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MKL1888:Diluvium

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Diluvium“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 978980
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Diluvium. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 978–980. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Diluvium (Version vom 01.12.2024)

[978] Diluvium (hierzu Tafel „Diluvium“), auch Postpliocän, Pleistocän, Quaternär, Quartär genannt (letztere beiden Worte gewöhnlich für D. und Alluvium gemeinschaftlich gebraucht), das alte Schwemmland, eine ebenso weitverbreitete wie wichtige Bildung, da sie den fruchtbaren Boden der Tiefländer, vieler Hochebenen, Thalböden und Thalränder bildet. Der Name D. hat sich aus der Zeit erhalten, in welcher man in den betreffenden Gesteinen die Produkte der letzten großen Überschwemmung der festen Erde (Sintflut) nach den Traditionen der Bibel und den Sagen vieler Völker erblickte. Die Abgrenzung des D. nach unten gegen das Tertiär ist dort erschwert, wo bei der Ablagerung der Diluvialgebilde ein Aufwühlen des tertiären Untergrundes und ein Einpressen neuzugeführten Gesteinsmaterials in schon vorhandene Sande und Mergel stattgefunden hat. Noch schwieriger ist oft die Grenze zu legen zwischen D. und Alluvium. Gilt hier im allgemeinen der Satz, daß alles als Diluvialbildung zu betrachten ist, was nach Lagerung und Bestandteilen nicht mehr auf die Wirkung der heutigen Gewässer, diese selbst in ihrem leistungsfähigsten Zustand gedacht, zurückführbar ist, so läßt dieses allgemeine Kriterium im einzelnen Fall doch oft im Stiche. Am deutlichsten trägt den Charakter veränderter Bildungsbedingungen dasjenige Gesteinsmaterial an sich, welches in Form kleinerer und größerer Blöcke bis zum Inhalt vieler Kubikmeter auf Hoch- und Tiefebenen abgelagert ist und offenbar durch natürliche Agenzien aus fernen Gegenden dorthin transportiert wurde (Findlinge, Wanderblöcke, nordische Geschiebe, erratische Blöcke, erratische Formation). Ein genaueres Studium der Erscheinungen, wie es vorläufig allerdings nur für Europa und Nordamerika durchgeführt ist, hat als transportierenden Faktor das Eis in Form von Gletschern und Inlandeismassen erkennen lassen, während die früher für die Zufuhr des Blockmaterials der norddeutschen Tiefebene aufgestellte Hypothese eines Transports durch Eisberge (Drifttheorie) fast allgemein verlassen ist. In weiterer Konsequenz der Glazialtheorie (vgl. Eiszeit) hat man für Europa drei Hauptzentren der Vergletscherung (Alpen, Skandinavien, Nordbritannien) neben kleinern, von den Mittelgebirgen (Pyrenäen, Vogesen, Schwarzwald, Harz, Karpathen, Kaukasus, Ural etc.) ausgehenden Eisströmen angenommen, welche ein großartiges Gesteinsmaterial, radial ausstrahlend, transportierten. So bedecken alpine Gesteinsfragmente die östlichen Abhänge des Jura, lassen sich im N. bis zur Donau, im S. bis zu den oberitalienischen Seen verfolgen. Skandinavien entstammende Blöcke lagern im nordeuropäischen Tiefland südlich bis zur Rheinmündung, dem nördlichen Rande des Harzes, des Erzgebirges und der Sudeten; im O. sind sie über Finnland bis tief in das übrige europäische Rußland verbreitet. Wie der Transport der alpinen Blöcke nach Süddeutschland eine vollkommene Vereisung des Bodensees voraussetzt, so beweisen die Verhältnisse im N. Europas eine gleiche für die Ostsee. Das oben für Europa unterschiedene dritte Zentrum lieferte eine totale Vergletscherung der englischen Inseln mit Eisbrücken zwischen ihnen, den Hebriden und den Orkneys. In dem Geschiebelehm (Blocklehm, Geschiebemergel, in Schweden krosstenslera, in Dänemark rollstenslera, in England und Amerika boulder clay), einem rauhen Lehm voller Mineralsplitter (Feldspat, Hornblende etc.) und nordischer Geschiebe, ist das zermalmte Material der Grundmoräne jener Gletscher und Inlandeismassen anzusprechen, bei deren Transport der Untergrund mannigfaltig in Mitleidenschaft gezogen wurde. Bald wurde er aufgewühlt, und die Blöcke der Grundmoräne blieben in ihm tief eingedrückt liegen (so besonders schön bei den tertiären Sanden Oberschwabens zu beobachten), bald erscheinen härtere Gesteine geglättet und geschrammt (Kulmsandstein bei Gommern unweit Magdeburg, Porphyre bei Halle und

[Beilage]

[Ξ]

Diluvium.
[oben:] Skelett des Rhinoceros tichorhinus. (Art. Huftiere.)
Schädel der Höhlenhyäne (Hyaena spelaea). (Art. Raubtiere.)
Skelett des Riesenhirsches (Megaceros hibernicus), restauriert. (Art. Huftiere.)
[Mitte:] Schädel des Höhlenbären (Ursus spelaeus), von der Seite.
Schädel des Höhlenbären, von oben. (Art. Raubtiere.)
[unten:] Skelett des Mammuts (Elephas primigenius). (Art. Rüsseltiere.)
Mammut-Zahn, von der Kaufläche.
Mammut (Elephas primigenius), restauriert. (Art. Rüsseltiere.)

