das eben erfahrene Mißgeschick vorsichtig gemacht, ging der Hochmeister nicht eher auf das Anerbieten ein, als bis auch der Kaiser ihm den Besitz jener Lande, wenn er sie den Heiden abnähme, urkundlich zugesichert hatte. Im März 1226 verlieh Friedrich II. dem Hochmeister Hermann v. Salza und seinen Nachfolgern das Kulmer Land und Preußen und übertrug sie ihnen für den Fall der Eroberung als Lehen des Reichs. Hierdurch erhielten die Hochmeister des Deutschen Ordens die Reichsfürstenwürde, in der sie nachher fast immer erscheinen, und wahrscheinlich fügten sie bei dieser Gelegenheit zu ihren alten Schildeszeichen noch den schwarzen Adler hinzu. Die endgültige, wenngleich etwas beschränkte Zustimmung des Papstes ist erst in einer mehrere Jahre jüngern Urkunde ausgesprochen. (Das Genauere über Erwerbung, Eroberung und Verwaltung Preußens durch den Deutschen Orden s. Ostpreußen, Geschichte.)

Nach mehrjährigen Verhandlungen, durch welche genauere politische und kirchliche Abmachungen mit polnischen Fürsten und Bischöfen getroffen wurden, entsandte endlich der Hochmeister zu Anfang des Jahrs 1230 den Ordensritter Hermann Balk mit Rittern und Knechten zur Eroberung der übertragenen Lande und ernannte ihn zugleich zum Landmeister derselben. Anfangs waren die Unternehmungen des Ordens von großen Erfolgen begleitet, da man mit nicht allzu großer Anstrengung erst das Kulmer Land gewann, dann am rechten Ufer der Weichsel und Nogat hinab bis ans Frische Haff und endlich längs des Südufers des Haffs bis an den Pregel und darüber hinaus bis ins Samland hinein vordrang. Dabei hatte nur der westliche Nachbar, der Herzog Swantopolk von Pommern, durch das schnelle Wachstum der neuen Macht erschreckt, ernsten und nicht ganz ungefährlichen Widerstand versucht, ward aber schließlich doch zum Frieden gezwungen. Die Preußen selbst unternahmen den ersten gemeinsamen und darum Erfolg verheißenden Widerstand erst, als bereits 30 Jahre gegen sie gekämpft und reichlich die Hälfte ihrer Gaue von den Fremden in Besitz genommen war. Sie fanden bei den stammverwandten Litauern Unterstützung; die Stellung der Polen war, wenn sie auch die Heiden nicht geradezu zu unterstützen wagten, gleichfalls aus wachsender Eifersucht mindestens zweideutig. 15 Jahre bedurfte der Orden, welcher beim Anfang der Empörung alles Gewonnene bis auf drei Punkte verloren hatte, um auf den frühern Stand zurückzukommen. Nach weitern 8 Jahren, 1283, waren endlich auch die östlichen Landschaften, die zum größten Teil nicht von Preußen, sondern teils von Litauern, teils von den ebenfalls stammverwandten Jadzwingern bewohnt waren, erobert, so daß die Bezwingung und Gewinnung des ganzen Heidenlandes, bei welcher der Orden vielfach durch deutsche Kreuzfahrer unterstützt wurde, von der untern Weichsel bis etwa zur mittlern Memel hin 53 Jahre erfordert hatte. Mit der Eroberung des Landes hielt die Kolonisation gleichen Schritt: von den unter großen Vergünstigungen hereingerufenen deutschen Einwanderern wurde eine ganze Reihe von Städten begründet, verwüstete Dörfer hergestellt und neue angelegt, Anziehenden ritterlichen Standes Grundeigentum gewährt, endlich auch solchen Eingebornen, die sich gutwillig unterwarfen, Landbesitz gelassen.

