Zum Inhalt springen

MKL1888:Gibraltar

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gibraltar“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Gibraltar“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 326327
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Gibraltar
Wiktionary-Logo
Wiktionary: Gibraltar
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Gibraltar. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 326–327. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gibraltar (Version vom 15.09.2024)

[326] Gibraltar (arab. Dschebel al Tarik, „Fels des Tarik“), Vorgebirge an der südlichsten Spitze der span. Landschaft Andalusien, an der Meerenge von G. (s. auch das Spezialkärtchen auf der Karte „Mittelmeerländer“), welche das Atlantische mit dem Mittelländischen Meer verbindet, ist ein kolossaler, senkrecht aus den Wellen aufsteigender, aus Jurakalk bestehender Felsen von 425 m Höhe, 4,6 km Länge und 1,25 km Breite, der auch nach N. und namentlich nach O. steil abfällt und mit dem Festland nur durch einen Isthmus

Kärtchen des Vorgebirges von Gibraltar.

aus Flugsand (den sogen. neutralen Boden), der kaum höher als der Meeresspiegel und bei 3 km Länge etwa 2 km breit ist, zusammenhängt. Die südlichste Spitze ist die Punta de Europa (36°6′ nördl. Br.). Die Meerenge (estrecho) von G. (bei den Alten Fretum Herculeum) hat eine mittlere Tiefe von 275 m und im westlichen Eingang 37, im östlichen (zwischen der Punta de Europa und dem Felsen von Ceuta) 20 km Breite; die schmälste Stelle dazwischen (zwischen der Punta del Frayle im N. und Punta de Ciris im S.) ist nur 13 km breit. Das ganze Vorgebirge (mit einem Flächeninhalt von 5 qkm) ist von den Engländern, die seit 1704 im Besitz desselben sind, durch großartige, zum Teil in den Felsen gehauene Fortifikationen zu einer Festung umgeschaffen worden, die für unüberwindlich gilt und als Pforte des Mittelmeers von großer Wichtigkeit ist. Drei in den Felsen gehauene, sehr hoch gewölbte und breite Galerien, die erste 122 m, die zweite 213 m, die dritte 308 m ü. M., mit Kanonen von ungeheurem Kaliber reichlich gespickt und durch schmale Zickzackpfade verbunden, türmen sich nach der Landseite amphitheatralisch empor. Außer diesen Galerien dient eine vierte Reihe schwerer Batterien zur Deckung der Landzunge, und zahlreiche Außenwerke vollenden das Fortifikationssystem, zu dem im ganzen 800 Kanonen gehören. Bemerkenswert sind außerdem das maurische Kastell und das Signalhaus auf dem höchsten Punkte des Felsens, von wo sich eine wundervolle Aussicht über die Berge Malagas und die des südlichen Andalusien wie jenseit der Meerenge nach Afrika (von Ceuta bis Tanger) darbietet. Ein niedriger Erdwall mit von den Spaniern besetzten Wachthäusern, der quer über die Landzunge läuft und la Linea genannt wird, bildet im N. die Grenze des „neutralen Bodens“; 6 km hinter diesem Erdwall liegt das Städtchen San Roque auf hohem Felsen. Am minder steilen Westabfall des Vorgebirges zum Golf von G. (nach der gegenüberliegenden spanischen Stadt auch Golf von Algeciras genannt) zieht sich terrassenförmig die Stadt G. hin, die jedoch aus wenig mehr als Einer Straße mit einigen steilen Nebengassen besteht. Sie hat 2 protestantische und mehrere kath. Kirchen, 3 Synagogen und eine Moschee, ist von starken Festungswerken umgeben und hat meist im italienischen Stil erbaute, aber enge, unbequeme Häuser. G. zählt außer einer Militärbevölkerung von 7707 Seelen (1881) 18,381 Einw. (darunter 1800 Protestanten, 1500 Juden und 28 Mohammedaner), hat gute Unterrichtsanstalten und einen vortrefflichen Hafen, der zum Freihafen erklärt ist; nur auf Spirituosen und Wein wird ein Zoll erhoben. Im J. 1884 liefen in den Hafen von G. 6146 Schiffe, fast ausschließlich Dampfer und zum größten Teil unter englischer Flagge, mit 4,610,000 Ton. ein und ungefähr ebensoviel aus. G. ist Sitz eines deutschen Konsuls. Obschon an einem der wichtigsten Kreuzungspunkte des Weltverkehrs gelegen (es verkehren hier über 20 große Dampfschiffgesellschaften), ist G. doch ein Platz von untergeordneter kommerzieller Bedeutung und nur als Kohlenstation von hervorragender Wichtigkeit. Sonst werden eingeführt: Tabak, Zucker, Mehl und Manufakturwaren; ausgeführt werden: Wein, Südfrüchte u. a. Von G. aus wird nach Spanien bedeutender Schleichhandel getrieben. In der Umgegend sind von Natur kahle und dürre Felsen von den Engländern durch Sprengen, Behauen und kostspielige Herbeischaffung von Erde aus Spanien, ja sogar aus England in den prachtvollsten Park umgewandelt. Eine schöne Straße führt am Bergabhang empor bis zu der ebenfalls stark befestigten Punta de Europa, auf deren äußerster Felsenspitze der Leuchtturm steht. Am Ostfuß des Felsens liegt das Fischerdorf La Catela. Die auf silurischem Grund ruhende Kalkmasse des Vorgebirges umschließt zahlreiche Tropfsteinhöhlen, unter denen die St. Michaelshöhle die größte und schönste ist. Noch sind als eigentümliche Erscheinungen auf G. die Affen zu erwähnen, welche die stellenweise von Niederholz überwucherten Felsen über der Festung und um sie herum bewohnen und sorgfältig geschützt werden. Es sind die einzigen in Europa vorkommenden Affen.

