Zum Inhalt springen

MKL1888:Grimm

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Grimm“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Grimm“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 7 (1887), Seite 741745
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: Grimm
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Grimm. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 741–745. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Grimm (Version vom 20.05.2023)

[741] Grimm, 1) Friedrich Melchior, Freiherr von, geistreicher Litterator des 18. Jahrh., geb. 25. Dez. 1723 zu Regensburg als Sohn armer Eltern und sorgfältig erzogen, begleitete nach beendeten Studien den jungen Grafen von Schönberg auf die Universität zu Leipzig, dann nach Paris, wo er Vorleser des damaligen Erbprinzen von Sachsen-Gotha wurde. Rousseau, den ihm seine musikalischen Kenntnisse bekannt machten, führte ihn bei d’Alembert, Holbach, Diderot, der Frau v. Epinay u. a., der Graf Friesen, Neffe des Marschalls von Sachsen, als dessen Sekretär er fungierte, in die ersten Zirkel von Paris ein, und überall machte sich G. durch seinen lebendigen Geist wie durch sein feines und gewandtes Wesen beliebt. Eine gewisse Berühmtheit erhielt er als Stimmführer der Partei (genannt „le coin de la reine“), welche die damals nach Paris gekommenen italienischen Buffones auf Kosten der französischen Bouffons in Schutz nahm, durch seine pikanten Broschüren zu gunsten der erstern: „Le petit prophète de Boemischbroda“ (Par. 1753) und „Lettre sur la musique française“ (das. 1753), die ihn beinahe in die Bastille gebracht hätten. Nach dem Tode des Grafen Friesen wurde G. Sekretär des Herzogs von Orléans, fand aber noch Zeit genug, seine litterarischen (vielleicht mit Beihilfe Diderots und Raynals verfaßten) Bülletins für mehrere deutsche Fürsten zu schreiben, die 37 Jahre lang fortgesetzt wurden und nach seinem Tod unter dem Titel: „Correspondance littéraire, philosophique et critique“ (Par. 1812–13, 17 Bde., nebst „Supplément“, das. 1814; neu hrsg. von Taschereau, das. 1829–31, 15 Bde.; von Tourneux, das. 1878–82, 16 Bde.; deutsch im Auszug, Brandenb. 1820–23, 2 Bde.) erschienen. Sie bilden eine vollständige Geschichte der französischen Litteratur von 1753 bis 1790 und zeichnen sich sowohl in sprachlicher Hinsicht als durch glänzende und pikante Urteile aus. Seit 1776 versah G., zum Baron ernannt, am französischen Hof die Funktionen eines bevollmächtigten Ministers des Herzogs von Gotha. Nach dem Ausbruch der Revolution begab er sich nach Gotha, wo ihn 1795 die Kaiserin Katharina II. von Rußland zum Staatsrat und Ministerresidenten in Hamburg ernannte. Als er infolge einer Krankheit ein Auge verloren, nahm er seine Entlassung und kehrte nach Gotha zurück, wo er 19. Dez. 1807 starb. Noch erschien: „Correspondance inédite de G. et Diderot“ (Par. 1829). Vgl. Sainte-Beuve, Études sur G. (Par. 1854); Avezac-Lavigne, Diderot et la société du baron Holbach (das. 1875).

