MKL1888:Folklore

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Folklore“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 420
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Folklore. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 420. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Folklore (Version vom 30.06.2021)

[420] Folklore (engl.), die in England übliche und von dort neuerdings auch in andre Sprachen übergegangene Bezeichnung für die im Volksmund kursierenden Sagen, Märchen, Sprichwörter, Legenden u. dgl., die seit neuerer Zeit Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden sind. Die eigentliche Heimat dieser Studien ist Deutschland, wo J. Grimm mit seiner „Deutschen Mythologie“, seinen „Hausmärchen“ und „Rechtsaltertümern“ auf den Schatz uralter Vorstellungen und religiöser Mythen aufmerksam machte, der oft in dem unscheinbarsten Märchen oder Aberglauben des Volkes sich bis auf die Gegenwart erhalten hat. So ist z. B. der „wilde Jäger“ der Volkssage niemand andres als Odin, und der Bogenschütze Tell, der Odysseus der griechischen, der Indra der indischen Sage gehören, wie sich herausgestellt hat, in die Kategorie der Sonnengötter. In Deutschland sind die Grimmschen Forschungen von A. Kuhn, Mannhardt, Schwartz u. a. fortgesetzt worden, und das vergleichende Studium der Sagen und Märchen der indogermanischen Völker hat ergeben, daß nicht wenige derselben bereits in die indogermanische Urzeit zurückreichen. In England haben diese Studien in den letzten Jahren ebenfalls rege Beteiligung gefunden und zur Gründung einer Folk-lore Society geführt, die seit mehreren Jahren wertvolle Publikationen veranstaltet. Daneben besteht in der Kapstadt seit 1879 eine South African Folk-lore Society, die schon mehrere Bände interessanter Märchen und Fabeln der Kaffern und Hottentoten veröffentlichte, und in Indien hat eine englische Dame, Miß Stokes, eine Reihe indischer Märchen aus dem Mund indischer Ajahs (Kinderwärterinnen) gesammelt und übersetzt. Auch in Frankreich sind in neuester Zeit Publikationen aus diesem Gebiet zu verzeichnen, und die Pariser Folkloristen, d. h. die Pfleger und Freunde der Folklorestudien, versammeln sich alljährlich zu einem Dîner de la mère l’Oye. In Spanien gibt die Gesellschaft des F. andaluz in Sevilla eine eigne Zeitschrift heraus; nicht minder erscheint in Italien (Palermo) seit kurzem ein „Archivio per lo studio delle tradizioni popolari“ unter der Redaktion von G. Pitré und S. Salvatore-Marino. In diesem Zusammenhang verdienen endlich auch die syrischen Märchen Erwähnung, die zwei deutsche Gelehrte, Prym und Socin, in Damaskus aus dem Volksmund gesammelt und mit deutscher Übersetzung herausgegeben haben.