Der Felsen von G. war schon in der ältesten Zeit unter dem Namen Calpe als eine der beiden Säulen des Herkules (die andre ist der Felsen von Avila bei Ceuta auf der afrikanischen Küste) bekannt. Die Römer gründeten hier eine Kolonie, Colonia Julia Calpe. Als 710 und 711 die Mauren bei ihrem Einbruch in Spanien bei G. landeten, legte der Feldherr Tarik hier ein festes Kastell an. Seitdem nannten die [327] Mauren den Berg Gebel (Dschebel) al Tarik (d. h. „Fels des Tarik“), woraus der Name G. entstand. Die Mauren erbauten das Schloß von G. 1149 an der jetzigen Stelle. Im J. 1302 entriß der König Ferdinand II. von Kastilien die Festung den Mauren, aber schon 1333 eroberte Abu Melik, Sohn des Kaisers von Marokko, dieselbe nach einer sechsmonatlichen Belagerung. Noch in demselben Jahr sowie 1349 suchte sie Alfons XI. von Kastilien vergeblich wiederzugewinnen. 1410 nahm Jussuf III., König von Granada, G. den Marokkanern ab; 1438 griff Don Enrique de Guzman, Graf von Niebla, unter der Regierung Johanns II. G. erfolglos zu Lande und zur See an; erst 1462 unter König Heinrich IV. ward es durch Guzman, Herzog von Medina-Sidonia, nach einer langwierigen Belagerung den Mauren entrissen. Seitdem der Krone von Kastilien und Leon angehörig, wurde es 1502 mit der Krone von Spanien vereinigt. Karl V. ließ die alten Werke durch den deutschen Ingenieur Daniel Speckle verbessern und erweitern. Am 25. April 1607 forcierte der holländische Admiral Jakob Heemskerk den Hafen von G. und zerstörte die in demselben liegende spanische Flotte. Im spanischen Erbfolgekrieg erschien 1704 eine englische Flotte unter dem Admiral Rooke in den Gewässern von G. und warf ein Korps von 1800 Kriegern ans Land, welches 3. Aug. unter dem kaiserlichen Feldmarschallleutnant Prinz Georg von Hessen-Darmstadt die schlecht verteidigte Festung durch einen Handstreich für England nahm. Der Versuch des Marquis von Villadarias, sie mit 7000 Mann Spaniern und Franzosen von der Landseite anzugreifen, während der Admiral Poyez den Angriff mit 24 Schiffen unterstützen sollte, wurde teils durch die Festigkeit des Platzes, teils durch die rechtzeitige Dazwischenkunft der englisch-holländischen Flotte unter dem Admiral Leake (Nov. und Dez. 1704) vereitelt. Ein zweiter Versuch der vereinigten Spanier und Franzosen unter dem Marschall Tessé im März 1705 endete mit der Niederlage des französischen Geschwaders im Hafen von G. Im April 1706 erklärte die Königin Anna G. für einen Freihafen. Der Utrechter Friede (1713) bestätigte England im Besitz von G., und es hat diese Macht seitdem jährlich gegen 40,000 Pfd. Sterl. darauf verwandt, um dieses Bollwerk seines Handels im Mittelmeer unüberwindlich zu