2) Jakob Ludwig Karl, der Begründer der deutschen Philologie und Altertumswissenschaft, geb. 4. Jan. 1785 zu Hanau, wurde in Steinau, wohin sein Vater 1791 als Amtmann versetzt worden war, erzogen, kam 1798 mit seinem Bruder Wilhelm auf das Lyceum in Kassel und bezog 1802 die Universität Marburg, um sich dem Studium der Rechtswissenschaft zu widmen. Durch Wachlers Vorträge wurde indes seine Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den deutschen Sprachstamm und die Schätze der deutschen Litteratur fixiert, worauf sie schon Savignys rechtshistorische Forschungen hingelenkt hatten. Als letzterer 1804 behufs wissenschaftlicher Forschungen nach Paris ging, ließ er G. bald dahin nachkommen, [742] um sich seiner Hilfe bei litterarischen Arbeiten zu bedienen. Im September 1805 nach Kassel, dem Wohnort seiner Mutter, zurückgekehrt, erlangte er hier mit vieler Mühe den Posten eines Accessisten beim Sekretariat des Kriegskollegiums, nahm aber noch vor Ablauf eines Jahrs seine Entlassung. Durch Johannes v. Müller dem damaligen Kabinettssekretär des Königs von Westfalen empfohlen, erhielt er im Juli 1808 eine Anstellung als Bibliothekar des Königs und ward im Februar 1809 außerdem zum Auditor im Staatsrat ernannt. Die viele Muße, die ihm die amtlichen Geschäfte ließen, verwendete er auf das Studium der altdeutschen Poesie u. Sprache. Die ersten Resultate seines Fleißes legte er in der Schrift „Über den altdeutschen Meistergesang“ (Götting. 1811) nieder, welcher bald der 1. Band der allbekannten, unmittelbar aus dem Volksmund geschöpften „Kinder- und Hausmärchen“ (Berl. 1812) folgte. Das letztere Werk, von dem der 2. Band 1815 und der dritte, die Märchenlitteratur enthaltend, 1822 erschien (3. Aufl. 1856), während vom ersten und zweiten neue Ausgaben (20. Aufl. 1885) und vom Ganzen eine kleinere Ausgabe (welche fortwährend in neuen Auflagen erscheint) nötig wurden, fand sofort den ungeteiltesten Beifall. Im folgenden Jahr gab G. die „Altdeutschen Wälder“ (Kassel 1813–16, 3 Bde.) heraus, denen „Die beiden ältesten deutschen Gedichte, das Lied von Hildebrand und Hadubrand und das Weißenbrunner Gebet“ (das. 1812) vorhergegangen waren. Mit Ausnahme der Schrift über den Meistergesang hatte G. die übrigen in Verbindung mit seinem Bruder Wilhelm bearbeitet und herausgegeben. Beim Einpacken der reichhaltigen königlichen Bibliothek zu Kassel behufs deren Versendung nach Paris mitbeschäftigt, wußte G. manche wertvolle Handschrift als unwichtig darzustellen und zurückzuhalten. Nach der Rückkehr des Kurfürsten wurde G. zum Legationssekretär des hessischen Gesandten Grafen Keller ernannt und begab sich mit diesem ins Hauptquartier der Alliierten. In Paris war er Mitglied der Kommission, welche die entführten litterarischen Schätze zurückforderte. Im Sommer 1814 nach Kassel zurückgekehrt ging er alsbald zum Kongreß nach Wien, wo er bis Juni 1815 blieb. Um jene Zeit begann er sich mit den slawischen Sprachen bekannt zu machen, deren Studium er später, bei mehr Muße, wieder aufnahm. Eine Frucht dieser Beschäftigung war, wenn wir von den anderweitigen Ergebnissen für die allgemeine linguistische Vergleichung absehen, „Wuk Stephanowitsch’ Kleine serbische Grammatik, verdeutscht mit einer Vorrede“ (Leipz. 1824). Von Kassel aus, wohin er sich nach Erledigung seiner Wiener Aufträge begeben hatte, mußte er auf Requisition der preußischen Regierung wieder nach Paris eilen, um dort die aus verschiedenen Gegenden Preußens geraubten Handschriften zu ermitteln und zurückzuverlangen. Diese Aufträge brachten ihn mit dem preußischen Geheimen Kammergerichtsrat Eichhorn, dem spätern Unterrichtsminister, zusammen, mit dem er ein dauerndes freundschaftliches Verhältnis anknüpfte. Gegen Ende 1815 nach Kassel zurückgekehrt, ward er 16. April 1816 zweiter Bibliothekar an der Bibliothek in Kassel, an der sein Bruder Wilhelm das Jahr vorher Sekretär geworden war. Schon 1815 hatte er zu Wien „Irmenstraße und Irmensäule“ und „Silva de romances viejos“ und zu Berlin gemeinschaftlich mit seinem Bruder Wilhelm „Der arme Heinrich von Hartmann von Aue“ und „Lieder der alten Edda“ (neue Ausgabe der deutschen Übersetzung von Hoffory, Berl. 1885) erscheinen lassen. Nach ihrer Anstellung an der Bibliothek veröffentlichten die Brüder gemeinschaftlich: „Deutsche Sagen“ (Berl. 1816–18, 2 Bde.; 2. Aufl. 1866) und „Irische Elfenmärchen“ (Leipz. 1826), eine Übersetzung von Crofton Crokers „Fairy legends and traditions of the South of Ireland“, der sie eine treffliche Einleitung vorausschickten. Zwei der wichtigsten Arbeiten Grimms, die in der deutschen Altertumswissenschaft Epoche machen, fallen in diese Zeit des Aufenthalts zu Kassel: „Die deutsche Grammatik“ (Götting. 1819, Bd. 1, 2. Aufl. 1822, 3. Aufl. 1840; Bd. 2–4, 1826–37, 2. Abdruck 1853; vermehrte Ausgabe des 1. Bds. durch W. Scherer nach Grimms Handexemplar, Berl. 1870; des 2. Bds., 1875 bis 1878) und „Deutsche Rechtsaltertümer“ (Götting. 1828; 3. Aufl., das. 1881). In seiner „Deutschen Grammatik“ hat G. den ersten wesentlichen Schritt zur Begründung tieferer Erkenntnis des deutschen Altertums gethan. Die Grammatik erscheint in diesem Werk nicht mehr als trockne Schematisierung; G. wußte „ein historisches Leben mit allem Fluß freudiger Entwickelung in sie zu zaubern“ und hat dadurch zu dem Bau unsrer nationalen Philologie einen neuen Grund gelegt. Was die „Rechtsaltertümer“ für das innigere Verständnis des ältesten Rechtslebens sind, das leistete für die Religion der Altdeutschen Grimms „Deutsche Mythologie“ (Götting. 1835, 3. Aufl. 1854; 4. Aufl. durch E. H. Meyer, Berl. 1875–78), ein Werk von nicht minder großer Tragweite für die germanistische Wissenschaft. Da nach dem 1829 erfolgten Tod Völkels, des Oberbibliothekars, die Gebrüder G. ihren Anspruch auf Beförderung nicht berücksichtigt sahen, folgten sie in demselben Jahr einem Ruf nach Göttingen, und zwar Jakob als ordentlicher Professor und Bibliothekar und Wilhelm als Unterbibliothekar. Hier wurde die „Deutsche Grammatik“ vollendet und die schon erwähnte „Mythologie“ ausgearbeitet. In jene Zeit fallen auch Grimms kleinere Werke: „Hymnorum veteris ecclesiae XXVI interpretatio theotisca“ (Götting. 1830), „Die angelsächsischen Dichtungen Andreas und Elene“ (Kassel 1840); von größern Arbeiten noch „Reinhart Fuchs“ (1834), worin G. nebeneinander den mittelhochdeutschen Reinhart, den niederländischen Reinaert und andre deutsche und lateinische Gedichte der mittelalterlichen Tierfabel veröffentlichte und mit umfassenden Untersuchungen über die Tiersage begleitete. Da G. mit seinem Bruder Wilhelm die bekannte Protestation der Göttinger Sieben gegen die Aufhebung des hannöverschen Staatsgrundgesetzes von 1833 unterschrieb, wurden beide Ende 1837 ihres Amtes entsetzt und begaben sich zurück nach Kassel (vgl. Jakob G., Über meine Entlassung, Basel 1838). Im J. 1840 zu ordentlichen Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit dem Recht, Vorlesungen an der Universität zu halten, ernannt, eröffnete Jakob 30. April 1841 seine Vorlesungen über Altertümer des deutschen Rechts. Er war Vorsitzender der Germanistenversammlungen zu Frankfurt (1846) und Lübeck (1847) und saß 1848 kurze Zeit in der Nationalversammlung zu Frankfurt, tagte auch 1849 mit zu Gotha. Im J. 1828 erschien seine „Geschichte der deutschen Sprache“ (Leipz., 2 Bde.; 4. Aufl., das. 1880). Schon früher hatte er im Anschluß an seine „Rechtsaltertümer“ eine Sammlung deutscher „Weistümer“ (Götting. 1840–63, 4 Bde.) unternommen, von denen nach seinem Tod noch 2 Bände (das. 1867–70, Registerband 1878) erschienen. Viele besondere Untersuchungen legte G. in Haupts „Zeitschrift für deutsches Altertum“, in Pfeiffers „Germania“ [743] und in den „Abhandlungen“ der Berliner Akademie nieder; von letztern erschien in besonderm Abdruck die Schrift „Über den Ursprung der Sprache“ (Berl. 1852, 7. Aufl. 1879). In der Vorrede zu Merkels „Lex salica“ (Berl. 1850) behandelte er ausführlich die Malbergische Glosse. In Gemeinschaft mit seinem Bruder begann er endlich noch in hohem Alter die umfassendste Arbeit seines Lebens, das „Deutsche Wörterbuch“ (Leipz. 1852 ff.), welches den gesamten neuhochdeutschen Sprachschatz, soweit er in den Litteraturwerken von Luther bis Goethe enthalten, darzulegen bestimmt ist, und dessen Weiterführung nach seinem Tod Hildebrand und Weigand übernahmen, denen sich später Moritz Heyne und M. Lexer anreihten. G. starb unverheiratet 20. Sept. 1863 in Berlin. Eine Sammlung von Abhandlungen, Rezensionen, Reden etc. von Jakob G. erschien unter dem Titel: „Kleinere Schriften“ (Berl. 1867–86, 8 Bde.; Auswahl daraus, 2. Ausg. 1875), worin auch seine Selbstbiographie enthalten ist. Ein lebendiges Bild seiner Persönlichkeit geben seine in großer Anzahl veröffentlichten Briefe, so: der „Briefwechsel zwischen Jakob G. und J. D. Graeter aus den Jahren 1810–13“ (Heilbr. 1877); „Freundesbriefe von Wilh. und Jakob G.“ (das. 1878); „Briefwechsel des Freiherrn v. Meusebach mit Jakob und Wilh. G.“ (das. 1880); „Briefwechsel zwischen Wilhelm und Jakob G. aus der Jugendzeit“ (Berl. 1881); „Briefe an Hendrik Willem Tydeman“ (Heilbr. 1882); „Briefwechsel der Brüder G. mit nordischen Gelehrten“ (Berl. 1885); „Briefwechsel zwischen Jakob und Wilhelm G., Dahlmann und Gervinus“ (das. 1885, 2 Bde.). Vgl. Scherer, Jakob G. (2. Aufl., Berl. 1884); Berndt, Jakob Grimms Leben und Werke (Halle 1884); A. Duncker, Die Brüder G. (Kassel 1884); Schönbach, Die Brüder G. (Berl. 1885); Stengel, Private und amtliche Beziehungen der Brüder G. zu Hessen (Marb. 1885, 2 Bde.).

