MKL1888:Elektrische Eisenbahn

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Elektrische Eisenbahn“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 513515
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Elektrische Eisenbahn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 513–515. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Elektrische_Eisenbahn (Version vom 19.04.2021)

[513] Elektrische Eisenbahn,[WS 1] Transportsystem, bei welchem auf gewöhnlichen eisernen Schienen laufende Wagen durch eine dynamoelektrische Maschine fortbewegt werden. Die erste leistungsfähige e. E. wurde 1879 auf der Gewerbeausstellung zu Berlin von Siemens u. Halske ausgeführt. Auf schmalem Geleise bewegte sich ein Zug von drei kleinen offenen Wagen mit einer dynamoelektrischen Maschine, und die Übertragung der Kraft von der durch eine stationäre Dampfmaschine getriebenen primären dynamoelektrischen Maschine auf die als Motor dienende sekundäre Maschine erfolgte durch die Schienengeleise. Zu diesem Zweck war eine mittlere isolierte Zuleitungsschiene in Form eines aufrecht stehenden Flacheisens angebracht, während die Laufschienen zur Rückleitung des Stroms dienten. Als erste für den öffentlichen Verkehr bestimmte e. E. wurde von Siemens u. Halske die Strecke zwischen dem Bahnhof Lichterfelde an der Anhalter Bahn bei Berlin und der Zentralkadettenanstalt erbaut und 1881 dem Betrieb übergeben. Die Lichterfelder Bahn ist 2,6 km lang und wurde nach den allgemeinen Bestimmungen für Eisenbahnen niederer Ordnung konzessioniert. Für den elektrischen Strom dient die eine Schiene als Hinleitung, die andre als Rückleitung. Die Isolation der Schienen ist dabei vernachlässigt worden, infolgedessen arbeitet die Bahn mit einem beträchtlichen, übrigens durch Versuche und Berechnungen im voraus bekannten Stromverlust, welcher insbesondere aus den im Niveau der durchschnittenen Straßen liegenden Strecken resultiert, wo der Strom, namentlich bei feuchtem Wetter, zum Teil von der einen Schiene durch den Sand zur andern Schiene, bez. zur Erde geht. Um so mehr ist es anzuerkennen, daß die Lichterfelder elektrische Bahn seit ihrer Betriebseröffnung ohne wesentliche Störungen bisher mit größter Regelmäßigkeit ihren Dienst verrichtet hat. Der elektrische Wagen macht seine Touren im Anschluß an sämtliche Personenzüge der Anhalter Bahn. Er soll mit der konzessionell zulässigen Geschwindigkeit von 20 km fahren. Er kann jedoch 35 bis 40 km Geschwindigkeit erreichen, wenn bei normalem Betrieb der Maschine nichts zur Mäßigung der Geschwindigkeit geschieht.

Fig. 1.
Wagen der elektrischen Eisenbahn bei Lichterfelde.

Die elektrische Lokomotivmaschine entwickelt bei einem Eigengewicht von ungefähr 500 kg etwa 51/2 Pferdekräfte.

