MKL1888:Heraldik

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Heraldik“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 399401
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Heraldik. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 399–401. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Heraldik (Version vom 10.04.2022)

[399] Heraldik (Heroldskunst, lat. Ars heraldica, nach einer verkehrten Etymologie auch Ars heroica genannt, franz. Blason), ursprünglich weiter nichts als die kunstmäßige Beschreibung der Wappen (s. d.), welche von den alten Herolden (s. d.) in verschiedene Systeme gebracht wurde. In der Hauptsache drehten sich dieselben um eine verblümte Aussprache der Farben, z. B. wenden Konrad von Würzburg (gest. 1287) und der österreichische Herold Suchenwirt (um 1375) folgende Bezeichnungen an: für Weiß: hermîn, silbergrîs, von margariten, perlein oder mergriesse; für Rot: rubîn, zinopel, von keln etc. Andre Systeme der Farbenbezeichnung gründeten sich auf die Tugenden, Temperamente, Planeten, Himmelszeichen, Edelsteine, Wochentage, Elemente und Metalle. So bedeutete Silber vier Tugenden: Demut, Ehrenhaftigkeit, Reinheit und Unschuld; von den Temperamenten: das Phlegma; von den Planeten: den Mond; drei Himmelszeichen: den Krebs, Skorpion und die Fische; von den Elementen: das Wasser; von den [400] Edelsteinen: die Perle; von den Wochentagen: den Montag. Außerdem pflegten sich die Herolde auch für die Wappenbilder gewisser Kunstausdrücke zu bedienen, die zum Teil der französischen Kunstsprache entlehnt waren. Inzwischen hatten sich Männer der Wissenschaft, besonders Juristen und Geistliche, des Stoffes bemächtigt. Die beiden ältesten Autoren, die beinahe gleichzeitig lebten, waren der Rechtslehrer in Perugia, Bartolus de Saxoferrato (seit 1355 Rat des Kaisers Karl IV.), und der Thüringer Johannes Rothe (1387 Priester des Marienstifts zu Eisenach). Bartolus schrieb einen Traktat: „De armis et insigniis“, der nachmals oft gedruckt worden, und dessen litterarischer Einfluß fünf Jahrhunderte hindurch zu verfolgen ist. Er beschäftigt sich mit verschiedenen Fragen des Wappenrechts und mit der mehr technischen Frage, wie die Wappen abzubilden und zu malen sind, mit den Begriffen von rechts und links in den Wappen sowie mit der Symbolik der Farben. Die Schrift des Johannes Rothe, genannt „Ritterspiegel“, ist erst durch Karl Bartsch (in den „Mitteldeutschen Gedichten“) veröffentlicht worden. Sie ist nur teilweise eine heraldische Lehrschrift und behandelt zuerst den Ursprung der Wappen, die Symbolik der Bilder und die für das Entwerfen der Wappen maßgebenden Anhaltspunkte. Der Züricher Chorherr Felix Hemmerlein widmete in seinem um 1440 geschriebenen Traktat „De nobilitate et rusticitate“ der Wappenlehre ein besonderes Kapitel, welches im wesentlichen auf der frühern Arbeit des Bartolus beruht. Neu ist darin der Versuch einer Geschichte der Wappen, und besonders wertvoll ist die Schrift dadurch, daß Hemmerlein derselben den „Clipearius“ des Chorherrn Konrad von Mure (gest. 1281), eine Beschreibung zahlreicher Wappen in lateinischen Reimen, einverleibt und dadurch vor dem Untergang bewahrt hat. Während sich in Deutschland die H. in diesem Rahmen fortbewegte, hatte die französische H. eine wesentlich andre Richtung genommen. Gerade der Teil, welcher in Deutschland absolut vernachlässigt wurde, hatte in Frankreich seine ausschließliche Pflege gefunden: die konsequente Durchbildung der Kunstsprache. Schon der Traktat von Clément Prinsault von 1416 enthielt die Hauptzüge der in Frankreich noch heute gültigen, sehr klaren und bestimmten Terminologie und damit das Wesen der französischen H. überhaupt. Ein gut gelungener Versuch, beide Richtungen zu vereinigen, wurde von dem Burgunder Bartholomäus Cassaneus