3) Wilhelm Karl, ausgezeichneter deutscher Altertumsforscher, Bruder des vorigen, geb. 24. Febr. 1786 zu Hanau, genoß mit seinem Bruder Jakob gleiche Erziehung und gleichen Unterricht, besuchte, wie dieser, das Lyceum zu Kassel und die Universität Marburg, letztere jedoch ein Jahr später als Jakob, und erfreute sich ebenfalls des Wohlwollens Savignys, der ihn für die Rechtswissenschaft bestimmte. Asthmatische Beschwerden und eine Herzkrankheit, zu deren Heilung er 1809 zu Reil nach Halle ging, verboten ihm längere Zeit, sich um ein Amt zu bewerben. Er genas nur langsam, doch vollständig, wenn er auch seinem Bruder Jakob an körperlicher Rüstigkeit stets nachstand. Er wurde 1814 zum Bibliotheksekretär in Kassel ernannt, wo er sich auch 15. Mai 1825 verheiratete, und folgte Anfang 1830 seinem Bruder nach Göttingen, wo er die Stelle eines Unterbibliothekars und 1835 eine außerordentliche Professur in der philosophischen Fakultät erhielt. Seine übrigen Lebensschicksale sind aufs engste mit denen seines Bruders Jakob verflochten: auch er gehörte zu den Sieben, welche gegen die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes protestierten, und wurde infolgedessen seines Amtes entsetzt, durfte aber noch bis Oktober 1838 in Göttingen bleiben, worauf er sich zu seinem Bruder nach Kassel begab. Mit diesem ging er 1841 nach Berlin; hier starb er 16. Dez. 1859. Die Gemeinsamkeit und gegenseitige Ergänzung der beiden Brüder in Hinsicht auf deutsche Wissenschaft und Politik, Überzeugungstreue, Arbeitskraft und Richtung ihres Wirkens steht als ein seltenes Beispiel da. Mit liebevoller Hingabe hat Wilhelm G. seine Forschungen besonders der Poesie des Mittelalters zugewendet. Außer einer Anzahl mit seinem Bruder Jakob bearbeiteter Werke (so der „Kinder- und Hausmärchen“, an deren Bearbeitung ihm der Hauptanteil gebührt) veröffentlichte er allein: „Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen“, übersetzt (Heidelb. 1811); „Über deutsche Runen“ (Götting. 1821; Nachtrag: „Zur Litteratur der Runen“, 1828); Ausgaben des „Grave Ruodolf“ (das. 1828, 2. Aufl. 1844; Bruchstücke eines Gedichts aus dem 12. Jahrh.), des „Hildebrandsliedes“ (Faksimile, das. 1830), des „Freidank“ (das. 1834, 2. Ausg. 1860), des „Rosengarten“ (das. 1836), des „Rolandsliedes“ (das. 1838), des „Wernher vom Niederrhein“ (das. 1839), der „Goldenen Schmiede“ (Berl. 1840) und des „Silvester“ von Konrad von Würzburg (Götting. 1841), des „Athis und Prophilias“ (das. 1846, Nachtrag 1852), der „Altdeutschen Gespräche“ (Berl. 1851, Nachtrag 1852). Sein Hauptwerk ist „Die deutsche Heldensage“ (Götting. 1829; 2. Aufl., Berl. 1867), eine Zusammenstellung der Zeugnisse für dieselbe, nebst einer Abhandlung über ihren Ursprung und ihre Fortbildung. Außerdem sind zu erwähnen: die in der Berliner Akademie gelesene Abhandlung „Exhortatio ad plebem christianam“ (Berl. 1848), mit der eine Abhandlung über die „Glossae Casselanae“, welche zu den ältesten Denkmälern der deutschen Sprache gehören (Nachtrag hierzu 1855), sowie eine andre „Über die Bedeutung der deutschen Fingernamen“ verbunden ist; ferner die gelehrte Untersuchung über „Die Sage vom Ursprung der Christusbilder“ (das. 1843); die Abhandlung „Über Freidank“ (das. 1850, mit 2 Nachträgen 1852 u. 1856); „Zur Geschichte des Reims“ (das. 1852) und „Die Sage von Polyphem“ (das. 1857); seine „Kleinern Schriften“ (hrsg. von Hinrichs, Berl. 1881–86, 4 Bde.) enthalten eine Sammlung seiner Rezensionen und zerstreuten Abhandlungen, darunter seine Autobiographie. G. veranstaltete 1839 auch eine Ausgabe der Werke Achim v. Arnims.

