MKL1888:Euböa

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Euböa“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 896897
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Euböa. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 896–897. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eub%C3%B6a (Version vom 12.06.2023)

[896] Euböa (neugriech. Evvia oder Egripos, bei den Italienern Negroponte), griechische, besonders im Altertum wichtige Insel im Ägeischen Meer, dicht an der Ostküste von Mittelhellas (s. Karte „Griechenland“), hat 3681 qkm (66,85 QM.) Flächeninhalt und eine schmale, langgestreckte Gestalt. Sie mißt von dem nördlichen Vorgebirge Pondikonisi (dem alten Artemision, s. d.) bis zur Südspitze Mantelo (dem alten Gerästos) 158 km Länge; ihre größte Breite von 40 km hat sie beim Euripos oder der Meerenge von Negroponte. Im NW. wird E. durch den Kanal von Trikeri von der Südküste Thessaliens, im W. durch den Kanal von Negroponte und den Kanal von Talanti (im Altertum Euböisches Meer) und die Meerenge Euripos vom Festland (Attika, Böotien und Lokris) geschieden. Die Gebirge von E. gliedern sich in drei Gruppen und teilen die Insel in drei Teile, welchen die politische Einteilung in Eparchien entspricht. In der Mitte (Eparchie Chalkis) erhebt sich, nahe der Ostküste, bis zu 1745 m das meist aus Thonschiefer bestehende Dirphysgebirge (jetzt Delphis), dessen Abhänge noch heute reich mit Kiefern, Tannen, Kastanien und Platanen bewachsen sind. Von ihm gegen NO. in der Eparchie Karystia zieht sich das Mavrovunigebirge (1122 m), welches beim Städtchen Kumi (ehemals Kyme) bedeutende Braunkohlenlager hat. Im S. liegt der Ocha (Hagios Ilias, 1404 m), aus Glimmerschiefer bestehend, doch in seinen höhern Teilen weißen, grün gestreiften Marmor (Cipollino) bergend, welcher für die Bauten des kaiserlichen Rom gesucht war. Der im Altertum hier gefundene Asbest scheint erschöpft zu sein. Die alten Anwohner des Ocha trieben starke Purpurfischerei und, wie die Schlackenhalden zeigen, Bergbau auf Eisen und Kupfer. Der Norden von E., dessen äußerster Teil die Eparchie Xerochori einnimmt, ist wohlbewaldet und wasserreich und von den Verzweigungen des 970 m hohen Glimmerschiefergebirges Galzades erfüllt, welches unter dem Namen Telethrion bei den Alten wegen seiner vielen Arzneipflanzen berühmt war. Außerdem erhebt sich zwischen letzterm und dem Dirphys dicht an der Westküste bis zu 1209 m Höhe das Makistos- (jetzt Kandili-) Gebirge. Im N. beim heutigen Dipso, dem alten Aidepsos, befinden sich warme, schwefelhaltige Quellen, welche heute wie in römischer Zeit von Hautkranken, Gichtischen etc. viel besucht sind. Nach O. stürzt E. steil ab, die Küste ist mit Felsenriffen und berüchtigten Klippen umgürtet und hat wenig Landungsplätze. Die Westseite der Insel fällt allmählicher ab und enthält schöne Wälder und jene fruchtbare, von spiegelklaren Flüßchen bewässerte Ebene Lelanton, welche im Altertum E. zu Athens Kornkammer machte und noch jetzt Getreide, Öl, Feigen und Wein im Überfluß hervorbringt. Ein Fluß von Bedeutung ist nicht vorhanden. Eine Hauptbeschäftigung der Bewohner (1879: 81,742), die ein schön gestalteter, kräftiger und heiterer Menschenschlag sind, bildet die Zucht von Schweinen, Schafen und Ziegen, die in den kräuterreichen Bergtriften und in den Thälern vortreffliche Nahrung finden. Auch sehr geschätzter Honig kommt in den Handel. Während der Norden und die Mitte der Insel nur von Griechen bewohnt werden, ist die Bevölkerung des Südens (von Aliveri und Avlonari an) aus Griechen und Albanesen gemischt. Mit den Inseln Skyros, Skiathos, Skopelos, Chilidromi u. a. bildet E. einen Nomos des Königreichs Griechenland, der auf 4199 qkm (76,2 QM.) 1879: 95,136 Einw. zählte und in die vier Eparchien Chalkis, Xerochori, Karystia und Skopelos zerfällt. Vgl. Baumeister, Topographische Skizze der Insel E. (Lüb. 1864).

