MKL1888:Farbenzerstreuung

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Farbenzerstreuung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 3638
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Farbenzerstreuung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 36–38. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Farbenzerstreuung (Version vom 10.03.2024)

[36] Farbenzerstreuung (Dispersion). Durch eine kleine Öffnung b (Fig. 1) des Fensterladens lasse man ein Bündel Sonnenstrahlen in ein verdunkeltes

Fig. 1.
Entstehung des Spektrums.

Zimmer eintreten und bedecke die Öffnung mit einem roten Glas. Das Strahlenbündel ist nun rot gefärbt und erzeugt auf einem in seinen Weg gestellten weißen Papierschirm einen hellen roten Fleck bei d. Stellt man nun ein keilförmig geschliffenes Glasstück oder Prisma (bei s im Grundriß dargestellt) in den Weg des Lichtbündels, so wird dieses von der Kante des Keils weg nach dessen dickem Teil zu gebrochen, und der rote Lichtfleck erscheint auf dem Schirm bei r seitwärts von d. Bedeckt man die Öffnung mit einem violetten Glase statt mit einem roten, so erscheint auf dem Schirm der violette Lichtfleck v weiter zur Seite geschoben als vorhin der rote, und nehmen wir grünes Glas, so erscheint jetzt der grüne Lichtfleck zwischen den beiden Stellen r und v, an welchen der rote und der violette erschienen waren. Daraus geht hervor, daß verschiedenfarbige Lichtarten durch das Prisma verschieden stark gebrochen werden und zwar das grüne Licht stärker als das rote, das violette Licht stärker als das grüne. Läßt man nun ohne Anwendung eines farbigen Glases das weiße Sonnenlicht auf das Prisma fallen, so gewahrt man auf dem Schirm ein prachtvolles, von r bis v sich erstreckendes farbiges Band, welches rot ist an der Stelle, wo vorhin der rote Fleck hinfiel, und violett, wo der violette Fleck sich gezeigt hatte, und in welchem von r bis v der Reihe nach die Farben Rot, Orange, Gelb, Grün, Hellblau, Dunkelblau, Violett wahrgenommen werden. Dieses Farbenband wird Spektrum genannt. Aus diesem Versuch muß geschlossen werden, daß das weiße Sonnenlicht aus verschiedenfarbigen Lichtstrahlen zusammengesetzt ist; diese werden durch das Prisma verschieden stark gebrochen, und zwar in der Reihenfolge vom Rot bis zum Violett immer stärker, und, indem sie nach den ihrer Brechbarkeit entsprechenden verschiedenen Stellen des Schirms gelangen, voneinander getrennt. Diese Zerlegung des weißen oder überhaupt des zusammengesetzten Lichts in seine verschiedenfarbigen Bestandteile vermöge deren verschiedener Brechbarkeit nennt man F. oder Dispersion. Die einzelnen Farben des Spektrums sind nicht weiter zerlegbar;

Fig. 2.
Unzerlegbarkeit der Farben des Spektrums.

