MKL1888:Ionische Inseln

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ionische Inseln“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 8 (1887), Seite 10141017
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Ionische Inseln. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 8, Seite 1014–1017. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ionische_Inseln (Version vom 23.05.2023)

[1014] Ionische Inseln, eine Gruppe von sieben größern und mehreren kleinern Inseln im Mittelmeer (hier Ionisches Meer genannt), an der Westküste Albaniens und Griechenlands (s. Karte „Griechenland“), welche bis in die Neuzeit einen unter der Oberhoheit Englands stehenden Freistaat bildeten, seit 14. Nov. 1863 aber zum Königreich Griechenland gehören. Sie zerfallen in drei Gruppen, von denen die nördliche die Inseln Korfu (Kerkyra) und Paxo im Ionischen Meer, die mittlere die Inseln Santa Maura (Levkas), Thiaki oder Ithaka, Kephalonia und Zante (Zakynthos), ebenfalls im Ionischen Meer, [1015] vor dem Busen von Patras, umfaßt, während zur südlichen Gruppe die im Ägeischen Meer an der Südspitze des Peloponnes gelegene Insel Kythera (Cerigo) nebst mehreren kleinen Eilanden (Cerigotto, Dragonera, Pori u. a.) gehört. Administrativ bilden gegenwärtig die Ionischen Inseln (von Cerigo abgesehen, welches jetzt zu Argolis gehört) die drei Nomen:

  Offiziell Nach Strelbitsky Einwohner
(1879)
QKilometer
Kerkyra 1107 1092 106109
Kephalonia 783 815 80957
Zakynthos 719 438 44522
Zusammen: 2609 2345 231588

In Bezug auf mineralische Produkte wie auf die der Pflanzen- und der Tierwelt stimmen die Inseln im allgemeinen mit dem übrigen Griechenland überein. Sie sind arm an Wald und Wasser, aber ziemlich gebirgig. Als höchste Punkte sind der Pantokratoras (945 m) auf Korfu und der Monte Nero (1620 m) auf Kephalonia namhaft zu machen. Von Mineralien finden sich Salz, Schwefel, Steinkohlen, Erdpech, Marmor. Das Klima ist im allgemeinen heiß, aber keineswegs ungesund. Die Zahl der jährlichen Regentage beträgt 100, der Winter ist zugleich die Zeit der Gewitter. Orkane und Erdbeben kommen nicht selten vor, doch befinden sich keine Vulkane auf den Inseln. Die Bewohner sind der Mehrzahl nach Griechen; 1879 zählte man 3661 Fremde, darunter 1458 Engländer, 1020 Italiener und 863 Ottomanen. Die herrschende Religion ist die griechisch-nichtunierte; außerdem zählte man 1879: 3142 Christen andrer Konfession und 2940 Nichtchristen. Die griechische Geistlichkeit, an deren Spitze auf jeder der Hauptinseln ein Bischof steht, ist dem Patriarchen von Konstantinopel untergeordnet; die Römisch-Katholischen haben einen Bischof in Korfu. Die geistige Kultur der Inseln hat sich unter dem Protektorat Englands wesentlich gehoben; Elementarschulen finden sich in jedem Dorf, ein Lyceum auf jeder Insel. In sozialer Hinsicht zerfallen die Einwohner in den grundbesitzenden Adel und in Bürger und Bauern, die meist Pachter sind. Eigentlicher Landbau wird nicht viel betrieben, in desto höherm Grad Weinbau, Oliven- und Baumwollkultur. In Bezug auf Viehzucht ist nur die Schaf- und Ziegenzucht bemerkenswert; daneben blüht die Bienen-, Tauben- und Seidenwürmerzucht. Hauptbeschäftigung aber bilden Fischfang und Seefahrt. Genaueres s. die einzelnen Inseln. Die Verfassungsurkunde der frühern Republik datierte vom 2. Mai 1817. Die britische Regierung hatte das Recht, sich auf den Inseln durch einen Lord-Oberkommissar repräsentieren zu lassen, der allen Beschlüssen des Landes erst gesetzliche Kraft gab, sowie das Recht, Besatzungen in die Festungen zu legen und die Militärmacht ihren Befehlshabern unterzuordnen. Sitz der Zentralregierung war Korfu. Die ausübende Gewalt hatte ein Senat, dessen Präsidenten die englische Krone auf fünf Jahre ernannte; er zählte außerdem fünf Mitglieder und einen Staatssekretär. Die gesetzgebende Gewalt hatte die Versammlung der Volksvertreter (Parlament), bestehend aus 42 Abgeordneten; dieselben wurden frei gewählt und traten alle zwei Jahre in Korfu zusammen. Jede Insel hatte außerdem ihren vom Volk gewählten Munizipalrat sowie ein Zivil-, Kriminal- und Handelstribunal nebst einem Appellationsgericht. Zu Korfu befand sich der oberste Appellhof. Das ionische Wappen war ein gehender geflügelter, goldener Löwe in blauem Feld, an der rechten Vorderpranke einen Bund von sieben Pfeilen mit einem Kreuz, in der linken ein Evangelienbuch haltend. Hauptfestung war Korfu (jetzt geschleift).

