MKL1888:Gäa
[816] Gäa (Ge), in der griech. Mythologie die Göttin der Erde, wird schon bei Homer öfters erwähnt, wo sie die Beinamen: die „Frucht- und Lebenspenderin“, die „Herrliche“ hat. Man opfert ihr weibliche schwarze Lämmer und ruft sie neben Zeus, Helios, Himmel und Unterwelt bei Eidschwüren an. Die zeugungskräftige uralte Göttin spielt in den Theogonien eine bedeutende Rolle und ist Mutter einer zahlreichen Nachkommenschaft; besonders stammen von ihr finstere und furchtbare Wesen und gewaltige Riesen. Nach Hesiod entstand sie nach dem Chaos und erzeugte aus sich selbst den Uranos, dann die Gebirge und den Pontos. Aus ihrer Vermählung mit Uranos gingen die Titanen, Kyklopen und Hekatoncheiren hervor; aus dem Blute des verstümmelten Uranos (s. d.), welches sie auffing, gebar sie die Erinnyen, die Giganten und die melischen Nymphen; mit Pontos zeugte sie den Nereus, Thaumas und Phorkys, die Keto und Eurybia. Andre Schriftsteller bezeichnen noch als Kinder der G. die sogen. Autochthonen, wie Kekrops, Erechtheus, ferner den Antäos, den Drachen Python zu Delphi, den Typhon etc. Wie aus Gäas Schoß die Dünste emporstiegen, welche zu Delphi die weissagende Priesterin begeisterten, so wurde auch ihr selbst die Gabe der Weissagung beigelegt. In ihrem Besitz war zuerst das delphische Orakel, und bei Hesiod weissagt sie dem Kronos, daß er von einem seiner Söhne werde bezwungen werden. Heiligtümer hatte G. zu Athen, Sparta, Delphi, Olympia etc. Bei Zauberei, Schatzgraben u. dgl. rief man die G. in Gemeinschaft mit den unterirdischen Gottheiten an, denn naturgemäß ist G. auch eine Göttin des Todes und der Unterwelt, welche in ihrem Schoß die Gräber birgt und alle Geschöpfe wieder zurückfordert. Sie galt aber auch, da sie die alles Erzeugende und Ernährende und das erste gebärende Weib ist, für eine Göttin der Ehe und wurde als solche zugleich mit der Kybele, Hestia und Demeter angerufen. Die der G. entsprechende Gottheit der Römer ist Tellus (s. d.). Dargestellt wurde G. in der griechischen Kunst meist mit matronalen Formen, voll bekleidet, mit wallendem Haar, bis zur Mitte des Leibes aus der Erde hervorragend, so auch in dem großen Altarfries von Pergamon (in Berlin, vgl. Tafel „Bildhauerkunst III“, Fig. 9), wo sie überdies ein mit Früchten gefülltes Füllhorn trägt. Die spätere Kunst bildete sie auf der Erde gelagert, mit Füllhorn, wohl auch an die Erdkugel gelehnt. Statuarische Werke sind nicht erhalten. Vgl. Stark, De Tellure dea (Jena 1848); Welcker, Griechische Götterlehre, Bd. 1, S. 320–328.