4) Ludwig Emil, Maler und Kupferstecher, Bruder der beiden vorigen, geb. 14. Mai 1790 zu Hanau, kam um 1808 nach München zum Kupferstecher Karl Heß, unter dessen Leitung er bald mit der Radiernadel und später auch mit dem Grabstichel Tüchtiges leistete; doch zog er später die Radiernadel vor und verband nur da, wo es Kraft und Harmonie erforderten, mit der erstern die kalte Nadel. G. radierte eigne Kompositionen, Landschaften, Tiere, am liebsten Bildnisse. Seine Behandlung der Nadel ist frei, die Gegenstände sind durchgehends rein, zierlich und zuweilen bis zur Vollendung ausgeführt. Nachdem er an den Befreiungskriegen teilgenommen, kehrte er 1814 nach Kassel zurück, besuchte 1816 Italien und arbeitete dann bis Anfang 1818 in München, worauf er sich in seiner Heimat niederließ. 1832 wurde er Professor an der Akademie zu Kassel. Er starb 4. April 1863 daselbst. Bekannt ist seine Madonna in einer Landschaft mit Joseph, Georg und Augustin. Eine Sammlung radierter Blätter, enthaltend historische Darstellungen, Genrebilder, Köpfe, Bildnisse und Landschaften, gab er 1840 mit einem Titelblatt: die Märchenerzählerin, heraus, welchem Werk 1854 noch 30 Blätter als Supplement folgten.