Während dieser Zeit war endlich auch der dritte große Landerwerb für den Deutschen Orden vor sich gegangen, indem der 1202 zur Bekämpfung der Liven, Kuren und Esthen gestiftete Orden der Schwertbrüder, der keine große Macht besaß und schließlich in die äußerste Gefahr gekommen war, mit päpstlicher Bewilligung 1237 in den Deutschen Orden übertrat und ihm seine Besitzungen und Anrechte zubrachte; der letztere gewann hierdurch Kurland, Semgallen und Livland, während Esthland noch über ein Jahrhundert lang (bis 1346) im Besitz der Dänen blieb. (Genaueres s. unter Schwertbrüderorden und Livland.) Doch war dieser Zuwachs an Landbesitz und Streitkräften auf der andern Seite mit schlimmen Nachteilen verknüpft, indem der Orden durch ihn in ärgerliche Händel mit den dortigen Bischöfen, die eine wesentlich andre Stellung als die vier preußischen einnahmen, zumal mit dem Erzbischof von Riga, dem Metropoliten für Livland und Preußen, verwickelt wurde und auch die Zahl der äußern Feinde wachsen sah. Die Russen freilich kamen nur für den äußersten Osten in Betracht; aber die Litauer konnten ihre Angriffe leicht nach beiden Seiten hin machen, nach Livland wie nach Preußen. Um sie sobald wie möglich zu bezwingen, und um ihrer ursprünglichen Verpflichtung, der Bekämpfung der Heiden, auch weiterhin obzuliegen und sich so die fernere Unterstützung der Christenheit zu sichern, begannen die Ritter gleich nach der Unterwerfung Preußens Krieg gegen die Litauer und setzten denselben so lange fort, bis diese nach ihrer Vereinigung mit Polen (1386) und ihrer Bekehrung zum Christentum dem Orden an Macht gleich und gefährlich wurden. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. dehnten sich die Besitzungen des Ordens am weitesten aus: wir hören von Landkomturen von Livland, Preußen, Deutschland, Österreich, Apulien, Sizilien, Spanien, Romanien (griechisches Kaiserreich) und Armenien; Palästina verwaltete der Hochmeister selbst; mit der Zeit aber gingen die Besitzungen in allen diesen Ländern bis auf die ersten vier verloren. Aus Palästina mußten die Ritter 1291 weichen, als Akka, der einzige Punkt, den die Christen so lange behaupteten, verloren ging. Nunmehr wurde der Hauptsitz des Ordens, das Ordenshaupthaus, nach Venedig verlegt.

Von den Hochmeistern, die nach Hermann v. Salza, welcher 19. März 1239 zu Barletta in Apulien starb, während zweier Menschenalter an der Spitze des Ordens standen, läßt sich fast niemals die Regierungsdauer genau bestimmen. Hermanns nächster Nachfolger, Landgraf Konrad von Thüringen, der höchstens ein Jahr lang im Amt war, starb 24. Juli 1240. Es folgten Gerhard v. Malberg, der 1242 und 1243, Heinrich v. Hohenlohe, der 1245–48 erwähnt wird, Günther, von dem nur Name und Todestag bekannt sind, Poppo v. Osterna, der 1256 abdankte; Anno v. Sangerhausen, gewählt 1256, starb 8. Juli 1273 (oder 1274); Hartmann v. Heldrungen starb 19. Aug. 1282; Burkard v. Schwanden resignierte 1290; Konrad v. Feuchtwangen starb 1296; Gottfried v. Hohenlohe, gewählt 3. Mai 1297, entsagte im Oktober 1303; Siegfried v. Feuchtwangen, gewählt 18. Okt. 1303, starb 5. März 1311. Der letzte der genannten Meister verlegte, da an eine Rückkehr nach Palästina nicht mehr [778] zu denken war und dauerndes Verbleiben in Venedig wegen der politischen Verhältnisse der Stadt nicht rätlich erschien, 1309 die hochmeisterliche Residenz in dasjenige Land, welches damals und voraussichtlich noch für längere Zeit die Hauptthätigkeit des Ordens in Anspruch nahm, nach Preußen, und wählte zu seinem Sitz die Marienburg, die zwar schon lange vorher angelegt worden war, aber die erhabene Gestalt, welche ihre Reste noch heute erkennen lassen, erst im 14. Jahrh. erhalten hat. Unmittelbar vor der Übersiedelung in die Marienburg gewann der Orden die (von dem bereits erwähnten Esthland abgesehen) letzte bedeutende Erweiterung seines Gebiets an der Ostsee. Der preußische Landmeister kaufte 1308 das Herzogtum Pommerellen (s. d.) mit den Hauptorten Danzig, Dirschau und Schwetz, um welches seit dem Aussterben der eingebornen Herzogsfamilie ein Erbfolgestreit obwaltete, von den zumeist berechtigten Markgrafen von Brandenburg, um sich nicht etwa durch die Polen, deren Fürsten ebenfalls Ansprüche geltend machten, von der Verbindung mit Deutschland abschneiden zu lassen.