gemacht, der in seinem „Catalogus gloriae mundi“ (1529) die bis dahin umfangreichste Lehrschrift über die Wappen verfaßte. Das Werk fand in Deutschland große Verbreitung (allein in Frankfurt a. M. erschienen 4 Auflagen desselben) und mußte hier um so brauchbarer sein, als da die Kunst des Blasonierens völlig verloren gegangen war, ein Umstand, der wesentlich mit dem Verfall der Heroldsinstitute zusammenhängt. In dem „Adelsspiegel“ des Predigers Cyriacus Spangenberg (2. Teil, Schmalkalden 1594) werden die verschiedenen in der H. Verwendung findenden Figuren nach Klassen aufgezählt, woran sich eine symbolisch-theologische Auslegung der Wappenbilder und Farben anschließt. Nach ihm bedeutet Schwarz: Klugheit und Fürsichtigkeit, Tötung des alten Adams und Absterben der Welt. Balken, Sparren sollten daran erinnern, daß Lande, Dörfer und Städte in baulichem Wesen gehalten, Acker und Land nach Notdurft bestellt und die Straßen rein und sicher gehalten werden etc. Eine Zeit des Überganges eröffnete der Nürnberger Ratsherr Georg Philipp Harsdörffer (1643), der mehreren Teilen seiner Gesprächspiele Unterhaltungen über die Heroldskunst einflocht, deren Inhalt überwiegend aus den französischen Lehrschriften geschöpft ist. Die Einteilung des Schildes ist hier zum erstenmal behandelt und eine Summe von Kunstwörtern in die deutsche Litteratur eingeführt. Einige Jahre später schrieb Harsdörffer (im „Schauplatz lust- und lehrreicher Geschichte“) einen andern Traktat über die Lehrsätze der Heroldskunst. Auch die wissenschaftlichen Einleitungen zum sogen. „Fürstschen Wappenbuch“ (1655) sind von ihm verfaßt. Einen ähnlichen Versuch machte der Kanonikus bei St. Andreas in Köln, Ägidius Gelenius, im J. 1645 („De sacra et civili magnitudine Coloniae“), jedoch mehr in Anlehnung an die Lehrschrift (1638) des römischen Jesuiten Silvester a Petra Sancta. Er entwickelt die allgemeinen Gesetze der Heroldskunst und gibt ein nach Bildern geordnetes rheinisches Wappenbuch. Die Bahn für die ganze spätere Entwickelung der H. brach der berühmte Theolog Philipp Jakob Spener. Schon sein Kommentar über das sächsische Wappen (1668) hatte allgemeines Aufsehen erregt, weil er mit der bisherigen Methode, die Wappen symbolisch auszulegen, gründlich brach und zum erstenmal die Wappen historisierte. Demnächst erschien im J. 1680 der spezielle Teil seines heraldischen Werkes („Historia insignium illustrium“), im J. 1690 der allgemeine Teil („Insignium theoria“). Mit großem Verständnis wußte er das französische System des Blason der deutschen Eigenart anzupassen. Auf seinen Schultern steht die ganze moderne H. Sein System ist folgendes: Wesentliche Bestandteile des Wappens sind der Schild und Helm, mit dem, was darin und darauf steht. In Bezug auf den Schild beschreibt er die vorkommenden Schildesteilungen, mit Anführung der entsprechenden Kunstworte und zahlreicher Belege. Dann geht er zu den Tinkturen (heraldischen Farben, s. d.) und zu den Figuren über, von welch letztern er ein festes Einteilungsschema begründet. Demnächst handelt er von den Helmen, Kronen, Hüten, Helmdecken und Helmzeichen und zum Schluß von den Nebenstücken des Wappens, von den Beizeichen und den redenden Wappen. König Friedrich I. von Preußen schätzte die heraldischen Verdienste Speners so hoch, daß er ihm eine Pension von 300 Thlr. zuwendete, die nach dessen Tod auf seine Söhne überging. Der König zog Speners ältesten Sohn, Christian Maximilian, als heraldischen Ratgeber nach Berlin, gründete bei der neuen Ritterakademie daselbst (1705) eine Professur für H. und übertrug dieselbe dem jüngern Spener. Dies war der erste Versuch in Deutschland, die H. als Gegenstand des Unterrichts auf Hochschulen einzuführen. Derselbe wurde zunächst 1711 in Leipzig und bald an andern deutschen Universitäten nachgeahmt. Im