MKL1888:Gebirge
[970] Gebirge, im Gegensatz zu den ebenen Formen der Erdoberfläche sowie zu den durch Erosion oder Auswaschung aus solchen Ebenen hervorgegangenen Berg- und Hügellandschaften, diejenigen mehr oder minder in einzelne Berge gegliederten Erhebungen der Erde, deren Teile nach bestimmten Richtungen aneinander gereiht sind. Man unterscheidet am G. den Rücken, die höchsten Teile eines Gebirges, welcher einfach oder zusammengesetzt sein kann, und von welchem im letztern Fall die Nebenjoche auslaufen, welche, wenn sie eine gewisse Selbständigkeit erlangen, zu Gebirgszweigen werden; den Fuß, die Grenze des Gebirges gegen die angrenzenden Ebenen oder das Meer; die Gipfel als die höchsten, die Pässe als die tiefsten Punkte von Rücken und Nebenjochen. Sind auch die Gebirgsrücken stets natürliche Teiler der Gewässer, die von ihnen nach verschiedenen Richtungen abfließen, so fallen doch die Wasserscheiden zahlreicher großer Fluß- und Stromgebiete durchaus nicht immer mit ihnen zusammen; vielmehr finden wir nicht selten G. ihrer ganzen Breite nach von Strömen durchschnitten, so daß beide entgegengesetzte Gehänge des Gebirges zu gleichen Stromgebieten gehören, und dies nicht bloß bei niedern Gebirgszügen, sondern auch bei den beiden höchsten Gebirgen der Erde, dem Himalaja und Kuenlün. Häufig greifen die Quellgebiete der Flüsse des einen Gehänges über den höchsten Rücken an die andre Gebirgsseite hinüber. Der Fuß, die Basis des Gebirges, ist in vielen Fällen scharf begrenzt; meist aber tritt Hügelland vermittelnd zwischen G. und ebenes Land; manche G. gehen aber auch, wenigstens in der Richtung des einen Gehänges vollständig, in die angrenzenden Ebenen über (Jura, Vogesen nach W.). In den erstern Fällen bezeichnet, insbesondere bei höhern Gebirgen, eine Region der Versumpfung sehr häufig den Fuß, so längs der Alpen, am Südfuß des Himalaja (Terai), verursacht durch die Geröllablagerung da, wo das stärkere Gefälle der Gebirgsgewässer in das sanftere der Ebene übergeht. Wo aber nicht eine solche Versumpfung oder die Ungunst der klimatischen Verhältnisse es hindert, charakterisiert meist ein Gürtel von Ortschaften, die an den Mündungen der Thäler sich angesiedelt haben, den Fuß des Gebirges. – Die Neigung der Gebirgsgehänge oder Abfälle (Abhänge) ist äußerst wechselnd, erscheint dem Auge aber immer viel steiler, als sie in Wahrheit ist; im wahren Sinn des Wortes senkrechte Abstürze kommen nur ausnahmsweise und auf kurze Strecken vor. Wichtig ist die Neigung der Gehänge für die Gangbarkeit eines Gebirges, denn bei einem Böschungswinkel von mehr als 27° kann ein beladenes Maultier dieselben nicht mehr übersteigen, bei 35–40° vermag es der Mensch nur mit Händen und Füßen. Die Physiognomie eines Gebirges wird in erster Linie durch seine relative Höhe bestimmt; die absolute Höhe, d. h. die Höhe eines Gebirges über dem Meeresspiegel, kommt nur insofern in Betracht, als sie Einfluß hat auf die Bekleidung des Gebirges mit Vegetation und auf die Bildung von Firn, sogen. ewigem Schnee, und von Gletschern.
Groß ist der Unterschied in den horizontalen und vertikalen Dimensionen der G.; während die Andes auf eine Länge von mehr als 1400 Myriameter Amerikas Westküste, der Himalaja auf 480 Myriameter Länge Nordindien begleiten, beträgt die Länge des Skandinavischen Gebirges 240, die der Alpen 120 und sinkt die Länge des Thüringer Waldes bis 12, des Harzes bis 9 Myriameter herab. Ähnlich verhalten sich die Breite, die aber in einzelnen Fällen, wie beim Harz, im Verhältnis zur Länge sehr beträchtlich ist, und die Höhe. Die höchsten Gipfel- und Paßhöhen finden wir im Himalaja und Karakorum: dort erheben sich die beiden Bergriesen, der Gaurisankar zu 8840 m und der Kantschindschinga zu 8582 m, also noch höher als der 8154 m hohe Dhawalagiri, [971] der lange für den höchsten Berg der Erde galt; hier steigt beinahe zu gleicher Höhe, bis zu 8619 m, als höchster Gipfel der Dapsang an, während die Paßhöhen noch 5500–5850 m erreichen; 5568 m betrug die Höhe des Karakorumpasses, den Schlagintweit überstieg; freilich besitzen die durch den Paß verbundenen Plateaus eine Höhe von 4550–4870 m; auch die Gipfel des Tengri Dagh im Thianschan erreichen ca. 6500 m. Die imposanten Hochgipfel im Elbrusgebirge, im Kaukasus, in Armenien, Kleinasien sind Einzelgipfel. Die nächsthöchsten Gipfel und Paßhöhen besitzt Amerika, wo vom Lirima in Chile die zweifelhafte Höhe von 7150–7500 m angegeben wird, die gemessene des Aconcagua 6834 m, der Chimborazo aber nur 6310 m und der Pik Sorata nur 6550 m erreicht; während der Paß von Cumbre in 3221 m Höhe unfern des Aconcagua über den Rücken des Gebirges hinüberführt, überschreitet der Reisende, über den Come Caballo aus Catamarca nach Copiapo übergehend, bei 4356 m das Andesplateau. Hinter diesen Höhen bleiben die der G. Nordamerikas sowie auch die der übrigen Erdteile zurück; in Nordamerika übersteigen nur vulkanische Einzelgipfel, wie der Pik von Orizaba, Popocatepetl, Eliasberg, Höhen von 5400 m, dem Mount Shasta wird nur eine Höhe von 4400 m zugeschrieben; Afrika reicht nur in dem 5700 m hohen Kilima Ndscharo über die Schneegrenze, während der Rasch-Datschan in Abessinien 4629 m und das Camerungebirge 4194 m erreichen; Europas höchste Gipfel sind der 4638 m hohe Monte Rosa und der 4810 m hohe Montblanc; seine höchsten Pässe sind das 3322 m hohe Matterjoch und der nur selten von einem Menschen betretene, 3400 m hohe Col du Géant in den Alpen. Während die Höhen des australischen Festlandes hinter denen der andern Kontinente zurückbleiben und auch in den höchsten bekannten Gipfeln kaum 2200 m überragen, besitzt Neuseeland ein Alpenland, das im Mount Cook mit 4023 m kulminiert, und das kleine Hawai im Mauna Loa und Mouna Kea die höchsten aller australischen Höhen von 4194 und 4253 m.
