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MKL1888:Gesichtstäuschungen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gesichtstäuschungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Gesichtstäuschungen“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 243244
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Gesichtstäuschungen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 243–244. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gesichtst%C3%A4uschungen (Version vom 01.02.2024)

[243] Gesichtstäuschungen (Augentäuschungen, Okularspektra), durch das Auge und den Sehnerv vermittelte Empfindungen, welche nicht der Wirklichkeit entsprechen. Man unterscheidet subjektive und objektive G. Erstere werden ausschließlich durch subjektive Reize angeregt und gewinnen scheinbar objektive Gestalt, während die objektiven durch einen äußern Sinnesreiz eingeleitet werden, der aber zu Empfindungen und Vorstellungen führt, die dem Reiz nicht entsprechen. Bei den subjektiven G. kann entweder das Auge oder ein bestimmter Teil des Gehirns den Reiz empfangen. Es entsteht eine Lichtempfindung in vollkommener Finsternis, wenn auf den Sehapparat mechanische, elektrische, chemische oder thermische Reize einwirken. Am bekanntesten ist das blitzähnliche Leuchten, welches bei einem Schlag oder Stoß auf das Auge wahrgenommen wird. Bei schneller Bewegung des Auges im Finstern glaubt man bisweilen eine Lichterscheinung wahrzunehmen, die so genau der Wirklichkeit entspricht, daß der geübteste Beobachter über ihre wahre Natur im Zweifel bleibt. Aber auch ohne jegliche äußere Reizung ist das dunkle Gesichtsfeld bei geschlossenen Augen niemals ganz frei von Licht- und Farbenbildern. Diese werden auch wahrgenommen, wenn die Netzhaut im Auge für Licht völlig unempfindlich geworden ist, und gestalten sich unter Umständen zu einem quälenden Leiden (Photopsie). Sie sind durch den Druck des Bluts auf die Nerven zu erklären und treten daher besonders bei Kongestionen nach dem Kopf auf. Bemächtigen sich nun abnorme Erregungszustände des Gehirns solcher G., so können sie zu Halluzinationen, Illusionen und Visionen sich gestalten. Einen Übergang zu den objektiven G. bilden die sogen. entoptischen Erscheinungen, bei denen im optischen Apparat des Auges vorhandene Gegenstände oder Veränderungen zu falschen Wahrnehmungen führen. Dahin gehören die „fliegenden Mücken“ (mouches volantes), die Verzerrungen von Gegenständen durch abnorme Gestaltung der Krümmungsflächen der brechenden Medien (Metamorphopsie), die falsche Beurteilung der Größe gesehener Gegenstände infolge plötzlich eintretender Veränderungen in der Akkommodationskraft des Auges oder in der Leistungsfähigkeit der Muskeln, welche die Konvergenzstellung der Augen bewirken (Makropie, Mikropie), ferner die scheinbare Bewegung von Objekten infolge einer außerhalb des Bewußtseins sich vollziehenden Augenbewegung. Neben diesen G., welche alle mehr oder weniger auf Erkrankungen oder ungewöhnliche Reizungen des Gesichtssinns zurückzuführen sind, gibt es andre, welche aus der normalen Beschaffenheit des Organs entspringen. So täuscht uns der Augenschein andre Verhältnisse vor, als in Wirklichkeit vorhanden sind; entfernte Gegenstände erscheinen kleiner, und über die räumlichen Verhältnisse des Gesehenen belehrt uns nur die Erfahrung, wie das Kind beweist, welches nach dem Mond greift, und das Verhalten des Blindgebornen [244] nach glücklicher Operation im spätern Alter. Derartigen Täuschungen unterliegt jeder, sobald die Verhältnisse einigermaßen ungewöhnlich werden. Entfernte Gegenstände erscheinen näher oder ferner je nach dem Zustand der Atmosphäre. Hierher gehört auch die Thatsache, daß der Mond am Horizont größer erscheint, als wenn er hoch am Himmel steht. Sehr schwer entreißt man sich den Täuschungen über Ruhe und Bewegung äußerer Gegenstände, welche jedesmal eintreten, sobald man über die eigne Ruhe oder Bewegung einen nicht hinreichend starken Eindruck erhält. Derartige Täuschungen erlebt man besonders auf der Eisenbahn und auf dem Wasser, namentlich aber sind wir gar nicht im stande, uns von der Täuschung loszumachen, daß die Gestirne sich um die ruhende Erde drehen. Hierher gehört auch der bei Lähmung der Augenmuskeln eintretende Gesichtsschwindel. Spiegel, Fernrohre, Lupen, Mikroskope täuschen uns über den Ort der gesehenen Objekte. Ferner gehören zu den G. die Erscheinung der Irradiation, welche einen weißen Gegenstand größer erscheinen läßt als einen schwarzen von gleicher Größe, und die Folgen der Nachdauer einer Reizung der Sehnerven. So gibt eine geschwungene glühende Kohle das Bild eines feurigen Kreises, und im Phänakistoskop (stroboskopische Scheibe) setzen sich viele schnell hintereinander gesehene einzelne Bilder zu der Darstellung einer einzigen kontinuierlichen Bewegung zusammen. Zu der Nachwirkung gehören auch die Nachbilder, die in gleicher oder komplementärer Farbe erscheinen, und endlich sind die Kontrasterscheinungen zu erwähnen, welche bei gleichzeitiger Einwirkung zweier verschiedener Farben auf die Netzhaut entstehen: ein graues Papierstückchen auf rotem Grund erscheint grünlich. Über andre G. s. Pseudoskopische Erscheinungen. Vgl. Gesicht, besonders S. 238 f.