5) Heinrich Gottfried, Mediziner, geb. 21. Juni 1804 zu Sargstedt bei Halberstadt, studierte 1821 im Friedrich Wilhelms-Institut in Berlin, diente dann ein Jahr im Chariteekrankenhaus, dirigierte 1830 während der polnischen Insurrektion ein leichtes Feldlazarett und folgte 1832 einem Kommando in die französischen und holländischen Lazarette bei dem Bombardement [744] von Antwerpen. Darauf zum Leibarzt des Königs ernannt, wurde er 1835 als Regimentsarzt nach Potsdam versetzt, kehrte 1838 abermals nach Berlin zurück, um als Subdirektor die Leitung der militärärztlichen Bildungsanstalten zu übernehmen. 1844 wurde er Generalarzt, 1847 zweiter und 1851 erster Generalstabsarzt der Armee und Chef des Militärmedizinalwesens, in welcher Stellung er bis 1879 verblieben ist. Er starb 24. Dez. 1884 in Berlin. G. hat sich große Verdienste um die Entwickelung des preußischen Militärmedizinalwesens erworben, das in seiner jetzigen Gestalt wesentlich sein Werk ist. Er hat durchgreifende Reformen in demselben ausgeführt, die zum Teil schon ihre Feuerproben in den letzten Kriegen rühmlichst bestanden haben. Als Schluß seiner Thätigkeit kann die 1880 erschienene „Kriegssanitätsordnung“ betrachtet werden.