Man hat die G. nach ihrer Höhe Hochgebirge, von über 2250 m mittlerer Höhe (Mittel aus Gipfeln und Paßhöhen), Mittelgebirge, von 1600–2250 m Höhe, dagegen niedrigere G. Berg- und Hügelzüge genannt. G., die einerseits im Tiefland, anderseits auf einem Plateau fußen, wie der Himalaja, nennt man Randgebirge; Scheitelgebirge aber solche, die sich inmitten eines Plateaus über dasselbe erheben, wie das Karakorumgebirge. Eine naturgemäße Einteilung, welche die ganze Mannigfaltigkeit der auf der Erde auftretenden Formen erschöpft, ist noch nicht aufgestellt. Die gewöhnliche Einteilung der G. in Kettengebirge mit vorherrschender Längenerstreckung und Massengebirge mit ziemlich gleicher Ausdehnung nach Länge und Breite genügt nicht, ist indessen immerhin von praktischem Wert, besonders in Bezug auf die später zu besprechende Bildungsweise der G. Hierzu kommen die isolierten Berge von bedeutender Höhe, wie z. B. der Ätna (3345 m), oder Gebirgslandschaften, welche aus einer Mehrzahl isolierter Berge ohne eigentlichen Gebirgsverband bestehen, wie der Cantal in Zentralfrankreich, der Vogelsberg u. a. Hierher gehören auch die Calderenbildungen (Insel Palma), Ringgebirge, freilich kleinster Dimensionen, wenn man den Maßstab der auf dem Mond befindlichen gleichartigen Bildungen anlegt. Eine große Mannigfaltigkeit zeigen die Kettengebirge, zu denen die ausgedehntesten und mächtigsten G. der Erde gehören. Sie bestehen bald aus einer einzigen Kette (wie der Thüringer Wald), bald aus zwei oder drei nach gleicher Richtung (Riesengebirge), oft auch aus nebeneinander verlaufenden Parallelketten (Andes) oder aus einem System zahlreicher Parallelketten (Jura, Alleghanies). Sind die Rücken der Kettengebirge scharf, so nennt man sie Gebirgskämme; an den Seiten breiten sich dieselben aber auch plateauartig aus (skandinavische G. in ihrer Ausbreitung nach O., ebenso Schwarzwald); treten solche Plateaubildungen am Vereinigungspunkt mehrerer Kämme auf, so spricht man von Gebirgsknoten (Andes). Meist liegt die höchste Kammhöhe nicht in der Mitte des Gebirges, sondern verläuft dem einen oder andern Rand näher, nach welcher Seite hin der Gebirgskamm seinen Steilabfall besitzt, so in den Alpen und im Himalaja nach S., in den Gebirgen Skandinaviens nach W., im Erzgebirge nach S. Gesetzmäßigkeiten, welche man früher in Bezug auf den Steilrand hat nachweisen wollen, je nachdem die G. in der Richtung der Meridiane oder der Breitengrade streichen, sind durch ebenso viele Beispiele stützbar wie durch andre angreifbar.
Die äußere Begrenzung und Form der G. deckt sich häufig mit der geologischen Beschaffenheit (Tektonik der G.). So ist der Gebirgszug, welcher, in Südfrankreich an der Mündung des Rhône beginnend, als Jura Frankreich und die Schweiz trennt, bei Schaffhausen über den Rhein setzt, unter dem Namen der Alb Württemberg durchzieht und bis nach Nordbayern als Fränkische Schweiz fortsetzt, ebensowohl auf der topographischen Karte wie auf der geologischen leicht erkennbar, weil er sich fast ganz ausschließlich aus Gesteinen der Juraformation zusammensetzt. Bestehen G. nur aus kristallinischen Schiefern und ältesten Massengesteinen, wie der Böhmerwald, oder ausschließlich aus sedimentären Gesteinen eines bestimmten Systems, wie der Jura und das Wesergebirge, so muß sich die am Gestein haftende Besonderheit der auf Erosion zurückführbaren Bergform auch auf das G. übertragen. Komplizierter, deswegen aber oft nicht weniger gesetzmäßig gestalten sich die Verhältnisse, wenn mehrere Gesteinsarten und Formationen sich an der Zusammensetzung des Gebirges beteiligen. Da lassen besonders häufig die Kettengebirge eine sehr vollkommene Symmetrie des Aufbaues erkennen, so daß sich einem zentralen Teil, meist aus dem relativ ältesten Gestein gebildet, nach beiden Seiten Flügel ansetzen, welche aus desto jüngerm Gesteinsmaterial bestehen, je weiter man sich von dem zentralsten Teil entfernt.
