MKL1888:Flußschiffahrt

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Flußschiffahrt“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 412413
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Flußschiffahrt. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 412–413. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Flu%C3%9Fschiffahrt (Version vom 11.02.2023)

[412] Flußschiffahrt, speziell die Schiffahrt auf Fluß- und Stromstrecken von geringer Tiefe, im weitern Sinn die Binnenschiffahrt, welcher Ausdruck neben jenen Gewässern auch die Landseen und Kanäle einschließt. Die Fahrzeuge der F. zeichnen sich durch beträchtliche Länge im Verhältnis zur Breite sowie durch geringen Tiefgang aus. Mittlere Kähne haben 5000 Ztr. Tragkraft. Auf Ohio und Mississippi schwimmen Frachtschiffe von 11,5 m Breite, welche bei 1,2 m Tiefgang bis 18,000 Ztr. Ladung aufnehmen. Je nach ihrer Fracht und Reisedauer sind sie mit Wohnräumen von größerm oder geringerm Belang ausgestattet. Die Takelung ist verschieden; am häufigsten genügt ein großer Mast, der wegen der zu passierenden Brücken zum Umlegen eingerichtet ist. Name und Bauart bieten gleichfalls große [413] Mannigfaltigkeit. Diese Fahrzeuge heißen z. B. auf Elbe und Oder Kähne, Zillen und Ewer sowie auf der Weser Böcke. Die Thalfahrt wird meist durch Ruder, Segel und Floßhaken bewirkt, die Bergfahrt aber durch den Zug an der Leine, die, vom Mast zum Ufer reichend, von Menschen oder Zugtieren auf dem Leinpfad fortbewegt wird. Zur F. gehören auch die Schleppdampfschiffahrt und die Tauerei (s. d.). Meist bestehen für den Betrieb der F. auf den einzelnen Strömen besondere Reglements, welche nicht nur die Flußanwohner, sondern auch die Schiffer selbst vor Beschädigung möglichst sicherstellen sollen. Seit dem Aufblühen der Städte im Mittelalter bildeten die Flüsse die frequentesten Verkehrs- und Handelsstraßen. Nur zu bald aber erkannten die Dynasten in der F. eine ergiebige Einnahmequelle und belegten sie daher mit drückenden Zöllen (s. Wasserregal). Es dauerte Jahrhunderte, ehe sich in den herrschenden Kreisen eine bessere volkswirtschaftliche Einsicht Bahn brach, welche auf den meisten europäischen Strömen, wenigstens insoweit sie Ein Land durchfließen, die Abschaffung der Flußzölle herbeiführte. Schon der Westfälische Friede (Art. 9, § 1 u. 2) hatte für das Deutsche Reich den Grundsatz der freien und ungehinderten Schiffahrt ausgesprochen. Die Verpflichtungen des Reichsoberhaupts in dieser Hinsicht bestimmte die Wahlkapitulation, Art. 18, § 6–8, 17. Die praktische Durchführung dieser Grundsätze blieb jedoch lange Zeit infolge der Zölle, Stapelrechte und sonstigen Gerechtsame seitens der zahlreichen Territorialherren aus. Nach der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich wurden die sämtlichen bisherigen Rheinzölle des rechten und des linken Ufers aufgehoben und dafür unter Vorbehalt der Eingangszölle (Douane) ein einheitliches, zwischen Deutschland und Frankreich gemeinschaftliches Rheinschiffahrtsoktroi eingerichtet und durch eine Konvention vom 15. Aug. und 1. Okt. 1804 geregelt. Weiter bestimmte Art. 5 des ersten Pariser Friedens vom 30. März 1814 die Freiheit der Rheinschiffahrt für jedermann von dem Punkt an, wo der Rhein schiffbar werde, bis zu seinem Ausfluß (jusqu’à la mer), worauf die Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815, Art. 109, den Grundsatz der freien Schiffahrt (entièrement libre) in der feierlichen Form einer völkervertragsmäßigen Erklärung für alle schiffbaren Flüsse aussprach, welche die Gebiete mehrerer Staaten trennen oder durchlaufen, und in Art. 108 die Staaten eines so gemeinsamen Flußgebiets die Verpflichtung übernahmen, durch gemeinsame Übereinkunft die Schiffahrt auf solchen Flüssen in diesem Geist zu ordnen. In der 16. Beilage zur Wiener Kongreßakte wurde sodann ein Reglement für die Rheinschiffahrt (in 32 Artikeln) und für die Schiffahrt auf dem Neckar, Main, der Mosel, Maas u. Schelde aufgestellt und als maßgebende Grundlage von den Kongreßmächten anerkannt. Auf diesen Grundlagen wurden später völkerrechtliche Übereinkünfte der Uferstaaten errichtet. Freilich trat mit dieser Zulassung aller Flaggen zur Schiffahrt auf den genannten Flüssen noch nicht für die Schiffahrt die Abgabenfreiheit ein; erst das Jahr 1866 führte in seinen Folgen einen völligen Umschwung in dieser Beziehung herbei, und zwar wurde die Rheinschiffahrt durch die revidierte Rheinschiffahrtsakte vom 17. Okt. 1868 von allen sie drückenden Belästigungen und Abgaben befreit, während die Elbzölle durch das norddeutsche Bundesgesetz vom 11. Juni 1870 und durch den Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bund und Österreich vom 22. Juni 1870 beseitigt wurden. Die Donauschiffahrt war schon früher durch die Akte vom 6. Nov. 1857 frei geworden; die vertragsmäßige Ablösung des Scheldezolls erfolgte 1863. Ein einheitlicher Rechtszustand für das Deutsche Reich in Bezug auf die Abgabenfreiheit der F. und Flößerei ist durch Art. 54 der Reichsverfassung geschaffen worden. Statistische Angaben über die deutsche F. veröffentlicht jährlich die offizielle „Statistik des Deutschen Reichs“; vgl. auch die Angaben im Art. „Deutschland“, S. 834. Vgl. außer den Lehrbüchern des Völkerrechts und des Staatsrechts Karatheodory, Du droit international concernant les grands cours d’eaux (Leipz. 1861); Engelhardt, La liberté de la navigation fluviale, in der „Revue de droit internationale“ (Bd. 11, 1879); „Die Rheinschiffahrtsakte vom 17. Okt. 1868“ (3. Aufl., Mannh. 1875); v. Weber, Die Wasserstraßen Nordeuropas (Leipz. 1881); die von dem Zentralverein für Hebung der deutschen Fluß- und Kanalschiffahrt herausgegebene Zeitschrift „Das Schiff“ (Dresd., seit 1880).