[Geschichte.] Durch Homers Gesänge und Odysseus’ Irrfahrt im Andenken der spätesten Nachwelt erhalten, blühten die sieben Eilande in alter Zeit unter Hellas’ Schutz als besondere kleine Staaten, doch ohne hervorragende politische Bedeutung. Nur auf dem heutigen Korfu, dem Scheria der Sage, dem Lande der Phäaken, das im Altertum Korkyra (Corcyra) hieß, legte im 8. Jahrh. v. Chr. Korinth eine Kolonie an; dieselbe wetteiferte bald an Macht und Schiffahrt mit der Mutterstadt. Später, als Griechenland unter Roms Herrschaft gekommen war, verloren die Ionischen Inseln ihre Selbständigkeit und unter Vespasian ihre Freiheit. Bei der Teilung des römischen Reichs fielen sie an das byzantinische Kaisertum. 466 n. Chr. ward Korfu von den Vandalen unter Geiserich und 550 von Ostgoten und slawischen Scharen verheerend heimgesucht; 1147 eroberte es der Normanne Roger von Sizilien, und seitdem gehorchte es den Königen von Neapel. Unter solchen Wechseln war das Schicksal der immer mannigfaltiger gemischten Bevölkerung ein außerordentlich verschiedenes: Perioden roher Unterdrückung wurden durch Zwischenpausen gänzlicher Vernachlässigung unterbrochen, in welchen die Einwohner den Folgen anarchischer Willkür unterlagen. 1401 erkaufte die Republik Venedig den Besitz Korfus um 30,000 Dukaten von Neapel, um die Stadt Korfu als eine Vormauer gegen die Türken zu befestigen, und bemächtigte sich sodann auch der übrigen Ionischen Inseln, die sie durch Provveditoren regieren ließ. Die Ionischen Inseln bildeten damals, nebst den venezianischen Besitzungen auf dem festen Land (in Albanien), die Provinz Levante Veneto. Die vier Jahrhunderte der venezianischen Herrschaft waren für die Inseln nichts weniger als glückliche, da es ihren Schutzherren nur auf Ausbeutung aller im Bereich ihrer Macht liegenden Mittel für eigne Zwecke ankam. Die Beamten waren ausschließlich geborne Venezianer, welche ihre Stellen nach Möglichkeit zu ihrer Bereicherung benutzten und der Bestechung zugänglich waren. Die Sprache sank unter dem Überhandnehmen italienischer Formeln und Wendungen zu einem Mischdialekt herab. Nach der Teilung der Republik Venedig 1797 kamen die Inseln an Frankreich; aber schon 1799 bemächtigten sich ihrer die verbündeten Türken und Russen, worauf der Kaiser Paul die alte Freiheit scheinbar wiederherstellte, indem er durch den Vertrag mit der Pforte vom 21. März 1800 den Freistaat der sieben vereinigten Inseln gründete, der, von den Vornehmen des Landes regiert, unter der Hoheit der Pforte stehen und dieser tributär sein sollte. Indes dieser Freistaat, von innern Unruhen und Verfassungskämpfen zerrissen, bestand nicht lange, und nach dem Frieden zu Tilsit (1807) kamen die Inseln wieder an Frankreich; die Ionischen Inseln wurden ein Bestandteil der illyrischen Provinzen. Am 2. Okt. 1809 erschien jedoch eine Abteilung der englischen Flotte vor Zante und verdrängte in kurzem die französische Garnison von sämtlichen Inseln, Korfu ausgenommen. Der erste Pariser Friede von 1814 bestimmte die Abtretung der Republik der Ionischen Inseln an die Alliierten, und diese entschieden 5. Nov. 1815 zu Paris dahin, daß die sogen. Sieben Inseln als Vereinigte Staaten der Ionischen Inseln einen unabhängigen Staat bilden und unter das Protektorat Großbritanniens gestellt werden sollten. Dieses sollte einen Lord-Kommissar ernennen mit der Vollmacht, eine Gesetzgebende Versammlung des ionischen Inselstaats zu [1016] berufen, damit dieselbe einen Verfassungsentwurf ausarbeite, ferner das Besatzungsrecht in den Festungen der Inseln haben, und die Streitkräfte der Republik sollten dem Oberbefehlshaber der britischen Truppen untergeordnet sein.

