MKL1888:Hanswurst
[150] Hanswurst, ein ehemals stehender grotesk-komischer Charakter der deutschen Bühne, der volkstümliche Narr, welcher noch heute auf Volkstheatern, in Marionettenspielen und bei Seiltänzern sein Wesen treibt. Der Name H. erinnert an die ähnlichen Lustigmacher Pickelhering in Holland, Jean Potage („Hans Suppe“) in Frankreich, Maccaroni in Italien, Jack Pudding („Hänschen Pudding“) in England. Gefräßigkeit und eine immer rege Lachlust mögen Veranlassung zu den verschiedenen Namen gegeben haben, daher diese den Lieblingsgerichten der niedern Volksklassen der verschiedenen Nationen entlehnt sind. Das Wort kommt zuerst in der 1519 erschienenen niederdeutschen Bearbeitung von Brants „Narrenschiff“ vor und wird dann von Luther in seiner gegen den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel gerichteten Schrift „Wider Hanns Worst“ (Wittenb. 1541) gebraucht. Als Bauernname erscheint H. in Probsts Fastnachtsspiel „Vom kranken Bauer und seinem Knecht Simon Hampel“ (1553). Bei Hans Sachs ist „Wurst-Hans“ fingierter Name von Fressern. Für den Narren im Schauspiel kommt der Name H. zuerst in einem Stück von 1573 vor; allgemeine Verwendung findet er dann in den sogen. Haupt- und Staatsaktionen gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrh. als parodierender Narr, und nun fanden sich auch Schauspieler, welche diesen Charakter mimisch auszubilden bemüht waren. So stellte Jos. Ant. Stranitzky, ein Schlesier, welcher 1708 zu Wien als Nebenbuhler der italienischen Komiker auftrat, den H. in der Tracht und mit dem Charakter eines einfältig-possierlichen Salzburger Bauern dar. Sein würdiger Nachfolger war Gottfr. Prehauser aus Wien, der 1720 zuerst die Pritsche nahm. Unter den letzten Hanswursten der deutschen Bühne sind noch zu erwähnen: Schönemann in Berlin, Bernardon in Wien und Franz Schuch in Breslau. War aber der H. in der Kindheit der deutschen Bühne ein Grundpfeiler des dramatischen Interesses und lange Zeit die einzige Gestalt von wirklichem Leben und nationalem Charakter gewesen, so war er im Lauf der Zeit immer mehr verbildet worden; der harmlose Spaß reichte nicht mehr aus, und er mußte zu plumpen Zoten seine Zuflucht nehmen, um wenigstens die Masse noch zu interessieren. Daher kam es, daß der Feldzug, welchen das gelehrte Schauspiel gegen ihn eröffnete, so unglücklich für ihn endete. Den ersten und Hauptsieg über ihn errang 1737 die Neuberin, die den H. auf der Bühne selbst in einem von Gottsched eigens dazu verfaßten Stück feierlich begrub; in Berlin folgte Schönemann, in Wien Frhr. v. Pendel, mehr noch Sonnenfels, der sogar den modifizierten H. Stranitzkys von der Bühne vertrieb. Der H. blieb dessenungeachtet noch bis gegen 1770 die einzige Stütze der kleinen herumziehenden Schauspielertruppen, und als diese sich endlich ebenfalls des alten ehrlichen Kauzes schämten, erschien er unter andern Gestalten und unter andern Namen wieder, als: Kasperle, Larifari, Sepperl, Lipperl, Thaddädl, Staberl etc. Die stereotypen possierlichen Figuren in den Wiener Zauberpossen können den alten Ahnherrn nicht verleugnen. Als Verteidiger des Hanswurstes traten besonders Lessing und J. Möser auf, ersterer namentlich im 18. Stück der „Hamburgischen Dramaturgie“, letzterer in seiner Schrift „Harlekin, oder Verteidigung des Grotesk-Komischen“. Vgl. Görner, Der Hanswurststreit in Wien (Wien 1884); „Der Wiener H.“, ausgewählte Schriften von Stranitzky u. a. (hrsg. von Werner, das. 1885 ff.).