denn fängt man das Spektrum auf einem mit einem kleinen Loch versehenen Schirm AB (Fig. 2) auf, so daß nur die Strahlen einer Farbe durch dasselbe dringen, so werden diese durch ein zweites Prisma p bloß abgelenkt, nicht aber von neuem zu einem Spektrum ausgebreitet. Die Farben des Spektrums sind sonach nicht weiter zerlegbar und werden deshalb einfache oder homogene (auch monochromatische) Farben genannt. Jeder einfachen Farbe entspricht eine bestimmte Brechbarkeit und ist hierdurch eine bestimmte Stelle im Spektrum angewiesen. Es gibt so viele einfache Farben, als es im Bereich des Spektrums Brechbarkeiten gibt, nämlich unzählig viele, welche sich in unmerklichen Übergängen zu einem ununterbrochenen Farbenband aneinander schließen; die oben aufgezählten sieben Farben sind nur die Hauptfarbentöne, welche unser Auge unterscheidet. Wenn das weiße Licht eine Mischung ist aus den verschiedenfarbigen Strahlen des Spektrums, so müssen dieselben, wenn man sie wieder zusammenfaßt, weißes Licht geben; in der That, läßt man das Spektrum auf eine große Sammellinse l (Fig. 3) fallen, so vereinigt dieselbe den von dem Prisma s ausgehenden farbigen Strahlenfächer auf einem Schirm bei f zu einem weißen Lichtfleck. Der Lichtfleck hört aber sofort auf, weiß zu sein, wenn man eine der Farben aus dem Gemisch wegläßt. Bringt man z. B. ein schmales, schwach keilförmiges Glasstück vor die Linse und fängt damit z. B. die roten Strahlen des Farbenfächers auf, so werden diese zur Seite gelenkt und erzeugen auf dem Schirm seitwärts von f ein rot gefärbtes Bild; das Bild f, in welchem sich jetzt noch die gelben, grünen, blauen und violetten Strahlen [37] vereinigen, zeigt nun eine grünliche Mischfarbe. Jener rote und dieser grünliche Farbenton müssen, miteinander gemischt (was augenblicklich in dem Punkt f geschieht, wenn man den kleinen Glaskeil wieder entfernt oder durch einen zweiten gleichen, aber entgegengesetzt wirkenden Glaskeil die seitwärts gebrochenen roten Strahlen wieder nach f lenkt), wieder Weiß geben; denn der eine enthält gerade diejenigen Strahlenarten, welche dem andern zu derjenigen Mischung, die uns als Weiß erscheint, noch fehlen. Zwei Farben, welche in dieser Art sich zu Weiß ergänzen, nennt man Ergänzungsfarben oder komplementäre Farben. Indem man das Glaskeilchen allmählich durch die ganze Länge des Spektrums schiebt, werden immer andre Farben zur Seite gelenkt, und die beiden Bilder auf dem Schirm zeigen nach und nach eine ganze Reihe komplementärer Farbenpaare. Man findet auf diese Weise, daß rote und grüne, gelbe und blaue, grünlichgelbe und violette Farbentöne sich gegenseitig zu Weiß ergänzen.

Wird das Spektrum in der oben angegebenen Weise erzeugt, indem man ein durch ein kleines Loch eingelassenes Bündel Sonnenstrahlen durch ein Prisma ablenkt, so erhält man die einfachen Farben nicht vollkommen voneinander getrennt; da nämlich jede einfache Farbe ihr eignes Sonnenbild erzeugt, welches der zugehörigen Brechbarkeit entsprechend abgelenkt ist, so greifen diese Sonnenbilder wegen ihrer runden Gestalt mit ihren Rändern übereinander und vermischen sich teilweise. Um ein reines Spektrum zu entwerfen, läßt man die Strahlen durch einen schmalen Spalt auf eine von ihm um mehr als ihre Brennweite entfernte Sammellinse fallen, welche für sich auf einem in geeigneter Entfernung aufgestellten Schirm ein scharf gezeichnetes Bild des Spaltes entwerfen würde; dicht vor oder hinter die Linse stellt man das Prisma so, daß seine Kante mit dem Spalt parallel ist. Jeder einfachen Farbe entspricht alsdann ein abgelenktes Bild des Spaltes, und indem sich die unzähligen schmalen Spaltbilder nebeneinander legen, werden sie um so weniger übereinander greifen und sonach ein um so reineres Spektrum bilden, je schmäler der Spalt ist. Ein reines Spektrum erblickt man auch, wenn man durch ein Prisma, sei es mit bloßem Auge, sei es durch ein Fernrohr, nach einem engen Spalt sieht, welcher mit der Kante des Prismas parallel ist. Betrachtet man aber auf diese Weise eine weite Öffnung, so würde, wenn man sich dieselbe in lauter schmale, zur Kante des Prismas parallele Streifen zerlegt denkt, jeder dieser Streifen für sich ein Spektrum geben; indem sich diese Spektren übereinander legen, entsteht ein in die Länge gezogenes Bild der Öffnung, welches am weniger abgelenkten Ende rot, am stärker abgelenkten violett, in der Mitte aber, wo sich sämtliche Farben mischen, weiß ist.