[Entstehung der Gebirge.] Die G. sind nichts Ursprüngliches, von Anfang an Bestehendes, sondern erst in geologischen Perioden gebildet, die derjenigen, in welcher die zusammensetzenden Gesteine entstanden, zeitlich gefolgt sind. Dies ergibt sich schon aus der einzigen Thatsache, daß offenbar am Meeresgrund abgesetzte Gesteine heute gelegentlich Berggipfel bilden. So kommen die während der Tertiärperiode im Meer abgesetzten Nummulitengesteine am Montperdu bis zu 3000, im Himalaja bis 5000 m Meereshöhe vor. Die ältere Schule der Geologen erklärte die Entstehung der G. kurzerhand als durch Hebung veranlaßt und fand speziell in den im Zentrum zahlreicher Kettengebirge vorkommenden kristallinischen Gesteinen, von ihr als eruptiv gedeutet, die Ursache einer solchen Hebung des anlagernden Materials, gleichzeitig mit der und ursachlich durch die Eruption dieses zentralsten Materials. Am meisten entwickelt hat diese Hypothese Elie de Beaumont, welcher die [972] sämtlichen G. der Erde in bestimmte Hebungssysteme verschiedenen Alters einordnete und in der örtlichen Verteilung dieser Systeme eine gesetzmäßige Verteilung nach größten Kreisen der Erdkugel nachweisen zu können glaubte. Neuerdings hat die gewöhnlich an Heims Namen geknüpfte, aber auch von andern (so namentlich von Süß, Favre, Lory) mit sehr wesentlichen Beobachtungen und Abstraktionen gestützte Hypothese, welche sich zunächst auf den Mechanismus der Bildung der Alpen bezieht, aber auch auf alle übrigen Kettengebirge ausgedehnt worden ist, die meiste Popularität errungen. Für die Oberflächengestaltung der Alpen kam Heim zu der Annahme, daß dieselbe vorwiegend ein Resultat der von außen einwirkenden Abspülung, Erosion, ist. Der innere Bau und Risse, welche mit der ursprünglichen Bildung des Gebirges zusammenhängen, üben keinen oder nur wenig Einfluß aus, und ebenso ist die Mitwirkung der Gletscher bei der Hervorbringung der heute vorliegenden Kontur eine minimale gewesen. Dagegen ist die Menge des weggeführten Materials
Schematische Darstellung der Gebirgsbildung nach Heim. | |
eine ganz außerordentliche und kann auf die Hälfte der Gesamtmasse geschätzt werden, welche ehemals die Alpen bildete. Der innere Bau, zunächst der Alpen, dann auch andrer Kettengebirge, ist charakterisiert durch die gewaltigen Lagerungsstörungen, und da diese Biegungen, Überkippungen, Faltenbildungen ebenso wie die Transversalschieferung und Formveränderungen von Petrefakten (gestreckten Belemniten, elliptisch verzogenen Ammoniten) nur in Gebirgen und zwar einigermaßen häufiger bloß in Kettengebirgen vorkommen, so ist man berechtigt, alle diese Erscheinungen als Produkte der gebirgsbildenden Kräfte selbst zu betrachten. Bezeichnet man die Gesamtheit dieser Erscheinungen als Umformung der Gesteine, so ergibt sich, daß sich solche Umformung teils mit, teils ohne Bruch vollziehen kann. Im erstern Fall treten Verwerfungen, Risse, Rutschflächen, Zertrümmerungen bis zur Breccienbildung und im Gefolge Aderbildung, Verkittung der Trümmer in veränderter gegenseitiger Stellung auf, im letztern Fall die Schichtenstörung ohne Zerreißung, die Transversalschieferung, Streckung etc. Dabei verbietet alles, was die Erfahrung über die Erhärtung des Gesteinsmaterials lehrt, anzunehmen, daß eine der beiden Umformungen sich am noch weichen Material vollzogen hätte, und auch die Umformung ohne Bruch muß sich am harten, selbst sprödesten Material abgespielt haben. Die Beobachtung lehrt ferner, daß von der letztern Umformung die verschiedenartigsten Gesteine betroffen wurden, daß dasselbe Gestein der Umformung mit und ohne Bruch unterlegen sein kann, daß sich dagegen die Andeutungen einer bruchlosen Umformung mit der Tiefe unter der heutigen Gebirgsoberfläche mehren und sich der ganze Prozeß nur in sehr bedeutender Tiefe unter der ursprünglichen Gebirgsoberfläche abspielen konnte. So kommt Heim zu dem Kardinalsatz: „In einer gewissen Tiefe unter der Erdoberfläche sind die Gesteine weit über ihre Festigkeit hinaus belastet. Dieser Druck pflanzt sich nach allen Richtungen fort, so daß ein allgemeiner, dem hydrostatischen Druck entsprechender Gebirgsdruck allseitig auf die Gesteinsteilchen einwirkt. Dadurch sind dort die sprödesten Gesteine in einen ‚latent plastischen‘ Zustand versetzt. Tritt eine Gleichgewichtsstörung durch eine neue Kraft (den gebirgsbildenden Horizontalschub) hinzu, so erfolgt die mechanische Umformung in dieser Tiefe ohne Bruch, in zu geringen Tiefen bei den sprödern Materialien aber mit Bruch.“
Auf den „gebirgsbildenden Horizontalschub“ läßt sich nun die Hebung der Alpen ganz allgemein, übereinstimmend für die Zentralmassive und für die dieselben flankierenden Sedimente, zurückführen, eine Übereinstimmung des Bildungsmodus, welche eine gegenteilige Ansicht (Studer), die in den zentralen Massiven erumpiertes, die Aufrichtung des Mantels verursachendes Material erblickt, nicht zu erklären vermag. Gegen die letztere Ansicht spricht vor allem, daß die betreffenden Eruptivgesteine älter sind als die Faltenbildung; beteiligen sich doch an der Zusammensetzung der Falten die Sedimente jeden Alters herab bis zum Tertiär in untereinander konkordanter Lagerung. Ferner läßt sich die innere Struktur auch der Zentralmassen auf Faltenbau zurückführen. So finden sich im Simplon, Monte Rosa noch vollkommen erhaltene Gewölbe mit auf der Höhe flach liegenden Schiefern, während die Dachstruktur (Tauern) ein Gewölbe darstellt, dessen Biegung abgewittert ist. Parallelstruktur (Aiguilles rouges) entsteht durch Falten, deren Schenkel bis zur parallelen Stellung zusammengepreßt sind, während die Wölbung entfernt ist, und die Fächer (Gotthard, Montblanc) sind übergebogene Faltenschenkel wiederum mit abgewitterter Gewölbebiegung. Aber nicht nur der Art, sondern auch der Zeit der Bildung nach fällt die Entstehung der Umformung der Massive mit der der Sedimente zusammen und gehört, wie diese, der jungtertiären Periode an.
