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MKL1888:Gesichtsschmerz

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gesichtsschmerz“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Gesichtsschmerz“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 242243
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Gesichtsschmerz. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 242–243. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gesichtsschmerz (Version vom 01.02.2024)

[242] Gesichtsschmerz (Fothergillscher G., Prosopalgia, Tic douloureux), eine Neuralgie des Nervus trigeminus des fünften Gehirnnervs, welcher der Gefühlsnerv für das ganze Gesicht ist. Der G. ist eine häufige Form des Nervenschmerzes oder der Neuralgie. Er kommt selten bei Kindern, am häufigsten zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, etwas häufiger bei Frauen als bei Männern vor. In der Mehrzahl der Fälle lassen sich keine materiellen Ursachen des Gesichtsschmerzes auffinden; man pflegt dann die Krankheit auf eine Erkältung, auf unterdrückte Fußschweiße oder Hautausschläge, auf Hämorrhoidalstörungen u. dgl. zurückzuführen. Sicher ist, daß die Vergiftung mit Sumpfgift, also die Malariainfektion oder die Wechselfieberkrankheiten, häufig die Ursache des Gesichtsschmerzes ist. Zuweilen aber hat man die Ursache des letztern darin erkannt, daß der Nerv und seine Äste, welche durch enge knöcherne Kanäle hindurchtreten, innerhalb der letztern einen Druck erleiden, weil der Knochen in der Nähe des Nervs aufgetrieben, verdickt, entzündet oder sonstwie krankhaft verändert ist. Auch Geschwülste und fremde Körper, wie Bleistücke und Knochensplitter nach Schußverletzungen u. dgl., können, wenn sie auf einen Ast des genannten Nervs drücken, G. hervorrufen. Der G. zeigt eine sehr verschiedene Ausbreitung. Je stärker der Nervenast ist, auf welchen die schmerzerregende Ursache einwirkt, um so ausgebreiteter ist der Schmerz. Hat die Neuralgie ihren Sitz im Hauptstamm des Nervs, so dehnen sich die Schmerzen von einem Ohr zum andern über das ganze Gesicht aus; auch in der Augenhöhle, in der Nase, im Gaumen, in der Zunge und den Zähnen werden die Schmerzen wahrgenommen. Betrifft die Krankheit den ersten Ast, was der häufigste Fall ist, so sind die Schmerzen beschränkt auf die Stirn und das obere Augenlid; doch wird der Schmerz manchmal hauptsächlich im Innern des Auges oder am innern Augenwinkel empfunden. Fast immer ist dabei die Thränenabsonderung verstärkt und die Bindehaut des Auges stark gerötet. Ist der zweite Nervenast der Sitz der Neuralgie, so sind die Schmerzen im untern Augenlid, in den Nasenflügeln, der Oberlippe und in der obern Zahnreihe gegeben, und die Nasenschleimhaut sondert während des Schmerzanfalles einen wässerigen Schleim ab. Bei der Neuralgie des dritten Astes werden die Schmerzen hauptsächlich in der untern Zahnreihe und neben dem Kinn sowie in der Unterlippe verspürt. Der G. stellt sich [243] teils als ein anhaltender dumpfer Schmerz, teils als Schmerzanfall dar. Die Anfälle sind furchtbar quälend, die Schmerzen schießen blitzschnell auf und ab, brechen nach kurzen Intervallen ab, um sofort in gleicher Heftigkeit wiederzukehren. Die Anfälle treten teils von selbst und ganz unregelmäßig, teils bei gewissen Veranlassungen, besonders beim Sprechen, Niesen, Gähnen, Schnäuzen etc., auf. Während des Anfalles wird das Gesicht gerötet, und die Haut desselben fühlt sich heißer an; die Schlagadern klopfen heftiger. Der Verlauf ist ein sehr langwieriger, so peinigend, daß hin und wieder die unglücklichen Kranken in schwere Melancholie verfallen, und sogar zum Selbstmord hat sich der eine oder andre Kranke durch die furchtbaren Schmerzen verleiten lassen. Was die Behandlung des Gesichtsschmerzes anbelangt, so wird zunächst die Beseitigung der Ursachen desselben angestrebt werden müssen, welche freilich nur in seltenen Fällen gelingen wird. Sehr häufig lassen sich Patienten, welche glauben, daß ihr G. von einem vorhandenen hohlen Zahn hervorgerufen sei, diesen Zahn ausziehen in der Hoffnung, der G. werde damit verschwinden. Indessen wird diese Hoffnung recht oft arg getäuscht; der Patient läßt sich einen Zahn nach dem andern, mag er krank oder gesund sein, ausreißen, aber der G. bleibt ungebessert zurück. Wenn der G. durch Erkältung entstanden ist, so wird man durch warme Einwickelungen, warme Vollbäder, Schwitzkuren etc. das Übel zu bekämpfen suchen. Auch kleine Blasenpflaster, welche man auf die schmerzenden Hautstellen in der Art anbringt, daß jeden Tag eine neue Stelle mit einem solchen Blasenpflaster bedeckt wird, während man die vorher gereizten Hautstellen ausheilen läßt, werden gegen frische Fälle von G. als erfolgreich gerühmt. Wenn dem G. ein Wechselfieber zu Grunde liegt, so schwindet mit der Besserung dieses Hauptleidens durch Chinin auch der G. Etwa vorliegende Störungen der Körperkonstitution wird man nach ihrer Art zu beseitigen suchen müssen, so die Blutarmut durch Eisenpräparate, andre allgemeine Leiden durch umstimmende Brunnen- und Badekuren etc. Auch der Wechsel des Aufenthalts, welcher bei G. in vielen Fällen von entschieden günstiger Wirkung ist, scheint als umstimmendes Mittel zu wirken. Ferner sind Einreibungen von Veratrin- und Aconitinsalbe zu versuchen, wobei aber große Vorsicht zu beobachten ist, da diese Salben, ins Auge gebracht, heftige Bindehautentzündungen hervorrufen. In neuerer Zeit greift man bei der Behandlung des Gesichtsschmerzes gern zur Elektrizität, namentlich zum konstanten galvanischen Strom, und auf diesem Weg werden die überraschendsten Heilerfolge erzielt. In den schlimmsten Fällen von G., wo alle andern Mittel vergeblich angewendet worden sind, muß schließlich zur Operation geschritten werden. Dieselbe besteht darin, daß aus dem Nervenstamm, welcher Sitz des Schmerzes ist, ein Stück herausgeschnitten wird (Neurotomie), damit die Leitung im Nerv unterbrochen, der Schmerz also nicht empfunden werde. Die Operation ist umständlich und schwierig. Sie wird um so sicherern Erfolg haben, je näher am Gehirn der Nerv durchschnitten wird. Die Heilung ist jedoch auch bei sonst gelungener Operation zuweilen nur vorübergehend, weil die Nervenstümpfe zusammenwachsen und die Leitung wiederherstellen können. Noch schwerer wird man sich zu der gleichfalls empfohlenen Unterbindung der Arteria Carotis entschließen. Das wichtigste und einzig zuverlässige Mittel ist das Morphium, welches nicht allein symptomatisch, d. h. schmerzstillend, wirkt, sondern mitunter vollkommene, dauernde Genesung herstellt. Neuerdings ist die Nervendehnung (s. d.) mit vorübergehendem Erfolg angewandt worden.