In einem auf diese Weise dargestellten reinen Sonnenspektrum gewahrt man eine Reihe feiner,

Fig. 3.
Wiedervereinigung der Farben des Spektrums.

dem Spalt paralleler dunkler Linien, welche man nach Fraunhofer, der sie zuerst genauer untersuchte, Fraunhofersche Linien nennt. Sie sind in ungleichen Abständen über das ganze Spektrum verteilt; viele sind sehr fein und schwieriger wahrnehmbar,

Fig. 4.
Sonnenspektrum mit den Fraunhoferschen Linien.

andre sind kräftiger und fallen leichter ins Auge. Ihre Entstehung ist von dem Stoff des Prismas unabhängig, denn sie zeigen sich mit gleichem Aussehen und in gleicher Anordnung in jedem Sonnenspektrum; sie sind sonach nichts andres als schmale Lücken in der Farbenreihe des Spektrums, aus deren Vorhandensein geschlossen werden muß, daß die ihnen entsprechenden einfachen Lichtarten im Sonnenlicht fehlen. Sie bilden innerhalb der allmählichen Farbenübergänge des Spektrums willkommene Merkzeichen, welche immer denselben einfachen Lichtarten entsprechen und uns in den Stand setzen, jede Stelle des Spektrums bestimmt zu bezeichnen und jederzeit mit Sicherheit wieder aufzufinden. Fraunhofer hat acht der hervorragendsten mit den Buchstaben A bis H bezeichnet (Fig. 4). Die Linie A liegt im äußersten dunkeln Rot, B im Hochrot, C zwischen Rot und Orange, D zwischen Orange und Gelb, E im Gelbgrün, F zwischen Grün und Blau, G zwischen Dunkelblau und Violett, die Doppellinie H gegen das Ende des Violetts.

Lichtbrechungsverhältnisse einiger Glassorten und Flüssigkeiten.
Brechende Substanzen B C D E F G H
Crownglas Nr. 13 1,524312 1,525299 1,527982 1,531372 1,534337 1,539908 1,544684
   Nr. 9 1,525832 1,526849 1,529587 1,533005 1,536052 1,541657 1,546566
   Lit. M 1,554774 1,555933 1,559075 1,563159 1,566741 1,573535 1,579470
Flintglas Nr. 3 1,602042 1,603803 1,608494 1,614532 1,620042 1,630772 1,640373
   Nr. 13 1,627749 1,629681 1,635036 1,642024 1,648260 1,660285 1,671062
   von Merz 1,721780 1,726500 1,732120 1,742540 1,752140 1,778460 1,789540
   von Guinand mit Borsäure 1,769702 1,771761 1,777664 1,785254 1,792420 1,806195 1,818597
Wasser, 18,7° 1,330935 1,331712 1,333577 1,335851 1,337818 1,341293 1,344177
Alkohol, 17,6° 1,362800 1,363300 1,365400 1,367500 1,369600 1,373300 1,376100
Terpentinöl, 10,6° 1,470400 1,471500 1,474400 1,478300 1,481700 1,488100 1,493800
Kassienöl, 10° 1,596300 1,600700 1,610400 1,624900 1,638900 1,669800 1,703900
Schwefel­kohlenstoff, 24,2° 1,611400 1,614700 1,624000 1,636800 1,648700 1,672800 1,695600

[38] Durch die Fraunhoferschen Linien wurde es zuerst möglich, die Brechungsverhältnisse verschiedener Stoffe für ganz bestimmte Stellen des Spektrums, nämlich für die Linien B bis H selbst, genau zu bestimmen, und dadurch gewannen diese Linien für die praktische Optik eine hohe Bedeutung; denn nur auf Grundlage dieser genauen Kenntnis der Brechung und F. verschiedener Glassorten wurde es Fraunhofer möglich, Linsen ohne F. („achromatische“ Linsen, s. Achromatismus) und sonach auch solche Fernrohre mit bis jetzt noch unübertroffener Vollkommenheit herzustellen. Für einige Flüssigkeiten und Glassorten sind die für die Linien B bis H bestimmten Brechungsverhältnisse in der umstehenden Tabelle (S. 37) angegeben.

Der Unterschied zwischen den Brechungsverhältnissen der äußersten Strahlen oder der Linien B und H kann als Maß für die F. angesehen werden. Während hiernach für Crownglas (d. h. das gewöhnliche zu optischen Zwecken verwendete Glas) die F. 0,021 beträgt, macht sie für Flintglas (Bleiglas) 0,043, also ungefähr das Doppelte, aus. Als mittleres Brechungsverhältnis nimmt man gewöhnlich dasjenige für die Linie E an.