Für die nächsten zwei Jahrhunderte fließt die Geschichte des Deutschen Ordens mit der Geschichte von Preußen (s. Ostpreußen) und Livland (s. d.), seinen Hauptgebieten, zusammen, da seine übrigen Besitzungen, die zerstreut umherlagen, ohne besondere politische Bedeutung waren. Die Glanzperiode der ganzen Ordensgeschichte fällt in das 14. Jahrh. Die stille Eifersucht des erstarkenden Polenreichs trat offen hervor, als Pommerellen dem Orden zufiel, und bereitete ihm, wenn auch weniger mit den Waffen als auf diplomatischem Weg, manchen bösen Strauß; die Kurie, hieran anknüpfend, wollte den Orden gefügiger und seine Lande ergiebiger machen; der Erzbischof von Riga strebte danach, in Livland die Obergewalt zu erlangen, die Stadt Riga aber nach Selbständigkeit. Doch alle diese Gefahren wußte der Orden zu überwinden. Die ununterbrochenen Kriegszüge nach Litauen brachten zwar keinen positiven Gewinn, aber großen Ruhm in der Meinung jener Zeit. Eine ganz hervorragende Stellung, einige Zeit fast die leitende Rolle gewann der Hochmeister in den nordischen Verhältnissen: die Hansa erfreute sich bisweilen seiner Unterstützung in ihren Kriegen gegen die nordischen Kronen, ohne die Ordenshilfe vermochte man das entsetzliche Unwesen der seeräuberischen Vitalienbrüder auf der Ostsee nicht zu bewältigen. Die ganz vortreffliche Regierung der eignen Lande, die wahrhaft landesväterliche Fürsorge für die Unterthanen bewirkten, daß diese trotz vieler schwerer Opfer, trotz manchen kleinen Zwiespalts in treuer Ergebenheit zu den Rittern, den „Herren“, standen. In dieser Zeit regierten die folgenden Hochmeister: Karl v. Trier 1311 bis 12. Febr. 1324; Werner v. Orseln, gewählt 6. Juli 1324, ermordet 18. Nov. 1330; Herzog Luther von Braunschweig 17. Febr. 1331 bis 18. April 1335; Burggraf Dietrich von Altenburg 3. Mai 1335 bis 6. Okt. 1341; Ludolf König, gewählt 6. Jan. 1342, dankte 14. Sept. 1345 ab; Heinrich Dusemer, gewählt 13. Dez. 1345, dankte 1351 ab; Winrich v. Kniprode vom 16. Sept. 1351 bis 24. Juni 1382; Konrad Zöllner v. Rothenstein 2. Okt. 1382 bis 20. Aug. 1390; Konrad v. Wallenrod 12. März 1391 bis 25. Juli 1393; Konrad v. Jungingen 30. Nov. 1391 bis 30. März 1407.

