MKL1888:Hering

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Hering“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 419420
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Hering. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 419–420. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Hering (Version vom 12.08.2021)

[419] Hering (Clupea Cuv.), Gattung aus der Ordnung der Edelfische und der Familie der Heringe (Clupeoidei), Fische mit stark zusammengedrücktem Leib, mit Kielschuppen bekleidetem Bauch, großen, dünnen, leicht abfallenden Schuppen, nacktem Kopf, nicht vorspringendem Oberkiefer, weiter bis zur Kehle reichender Kiemenspalte, rudimentärer, hinfälliger oder fehlender Bezahnung, den Bauchflossen gegenüberstehender Rückenflosse und gabeliger Schwanzflosse. Der gemeine H. (C. harengus L., s. Tafel „Fische I“), über 18–36 cm lang, mit kleinen, schmalen Brust- und Bauchflossen, mittelständiger Rückenflosse, weit nach hinten gerückter, schmaler Afterflosse und tief gegabelter Schwanzflosse, auf der Oberseite meergrün oder grünblau, auf der Unterseite und am Bauch silberfarben, mit dunkler Rücken- und Schwanzflosse und hellfarbigen Brust-, Bauch- und Afterflossen. Er findet sich im nördlichen Atlantischen Ozean, im Nördlichen Eismeer und an der Nordostküste von Asien, in der Nord- und Ostsee, ist bei Island, Finnmarken, Grönland selten und geht südlich über die französische Nordküste nicht hinaus. In den andern europäischen Meeren wird er durch andre Arten ersetzt, und auch der an der nordamerikanischen Ostküste südlich bis Carolina in ungeheuern Scharen (besonders in der Chesapeakebai) auftretende H. ist artlich verschieden von unserm H. Von letzterm unterscheidet man mehrere wissenschaftlich schwer definierbare, dem geübten Blick des Fischers aber leicht erkennbare Rassen, die auch in den Lebensgewohnheiten voneinander abweichen. Alle Rassen lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen: Hochsee- oder pelagische Stämme, zu welchen die größten und für den Fischfang wichtigsten Heringsscharen an den norwegischen und britischen Küsten gehören, und Küsten- oder litorale Stämme. Letztere sind kleiner, in der Nordsee weit weniger zahlreich als die Hochseestämme, in der Ostsee aber bei weitem vorherrschend. In der östlichen Ostsee kommen außerdem noch die kleinen Strömlinge vor. Der größte und fetteste ist der der Shetlandinseln und der norwegischen Küste, etwas kleiner ist der der holländischen und englischen Küste, am kleinsten der Ostseehering. Der H. lebt nahe der Oberfläche des Meers, selten tiefer als 20 m, und nährt sich als Raubfisch hauptsächlich von sehr kleinen Krustentieren (Kopepoden). Er hält sich in größern oder kleinern Stämmen zusammen, und jeder derselben bewohnt ständig einen verhältnismäßig eng begrenzten Bezirk. Zur Laichzeit kommen alle Heringe, bestimmten Straßen folgend, an die Küsten, wo die Küstenstämme auch außerhalb der Laichzeit verweilen. Die Laichzeit ist bei den einzelnen Rassen verschieden, mit Ausnahme des Juni und Dezembers fängt man in allen übrigen Monaten Stücke mit strotzenden Hoden und Eierstöcken. Die Hauptlaichzeit währt vom Januar bis März oder April und eine zweite vom Juli bis November; in der westlichen Ostsee fällt sie in die Monate April, Mai und September, Oktober. Es erscheinen dann zahllose Scharen in Zügen von meilenweiter Länge und Breite (Bänke), in denen die Fische so gedrängt schwimmen, daß Boote, welche dazwischenkommen, in Gefahr geraten. Unter diesen Umständen wird leicht der größte Teil der frei ins Meer austretenden Eier durch den sich gleichförmig im Wasser verteilenden Samen befruchtet. Das Erscheinen der Heringe an bestimmten Orten ist sehr unsicher; auch besitzt man keine untrüglichen Anzeichen, welche auf dasselbe vorbereiten. Die Fischchen schlüpfen bei 3–5° in 40 Tagen, bei 10° in 11 und bei höherer Temperatur in 6–8 Tagen aus; sie sind 5–8 mm lang, verwandeln sich bei 2,5–2,8 cm Länge aus der durchsichtigen, länger gestreckten Larvenform in die definitive Form und sind nach dieser Umwandlung Ende Juli 4,5–5,5 cm lang. Der einjährische Fisch ist an der Ostküste Schleswigs 13–14, der kleinste laichreife 16–17,5 cm lang und dann wohl zwei Jahre alt. Der sich etwas anders entwickelnden Herbstgeneration ist es zuzuschreiben, daß zu jeder Jahreszeit Fische verschiedener Größe und Ausbildung gefangen werden. Die jungen Fische steigen etwa im Lauf des ersten Jahrs in die tiefern Wasserschichten hinab. Mit den Heringszügen erscheinen auch Wale und zahlreiche Raubfische, welche sich in dieser Zeit ebenso wie die Meervögel fast ausschließlich von Heringen ernähren; viel größere Mengen der letztern werden aber gefangen, und zum Teil verfährt man dabei so rücksichtslos, daß gewisse Meeresteile bereits völlig ausgefischt sind. Die Heringsfischerei ist stets eine Art Glücksspiel, denn Jahre nacheinander erscheinen die Heringe an einem bestimmten Ort zu Milliarden, um dann plötzlich auszubleiben. Man fängt sie teils in kleinen, offenen Booten in der Nähe der Küsten, teils in größern, seetüchtigen Fahrzeugen, welche auf offener See eine geschätztere Ware erzielen. Zum Fang werden große Netze ausgestellt, welche auf einmal 800,000–1,600,000 Heringe liefern. Durch besondere Netze (Wate) sperrt man aber auch ganze Fjorde und Buchten ab, in welche die Heringe eingedrungen sind, und erbeutet dann oft mehrere Tausend Tonnen, jede einzelne zu 24,000 Stück gerechnet.