6) August Theodor von, Schriftsteller, geb. 25. Dez. 1805 zu Stadtilm im Schwarzburgischen, widmete sich dem Studium der Philosophie und Geschichte in Jena, Halle und Berlin und begab sich 1827 zu einem Oheim nach Petersburg, wo er vorzugsweise französische, englische und russische Sprachstudien trieb und mehrere Jahre als Lehrer an einer Erziehungsanstalt wirkte. Nachdem er 1832 eine gräfliche Familie auf einer Reise nach Deutschland, Frankreich und Italien begleitet hatte, vertiefte er sich in Rom eine Zeitlang in das Studium der klassischen Altertümer, besuchte darauf mit dem Sohn des spätern Reichskanzlers, Grafen Nesselrode, die ersten Höfe Europas und wurde nach seiner Rückkehr 1835 zum Studiendirektor ernannt, als welcher er die Erziehung des Großfürsten Konstantin und der Großfürstin Alexandrine leitete. Erstern begleitete er 1845–47 auf Reisen nach dem nördlichen und östlichen Rußland, nach der Krim, nach Kaukasien, Syrien und Griechenland, wo er einen längern Aufenthalt zum Studium der griechischen Altertümer benutzte, und nach Algerien. Bei der Vermählung des Großfürsten 1847 ward er zum Staatsrat ernannt und geadelt, worauf er bis 1852 auch die Erziehung der jüngern Großfürsten, Michael und Nikolaus, leitete. Im genannten Jahr zog er sich aus Gesundheitsrücksichten nach Dresden zurück, wo er seine „Wanderungen nach Südosten“ (Berl. 1855–57, 3 Bde.) und seinen Roman „Die Fürstin der siebenten Werst“ (Petersb. 1858; deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1861, 2 Bde.) schrieb, dessen Titel von dem in Petersburg üblichen Gebrauch, mit der „siebenten Werst“ des Peterhofer Wegs ein berühmtes Irrenhaus bei Petersburg zu bezeichnen, hergenommen ist, und dessen Inhalt durch die vortreffliche Schilderung russischer Zustände großes Aufsehen erregte. Seit 1858 war G. wieder als Erzieher der kaiserlichen Kinder zu Petersburg thätig, trat aber nach dem Tode der Kaiserin-Mutter (1860) für immer von diesem Posten zurück und siedelte nach Berlin über, wo er ein umfassenderes Werk über die Verstorbene: „Alexandra Feodorowna, Kaiserin von Rußland“ (2. Aufl., Leipz. 1866, 2 Bde.), ausarbeitete. G. starb 28. Okt. 1878 in Wiesbaden.

