MKL1888:Ion
[1013] Ion (spr. i-on), 1) mythischer Ahnherr der Ionier, Sohn des Apollon und der Krëusa, der Tochter des Erechtheus und Gemahlin des Xuthos, ward von der Mutter in einer Höhle ausgesetzt, durch Apollon aber nach Delphi gebracht und hier von der Pythia erzogen. Nachdem er herangewachsen, befragten Xuthos und Krëusa das Orakel um die Ursache ihrer Kinderlosigkeit und erhielten den Bescheid, das erste Kind, welches ihnen beim Austritt aus dem Tempel begegnen werde, solle ihr Sohn sein. So wird I. von Xuthos als Adoptivsohn anerkannt; allein Krëusa, in demselben die Frucht einer frühern Liebe ihres Gemahls vermutend, will ihn vergiften. Entdeckt, flüchtet sie an den Altar des Gottes, von wo sie I. hinwegreißen und töten will, worauf die Pythia ihnen die Sachlage enthüllt und Mutter und Sohn sich aussöhnen. Dem Xuthos gebar Krëusa später noch den Achaios. Dies der Mythus, wie er der noch vorhandenen Tragödie „I.“ des Euripides zu Grunde liegt. Nach andrer Sage heiratet I. die Helike, die Tochter des Selinus, Königs der Ägialeer, und wird nach dessen Tod König in Ägialeia, dessen Bewohner nun den Namen Ionier führen. Dann von den Athenern gegen Eleusis zu Hilfe gerufen, besiegt er den Eumolpos und wird König von Athen. Er teilte die Athener in die vier Klassen: Adlige, Krieger, Handwerker und Hirten ein.
2) Griech. Schriftsteller aus Chios, ein vielseitig gebildeter Mann, lebte im 5. Jahrh. v. Chr. und verfaßte historische Schriften, lyrische Dichtungen der verschiedensten Art und Tragödien, die sich weniger durch Erhabenheit als durch Korrektheit und Glätte auszeichneten. Als er 452 in Athen einen dramatischen Sieg errang, soll er jeden Athener mit einem Krug Chierwein beschenkt haben. Er starb 422 in Athen. Von seinen prosaischen und poetischen Werken besitzen wir nur dürftige Überreste. Sammlung der historischen Fragmente von Müller („Fragmenta historicorum graecorum“, Par. 1848), der lyrischen in Bergks „Poetae lyrici graeci“, Bd. 2, der dramatischen in Naucks „Tragicorum graecorum fragmenta“ (Leipz. 1856). Vgl. die Monographien von Nieberding (Leipz. 1836) und Köpke (Berl. 1836).