Die englische Krone ernannte zunächst Sir Thomas Maitland zum Lord-Oberkommissar der Vereinigten Staaten der Ionischen Inseln. Dieser bearbeitete nun mit einem im Januar 1817 aus den „edlen Herren“ berufenen Primärrat von elf Ioniern den Verfassungsentwurf, welcher, der britischen Verfassung nachgebildet, den Rechten aller Klassen Rechnung zu tragen suchte, und ließ denselben von der durch eben jenen Primärrat berufenen Gesetzgebenden Versammlung prüfen. Nachdem der König von England die neue Konstitution genehmigt, trat sie 1. Jan. 1818 in Kraft. Nach derselben sollte die griechische Sprache fortan die offizielle sein. Auch durch Gründung von Unterrichtsanstalten und Verbesserung der Gesetzgebung, welche aus einem Gemisch teils venezianischer, teils griechischer Verordnungen bestand, erwarb sich Maitland Verdienste. Gleichwohl vermochte er so wenig wie einer seiner Nachfolger die englische Herrschaft populär zu machen, obwohl unter derselben in Korfu eine Universität gegründet, ein Freihafen daselbst angelegt, Straßen gebaut und sonstige Vorkehrungen für die Hebung des geistigen und materiellen Wohls getroffen wurden. Die Ionier neigten sich mehr und mehr Griechenlands Interessen zu, und das Parlament ließ sogar den Wunsch nach Vereinigung mit Griechenland laut werden, weswegen es wiederholt aufgelöst oder vertagt werden mußte. 1849 legte der Lord-Oberkommissar Seaton dem Parlament weitgehende Reformvorschläge vor. Die Hauptpunkte waren: völlige Freiheit der Presse; Erweiterung des Wahlrechts auf die vierfache Zahl der bisherigen Wähler; Einführung des Ballotierens bei den Wahlen; Abschaffung des Primärrats; besoldete Distriktsratskollegien für jede einzelne Insel; endlich freie Wahl der Munizipalbeamten. Trotzdem brach unter Seatons Nachfolger Sir Henry Ward (Mai 1849) in Kephalonia ein Aufstand aus, und nur mit Mühe gelang es ihm, denselben mit Waffengewalt niederzuwerfen. Zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen folgten. Im März 1850 trat das neue Parlament zusammen, das erste auf Grundlage der Seatonschen Verfassungsreform gewählte, welches, aus Advokaten, Journalisten und Abenteurern bestehend, so heftige Klagen über den Druck der fremden Regierung erhob und so laut die Vereinigung mit Griechenland forderte, daß es zweimal vertagt und im Dezember 1851 aufgelöst wurde. Indes auch die drei folgenden, 1852, 1854 und 1857 gewählten Parlamente ergriffen jede Gelegenheit, den Wunsch nach Vereinigung mit Griechenland laut werden zu lassen. Als sich im Juni 1858 selbst der Lord-Oberkommissar Young für die Abtretung der südlichen Inseln an Griechenland aussprach, sandte die englische Regierung einen außerordentlichen Oberkommissar, Gladstone, nach den Ionischen Inseln, der die Beschwerden jener Inseln prüfen sollte. Derselbe ward als Philhellene allenthalben mit Vertrauen empfangen, vermochte jedoch dem ihm von allen Seiten entgegentönenden Geschrei nach Vereinigung mit Griechenland nur die Antwort zu erteilen, daß seine Regierung entschlossen sei, das europäische Staatsrecht aufrecht zu erhalten. Im Januar 1859 übernahm er auf kurze Zeit das Amt eines Oberkommissars der Ionischen Inseln und eröffnete 25. Jan. zu Korfu das Parlament. Dieses richtete eine Adresse an die Königin, worin dieselbe ersucht ward, bei den Mächten eine Abänderung der Verträge von 1815 bezüglich der Ionischen Inseln zu beantragen. Die Antwort lautete zwar