7) Karl Ludwig Wilibald, protest. Theolog, geb. 1. Nov. 1807 zu Jena, woselbst er 1827–32 studierte, sich 1833 habilitierte, 1837 außerordentlicher, 1844 ordentlicher Honorarprofessor der Theologie, 1871 Kirchenrat und 1885 Geheimer Kirchenrat wurde. Unter seinen Schriften heben wir hervor: „Kommentar über das Buch der Weisheit“ (Leipz. 1837); „Die Glaubwürdigkeit der evangelischen Geschichte“ (Jena 1845); „Institutio theologiae dogmaticae“ (2. Aufl., das. 1869); „Kurzgefaßtes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testaments“ (mit Otto Fridolin Fritzsche, Leipz. 1851–60, 6 Bde.); „Lexicon graeco-latinum in libros Novi Testamenti“ (das. 1879); „Kurzgefaßte Geschichte der Lutherschen Bibelübersetzung“ (Jena 1883).

8) Julius Otto, Komponist, geb. 6. März 1827 zu Pernau in Livland, bezog 1844 die Universität Dorpat, wo er Philologie studierte, machte 1848 das Oberlehrerexamen und wurde Hauslehrer in Petersburg bei einer deutschen Kaufmannsfamilie, welche ihm die Mittel gewährte, sich von 1851 an am Leipziger Konservatorium zum Musiker auszubilden. Von besonderm Einfluß auf seine künstlerische Entwickelung wurden Schumann und Brahms, in deren Nähe er die Jahre 1853 und 1854 bald in Hannover, bald in Düsseldorf verbrachte. 1855 ließ er sich in Göttingen als Musiklehrer nieder, gründete einen Chorgesangverein und veranstaltete mit diesem regelmäßige Konzerte und Oratorienaufführungen. Seit 1860 Musikdirektor zu Münster, ist er seit 1878 auch als königlicher Musikdirektor an der dortigen Akademie angestellt, die ihm bei seiner Ernennung zum Professor (1885) das Doktordiplom verlieh. Unter seinen Kompositionen sind hervorzuheben: ein- und mehrstimmige Lieder, zwei- und vierhändige Klavierstücke, zwei Suiten in Kanonform für Orchester, eine Symphonie in D moll, eine Sonate für Klavier und Violine, eine Kantate: „An die Musik“, mit Orchesterbegleitung u. a.