[973] Während demnach vulkanische und Kuppengebirge durch Neubildungen von Gesteinsmaterial entstehen, türmen sich Massengebirge und Kettengebirge durch eine Ortsveränderung schon vorhandener Gesteine auf. Bei Kuppengebirgen ist der Berg das erste, und Berg zum Berge gefügt ergibt das G.; bei Kettengebirgen ist das G. als geschlossenes Ganze das erste, die einzelnen Berge das spätere Resultat einer gliedernden Verwitterung. Glättet man in Gedanken die Falten eines Kettengebirges aus, so muß man das Plus der Erdkruste erhalten, dessen Zusammenschiebung die Bildung des Gebirges veranlaßte. Für den Jura beträgt diese Horizontalverrückung etwa 5000–5300 m, für die Alpen annähernd 120,000 m. Da der heutige Erdumfang 40,023,512 m beträgt, so müßte derselbe vor der Bildung der Alpen 40,143,512 m betragen haben, d. h. er hätte sich um das 0,003fache oder um nicht ganz 1/3 Proz. verkleinert. Die Kehrseite der Aufwerfung einzelner Teile der Erdkruste zu gebirgsbildenden Falten würde das Einsinken der Erdkruste an andern Stellen sein, die Bildung von Meeresbecken. Am einfachsten endlich würde die Verringerung des Erdvolumens durch die Annahme einer fortschreitenden Abkühlung des Erdkerns erklärt, da das als eruptiv austretende Material seiner Menge nach nicht entfernt hinreichen würde, das Erdinnere und hiermit den Erdumfang um eine so bedeutende Größe zu verringern, als nach dem Faltenverlauf für die Bildung des einzigen Alpengebirges notwendig ist.
Die nebenstehende Abbildung (S. 972) soll zu einer rein schematischen Darstellung der Ansichten Heims dienen. Zwischen der Horizontallinie und der Kontur des Gebirges spielt sich das direkt Beobachtbare ab, während die Falten in ihrem unzugänglichen Teil nach unten, in ihrem abgewitterten Teil nach oben durch punktierte Linien angedeutet sind. Der zentrale Teil A zeigt das Zustandekommen der für die alpinen Massive charakteristischen Fächerstellung der Schichten, B ein System überstürzter Falten, C die Beteiligung jüngerer Schichten, deren Fortsetzung außerhalb des Bildes fällt, während die zur Darstellung gekommene Partie derselben eine durch die Erosion vollkommen isolierte Masse bildet. Denkt man sich das Band der im Bild fixierten Schichten zuerst eben ausgebreitet, das älteste Material zu unterst, das jüngste zu oberst und alle Schichten im ungetrennten Zusammenhang, läßt man dann dieses Band durch „Horizontalschub“ sich stauen, wobei die Faltungen in immer noch ungetrübtem Zusammenhang (punktierte Linien) anzunehmen sind, und läßt man endlich durch Erosion die Bergkonturen entstehen, welche das Bild wiedergibt, so hat man die drei Akte, in welche nach Heim der Mechanismus der Gebirgsbildung zerfällt.
Die Einwände, welche gegen Heims Hypothese erhoben worden sind (Stapff, Pfaff, Gümbel u. a.), wenden sich in erster Linie gegen die Voraussetzung eines „latent plastischen Zustandes“ der Gesteine bei großer Belastung. So weist Stapff, der Geolog-Ingenieur der Gotthardbahn, darauf hin, daß, wenn Heim für das Eintreten der latenten Plastizität eine Belastung annimmt, welche einer Mächtigkeit von 2000 m überlagernder Schichten entspricht, durch den Gotthardtunnel Tiefen erreicht worden sind (1555 und 1646 m), die hinter der nach Heims Hypothese für das Plastischwerden der Gesteine geforderten nur wenig zurückbleiben. Trotz dieser Annäherung aber deuten keine Erscheinungen an den Gesteinen in diesen Tiefen auf eine besondere Beschaffenheit hin, die, um ein Weniges gesteigert, etwa als latente Plastizität auszudeuten wäre. Es treten vielmehr an solchen Punkten größter Belastung offene Kristalldrusen und klaffende Wasserspalten auf; wenn anders die Gesteine nur gesund sind, kann in solcher Tiefe der Tunnel unvermauert bleiben, ohne ein Eindrücken befürchten zu müssen, und die bekannte Druckstelle des Tunnels liegt nicht etwa unter den höchsten Bergen, sondern an einem Punkt, welcher von nur 304 m mächtigen Schichten überlagert wird. Zudem müßten, die Existenz der von Heim angenommenen Plastizität zugegeben, nach Stapff die G. durch breiartiges Ausweichen ihrer Unterlagen verschwinden. Auch haben Experimente ergeben, daß bei sehr hoher Belastung weit über einen von Heim als Eintrittspunkt der „latenten Plastizität“ angenommenen Druck die härtesten Gesteine eben nur zertrümmert werden, nicht aber in einen plastischen Zustand übergehen, und es stimmt damit die Beobachtung, daß sich unter dem Mikroskop bei gebogenen Schichten mikroskopische Risse, durch infiltriertes Material später ausgefüllt, nachweisen ließen (Gümbel), welche, übereinstimmend nach einer Seite hin sich keilartig verbreiternd, nicht sowohl eine Biegung der Schichten als vielmehr eine sprungweise Zertrümmerung hervorbringen, welche im Groben allerdings den Eindruck einer Biegung hervorrufen kann. Trotz aller dieser Einwände bleibt Heims Hypothese, nach welcher sich die G. in genetischer Beziehung als Faltungsgebirge und als Aufschüttungsgebirge unterscheiden lassen, wenigstens für den Augenblick die beste, vielleicht unter Aufgabe der Annahme einer „latenten Plastizität“ und nur der Unterscheidung einer groben, auch makroskopisch sichtbaren Zertrümmerung der Gesteine (Verwerfung) und einer im Kleinsten gleichförmig verlaufenden, welche, nur mikroskopisch nachweisbar, dem makroskopischen Befund nach Biegung genannt werden kann. Nicht die geringste Stärke der Hypothese liegt auch in dem Umstand, daß sie der Gebirgsbildung den Charakter des einmaligen, epochenartig verlaufenden Gewaltaktes benimmt, sie vielmehr als einen sich ununterbrochen über große geologische Perioden verbreitenden Akt darstellt, an welchem auch die gegenwärtige geologische Periode beteiligt ist, wie dies die Natur gewisser Erdbeben (der tektonischen) wahrscheinlich macht.