Im höchsten Grad bedenklich wurde die Lage des Ordens erst dadurch, daß der litauische Großfürst Jagello sich samt seinem Volk 1386 taufen ließ, die polnische Erbtochter Hedwig heiratete und durch sie die polnische Krone gewann; denn der vereinten Macht beider Reiche zu widerstehen, reichten die Kräfte des Ordens schließlich doch nicht aus. Daß der Orden zunächst ohne Rücksicht auf die wenn auch nur äußerliche und oberflächliche Bekehrung die Heidenfahrten nach Litauen nicht einstellte, gab den Gegnern genügenden Grund zu Klage und Drohung; als sich dann der Hochmeister Ulrich v. Jungingen (gewählt 26. Juni 1407), um mit Einem Schlag die Entscheidung herbeizuführen, übereilt in den Kampf stürzte, verlor er in der Schlacht bei Tannenberg 15. Juli 1410 Sieg und Leben. Nur die durch die Umsicht und den Mut Heinrichs v. Plauen herbeigeführte Erhaltung der Marienburg rettete den Orden vom völligen Untergang. Die Niederlage brachte ihm aber unersetzlichen Schaden an seinem Ruhme, mit den Heidenfahrten hörten auch die Zuzüge von auswärts auf, und der Orden mußte sowohl die Unterthanen noch weit mehr als früher zum Kampf heranziehen, als auch für schweres Geld Söldner unter Waffen halten; dadurch steigerten sich die Lasten des Landes zu erdrückender Schwere, Ackerbau und Gewerbe verfielen, der Handel beschränkte sich zuletzt allein auf Danzig. So entstand zunächst eine erklärliche Abneigung, dann tiefe Erbitterung im Land gegen den Orden, der, weil er sich fast ausschließlich aus dem Ausland ergänzte, in kein inniges Verhältnis zu den Landeseingesessenen treten konnte und, weil er keinen höhern Zweck mehr hatte, schnell entartete. Fast ohne Verbindung mit dem Reich, dessen Zustände auch nicht eben geeignet waren, nationale Gefühle zu erwecken und zu ermutigen, neigten sich der landsässige Adel und die Städte in Preußen, welche vergeblich vom Orden Anteil an der Verwaltung des Landes und Befreiung von den drückenden Lasten forderten, Polen zu. Da der Polenkönig bereitwillig Erhaltung der Privilegien und Besserung der Zustände versprach, ergriff man vereint mit ihm die Waffen gegen die verhaßte Herrschaft. Nach zwölfjährigem Krieg (1455–66) verlor der Orden die westliche Hälfte Preußens samt Ermeland und mußte für die östliche die Lehnshoheit des Polenkönigs anerkennen. Die Politik der folgenden Hochmeister ging dahin, sich womöglich der Eidesleistung zu entziehen; nur einer huldigte freiwillig.

Seit der Schlacht von Tannenberg verwalteten das hochmeisterliche Amt: Heinrich v. Plauen 9. Nov. 1410 bis 14. Okt. 1413 (entsetzt); Michael Küchmeister 9. Jan. 1414 bis März 1422, Paul v. Rußdorf 10. März 1422 bis 2. Jan. 1441 (beide dankten ab); Konrad v. Erlichshausen 12. April 1441 bis 7. Nov. 1449; Ludwig v. Erlichshausen 21. März 1450 bis 4. April 1467; Heinrich Reuß v. Plauen 17. Okt. 1469 bis 2. Jan. 1470; Heinrich v. Richtenberg 29. Sept. 1470 bis 20. Febr. 1477; Martin Truchseß v. Wetzhausen 4. Aug. 1477 bis 2. Jan. 1489; Hans v. Tiefen 1. Sept. 1489 bis 25. Aug. 1497. Der folgende Hochmeister, Herzog Friedrich zu Sachsen (gewählt 29. Sept. 1498), ging schließlich, allen persönlichen Gefahren auszuweichen und Hilfe zu suchen, nach Deutschland und starb daselbst 13. Dez. 1510. Auch sein Nachfolger, Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach (gewählt 13. Febr. 1511), des Polenkönigs Schwestersohn, vermochte sich weder in der Güte noch durch Waffengewalt aus den Verpflichtungen des ewigen Friedens von 1466 zu lösen. Wie er selbst, durch persönlichen Verkehr für die neue evangelische Lehre gewonnen, den Rat Luthers, aus dem Orden auszutreten, zu heiraten und aus Preußen ein weltliches Fürstentum [779] zu machen, bereitwillig annahm, so ließ sich schließlich auch der König, zwar nicht aus religiösen, wohl aber aus politischen Gründen, für denselben Gedanken gewinnen, und nachdem 8. April 1525 unter dieser Bedingung ein Friede zwischen Polen und Preußen zu Krakau abgeschlossen war, wurde Albrecht am 10. April mit dem Ordensland Preußen als einem erblichen, von Polen lehnbaren Herzogtum belehnt. 1561 folgte dem gegebenen Beispiel der livländische Heermeister Gotthard v. Kettler, indem er Livland an die Krone Polen abtrat und Kurland und Semgallen als erbliches Herzogtum und polnisches Lehen erhielt.