[979] Leipzig, Muschelkalk bei Rüdersdorf, Jurakalk in der Schwäbischen Alb etc.), während die Gerölle gelegentlich die Spuren ihres Dienstes als Scheuersteine an sich tragen (geritzte Gerölle). Größere und kleinere Fragmente des Untergrundes wurden herausgerissen und mit dem weiterher stammenden Moränenmaterial verquickt fortgeführt. So gesellen sich in der norddeutschen Tiefebene zu den skandinavischen Gneisen, Graniten, Grünsteinen, Syeniten, Porphyren, Silurgesteinen etc. die Kreidestücke und Feuersteine der deutschen und dänischen Nordküste. Auch die Strudellöcher (Gletschermühlen, Gletschertöpfe, Riesentöpfe, Sölle) im Untergrund oder im Blocklehm selbst sind Produkte der Glazialperiode; so besonders schön die in Mehrzahl bloßgelegten des Gletschergartens zu Luzern, ferner die von Überlingen, Rüdersdorf, die sogen. Sölle in Mecklenburg und Pommern. Nicht selten findet eine Wechsellagerung zwischen mehreren Lagen Blocklehm und geschichtetem Material mit Süßwasser- oder Meereskonchylien statt. Das letztere ist die durch Flußläufe oder einbrechendes Meer aufbereitete und geschlämmte Grundmoräne, und die Bildung dürfte auf ein zeitweilig eintretendes Zurückweichen der Gletscher beziehbar sei, wie auch unsre Gletscher solche Perioden des Anschwellens und der Abnahme zeigen (s. Gletscher), wird aber von vielen Geologen als Signal einer mehrfach wiederholten Eisperiode, durch interglaziale Zeiträume unterbrochen, gedeutet. An einzelnen Stellen (Uznach in der Schweiz, Morschweiler am Bodensee, Sonthofen im Algäu) beobachtet man kohleführende Schichten zwischen zwei Grundmoränen eingeschaltet. Als Produkte der Gletscherthätigkeit, welche bei dem allmählichen Rückzug des Eises gegen Ende der Glazialperiode zur Ablagerung kamen, sind die mitunter meilenweit zu verfolgenden, bogenförmige Hügel bildenden Blockanhäufungen zu betrachten, welche den Charakter der Stirn- oder Endmoränen, oft zu mehreren untereinander parallelen Zügen angeordnet, noch deutlich an sich tragen (Oberschwaben, Oberbayern, Oberitalien, Mecklenburg, Pommern, Preußen). Auch die vielfach gedeuteten Asar (Singular: As), bis 60 m hohe Bergzüge des mittlern Schweden, aus grob geschichteten Sanden und Geröllen aufgebaut, dürften ähnliche, vielleicht durch Wasserläufe später teilweise umgearbeitete Gebilde sein. Verbreiteter als solche Blockanhäufungen ist der sogen. Decksand (Geschiebesand, Rullsteensand), ein bald als gleichmäßige Decke, bald Hügel bildend abgelagerter Sand mit eingestreuten Blöcken. Unter lokalen Verhältnissen entstanden ferner hier und da während der Diluvialperiode Kalktuffe (so an mehreren Stellen Thüringens, im Mainthal, bei Kannstatt unweit Stuttgart) und Knochenbreccien in Höhlen (Fränkischer Jura, Schwäbische Alb, Dechenhöhle in Westfalen, Kirkdale-, Kentshöhle und andre in England, mehrere im südlichen Frankreich) sowie in Spalten der Kalksteingebirge an den spanischen, französischen, italienischen und griechischen Küsten des Mittelmeers. Von größter Verbreitung endlich ist der jungdiluvianische, postglaziale Löß, dessen mächtige Ablagerungen teils den Flußthälern folgen, teils auf flachen Hochebenen sich hinziehen. Die verschiedenen Ansichten über seine Bildung sind im Artikel „Löß“ erörtert.

