MKL1888:Holothurioideen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Holothurioideen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 661662
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Holothurioideen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 661–662. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Holothurioideen (Version vom 13.09.2022)

[661] Holothurioideen (Holothurioidea, Seewalzen, Seegurken, hierzu Tafel „Holothurien“), Klasse der Echinodermen, Tiere von Wurmform; ihre Haut ist lederartig und enthält nur geringe Kalkeinlagerungen in Gestalt zierlicher Anker, Rädchen, Platten etc. (Fig. 1).

Fig. 1.
Kalkkörperchen von Holothurien.

Stacheln fehlen, auch die Ambulakralfüßchen (s. Echinodermen) sind meist nur in gewissen Teilen des Körpers vorhanden oder fehlen gleichfalls gänzlich. Alsdann erfolgt die Fortbewegung durch Krümmung des gesamten Körpers mittels der starken Muskulatur der Haut. Um den Mund stehen zurückziehbare Tentakeln. Der Darm ist von bedeutender Länge und besitzt stets einen am andern Körperende gelegenen After. Die Madreporenplatte fehlt, und so wird das Seewasser für das Ambulakralsystem aus der Leibeshöhle aufgenommen, in die es wahrscheinlich durch Poren in der Wandung des Enddarms gelangt. Als besonderes Atmungsorgan gelten die sogen. Wasserlungen (s. Echinodermen), welche jedoch der Gruppe der Synaptiden abgehen. Wegen des Nervensystems und der Kreislaufsorgane s. Echinodermen. Die Geschlechtswerkzeuge sind nicht, wie bei den übrigen Echinodermen, in der Fünfzahl vorhanden, sondern bilden einen oder zwei Büschel verästelter Schläuche, die sich in der Nähe des Mundes nach außen öffnen. Die Synaptiden sind Zwitter. Die Entwickelung verläuft vielfach mit bedeutender Metamorphose; die Larven heißen Auricularia. In einzelnen Fällen existieren bei den Weibchen besondere Bruträume, auch bleiben die Jungen wohl noch eine Zeitlang der Mutter angeheftet. – Die H. leben auf dem Meeresboden in der Nähe der Küste oder in größerer Tiefe und bohren sich in den Sand ein oder kriechen auf den Algen, Korallen etc. umher. Ihre Nahrung besteht aus kleinen Organismen; Cucumaria (s. beifolgende Tafel) schiebt die Tentakeln einen nach dem andern in den Mund und leckt die daran befindlichen Tierchen ab, während die meisten H. sich den Darm mit Sand anfüllen und denselben nach Verdauung der in ihm enthaltenen Nahrung durch den After wieder entfernen.

Fig. 2.
Vorderende von Synapta inhaerens (vergrößert).

Beunruhigt, ziehen sie alle erst die Tentakeln ein, spritzen dann alles in den Wasserlungen enthaltene Wasser in starkem Strahl aus und kontrahieren sich bei weiterm Reiz so stark, daß sie den ganzen Darm nebst einem großen Teil der Eingeweide durch den After ausstoßen. (Der Darm soll wieder ersetzt werden können.) Die Synaptiden zerbrechen sich sogar in einzelne Ringe und sind darum nur schwer unverletzt zu erhalten. – Fossile H. sind bisher mit Sicherheit nicht aufgefunden worden; man beschreibt aus den Solnhofener Schiefern Abdrücke von ganzen Synapten und auch sonst noch Kalkkörperchen. – Die H. zerfallen in zwei Gruppen: die Fußlosen (Molpadidae und Synaptidae) und die Gefüßten (Aspidochirotae, Dendrochirotae und Rhopalodinidae). Unter den erstern ist bemerkenswert die Synapte (Synapta inhaerens Eschsch., Fig. 2); von den letztern werden mehrere Arten als Trepang (s. d.) als Eßware in den Handel gebracht. In den Gattungen Holothuria und Stichopus hält sich ein sonderbarer Fisch, Fierasfer, auf, welcher sich zum Wohnort gewöhnlich die Wasserlungen auswählt, er gelangt in diese mit dem Schwanz voran durch den After und hält dann aus dem Hinterende der Holothurie heraus Umschau nach seiner Nahrung, die aus kleinen Krebsen besteht. Häufig sitzen in

[Ξ]

HOLOTHURIE.
1. Klettenholothurie (Cucumaria cucumis). – 2. Ein Schlangenstern. – 3. Eine Alge.