Selbstverständlich erfolgten gegen die Säkularisation Preußens die lautesten Widersprüche vom Orden her. Der Deutschmeister wurde vom Kaiser zuerst mit der Administration betraut, dann auf dem Augsburger Reichstag von 1530 mit der hochmeisterlichen Würde selbst und mit Preußen belehnt, Herzog Albrecht in die Reichsacht erklärt und zur Herausgabe des Landes aufgefordert. Da aber niemand da war, der die Ausführung solcher Verordnungen übernommen hätte, so blieben sie, so oft sie auch damals und in Zukunft wiederholt wurden, erfolglos. Wenngleich seit 1530 die Hoch- und Deutschmeisterwürde des Ordens bis zu seiner gänzlichen Aufhebung in Einer Person vereinigt blieb, so konnte doch der Orden wegen seines verhältnismäßig geringen Besitzes, der etwa 2200 qkm betrug, zu keiner politischen Bedeutung mehr gelangen. Die fast im ganzen Reich zerstreuten Güter des Ordens, dessen Hauptsitz Mergentheim wurde, waren zur leichtern Übersicht in zwölf Balleien, deren jede unter einem Landkomtur stand, verteilt: Thüringen, Österreich, Hessen, Franken, Koblenz, Elsaß, Bozen oder an der Etsch, Utrecht, Alten-Biesen, Lothringen, Sachsen, Westfalen. Diese Besitzungen wurden bedeutend geschmälert, als im Frieden von Lüneville (9. Febr. 1801) alle links vom Rhein gelegenen Teile des Deutschen Reichs und damit drei Ordensballeien an Frankreich abgetreten wurden. Im Preßburger Frieden erhielt Kaiser Franz II., nachdem schon vorher den Kurfürsten von Bayern, Württemberg und Baden die in ihren Landen gelegenen Ordensgüter zugewiesen waren, das Recht, die Hoch- und Deutschmeisterwürde einem Mitglied seines Hauses erblich zu verleihen; aber sein Bruder Anton Joseph Viktor Rainer, der augenblickliche Hoch- und Deutschmeister, dem er dieses neue Erbfürstentum zusprach, genoß dasselbe nicht mehr lange, denn 24. April 1809 erklärte Napoleon zu Regensburg den Deutschen Orden in allen Staaten des Rheinbundes für aufgehoben und vereinigte seine Güter mit den fürstlichen Domänen, so daß der Orden nur noch in Österreich und in den Niederlanden (Ballei Utrecht) bestehen blieb.

Gegenwärtige Verhältnisse des Deutschen Ordens.