Vgl. Cotta, Der innere Bau der G. (Freiberg 1851); Derselbe, Geologische Fragen (das. 1858); Süß, Entstehung der Alpen (Wien 1875); Müller, Der Gebirgsbau des Gotthard (das. 1875); Heim, Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung im Anschluß an die geologische Monographie der Tödi-Windgellengruppe (Basel 1878, 2 Bde. mit Atlas); Stapff, Zur Mechanik der Schichtenfaltung (Stuttg. 1880); Pfaff, Mechanismus der Gebirgsbildung (Heidelb. 1880).
[363] Gebirge. Die geologische Aufnahme eines großen Teils der Erdoberfläche, besonders der bedeutendsten G., die Tiefseeforschungen und das theoretische Studium der Gebirgsbildung haben die Einsicht in die Gesetze des Baues der einzelnen Glieder der Kontinente und ihrer Beziehungen zu einander so weit gefördert, daß es möglich ist, die Entstehung der Hauptzüge im Relief der Erdoberfläche zu erklären. Den ersten Versuch einer vergleichenden Orologie (Gebirgskunde) auf Grund eines umfassenden geologischen Beobachtungsmaterials hat Sueß in seinem Werk „Das Antlitz der Erde“ geliefert. Beachtet man die Art der Beziehungen, welche zwischen dem Verlauf der Küstenlinien und der Struktur der G. auf dem Festland bestehen, so lassen sich zwei verschiedene Typen unterscheiden. Die ganze Westküste von Amerika entlang ist der Verlauf der Küste durch das Streichen der Gebirgsketten der Andes bedingt; ein gleiches Verhältnis waltet rund um die Ostküste Asiens und der hinterindischen Halbinsel bis zur [364] Gangesmündung ob. Das ist der pazifische Küstentypus. Gleichen Bau zeigen nur noch die Antillen und die Nordküste von Spanien. Abgesehen von diesen beiden Strecken ist am ganzen Atlantischen Ozean keine Spur eines Zusammenhanges zwischen der Küstenlinie und dem Verlauf der G. an der Küste zu bemerken. Diese Unabhängigkeit beider Erscheinungen kennzeichnet den atlantischen Küstentypus, der außerhalb des genannten Beckens auch an der Ostküste Afrikas, bei Arabien und Vorderindien vertreten ist. Dieser Unterschied in der gegenseitigen Beziehung findet seinen Ausdruck in dem verschiedenen Grad, mit welchem sich die seismische und vulkanische Thätigkeit an den beiden Küstenstrecken äußert. Die Entwickelung dieser beiden großartigsten geodynamischen Kräfte ist aufs engste an den Küstenstrich gebunden, der nach pazifischem Typus gebaut ist (vgl. Fig. 1
Fig. 1. Karte des pazifischen und atlantischen Küstentypus. | |
und die Karte der Verbreitung der Erd- und Seebeben bei Art. Erdbeben, Bd. 17). Dieser Umstand beweist, daß der Unterschied in dem Bau der Erdrinde begründet ist und mit der verschiedenen Art der Gebirgsbildung in Verbindung steht. Das mächtigste Gebirgssystem der Erde knüpft an die Alpen an. Die Alpen beginnen westlich von Genua und verdanken ihre Entstehung einer tangentialen Bewegung der Erdrinde, die überall von innen nach außen gerichtet war. Im W. ist den Alpen der Jura vorgelagert, in welchem die Bewegung der Falten ebenfalls nach außen gerichtet ist. Der Außenrand der Alpen bildet eine einheitliche Linie, die sich im W. vom südlichen Frankreich bis zum äußersten Osten in der Walachei verfolgen läßt. Denn die Karpathen sind die unmittelbare Fortsetzung der äußern Teile des Hauptstammes der Alpen. Innerhalb der Alpenketten ist die faltende Kraft im W. wie im Jura gegen W. gerichtet, weiter gegen O. nach N. und NO., um endlich in Siebenbürgen sogar gegen O. und SO. umzubiegen. Die Apenninen beginnen bei Genua mit einer Krümmung gegen N., im weitern Verlauf des Gebirges sind die Ketten gegen NO. gefaltet. Im S. erfolgt, wie bei den Karpathen, eine Umbiegung gegen S. Die Fortsetzung der Apenninen findet nach einer Unterbrechung durch das Meer in Sizilien statt; in Nordafrika wiederholt sich der Bau der Apenninen, südwärts gewendet, mit westsüdwestlichem Streichen im Atlas. Nach abermaliger Unterbrechung durch die Straße von Gibraltar tritt der Zug nach Europa wieder über und bildet den Südrand der Pyrenäischen Halbinsel mit fast östlichem Streichen. Die hauptsächlichsten Streichungslinien des Alpensystems, wie sie Fig. 2 zeigt, lassen in auffallender Weise eine wirbelförmige Anordnung erkennen. Innerhalb des Bogens liegen zwei große Senkungsgebiete, das westliche Mittelmeerbecken und die ungarische Tiefebene; beide greifen mehr oder weniger tief in den großen Faltungsbogen ein und sind am Innenrand mit Vulkanen besetzt, welche den Bruchrand bezeichnen. Der Außenrand der Apenninen verläuft in gleicher Weise wie bei den Alpen in einer ununterbrochenen Kurve, zwei Senkungsfelder stehen ihm gegenüber, die lombardische Tiefebene und das Adriatische Meer. Das nördliche Vorland der Alpen ist mannigfaltiger gestaltet, es zerfällt in drei voneinander verschiedene Teile. Im O. liegt vor den Karpathen die russische Tafel, eine seit den ältesten Zeiten kaum aus ihrer Lage gebrachte ebene Platte, die vom südlichen Schweden her durch Rußland bis nach Galizien sich erstreckt und nur am Südrand von den karpathischen Faltungen überwältigt ward. Westlich davon ruhen die Karpathen auf dem südöstlichen Teil der ostwärts [365] geneigten Sudeten. Daran schließen sich das böhmische Hochplateau, die alten Granitmassen des Schwarzwaldes und der Vogesen und das französische Zentralplateau, gegen welche sich die Alpen stauen.