ganzen 18. Jahrh. ist das Bestreben überwiegend, dem überlieferten Lehrstoff die Formen einer Wissenschaft zu geben. Von den Lehrschriften, die in dieser Zeit erschienen, ist die Mehrzahl dazu bestimmt, als Unterlage für den Schulunterricht zu dienen. Als Autoren traten auf: F. W. Schumacher (1694), J. A. Rudolphi (J. A. Kroll von Freyen, 1698), C. Gottschling (1706), C. Bussing (3. Aufl. 1713), J. W. Trier (1714), E. G. Rink (1726), Phil. Schlosser (1729), S. J. Jungendres (1729), J. S. Beckenstein (1731), M. Schmeizel (2. Aufl. 1734), J. E. Zschackwitz (1735), J. A. Stiehl (1757), J. Chr. Gatterer (1766, 1773 u. 1791), J. P. Reinhardt (1778), J. Chr. Siebenkees (1789), G. M. Gruber (1789), Feßmaier (1802), U. F. Köpp (1831), F. Pietschke (1841), Christian [401] Samuel Bernd (1841, 1849 und 1856), F. Freiherr v. Biedenfeld (1846), Wilh. v. Chézy (1848), G. Hesekiel. Rink und sein heraldischer Schüler J. D. Köhler machten zuerst die Siegel des Mittelalters für die H. nutzbar. Im allgemeinen herrschte jedoch die Neigung vor, die Wappenkunst nicht vom historischen, sondern vom philosophischen Standpunkt zu behandeln. Von tüchtigen Monographisten, die sich um den gelehrten Schulkram wenig kümmerten, sondern auf die Siegel des Mittelalters zurückgingen, sind der fränkische Pfarrer Sam. Wilh. Ötter (um 1750) und der brandenburgische Archivar Phil. Wilh. Gercken (1781) zu erwähnen. Was die oben genannten Autoren aus der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts betrifft, so sind Kopp und Bernd bemüht, den Ursprung des Wappenwesens auf das klassische Altertum zurückzuführen; v. Chézy machte den verunglückten Versuch, die H. durch feuilletonistische Behandlung interessant zu machen. Biedenfeld und Hesekiel sind Nachtreter Bernds. Trotz dieses Nachlebens der mittlern Schule war über dieselbe doch schon seit den territorialen Umwälzungen im Beginn des Jahrhunderts, welche mit den alten Rechtsansprüchen tabula rasa gemacht hatten, der Stab gebrochen. Die Herolde der neuen Zeit sind Franz Jos. Bodmann („Rheingauische Altertümer“, 1819) und Professor Büsching in Breslau („Ritterzeit und Ritterwesen“, 1823). Frhr. L. v. Ledebur (von 1830 an) schuf aus der H. mit Hilfe der Sphragistik eine ganz neue Wissenschaft, indem er dieselbe als Zweig der Kulturgeschichte des Mittelalters behandelte. Er machte zuerst auf die geographische Verteilung der Wappenbilder aufmerksam und begründete das vergleichende System der H. Hervorragende Sphragistiker sind ferner: Fürst F. K. von Hohenlohe-Waldenburg (s. d.), G. E. F. Lisch (s. d.) und A. Voßberg. Nicht minder bedeutungsvoll auf einem andern Gebiet war das Eintreten Friedrich Hoffstadts (1840), der die H. als Zweig der Ornamentik wiederherstellte und in der Bildung der Wappen eine Zierde des gotischen Stils erkannte. In der letzten Richtung mit Zuhilfenehmen der Waffenkunde bauten J. H. v. Hefner-Alteneck („Trachten des christlichen Mittelalters“, Frankf. 1840–54), O. v. Hefner („Handbuch der H.“, Nürnb. 1861, Bd. 1), Karl Ritter v. Mayer („Heraldisches Abcbuch“, Münch. 1857), Ralph v. Retberg (Aufsätze in der Wiener Zeitschrift „Adler“ 1873), Ad. M. Hildebrandt („Heraldisches Musterbuch“, Berl. 1872), E. v. Sacken („Katechismus der H.“, 4. Aufl., Leipz. 1885) und F. Warnecke („Heraldisches Handbuch“, 3. Aufl., Frankf. 1886) weiter. Die beiden Vereine „Adler“ in Wien u. „Herold“ in Berlin, welche auch heraldische Zeitschriften herausgeben, haben sich der wissenschaftlichen Pflege der H. gewidmet. Letzterer hat im J. 1882 eine heraldische Ausstellung veranstaltet, durch welche auch das Verhältnis der H. zum Kunstgewerbe klargestellt wurde (vgl. Hildebrandt, Heraldische Meisterwerke der internationalen Ausstellung für H., Berl. 1882). – Über die H. in ihrer praktischen Anwendung s. Wappen.