Kaiser Ferdinand I. gab demselben 28. Juni 1840 für Österreich neue Statuten, wonach der Orden ein selbständiges geistlich-ritterliches Institut unter dem Band eines unmittelbaren kaiserlichen Lehens sein sollte. Er ist von der allgemeinen Oberaufsicht der landesfürstlichen Behörden befreit, doch muß dem Kaiser als Ordensoberhaupt Rechenschaft abgelegt werden. Die „Hoch- und Deutschmeister des Deutschen Ritterordens“ sind österreichische geistliche Lehnsherren. Die Ordensritter und Priester werden nach ihren Ordensgelübden als Religiosen angesehen und sind nur dem Hochmeister über ihr Thun und Lassen Rechenschaft schuldig. Die Ordensritter teilen sich in Großkapitulare, Profeßritter und Ehrenritter; außerdem hat der Orden Priester und Schwestern, welch letztere sich mit Kindererziehung und Krankenpflege befassen. Die Ehrenritter müssen acht Ahnen aufweisen, katholisch sein, 1500 Gulden Eintritt und jährlich 100 Guld. zahlen. Der Orden, welcher sich neuerdings auch die freiwillige Sanitätspflege im Heer zur Aufgabe gemacht hat, stellt seit 1875 an 40 Feldsanitätskolonnen kriegsbereit. Das Ordenszeichen besteht für die drei Klassen in einem schwarz emaillierten, silbergeränderten Kreuz von Gold, gedeckt von blauem Helme mit goldenen Spangen und roter Füllung und fünf Federn, zwei schwarzen zwischen drei weißen, an denen der Ring sich befindet, in welchen sich das breite schwarzseidene Band schlingt, an dem das Kreuz um den Hals getragen wird. Dazu haben sie noch ein schwarzsilbernes emailliertes Kreuz auf der Brust. Der Hoch- und Deutschmeister trägt eine besondere Dekoration auf der Brust und am Hals. Dem Erzherzog Anton folgte 1835 als Hochmeister des Ordens Erzherzog Maximilian, diesem 25. Juni 1863 als 57. Hochmeister Erzherzog Wilhelm, Sohn des Erzherzogs Karl, geb. 1827. Der Deutsche Orden besteht außer in Österreich auch noch in den Niederlanden fort. Die Ballei Utrecht war eine der größern Balleien des Deutschen Ordens in Deutschland und verdankt ihre Begründung Schenkungen der Edelherren Sweder v. Dingede und Sweder v. Ringenberg, welche dem Orden Güter im Bistum Utrecht schenkten. Der erste Landkomtur war Ritter Anton v. Ledersake (gest. 1266). Später hatte die Ballei 15 Komtureien, von denen noch 10 bestehen. Die Reformation entzog die Ballei Utrecht dem Hochmeistertum zu Mergentheim, und die Staaten der Provinz Utrecht gaben dem Orden ein durchaus protestantisches Gepräge. Alle Bemühungen Mergentheims, ihn zurückzugewinnen, waren umsonst. Napoleon hob 1811 auch die Utrechter Ballei auf, König Wilhelm stellte sie jedoch 1815 wieder her. Der Orden hat jetzt einen Landkomtur, Komture und Ritter. Zur Aufnahme gehören vier Ahnen von 200jährigem Adel. Die Mitglieder beziehen die Einkünfte der Ballei. Die Expektanten dürfen ein kleines Kreuz tragen, zahlen aber dafür 760 Guld. zur Ordenskasse. Vgl. Joh. Voigt, Geschichte des Deutschen Ritterordens (Berl. 1857–59, 2 Bde.); Rethwisch, Die Berufung des Deutschen Ordens gegen die Preußen (das. 1868); Perlbach, Preußische Regesten (Königsb. 1875); Ewald, Die Eroberung Preußens durch die Deutschen (Halle 1872–84, 1.–3. Buch); Lohmeyer, Geschichte von Ost- und Westpreußen (Gotha 1880); „Archieven der ridderlijke Duitsche Orde, Balie van Utrecht“, herausgegeben von J. J. de Geer (Utrecht 1871, 2 Bde.); außerdem Nedopil, Deutsche Adelsproben aus dem Deutschen Ordenszentralarchiv (Wien 1868, 3 Bde.).