Zum Inhalt springen

MKL1888:Hameln

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hameln“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Hameln“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 8 (1887), Seite 48
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: Hameln
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Hameln
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Hameln. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 48. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hameln (Version vom 20.08.2023)

[48] Hameln, Kreisstadt und ehemalige Hansestadt im preuß. Regierungsbezirk Hannover, 68 m ü. M., in schöner Lage am Einfluß der Hamel in die Weser, Knotenpunkt der Linien Hannover-Altenbeken und Elze-H.-Löhne, hat in zahlreichen Holz- und Steinbauten aus dem gotischen Mittelalter und der Renaissancezeit, unter denen die beiden Hauptkirchen, das giebelreiche Hochzeitshaus und das sogen. Rattenfängerhaus hervorzuheben sind, noch einen altertümlichen Charakter bewahrt. Über die Weser, die einen belebten Flußhafen bildet, führt seit 1839 eine 256 m lange Kettenbrücke, die erste in Deutschland. Die Einwohnerzahl beträgt (1885) mit der Garnison (1 Füsilierbataillon Nr. 79) 11,831, darunter 746 Katholiken und 257 Juden. Die hervorragendsten Nahrungszweige sind: Handelsmüllerei, Leder-, Papier-, Woll- und Halbwollwaren-, Tabaks-, Kunstdünger- und Chemikalienfabrikation, Lachs- und Forellenzucht, Bierbrauerei und Schiffahrt. Letztere ist dadurch gehoben worden, daß das früher hier befindliche und gefährliche Hamelner Loch durch Anlegung von Schleusen (seit 1733 u. 1873) beseitigt ist. H. ist Sitz eines Amtsgerichts, hat ein Gymnasium u. ein Realprogymnasium. – H., früher Hameloa, Hamelowe, verdankt seinen Ursprung dem St. Bonifaciusstift, das aus einer vom Grafen Bernhard von Engern 712 gegründeten Kapelle entstand. Letzterer schenkte die Meierei nebst dem umliegenden Lande dem Stift zu Fulda, dessen Abt 1259 das inzwischen aus dieser Meierei und zehn andern umliegenden Höfen entstandene H. an den Bischof von Minden verkaufte. Die Herren von Eberstein verkauften um 1277 die Vogtei in H. an den Herzog von Braunschweig, wodurch die Stadt unter Braunschweigs Herrschaft kam. Seit 1540 fand die Reformation hier Eingang. Im Dreißigjährigen Krieg ward die Stadt 1626 von Tilly eingenommen u. erst 3. Juli 1633 nach dem Sieg bei Hessisch-Oldendorf die kaiserliche Besatzung vom Herzog Georg zum Abzug gezwungen. 1757 kam H. durch Kapitulation in die Hände der Franzosen, ward aber schon im folgenden Jahr von diesen wieder geräumt; 1766 ward auf dem Klütberg, jenseit der Weser, das Georgsfort gegründet. Infolge der Kapitulation der hannöverschen Armee (1803) kam die Festung H. wieder in die Hände der Franzosen, von diesen 1806 an Preußen, 8. Nov. d. J. aber durch Kapitulation an jene zurück. Dieselben zerstörten die Festung, und fortan teilte H. die Schicksale Hannovers. Bemerkenswert ist die Sage vom Rattenfänger von H. Im Juni 1284 erschien nach der Tradition in H. ein Pfeifer, welcher sich anheischig machte, gegen eine gewisse Summe alle Ratten aus der Stadt in die Weser zu treiben. Dies gelang ihm auch in der That mittels des Blasens auf seiner Pfeife. Da man dem Mann hierauf seinen Lohn vorenthielt, lockte er am nächsten Sonntag (26. Juni) während des Gottesdienstes durch sein Pfeifen alle Kinder aus den Häusern in den geöffneten nahen Koppelberg. Nur zwei Kinder hatten sich verspätet, so daß sich der Berg bei ihrer Ankunft schon wieder geschlossen hatte. Etwas später kam der Rattenfänger mit den Kindern in Siebenbürgen wieder zum Vorschein und gründete mit denselben die Kolonie der siebenbürgischen Sachsen. Manche führen die Sage auf die Niederlage der Bürger von H. beim Dorf Sedemünder 1259 und ihre Gefangennahme durch den Bischof von Minden, andere auf einen Kinderkreuzzug zurück. Vielleicht hat nur eine mißverstandene Inschrift an einem Denkmal auf dem Koppelberg Veranlassung dazu gegeben. Die Sage hat Julius Wolff als Epos, Viktor Neßler als Oper bearbeitet. Vgl. Sprenger, Geschichte der Stadt H. (Hameln 1861); Meinardus, Der historische Kern der Hameler Rattenfängersage (Hannov. 1882).