Fig. 2. Karte der hauptsächlichsten Streichungslinien des Alpensystems und der angrenzenden Gebiete. | |
Dazwischen liegt das große schwäbisch-fränkische Senkungsfeld, das im W. vom Schwarzwald und Odenwald begrenzt ist, im N. bis zum Thüringer und Frankenwald reicht und im O. an das Fichtelgebirge und den Bayrischen Wald grenzt. Die Senkung
Fig. 3. Der Hauptstamm der Alpen (nach E. Sueß). | |
vollzog sich stufenförmig von den Rändern gegen die Donau, und hier treten im Ries bei Nördlingen und im Hegau kesselförmige Einsenkungen auf, die von vulkanischen Eruptionen begleitet waren. So offenbaren sich Alpen und Apenninen als die vordern Kanten von höher liegenden Schuppen des Erdkörpers, die über tiefer liegendes Vorland hinübertreten (Fig. 3). In dem allgemeinen Vortreten der stetigen Kurve dieser Schuppenränder über das gesenkte und gebrochene Vorland besteht das Wesen des rutenförmigen Auseinandertretens der einzelnen Zweige der Alpen, der sogen. Virgation des Gebirges. Diese Anordnung bringt es mit sich, daß eine Region, welche das Rückland für einen Zweig bildet, wie die Poebene für die Alpen, zugleich das Vorland für den nächstfolgenden, also die Apenninen, ist.
Dem Alpensystem im W. entsprechen die G. Zentralasiens im O.; beide sind durch tangentiale Bewegungen entstanden, die Anordnung der Leitlinien [366] ist aber hier eine andre. Vier große Gebirgsbogen treten gegen die vorderindische Halbinsel vor und umsäumen sie im W., N. und O. Der erste bogenförmige Gebirgsrand, der iranische Bogen, beginnt mit den Kurdischen Bergen, begrenzt die Mesopotamische Ebene und den Persischen Meerbusen und biegt an der Mündung des Indus nach N. um. Der zweite Bogen bildet das kürzeste Stück, den Außenrand des Hindukusch. Derselbe tritt in scharfer Krümmung gegen den Indus vor, wird bei Kalabagh vom Indus durchbrochen, springt jenseit desselben gegen S. vor u. endet bei Dschalalpur am Dschelam. Hier setzt der Außenrand des Himalaja an, der zuerst gegen SO., dann gegen O. und ONO. bis zum Brahmaputra streicht. Aus dem Brahmaputrathal tritt gegen S. ein Gebirgszug hervor, der anfangs dem Himalaja parallel nach WSW. zieht, dann nach S. umbiegt und über die Andamanen und Nikobaren nach den hinterindischen Inseln übersetzt. Das ist der malaiische Zug. Die faltende Bewegung ist in allen vier Bogen gegen das indische Tiefland gerichtet, am stärksten in den beiden mittlern Bogen, hier ist der Rand sogar gegen S. überschoben, so daß die Gesteinsfolge in umgestürzter Lagerung erscheint. An der Linie des Dschelam scharen sich die Ketten des Himalaja und des Hindukusch, beide treffen unter spitzem Winkel von SW. und SO. zusammen, weiter nördlich gehen dle Ketten ohne Unterbrechung über die Linie der Begegnung aus der Südostrichtung des Himalaja in die Südwestrichtung des Hindukusch über: der Karakorum, die Pamirketten, die Züge des Alai und Thianschan gehören zu den indischen Scharungen und sind Teile eines einheitlichen gefalteten Gebirgssystems. Die Verbindung zwischen dem europäischen und asiatischen Faltungssystem vollzieht sich im N. durch den Paropamisos, der quer über das Kaspische Meer zum Kaukasus zieht; das G. der Krim weist auf den Balkan hin. Vom Kaukasus ab ist aber die tangentiale Bewegung nicht mehr wie in den asiatischen Bogen gegen S. gerichtet, sondern gegen N. Dabei ist das ganze G. von dem südöstlichen Siebenbürgen, rings um die Donauebene und durch das östliche Serbien einer allgemeinen Drehung im Streichen unterworfen. Eine zweite Verbindung wird im S. durch den dinarisch-taurischen Zug hergestellt. Die westiranischen Ketten begegnen sich in Armenien mit den aus SW. kommenden Zügen des Taurus. Der Bogen wird durch die Dinarischen Alpen geschlossen, die von den südöstlichen Ausläufern der Alpen die Westküste der gangen Balkanhalbinsel entlang bis zum äußersten Süden von Griechenland ziehen. Hier erfolgt eine Umbiegung der Falten, die ihre Fortsetzung in Kreta finden, wie der Taurus nach Cypern übertritt. In der Mitte ist der Bogen eingebrochen, innerhalb desselben liegt das Senkungsfeld des Ägeischen Meers.
Diese fünf großen Bogen, die, gegen S. gewendet, quer über den Kontinent ziehen, nämlich der malaiische Bogen, der des Himalaja, der Außenrand des Hindukusch, der iranische und dinarisch-taurische Bogen, trennen zwei ganz verschieden geartete Gebiete der Erde: nördlich davon liegt gefaltetes Land, südlich das Tafelland von Nordafrika, Arabien, und jenes der indischen Halbinsel. Das erstere, die große Wüstentafel, reicht vom Atlantischen Ozean südlich vom Atlas bis an den Euphrat und den Persischen Meerbusen und ist durch gleiche Schichtenfolge wie flache Lagerung charakterisiert, tangentiale Bewegung und Faltung fehlt diesem Gebiet vollständig. Dieselben Merkmale tragen Südafrika, Madagaskar und Vorderindien an sich, sie bildeten ein vereinigtes Tafelland, das stückweise zusammenbrach und zur Bildung eines neuen Ozeans Veranlassung gab.