9) Herman, Schriftsteller, geb. 6. Jan. 1828 zu Kassel, Sohn von G. 3), studierte in Berlin und Bonn Jurisprudenz, wandte sich dann mehr philologischen und historischen Arbeiten zu und ließ sich in Berlin nieder, wo er 1872 zum Professor der Kunstgeschichte an der Universität und 1884 zum Geheimen Regierungsrat ernannt wurde. Als Schriftsteller trat G. zuerst mit dem Drama „Armin“ (Leipz. 1851) auf. Darauf veröffentlichte er die Dichtung „Traum und Erwachen“ (Berl. 1854), das Trauerspiel „Demetrius“ (Leipz. 1854) und „Novellen“ (Berl. 1856, 2. Aufl. 1862). In den „Essays“ (Hannov. 1859; 3. Aufl., Berl. 1884) und „Neuen Essays“ (das. 1865, 2. Aufl. 1874) lieferte er eine Reihe vorzüglich geschriebener und gehaltvoller Betrachtungen über Personen und Gegenstände der Litteratur und Kunst und dann in seinem Hauptwerk: „Leben Michelangelos“ (Hannov. 1860–63, 2 Bde.; 5. Aufl. 1879), nicht nur eine ausgezeichnete kunstgeschichtliche Monographie, sondern zugleich ein Kulturbild, das die politischen und sozialen Verhältnisse, in welchen der Künstler gelebt, und von denen er seine Anregung empfangen hat, zu einem reichen und mannigfaltigen Ganzen vereinigt. Seit 1865 gab G. die von ihm allein geschriebene Zeitschrift „Über Künstler und Kunstwerke“ heraus, die jedoch mit dem 3. Band (Berl. 1867) wieder einging. Noch sind zu erwähnen das Schriftchen „Goethe in Italien“ (Berl. 1861), worin er nachweist, wieviel der Dichter und die deutsche Bildung überhaupt Italien zu danken habe; die „Zehn Essays zur Einführung in das Studium der modernen Kunst“ (das. 1871, 2. vermehrte Aufl. 1883); „Fünfzehn Essays, neue Folge“ (das. 1875); der in der Gegenwart spielende Roman „Unüberwindliche Mächte“ (das. 1867, 3 Bde; 2. Aufl. 1870) und „Fünfzehn Essays, dritte Folge“ (das. 1882). Gegen die Ausstellungen, die ihm von seiten der Kritik über seine Herausgabe von Vasaris „Raffael“ (Berl. 1872, Bd. 1; ital. Text, Übersetzung und Kommentar) gemacht wurden, schrieb er: „Zur Abwehr gegen Herrn Professor A. Springers Raffael-Studien“ (das. 1873). Eine neue [745] Bearbeitung des genannten Werkes, mit Abschluß des biographischen Teils, erschien 1886. Aus Vorlesungen an der Berliner Universität ging das biographisch-kritische, durch einheitliche und große Auffassung ausgezeichnete Buch „Goethe“ (Berl. 1877, 2 Bde.; 3. Aufl. 1882) hervor. Grimms litterarische Bedeutung liegt wesentlich in seinem feinsinnigen Urteil, in lebendiger, farbenreicher Darstellung und einem überaus gebildeten, klaren Stil, Eigenschaften, die seinen Essays bleibende Bedeutung sichern. Als Dichter fehlt ihm die energische Lebensfülle und innere Wärme. Eine gewisse kühle Ironie und blasierte Vornehmheit beeinträchtigen die Totalwirkung seines Talents, welches gleichwohl in einzelnen Episoden der „Unüberwindlichen Mächte“ von großer Tiefe und Originalität erscheint. Vermählt ist G. mit Gisela v. Arnim, einer Tochter Bettinas (s. Arnim 3).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 396
korrigiert
Indexseite

[396] Grimm, 1) Melchior, Freiherr von. Seine Biographie schrieb Edmond Scherer (Par. 1887).

Grimm, Gisela, s. Arnim 3) (Bd. 17).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 377378
korrigiert
Indexseite

[377] Grimm, 2) Jakob, Philolog und Altertumsforscher. Der achte (Schluß-) Band seiner „Kleinern Schriften“ erschien 1890. Die „Briefe von Jakob und Wilhelm G. an Georg Friedr. Benecke aus den Jahren 1808–29“ wurden von W. Müller herausgegeben (Götting. 1889). Vgl. auch Mühlhausen, Geschichte des Grimmschen Wörterbuchs (Hamb. 1888).

[378] Grimm, 7) Karl Ludwig Wilibald, protest. Theolog, starb 24. Febr. 1891 in Jena.