Man unterscheidet Matjes- (Jungfern-) Heringe, die noch nicht geschlechtsreif sind, geschlechtsreife Vollheringe und die geringwertigen Hohlheringe (Ihlen, Schotten), welche gelaicht haben. Der frische (grüne) H. ist sehr schmackhaft und wird an den Küsten in großer Menge verzehrt. London verbraucht davon jährlich 900,000 Fässer à 700 Stück, und in den letzten Jahren sind auch bei uns größere Mengen ins Binnenland gebracht worden. Der bei weitem größte Teil der Heringe wird aber eingesalzen und bildet dann einen der wichtigsten Handelsartikel. Als solcher trat der Salzhering schon im frühen Mittelalter auf und bildete eine Hauptware des Hansabundes. Am eifrigsten betrieben aber die Holländer den Heringsfang, welcher sich besonders seit dem Anfang des 15. Jahrh. hob, nachdem Wilhelm Bökel (Beukelsz) eine neue Art des Einsalzens erfunden hatte. Zu Anfang des 17. Jahrh. setzten die Holländer für 90 Mill. Mk. Ware ab; alljährlich 24. Juni lief die Heringsflotte, 12,000 besegelte Schiffe stark, vom Texel aus nach Norden, um an den englischen und schottischen Küsten, den Shetlands etc. zu fischen. An den holländischen Küsten gefangene Heringe haben nie eine große Rolle gespielt. Seitdem auch in England und Schottland der Eifer für den Heringsfang erwacht ist, hat die holländische Heringsfischerei sehr an Bedeutung verloren, und der Ertrag ist auf 4,5 Mill. Mk. gesunken; aber holländische Heringe sind immer noch wegen [420] guter Zubereitung besonders beliebt, obwohl man gegenwärtig alle ausgesuchte, gute und fette Ware als holländische zu bezeichnen pflegt. Die Holländer fahren in großen, seetüchtigen Büsen (Buisen) noch immer in der alten Richtung, salzen und verpacken die gefangenen und ausgeweideten Fische sofort und übergeben sie den schnell segelnden Transportschiffen (Heringsjagern), welche sie alsbald auf die Märkte bringen. Dies geschieht besonders mit den Matjesheringen, von denen die ersten und feinsten mit 5 Gulden pro Stück und dann noch tagelang mit 1 Gulden bezahlt werden, während die Vollheringe, nur vorläufig gesalzen, von den Buisen selbst heimgebracht und zu Hause marktfertig gemacht werden. In England wurde der Heringsfang bis 1830 von der Regierung subventioniert; noch gegenwärtig sind Regierungskommissare zur Prüfung und Stempelung der Ware angestellt, doch wird nur etwa die Hälfte der Ware gestempelt. Die Hauptfangzeit fällt in August, September und Oktober, und die Ware ist sehr verschieden je nach der Lokalität, von der sie stammt. Wick und Dunbar sind die Hauptheringshäfen Schottlands, an der englischen Küste ist Yarmouth der Zentralpunkt. In Norwegen ist die Küste zwischen Bergen und Stavanger besonders ertragreich; man fischt im August und von Mitte Januar bis Ende März, und eine Telegraphenleitung längs der Küste benachrichtigt die Fischer von allem, was sie interessieren kann. In Deutschland betreibt allein die Heringsfischereigesellschaft in Emden den Fang im großen; unbedeutend ist der Heringsfang in der Ostsee, wo die im Frühling laichenden Fische den Hauptertrag der Fischerei bilden; der schwedische H. ist wohlfeil und gut gesalzen; die kleine und ebenfalls gut gesalzene Ware an der deutschen Ostseeküste geht als Küsten- oder Strandhering. Die Tonne Heringe faßt 400–1200 Stück; man unterscheidet Seepack, unsortierte Ware in erster Verpackung, und Brandhering, an den Handelsplätzen sortierte, umgepackte Ware in amtlich gestempelten Fässern. Als Bückling (s. d.) kommt der H. leicht gesalzen und geräuchert in den Handel. Außerdem hat man nordische Gewürzheringe, d. h. Matjesheringe, mit Essig und starken Gewürzen haltbar gemacht, Der junge H. spielt als Whitebait eine große Rolle in England. Man hat ihn für eine eigne Art gehalten und Rogenia alba Val. genannt; er wird an einigen Stellen der englischen Küste, besonders in der Themsemündung, gefangen und ist am meisten geschätzt, wenn er 4–10 cm lang ist. Die englischen Minister gehen jährlich vor der Vertagung des Parlaments nach Greenwich, um dort ein Whitebait-dinner zu geben, und auch manche Londoner Körperschaften befolgen diese Sitte. Die Gesamtzahl der jährlich gefangenen Heringe kann man auf 10,000 Mill. schätzen. Vgl. Mitchell, The herring, its natural history and national importance (Lond. 1864); Heincke, Die Varietäten des Herings (Berl. 1878); Ljungman, Die Heringsfischerei (Stett. 1880).