Der Betrieb dieser Bahn wird in folgender Weise bewirkt. Eine durch Maschinenkraft in Umdrehung versetzte primäre dynamoelektrische Maschine überträgt den von ihr erzeugten elektrischen Strom auf eine an dem Eisenbahnwagen angebrachte sekundäre dynamoelektrische Maschine, die dadurch ihrerseits in Umdrehung versetzt wird und durch passende Vorrichtungen ihre Bewegung den Rädern des Wagens mitteilt. Der Wagen ist demjenigen einer gewöhnlichen Pferdebahn durchaus ähnlich; die elektrische Maschine ist zwischen den Rädern unterhalb des Fußbodens angebracht, arbeitet geräuschlos, ist kaum sichtbar und macht sich durch nichts äußerlich bemerkbar. Eine Abbildung des Wagens in Seitenansicht gibt Fig. 1. Von den Schienen wird der elektrische Strom zu den mit ihnen in steter Berührung befindlichen Radkränzen der Wagenräder geführt. Vermöge der Verwendung von Holzscheibenrädern sind die Radkränze von den Achsen isoliert. Dagegen stehen die Radkränze mit um die Achse gelegten isolierten Schleifkontaktringen in leitender Verbindung; auf diesen schleifen (aus der Zeichnung nicht ersichtliche) Metallfedern, welche die unmittelbare Verlängerung der beiden Pole der zwischen den Wagenrädern liegenden [514] elektrischen Lokomotivmaschine sind, derart, daß die Schleiffedern der einen Wagenseite, bez. der einen Schiene mit dem einen und die der andern Wagenseite mit dem andern Ende des Umwindungsdrahts der sekundären Betriebsmaschine in stets leitender Verbindung stehen. Durch diesen Umwindungsdraht wird also die leitende Verbindung zwischen beiden Schienen hergestellt, und es wird dadurch bewirkt, daß die Maschine beim Durchgang eines elektrischen Stroms sich in Umdrehung versetzt. Diese Drehung wird durch stählerne Transmissionsschnüre auf die Wagenräder übertragen; der Wagen wird mithin so lange in Bewegung gesetzt, wie der Stromkreis geschlossen ist. Die Einleitung und Unterbrechung des elektrischen Stroms geschieht durch Drehung einer Kurbel, die sich auf jedem Wagenperron zur Hand des Wagenführers befindet. Vermittelst einer Umsteuerung, durch welche der Strom entweder im positiven oder negativen Sinn durch die Umwindungsdrähte geführt wird, kann der Wagen nach Belieben entweder vorwärts oder rückwärts bewegt werden. Versuche auf der Lichterfelder Bahn haben dargethan, daß die Fortbewegung mehrerer Wagen in beliebigen Abständen voneinander durch eine und dieselbe Elektrizitätsquelle auf den elektrischen Eisenbahnanlagen keinen Schwierigkeiten unterliegt.

Ende 1881 wurde in der Nähe Berlins eine zweite e. E. zwischen Charlottenburg und dem Spandauer Bock unter Benutzung der Pferdebahngeleise dem Betrieb übergeben, welche in der Stromzuführung wesentliche Verschiedenheiten von der Lichterfelder Bahn aufwies. Die Stromzuleitung erfolgte ursprünglich, wie sich aus der schematischen Darstellung in Fig. 2 und 3 ergibt, nicht durch die Schienen, sondern durch Herstellung einer doppelten Drahtseilleitung auf Isolatoren besonderer Form an Telegraphenstangen.

Fig. 2 Fig. 3.
Fig. 2. u. 3. Wagen der elektrischen Eisenbahn bei Charlottenburg.

Auf der Drahtseilleitung lief ein kleiner Kontaktwagen, der durch ein mit doppelten Leitungsdrähten versehenes Leitungsseil, welches zugleich den kleinen Kontaktwagen mit sich zog, die Verbindung mit den beiden Drahtenden der dynamoelektrischen Maschine herstellte. Aus dieser Einrichtung ergaben sich jedoch Schwierigkeiten, indem bei Biegungen der Straße der Kontaktwagen nicht mit genügender Sicherheit die Leitungsseile berührte. Man brachte daher, nach dem Vorgang von Siemens Frères in Paris, an Stelle der Drähte geschlitzte, von Isolatoren getragene und mittels Tragseilen an den Stangen aufgehängte Röhren von 25 mm lichter Weite an, in welchen Kontaktschiffchen von der in Fig. 4 dargestellten Konstruktion durch das Leitungsseil gleitend fortgeführt wurden.

Fig. 4.
Kontaktvorrichtung.

Das Schiffchen besteht aus vier federnden Kontaktknöpfen S1, S2, S3, S4, welche auf einem Kupferdrahtseil befestigt und von denen S1 und S4 an eine Stahlschiene T festgenietet sind; von Z und M aus führt das Leitungsseil zum Wagen. Diese Einrichtung entspricht derjenigen, welche von der Firma Siemens Frères auf der Pariser Elektrizitätsausstellung für die von ihr erbaute e. E. zwischen dem Industriepalast und dem Concordiaplatz gewählt worden war, und die sich dort bewährt hatte. Die Bahn Charlottenburg-Spandauer Bock ist übrigens nur als Versuchsanlage benutzt worden, um das Verhalten der Konstruktionsteile auch unter ungünstigen Witterungsverhältnissen, namentlich bei Schnee und Eis, zu erproben. Nachdem die erzielten Ergebnisse auch hier zur Zufriedenheit ausgefallen waren, wurde der elektrische Betrieb der genannten Strecke 1883 eingestellt und das dort erprobte System beim Bau der im April 1884 vollendeten, 6,6 km langen elektrischen Eisenbahn zwischen Frankfurt a. M. und Offenbach zur Anwendung gebracht.