Als die ältesten Bewohner Euböas werden die illyrischen Abanten, im N. die Hestiäer und Hellopen und im S. am Ochagebirge die Dryoper genannt. Um 1100 v. Chr. wanderten die Ionier ein, welche sich über die ganze Insel ausbreiteten, und deren Sprache auch von den Ureinwohnern angenommen wurde. Der Handel war schon in früher Zeit blühend und wurde durch zahlreiche Kolonien auf der Halbinsel Chalkidike, an der thrakischen Küste, in Italien (Cumä, Rhegium) und auf Sizilien befördert. Die Fruchtbarkeit des Landes und die Industrie der Einwohner, welche ihr Kupfer und Eisen selbst verarbeiteten, lieferten den Schiffen ihre Ladung. Dank der weiten Verbreitung der euböischen Handelsunternehmungen erhielten die euböischen Münzen allgemeine Anerkennung. Künste und Wissenschaften standen in hoher Achtung. Man rühmte sich des Philosophen Menedemos, welcher die euböische Schule gründete, und des Aristoteles, welcher sich lange Zeit auf der Insel aufhielt und in Chalkis starb. Von den 70 Städten und Ortschaften, deren Diodoros von Sizilien gedenkt, waren Karystos an der Südküste (durch seinen Marmor und Asbest berühmt), Chalkis und Eretria die wichtigsten; zwischen letztern herrschte lange ein Streit über den Besitz des Lelantischen Gefildes. Dann folgten die Chalkidier der Hegemonie der Spartaner. Von Handelseifersucht aufgereizt, unternahmen die Chalkidier im Bund mit Sparta und Theben 507 einen Kriegszug [897] gegen Athen, wurden aber besiegt, worauf die Athener sich der Stadt Chalkis bemächtigten und 4000 Kolonisten dort ansiedelten. Dankbarkeit für die frühere Hilfe bewog 499 die Einwohner von Eretria, den Ioniern gegen Persien Hilfe zu senden, was zur Folge hatte, daß Dareios 490 die Stadt zerstören und die Einwohner in die Gegend von Babylon versetzen ließ. Seit den Perserkriegen stand E. unter athenischer Herrschaft, eine Empörung wurde von Perikles 445 unterdrückt. 411 fiel die Insel von ihnen ab, wurde nach dem Peloponnesischen Krieg von Sparta, dann aber wieder von Athen abhängig, welches um 376 die ganze Insel abermals beherrschte. Nach der Schlacht bei Leuktra schlossen sich die Euböer den Thebanern an und unterstützten diese gegen Sparta. Als Eretria um 358 von andern Städten Euböas und den Thebanern bedroht wurde, suchte es Hilfe in Athen. Darauf vertrieben die Athener die Thebaner von der Insel, ohne sie selbst behaupten zu können. Seit dieser Zeit wechselte die Herrschaft fortwährend unter Bürgerkriegen und fremden Eingriffen. Endlich erhob sich wieder eine große Anzahl Tyrannen, welche meist durch den König Philipp von Makedonien unterstützt wurden, der jedoch Teile der Insel selbst besetzte, bis die Schlacht bei Chäroneia 338 sie ihm mit dem übrigen Griechenland unterwarf. 194 von den Römern für frei erklärt, bildeten die Städte der Insel einen unabhängigen Bund, der sich bis 146 behauptete, wo E. dem römischen Reich einverleibt wurde. 1204 n. Chr. wurde die Insel den Byzantinern entrissen und kam zunächst unter die Herrschaft lombardischer Großen, die am vierten Kreuzzug teilgenommen hatten; doch erlangte die Republik Venedig bald die Oberhoheit und um 1351 die ausschließliche Herrschaft über E. Unter türkische Herrschaft kam die Insel 1470 und blieb unter derselben, bis sie 1821 auf den Ruf der Modena Maurogenia das Banner der Freiheit erhob. Später ward sie dem neugebildeten Königreich Griechenland einverleibt.