[662] einer Holothurie ein halbes Dutzend dieser lästigen Gäste, deren sich der geplagte Wirt nicht erwehren kann. Vgl. Selenka, Beiträge zur Anatomie und Systematik der H. (Leipz. 1867–68); Semper, Reisen im Archipel der Philippinen (das. 1868); Joh. Müller, Über Synapta digitata (Berl. 1852).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 437
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[437] Holothurioideen. Die wissenschaftlichen Meeresexpeditionen der letzten Jahre haben auch von dieser Klasse der Stachelhäuter eine stattliche Reihe neuer Formen bekannt werden lassen, welche nicht nur die schon bekannten Ordnungen der H. bereicherten, sondern zum Teil so weit von allen bisher bekannten Seewalzen abwichen, daß Hjalmar Théel eine neue Ordnung, die Elasipoda (Tiefseeholothurien), den andern beiden Ordnungen, der Pedata u. Apoda, gegenüberstellen mußte. Durch Théels Monographie sind 19 Gattungen mit 55 Arten, bez. Varietäten von Elasipoden bekannt geworden; seitdem ist diese Zahl nur noch um weniges vermehrt worden durch Funde auf den Fahrten des Blake und des Travailleur. Schon äußerlich unterscheiden sich die Elasipoden von den meisten der den andern beiden Ordnungen angehörigen Holothurien durch eine scharfe Trennung der Bauch- und Rückenseite, die oft durch einen an den Seiten sich hinziehenden Hautsaum noch deutlicher zu Tage tritt. Außerdem bedingen die Form und Verteilung der Ambulakralanhänge eine sofort erkennbare Trennung zwischen Rücken- und Bauchfläche. Die dem Trivium, der Bauchfläche, zukommenden Anhänge sind wie bei den andern H. als Füßchen zu bezeichnen, indem sie mit einer Scheibe endigen. Sie stehen nur in den Ambulakren und lassen bei der Mehrzahl der Arten selbst das mittlere Ambulacrum frei, indem sie auf die Seitenambulakren beschränkt sind und so durch ihre Größe in auffallender Weise die Flanken des Tiers markieren. Sind sie in den Seitenambulakren des Bauches in doppelter Reihe vorhanden, so ist die äußere Reihe häufig in „Papillen“ umgewandelt, wie sie außerdem in den Ambulakren des Rückens stehen; diese Papillen sind nicht zurückziehbar und sind es besonders, die durch ihre bedeutende Größe, ihr hörnerartiges Aussehen der Mehrzahl der Tiefseeholothurien ein höchst sonderbares, bizarres Aussehen verleihen. Die Körpergestalt dieser Tiere ist bald kurz und gedrungen, bald länger gestreckt und cylindrisch; der Mund liegt häufig zentral, und oft ist das vorderste Stück nackenartig vom übrigen Körper abgesetzt. Die in der Zahl 10–20 vorkommenden Tentakeln schließen sich in ihrer Gestalt denen der Aspidochiroten oder an die fingerförmigen Tentakeln mancher Synaptiden an. Von der innern Organisation ist besonders die Lage des Steinkanals und seiner Madreporenplatte zu erwähnen; dieses Organ bewahrt nämlich bei den Tiefseeholothurien ein bei den übrigen Seewalzen nur embryonales, zeitweiliges Verhältnis, indem es nie frei in die Leibeshöhle herabhängt, sondern festgelegt ist und sogar bei der Mehrzahl der Elasipoden durch Poren direkt nach außen mündet, eine bei den Seewalzen sonst nicht beobachtete Einrichtung. Auch der Kalkring weist bemerkenswerte Eigentümlichkeiten auf, indem er nie einen gleich hohen Grad der Ausbildung wie bei der überwiegenden Mehrzahl aller andern Holothurien zeigt; meist stellt er nur ein zerbrechliches spongiöses Netzwerk dar. Die in der Ein- oder Zweizahl vorhandene Polische Blase gibt ebensowenig wie die zu einem oder zwei Bündeln vereinten einfachen oder verzweigten Geschlechtsschläuche zu besondern Bemerkungen Veranlassung, dagegen ist hervorzuheben, daß den Tiefseeholothurien sowohl Lungen fehlen als auch die bestimmten fußlosen Holothurien eignen, als Ersatz der Lungen geltenden Wimpertrichter; die Atmung erfolgt hier also wohl durch die gesamte Haut. Auch kommen den Elasipoden keine Refraktoren zu, die den dendrochiroten Holothurien eigentümlich sind. Unter den Kalkkörpern spielen dornige Stäbe eine besondere Rolle, häufig sind auch drei- und vierarmige Körper; zu ihnen können sich C-förmige Körper und Rädchen gesellen. Über die Art und Weise der Fortpflanzung der Tiefseeholothurien ist noch gar nichts bekannt. Die neue Holothurienordnung der Elasipoda umfaßt ausgesprochene Tiefseetiere; 50 Faden ist die geringste Tiefe, in welcher der Challenger eine Elasipode fing; am häufigsten scheinen sie in Tiefen von 1000–2000 Faden vorzukommen, doch werden auch noch in 2750 Faden Tiefseeholothurien gefunden. Sie stellen in gewissen Tiefen einen charakteristischen Bestandteil der Tiefenfauna dar; ihrem Charakter als Tiefentiere gemäß sind sie in ihrer Horizontalverbreitung kosmopolitisch. Théel hat die Tiefseeholothurien in drei Familien geteilt. 1) Elpidiidae Théel, das mittlere Bauchambulacrum ohne Füßchen, Rückenpapillen nur auf der vordern Körperhälfte; der Kalkring besteht aus fünf Stücken eigentümlicher Form, indem von einem mittlern, stabförmigen Stück nach beiden Seiten speichenförmige Kalkstäbe ausstrahlen. Hierher gehören die zuerst bekannt gewordenen Gattungen Elpidia, Irpa und Kolga sowie die durch ihre in der Zweizahl vorhandenen, mächtigen, gebogenen Rückenpapillen ausgezeichnete Gattung Scotoplanes 2) Deimatidae Théel. Diese Familie, bei der ebenfalls das mittlere Ambulacrum des Triviums keine Füßchen trägt, charakterisiert sich durch sehr lange, in großer Anzahl vorhandene Rückenpapillen, die dem gedrungenen Körper ein entfernt an einen großen Borstenwurm erinnerndes Aussehen zu geben vermögen. Die dritte Familie der Psychropotidae ist ausgezeichnet durch Formen mit stark entwickeltem Hautsaum an der Grenze von Rücken- und Bauchseite; der Mund liegt völlig bauchständig, die ganze Kopfpartie ist niedergedrückt. Die ihrer Form nach interessanteste Gattung ist Psychropotes mit einem langen, drehrunden, schwanzförmigen Anhang, in einer Tiefe von fast 2000 Faden gefunden. Vgl. Théel, Report on the Holothurioidea dredged by H.M.S. Challenger during the years 1873–76 (Teil 1 in „Report of Challenger etc. zoology“, Bd. 4, 1882); Lampert, Die Seewalzen (Wiesb. 1885).