Grubenbahnen mit elektrischem Betrieb sind von Siemens u. Halske in den königlich sächsischen Bergwerken zu Zaukerode und der Hohenzollerngrube bei Beuthen hergestellt worden. Die elektrische Grubenbahn in Zaukerode ist 700 m lang und befindet sich in einer Tiefe von 260 m unter der Erdoberfläche. Wegen der geringen Breite der zu befahrenden Gänge mußte die elektrische Lokomotive in verhältnismäßig kleinen Abmessungen gehalten werden; trotzdem befördert dieselbe eine Last von 8000 kg mit einer Geschwindigkeit von 12 km in der Stunde. Zur Erzeugung des Stroms dient eine außerhalb der Grube aufgestellte und mittels einer kleinen Cylinderdampfmaschine betriebene dynamoelektrische Maschine. Der Strom wird durch ein Kabel den oberhalb des Ganges befestigten, aus T-Eisen gebildeten Leitungsschienen zugeführt und gelangt durch Vermittelung kleiner, auf diesen Schienen gleitender Kontaktschlitten, die [515] von der Lokomotive an Leitungsseilen mitgezogen werden, in die dynamoelektrische Maschine der Lokomotive. Ähnliche Einrichtung hat die doppelgeleisige Bahn der Hohenzollerngrube bei Beuthen erhalten.

Außer den beschriebenen sind noch eine große Anzahl elektrischer Eisenbahnen im In- und Ausland teils fertig gestellt, teils im Bau begriffen. Die Vorzüge des elektrischen Bahnbetriebs sind kurzgefaßt etwa folgende: Der zum Betrieb erforderliche Motor (Dampf- oder Luftmaschine) befindet sich nicht auf dem Wagen und braucht somit nicht als tote Last beständig mitgeschleppt zu werden. Hierdurch wird der Wagen leichter und kann auch selbst leichter gebaut werden. Es genügt demnach wieder eine geringere Betriebskraft, wie auch der Bahnunterbau (Schienen, Schwellen, Brücken etc.) wieder entsprechend leichter sein kann. Die elektrische Betriebsmaschine im Wagen besitzt gegen ihre Leistung nur ein verhältnismäßig sehr geringes Gewicht, kann direkt in jedem Wagen angebracht werden und führt keine Gefahr oder irgend welche Unbequemlichkeit herbei. Das geringe Wagengewicht gestattet ein leichtes und rasches Anhalten und Bremsen des Wagens. Die Verwendung von stationären Dampfmaschinen bietet ferner den Vorteil, daß nicht allein die Kesselheizung, sondern auch die Dampfverwendung eine vorteilhaftere ist und besonders günstig erscheint, wenn von einer größern Dampfkraft der Betrieb der Stromerzeugungsmaschine abgezweigt wird. Kann man aber eine vorhandene Wasserkraft benutzen, welche durchaus nicht in der nächsten Nähe der Bahn zu liegen braucht, so kann man durch Vermittelung der Elektrizität, ohne Aufwand von Brennmaterial, Bahnen betreiben, wie dies auf keine andre Weise möglich ist. Es ist hierin ein weiterer und ganz besonderer Vorzug des elektrischen Bahnbetriebs zu suchen. Bei zweigeleisigen Bahnen kann dieselbe stromerzeugende dynamoelektrische Maschine beide Geleise mit Kraft versorgen. Daß bei passender Einrichtung auf demselben Geleise zwei oder mehrere Wagen zu Zügen kombiniert werden oder mit Intervallen hintereinander fahren können, wurde bereits erwähnt. Endlich ergibt sich aus dem Wegfall der rauchenden Lokomotive ein nicht zu unterschätzender Vorzug des elektrischen Betriebes, der ihn namentlich für Stadtbahnen und Grubenbahnen vorzugsweise geeignet erscheinen läßt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. den Nachtrag zum Artikel in Band 18: Elektrische Eisenbahnen