Kein Erdteil ist so einheitlich gebaut wie Südamerika. Im O. und in der Mitte liegt die weite brasilische Tafel mit flach gelagerten paläozoischen Sedimenten, den Westrand bildet die Kordillere der Andes, im Hauptzug aus jurassischen Ablagerungen zusammengesetzt, je weiter man aber von O. nach W. geht, um so länger sind die Züge und um so jünger die Sedimente. Nach N. durch Kolumbien und Venezuela und im S. bis Staten Island gehen die Ketten in Virgation auseinander. Der Unterschied zwischen den südamerikanischen Gebirgen und dem Alpensystem besteht darin, daß bei den Alpen, Karpathen und Apenninen das Rückland eingebrochen ist und bei den beiden zuerst genannten das Vorland sichtbar, während in Südamerika die brasilische Tafel die Stelle des Rücklandes innerhalb des Bogens vortritt und das Vorland unter dem Ozean liegt. An dem Aufbau der Kordillere der Antillen nehmen jungvulkanische, tertiäre und mitteltertiäre Sedimente teil. Die Kordillere ist bogenförmig gekrümmt und geht nach W. in zwei Äste in Virgation auseinander, einerseits vom südlichen Haïti über Jamaica nach Honduras, anderseits vom nördlichen Haïti über Cuba nach Guatemala. Die Lage der Vulkane an der Innenseite der Kordillere entspricht jener der Vulkane der Apenninen und der Karpathen. Nach der Art der Umrahmung steht das Karibische Meer zu dem Mexikanischen Golf in einem ähnlichen Verhältnis wie der westliche Teil des Mittelmeers zu dem östlichen. Das Karibische Meer ist im N. und O. von dem Bruchrand eines Gebirges umsäumt, das im O. mit einer Reihe von Vulkanen besetzt ist, im S. kehrt das G. von Venezuela dem Meer seine gebrochene Innenseite zu. Ebenso liegen die Verhältnisse in Italien und im nordwestlichen Afrika. Der Mexikanische Golf ist in das Vorland eingebrochen, ohne daß sein Umriß durch den Verlauf von Gebirgen gekennzeichnet sei, wie das östliche Mittelmeerbecken in die Wüstentafel eingebrochen ist. In Nordamerika ziehen an der Ostküste mächtige Faltenzüge entlang, die durch eine gegen W. und NW. gerichtete tangentiale Bewegung gebildet wird; der Atlantische Ozean liegt daher an der Innenseite dieser Falten. Die ganze ebene Mitte des Kontinents besteht aus kretazeischen Ablagerungen, die mit einer großen Brackwasser- und Süßwasserbildung abschließen; den Untergrund bilden flach gelagerte mesozoische Sedimente, die am Fuß des Felsengebirges plötzlich steil aufgerichtet erscheinen. Die Rocky Mountains bestehen aus mächtigen Höhenzügen, welche an einer geraden, im Meridian verlaufenden Linie hintereinander auftreten, und von denen jeder das Bestreben hat, gegen NW. abzulenken. An den Westfuß des Felsengebirges schließen die weiten Hochtafeln von Utah, in welche der Cañon des Colorado eingesenkt ist. Jenseit des Wahsatch beginnt das Gebiet eines eingebrochenen Faltenlandes, die Basin Ranges. Die Sierra Nevada ist eine gegen W. überschobene Faltung; nördlich davon, in Oregon und Washington, breitet sich eine ungeheure Lavadecke aus. Das kalifornische Küstengebirge hat dieselbe Zusammensetzung wie die Küstenkordilleren Südamerikas und kann als deren Fortsetzung angesehen werden.
Aus dieser Übersicht über die größten Gebirgsketten der Erde, die größten Tafelländer und die Mittelmeere treten einige allgemeine Züge hervor, welche für das Antlitz der Erde charakteristisch sind, und von denen einer hervorgehoben werden mag. [367] Unter den Festländern lassen sich mehrere Einheiten unterscheiden. Die erste ist Indoafrika, die größte Tafel der Erde. Es umfaßt das südliche und mittlere Afrika, Madagaskar und Vorderindien. Diese Tafelländer sind seit dem Ende der Karbonzeit nie mehr vom Meer bedeckt worden. Die Wüstentafel der Sahara mit Ägypten, Syrien und Arabien schließt sich nördlich daran an; dieselbe war zur Kreidezeit und teilweise bis in die Tertiärzeit überflutet. Faltung ist diesem Teil seit dem Ende der paläozoischen Zeit fern geblieben, nur von Brüchen ist er umgeben und durch den Indischen Ozean zerschnitten. Die zweite Einheit bildet Südamerika, auf drei Seiten von Gebirgen umgürtet und nur gegen den Atlantischen Ozean ohne sichtbare Leitlinien abgebrochen. Die jüngsten Spuren von Meeresbedeckung sind brackische Ablagerungen, die wahrscheinlich mitteltertiär sind. Die dritte Einheit ist Nordamerika; die Faltung ist seit ältester Zeit durch den ganzen Kontinent gegen W. gerichtet. Nachdem das Kreidemeer sich von der Mitte des Kontinents zurückgezogen, bedeckte ein brackisches und süßes Binnenmeer das Land. Was von der Alten Welt nach Ausscheidung von Indoafrika übrigbleibt, kann als Eurasia bezeichnet werden. Der Bau dieses Erdteils zeigt die größte Mannigfaltigkeit; der ganze südliche Teil ist, in Falten gelegt, die gegen Indoafrika vordringen und die Grenze beider Erdteile bezeichnen. Viele Faltenzüge sind von sehr jungem Alter und haben ihre Bewegungen vielleicht noch nicht abgeschlossen; Einbrüche wie des Ägeischen Meers, des Pontus und des nördlichen Teils des Adriatischen Meers haben sich erst in jüngster Zeit vollzogen; als ein Rest der frühern Meeresbedeckung kann das Kaspische Meer angesehen werden. Bemißt man das Alter eines Kontinents nach der Zeit, seit welcher die größten Ebenen desselben zuletzt vom Meer verlassen worden sind, so ist Eurasia die Neue Welt, Nordamerika die Alte Welt; noch viel älter als Nordamerika ist aber Indoafrika.