Hering, Stadt in der hess. Provinz Starkenburg, Kreis Dieburg, am Fuß des Otzbergs, auf dem ein festes Bergschloß steht (früher Staatsgefängnis, jetzt unbewohnt), mit (1885) 463 meist evang. Einwohnern.

Hering, 1) Eduard von, Mediziner, geb. 20. März 1799 zu Stuttgart, studierte 1819–22 Tierheilkunde in Tübingen, Wien und München, ward 1822 Lehrer der Anatomie, Physiologie und Heilmittellehre an der Tierarzneischule in Stuttgart, übernahm 1828 auch die Klinik und führte sie bis 1858 fort, nachdem er eine ambulatorische Rindviehklinik damit verbunden hatte. 1824–31 lehrte er daneben in Hohenheim, und seit 1832 wurde er auch bei dem königlichen Medizinalkollegium beschäftigt, wo er namentlich das Gesetz über die Gewährsmängel bearbeitete. Seit 1835 lehrte H. spezielle Pathologie und Operationslehre, 1842 wurde er zum Medizinalrat, 1862 zum Obermedizinalrat ernannt, und von 1859 bis 1872 war er Obertierarzt und Referent im Kriegsministerium. 1869 trat er von der Direktion der Tierarzneischule und 1872 von allen übrigen Funktionen zurück. Er starb 28. März 1881 in Stuttgart. H. bestimmte in wiederholten zahlreichen Untersuchungen die Schnelligkeit des Blutumlaufs und die Druckkraft des Herzens und arbeitete über die Krätzmilben der Tiere. 1863 rief er die internationalen Versammlungen der Tierärzte ins Leben und präsidierte der ersten Versammlung in Hamburg. Er schrieb: „Physiologie für Tierärzte“ (Stuttg. 1832); „Tierärztliche Arzneimittel“ (das. 1846; 3. Aufl. von Weiß, 1870); „Spezielle Pathologie und Therapie für Tierärzte“ (das. 1842, 3. Aufl. 1858); „Handbuch der tierärztlichen Operationslehre“ (das. 1857; 4. Aufl. von Vogel, 1885); „Vorlesungen für Pferdeliebhaber“ (das. 1834, mit Zeichnungen von Baumeister); „Biographisch-litterarisches Lexikon der Tierärzte“ (mit Schrader, das. 1863); „Etymologisches Wörterbuch für Tierärzte“ (das. 1871). Er redigierte von 1839 bis 1876 das „Repertorium der Tierheilkunde“ und bearbeitete 1846–65 den tierärztlichen Teil des Canstattschen „Jahresberichts“.

2) Ewald, Physiolog, geb. 1834 zu Altgersdorf in Sachsen, studierte Medizin, ließ sich 1860 als Arzt in Leipzig nieder, habilitierte sich 1862 als Privatdozent für Physiologie an der dortigen Universität, wurde 1865 Professor der Physiologie und medizinischen Physik an der medizinisch-chirurgischen Josephs-Akademie in Wien und 1870 in Prag. Seine Arbeiten (z. B. in Hermanns „Handbuch der Physiologie“) betreffen hauptsächlich die Psychophysik, auch lieferte er Untersuchungen über den Raumsinn des Auges, wobei er die nativistische Theorie im Gegensatz zur rein empiristischen von Helmholtz vertrat; er bekämpfte das Fechnersche psychophysische Grundgesetz und stellte eine neue Farbentheorie auf. Auch schrieb er: „Das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organisierten Materie“ (2. Aufl., Wien 1876).