ablehnend, stellte dagegen verschiedene Maßregeln zum Besten der Republik in Aussicht. Die hierauf von Gladstone dem Parlament vorgelegten 17 Reformvorschläge wurden aber von diesem zurückgewiesen. Vergeblich versuchte sein Nachfolger Storcks die Gemüter durch Einsetzung einer Kommission für Einführung von Verwaltungsreformen zu versöhnen. Kaum hatte die englische Regierung im Oktober 1860 die geschehene Umwälzung im Kirchenstaat, in Neapel und in Sizilien anerkannt, als das Parlament mit Anwendung der in der betreffenden Depesche ausgesprochenen Grundsätze auf die Ionischen Inseln und ihr Verhältnis zu Großbritannien einer- und zu Griechenland anderseits von neuem, diesmal in noch entschiedenerer Sprache, die Forderung der Entlassung der sieben Inseln aus dem englischen Protektorat an das englische Kabinett stellte. Dieses antwortete hierauf einfach damit, daß es schon in den letzten Tagen des Novembers 1860 großartige Anstalten treffen ließ, Korfu zu befestigen, das Bassin zur Aufnahme großer Kriegsschiffe zu vervollkommnen und Docks anzulegen. Indes verstummten die Beschwerden und Forderungen des Parlaments darum nicht, und es schritt 1862 zu einer Anklage des Lord-Oberkommissars wegen Verfassungsverletzung und zu einem Protest an die Königin. Schon 10. Dez. 1862 aber erklärte die englische Regierung, durch den Sturz des griechischen Königs Otto und den Beschluß der Nationalversammlung von Athen, einen neuen König zu wählen, bestimmt, der provisorischen Regierung daselbst, daß es, falls Griechenland einen der Königin von England genehmen König wähle, geneigt sei, in die Vereinigung der Ionischen Inseln mit dem Königreich Griechenland zu willigen, „um letzteres zu stärken“. Am 1. Okt. 1863 legte denn auch der Lord-Oberkommissar dem neu einberufenen ionischen Parlament die Bedingungen vor, unter welchen jene Vereinigung erfolgen solle. Bereits 5. Okt. erklärte jenes seine Zustimmung, nur die als Bedingung mit aufgenommene Schleifung der Festung Korfu wies es zurück; worauf es bis April 1864 vertagt wurde. Am 14. Nov. 1863 unterschrieben die Vertreter sämtlicher fünf Großmächte zu London das Protokoll, durch welches England der Schirmherrschaft über die Ionischen Inseln entsagte und dieselben an Griechenland abtrat. Die Festungswerke von Korfu wurden nach dieser Konvention geschleift und die sämtlichen Inseln für neutral erklärt. Auf Vorstellungen der griechischen Regierung wurde jedoch in einer neuen Konferenz der Großmächte zu London im Januar 1864 die Neutralität auf Korfu und Paxo beschränkt, der neue Vertrag 29. März abgeschlossen und 8. April von Griechenland genehmigt. Am 30. Mai übergab der Lord-Oberkommissar die Staatsarchive dem Bevollmächtigten des Königs Georg, General Zaimis, der darauf das ionische Parlament für aufgelöst erklärte. Am 21. Mai verließ der Lord-Oberkommissar mit sämtlichen englischen Truppen und Kriegsschiffen Korfu, wo 6. Juni der König Georg seinen Einzug hielt. Am 31. Juli traten die Deputierten der Ionischen Inseln ins griechische Parlament ein. Vgl. Liebetrut, Reise nach den Ionischen Inseln (Hamb. 1850); Davy, The Ionian islands under British protection (Lond. 1851); Ansted, The Ionian islands (das. 1863); Kirkwall, Four years in the Ionian islands (das. 1864, 2 Bde.); v. Warsberg, Odysseeische Landschaften (Wien 1878–79, 3 Bde.); Riemann, [1017] Recherches archéologiques sur les îles Ioniennes (Par. 1879, 3 Tle.).