[324] Gebirge. Die Erfahrungen, welche die geologische Untersuchung der letzten Jahre über den Bau der Erdrinde in den wichtigsten Gebirgen zu Tage gefördert hat, lassen den Unterschied zwischen den beiden Hauptgebirgstypen, den Ketten- und Massengebirgen, in Bezug auf ihre Entstehung und Entwickelung nunmehr schärfer erfassen, als es bisher möglich war. Beispiele von Kettengebirgen sind: die Pyrenäen, Alpen, Apenninen, Karpathen, der Balkan, Kaukasus, Elburz in Persien, Hindukusch, Himalaja und die Züge, welche die Westküste Amerikas vom Nördlichen Eismeer bis zum Kap Horn begleiten. Das spanische Mittelgebirge (Meseta), das französische Zentralplateau, Vogesen und Schwarzwald, Thüringer Wald, Sudeten, das rheinische Schiefergebirge sind Vertreter der alten Massen. Die charakteristischen Eigentümlichkeiten, durch welche sich die beiden Haupttypen voneinander unterscheiden, werden durch das Alter des Gebirges bedingt: die Ketten sind die jungen, die Massen die alten G.; in den erstern hat die gebirgsbildende Kraft noch in der zweiten Hälfte der Tertiärzeit gewaltige Massenbewegungen hervorgerufen, während die Massengebirge schon seit viel älterer Zeit unbewegt geblieben sind. Die jungen G. sind hoch, schroff, zerrissen, mit ausgesprochener Ketten- und Gipfelbildung versehen, die alten G. sind niedriger, zeigen gerundete Formen und sanfte Abdachung ohne klare Kettenbildung. Dieser Gegensatz in der äußern Gestalt der Kettengebirge und alten Massen rührt von dem Vorwiegen der einen oder der andern der beiden Kräfte her, die fortwährend verändernd auf die Erdoberfläche einwirken. Die tellurischen Kräfte, wie Erdbeben, Vulkanismus und die Gebirgsbildung selber, erzeugen Unebenheiten und geben der Erde Relief, die siderischen Kräfte, welche sich in der Verwitterung, Erosion und Denudation zu erkennen geben, ebnen alle Hervorragungen der Erdoberfläche wieder ein. Wenn die Gebirgsbildung in einem Gebiet in voller Thätigkeit ist, überwiegt ihre Wirkung im allgemeinen diejenige der Verwitterung und Abtragung; dagegen erhalten diese letztern die Oberhand, sobald die zusammenschiebenden u. aufrichtenden Kräfte ihre Wirksamkeit einstellen. So werden allmählich durch Erniedrigung und Abwaschung im Verlauf langer Zeiträume [325] aus den Kettengebirgen alte Massen, die letztern sind nur noch die Überbleibsel und Ruinen ehemaliger Kettengebirge. Als solche hat man die vorgenannten Gebirgszüge des mittlern und westlichen Europa erkannt; manche dieser Massen zeigen in der Anordnung ihrer Schichten und dem Verlauf ihrer Falten eine so auffallende Übereinstimmung, daß sie unzweideutig als Bruchstücke eines ehemals zusammenhängenden Gebirgslandes anzusehen sind. An mächtigen Bruchlinien sind große Teile dieses Landes in die Tiefe gesunken, während andre erhalten sind und als Horste mitten zwischen den niedergebrochenen Partien des mitteleuropäischen Schollenlandes stehen geblieben sind (vgl. Dislokation, S. 205). Dieses gewaltige Kettengebirge verlief von SW. nach NO., also der Richtung der Alpen parallel, und begann im östlichen Frankreich etwa an einer Linie, welche aus der Gegend von Douai u. Valenciennes im N. nach dem Quellgebiet der Dordogne bei Clermont-Ferrand in der Auvergne zieht; von da erstreckte sich dasselbe nach NO. bis etwa zum Meridian von Görlitz, wo die Umbiegung nach SO. erfolgte. Wie bei den meisten Kettengebirgen herrschte auch in diesen sogen. mitteldeutschen Alpen einseitiger Bau in der Weise vor, daß an der Innenseite des Bogens die ältesten Gebilde liegen: die Gneise des Schwarzwaldes und der Vogesen, des Fichtelgebirges, Erzgebirges, Riesengebirges; die der Außenseite des Bogens angehörigen Stücke, wie das rheinische Schiefergebirge, der Harz, Thüringer Wald, Frankenwald, bestehen aus jüngern, paläozoischen Ablagerungen. In enger Verbindung mit diesen mitteldeutschen Alpen steht ein zweites Hochgebirge im westlichsten Teile Europas, welches durch das nördliche Frankreich und das südliche England im Bogen nach NW. streicht, dessen Fortsetzung sich aber nicht verfolgen läßt, da es an den Küsten des Atlantischen Ozeans abbricht. Lassen so die deutschen Mittelgebirge das Schicksal eines verfallenden Kettengebirges erkennen, so kann man anderseits auch die Vorgeschichte eines entstehenden in ihren Umrissen darlegen. Ein Hauptzug in der heutigen Gestaltung der Erdoberfläche besteht darin, daß zwei große Landmassen, Amerika im W. und Europa-Asien mit Afrika im O., aus der nördlichen Polarregion bis in die südliche gemäßigte Zone hinabreichen und das langgestreckte Becken des Atlantischen Ozeans zwischen sich einschließen. Während der mesozoischen Periode dagegen reichte quer über den Indischen Ozean eine Festlandsbrücke von Vorderindien nach Südafrika, deren Trümmer heute noch Madagaskar und kleine Inselgruppen darstellen; ebenso bestand während dieser Periode eine Verbindung zwischen Südafrika und Brasilien mitten über den heutigen südlichen Atlantischen Ozean, und im N. stand Nordamerika mit Skandinavien im Zusammenhang. Der Atlantische Ozean existierte noch nicht, wohl aber ein langgestrecktes zentrales Mittelmeer, welches die nördlichen Landmassen von den südlichen trennte und sich von Mittelamerika bis zur Tiefebene des Ganges erstreckte. Zwischen der Lage des zentralen Mittelmeers und derjenigen der Hauptzone des jungen Kettengebirges besteht nun ein ausgesprochener Zusammenhang insofern, als die Kettengebirgsregion den bleibenden, immer überfluteten und tiefsten Teil des zentralen Mittelmeers bildet, während die nördlich und südlich anstoßenden Gebiete in junger Zeit nicht gefaltet wurden. Als die gebirgsbildenden Kräfte in dem Gebiete dieses Mittelmeers in Wirksamkeit traten, wurden gerade die tiefsten Meeresstrecken zu den höchsten Gebirgen aufgetürmt. Diese Thatsache legt die Vermutung nahe, daß auch ein genetischer Zusammenhang zwischen der Mächtigkeit der Meeresablagerungen und der Gebirgsbildung besteht. Vgl. M. Neymayr, Ketten- und Massengebirge („Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins“, 1888).