Die organischen Reste der ältern Diluvialzeit tragen in vollkommener Übereinstimmung mit den für die Gesteinsprodukte vorausgesetzten Bildungsbedingungen einen nordischen Charakter, selbst an verhältnismäßig südlich gelegenen Fundstellen. Von Pflanzen werden nordische Hypnum-, Weiden- und Birkenformen, von Tieren Renntier, Eisfuchs, Lemming, Halsbandlemming etc. in Mittel- u. Südeuropa gefunden, und daß auch Mammut (s. Tafel „Diluvium“) und Rhinoceros tychorhinus (s. Tafel) einer nordischen Fauna zuzuweisen sind, obgleich ihre nächsten Verwandten von heute in warmen Zonen leben, beweisen die Funde im Diluvialeis Sibiriens: beide Tiere waren mit dichtem Wollhaar bedeckt, und zwischen den Zähnen des Mammuts fanden sich zermalmte Reste nordischer Pflanzen, welche dem Tier zur Nahrung gedient hatten. Besonders reiche Schätze von tierischen Resten liefern die Höhlen. In Süddeutschland ist der Höhlenbär (s. Tafel) neben Höhlenhyäne, Rhinozeros (s. Tafel), Hirsch etc. vorherrschend, in England die Höhlenhyäne, während die Bären an Individuenzahl zurücktreten. Die südfranzösischen Höhlen bergen besonders zahlreiche Renntierreste. Der mächtige Riesenhirsch mit seinem weit ausladenden Geweih, den unsre Tafel darstellt, entstammt den diluvialen Torfmooren Irlands. Eine eigentümliche Fauna ist im Löß begraben: neben Landschnecken, unter denen Pupa muscorum, Helix hispida und Succinea oblonga besonders charakteristisch sind, zahlreiche Repräsentanten einer Steppenfauna, so Antilopen, Wühlratten, Zieselmäuse, Zwergpfeifhasen, Pferdespringer etc. Daß in diesen Funden eine schwerwiegende Bestätigung der neuerdings aufgestellten Hypothese einer Bildung des Lößes durch Staubstürme liegt, ist im Artikel „Löß“ näher besprochen. Endlich sind die Riesenformen, welche die früher dem Tertiär zugezählten Pampasthone Südamerikas einschließen, ebenfalls diluvialen Alters. Die Tafel „Tertiärformation II“ stellt ein Gürteltier (Glyptodon) und die Faultiere Megatherium und Mylodon dar, sämtlich Riesenformen von in der jetzigen Schöpfung nur durch viel kleinere Spezies vertretenen Typen. Das größte Interesse knüpft sich aber an die menschlichen Reste an, welche beweisen, daß der Mensch schon während des ältern D. im Kampf mit den Tieren der Eisperiode gelebt hat. Selten sind die Funde von Skelettteilen, unter ihnen die aus dem Neanderthal bei Düsseldorf, ferner bei Lüttich, bei Aurignac (Haute-Garonne) und Abbeville (Somme, Picardie), die bekanntesten. Viel häufiger sind die Spuren menschlicher Thätigkeit nachweisbar. Hierher gehören die Abbildungen der Tiere der Eiszeit (Mammut, auf einer Elfenbeinplatte eingeritzt, in der Landschaft Périgord, Dordogne, gefunden; rohe, in Horn ausgeführte Schnitzereien, Moschusochsen und Pferde darstellend, aus dem Keßler Loch bei Thayingen unweit Schaffhausen), die zu Instrumenten und Waffen umgestalteten Knochen, die bearbeiteten Feuersteine, die behufs Gewinnung des Marks zerschlagenen Knochen, die aufgehäuften Küchenabfälle, von Ruß geschwärzte Schiefer- und Thonplatten. Auch Fußspuren, welche mit zweifellos von Mammuten herrührenden und solchen von Pferden und Vögeln in verhärteten Thon eingedrückt zu Carson City, Nevada, sich vorgefunden haben, werden ziemlich allgemein als von Menschen stammend gedeutet. Diese und andre Beobachtungen haben die Existenz des Menschen schon während des D. unumstößlich bewiesen, während alle Funde, die auf noch ältere Perioden gedeutet worden sind, als mindestens noch zweifelhaft bezeichnet werden müssen. Als Beispiel der lokalen Gliederung des D. mögen die Schichtenfolgen dienen, welche Credner in Sachsen und Berendt in der Mark Brandenburg unterscheiden. Der erstere beobachtete (von unten nach oben): Bänderthon, lokal in Wechsellagerung mit Flußschotter; Geschiebelehm und Geschiebemergel, hier [980] und da mit Sand abwechselnd, bisweilen auf deutlich geschrammten Gesteinen ruhend; Geschiebedecksand, meist Hügel bildend. Berendt führt an (ebenfalls von unten nach oben): Glindower Thon, mit Sand und Grand sowie mit der nächsten Etage mitunter wechsellagernd; unterer Geschiebemergel; Diluvialsand mit Resten von Mammut, Rhinozeros etc.; oberer Geschiebemergel; Decksand, oft mit Geröllen von eigentümlich pyramidaler Gestalt (sogen. Dreikantern). – Die vulkanische Thätigkeit lieferte während der Diluvialperiode ein mit demjenigen der heutigen Vulkane vollkommen übereinstimmendes Material und war in vielen Fällen auch an dieselben Stellen geknüpft, so daß die ältesten Eruptionen der noch jetzt thätigen Vulkane schon während der Zeit des D. erfolgt sind (vgl. Vulkane). Vgl. die Tafeln „Diluvium“ und „Tertiärformation II“.

Die Litteratur über das D. ist sehr zerstreut in einer großen Anzahl kleinerer Abhandlungen; besonders anzuführen sind die Begleitworte zu den geologischen Spezialkarten Preußens und Sachsens, soweit die Sektionen das norddeutsche Tiefland zum Vorwurf haben. Außerdem vergleiche die Litteraturangaben unter „Eiszeit“ und „Löß“.