machen. Im J. 1726 machte Spanien fruchtlose Versuche, G. den Engländern zu entreißen; auch die den letztern gebotene Kaufsumme von 2 Mill. Pfd. Sterl. ward zurückgewiesen, und Spanien mußte sich im Vertrag zu Sevilla (1729) aller Ansprüche auf G. begeben. Die berühmteste Belagerung Gibraltars war die von 1779–82, der letzte Versuch Spaniens, G. mit Waffengewalt wiederzugewinnen. Verteidiger war General Elliot. Die Belagerer waren anfangs 14,000, die Belagerten etwa 5000 Mann stark. Von April bis Ende Mai 1781 warfen die Belagerer 56,760 Kugeln und 20,130 Bomben, welche zwar die Stadt in einen völligen Schutthaufen verwandelten, die Festungswerke aber nur wenig beschädigten. Dafür zerstörte Elliot in der Nacht vom 26. zum 27. Nov. 1781 mit 1000 Mann die von den Spaniern errichteten Batterien; im März 1782 erhielt er von der See her Verstärkung an Mannschaft und Lebensmittel. Gleichwohl beschlossen die bourbonischen Höfe, die Belagerung mit verdoppelter Anstrengung fortzusetzen, und übertrugen die Führung derselben dem Eroberer von Menorca, dem Herzog von Crillon, der im Juni 1782 mit 8000 Franzosen im Lager anlangte. Schon vorher hatten die Spanier zu Algeciras bombenfeste schwimmende Batterien nach der Idee des französischen Ingenieurs d’Arçon zu errichten begonnen, die über 300 Kanonen und Bombenkessel trugen, und obwohl die Batterien durch glühende Kugeln in Brand gesteckt wurden, eröffnete der Herzog 9. Sept. den Sturm, der aber keinen Erfolg hatte. Als dann 12. Sept. die vereinigte französisch-spanische Flotte von 38 Linienschiffen unter Don Luis de Cordova in der Bai erschien, waren von der Seeseite 47 Linienschiffe, 10 schwimmende Batterien, im ganzen 142 Stück Kanonen von großem Kaliber, nebst vielen kleinen Schiffen, von der Landseite 200 Stück großes Geschütz und eine Armee von 40,000 Mann versammelt, wogegen in G. kaum 7000 Mann lagen. Allein alle Anstrengungen blieben vergeblich, und als die Festung durch Admiral Howe Zufuhr erhielt, hoben die Verbündeten nach großen Verlusten (angeblich über 70 Mill. Thlr.) gegen Ende Oktober die Belagerung auf, und der Friede von 1783 bestätigte die Engländer im Besitz von G. Seitdem ist G. in allen englisch-spanischen Kriegen nur beobachtet worden. In der neuern Zeit, besonders seit 1821, war G. stets ein Einigungspunkt für die spanischen Liberalen (1831 fand von hier aus die Landung des unglücklichen Generals Torijos statt) und während des Karlistenkriegs ein sicherer Waffenplatz für die Christinos. Vgl. Gilbard, G. (Gibr. 1882); „G. and its sieges, with a description of his natural features“ (Lond. 1879); die Geschichte Gibraltars behandelten Montero (Cadiz 1860) und Tubino (Sevilla 1863).