MKL1888:Karsgebiet
[561] Karsgebiet, südwestlichstes Gouvernement der russ. Statthalterschaft Kaukasien, umfaßt die im Berliner Vertrag 13. Juli 1878 von der Türkei abgetretenen Sandschaks Tschaldyr und Kars und zerfällt in die Bezirke Tuchta (mit Chorasan), Ardahan (mit Poszchow), Olti mit dem Stadtgebiet von Kars, Kagysman, Schuragel und Saruschad (mit Tschaldyr), ein Areal von 18,586 qkm (337,5 QM.) mit (1882) 145,412, inkl. Militär 162,979 Einw., zur Hälfte Türken und Armenier, außerdem Karapapachen, Kurden, Griechen, Russen, Turkmenen u. a. Von der im Traktat von Konstantinopel vorgesehenen Erlaubnis, in die Türkei auszuwandern, machten bis Ablauf desselben im Februar 1882: 15,234 Personen Gebrauch. Das K. ist ein Hochgebirgsland, erfüllt mit parallelen Gebirgszügen, die im O. an die Hauptkette des Kaukasus und die Gebirge Persiens stoßen und in südwestlicher Richtung sich über die Grenzen hinaus fortziehen. Das nördliche Grenzgebirge, der Arsianzweig des an der russischen Grenze westlich von Achalzych verlaufenden Adscharischen Gebirgszugs, erhebt sich zu 2500 m. Die Wasserscheiden sind nur auf Gebirgspässen zu überschreiten, welche im O. durchschnittlich 2400 m hoch liegen. Die Vegetation trägt den Charakter südlicher Gegenden: Alpenwiesen bis zu Höhen von 2–3000 m geben im Frühjahr und Sommer vortreffliche Weiden für die zahlreichen Herden; 1882 zählte man 15,475 Pferde, 178,169 Rinder, 267,488 Schafe und Ziegen, 5449 Esel. Waldungen gibt es außer in Saruschad und Schuragel überall; Kiefern mit Birken untermischt reichen bis zu 2100 m. Der Weinstock gedeiht bis zu 1000 m, doch ist der Weinbau sehr unbedeutend und der gewonnene Wein sauer. Die Obstzucht ist gleichfalls sehr gering; Gärten gibt es nur in den Bezirken Kagysman und Olti. Ergiebige Ernten geben alle Getreidearten, Gerste und Mais gedeihen in den höchsten Lagen. Am Achalkalaki haben die seit 1830 dort angesiedelten Russen von der Sekte der Duchoborzen das sonst nur zur Weide dienende Land in Ackerfelder umgewandelt. An Kommunikationen ist noch großer Mangel; fahrbare Straßen existieren fast gar nicht. Ethnographisch herrscht der georgische Typus vor: schlanker Wuchs, kräftige Körperformen, helle Gesichtsfarbe, vorwiegend blaue Augen; auch die Sprache ist grusisch, meistens jedoch durch das Türkische verdrängt.
Die Hauptstadt Kars, auf einer 1879 m hohen Ebene an den Quellen des Aras, östlich vom Soghanli Dagh, hat eine alte Festung mit starker Citadelle nebst Werken auf den umliegenden Höhen u. (1882) 11,981 Einw., worunter 4686 Soldaten. Als Sperrpunkt der Straße Alexandropol-Erzerum ist Kars von großer strategischer Bedeutung. Die Stadt Kars war im 9. und 10. Jahrh. Residenz einer eignen armenischen Dynastie, wurde im 11. Jahrh. eine Beute der Seldschukken, im 13. Jahrh. der Mongolen, 1387 von Timur zerstört und, nachdem sie 1546 türkisch geworden, wahrscheinlich durch Murad III. 1578–89 während des Kriegs mit Persien wieder aufgebaut. Hier erlitten 31. Mai 1744 die Türken durch die Perser und 1. Juli 1828 durch die Russen unter Paskewitsch eine Niederlage. Am 5. Juli fiel darauf die Stadt und 10. Juli die Citadelle in die Hände der Russen, beide wurden aber im Frieden der Türkei zurückgegeben. Im Krimkrieg 1855 wurde unter Leitung des englischen Generals Williams [562] und des Ungarn Kmety (Ismael Pascha) Kars zu einer starken Festung gemacht. Ein durch die Russen nach längerer Einschließung unternommener Sturmangriff 29. Sept. wurde von den Belagerten zurückgeschlagen; allein da die Blockade aufs engste fortgeführt wurde, mußte der Befehlshaber, General Williams, nachdem Hungersnot und Seuchen ausgebrochen waren, die Stadt 27. Nov. übergeben. Im russisch-türkischen Krieg 1877 wurde Kars schon im Mai von den Russen zerniert, im Juli die Belagerung aufgegeben, aber im November erneuert; nachdem das Bombardement 15. Nov. begonnen, wurde die Festung in der Nacht vom 17.–18. Nov. von den Russen erstürmt und im Berliner Frieden 13. Juli 1878 an sie abgetreten. Vgl. Sandwith, Geschichte der Belagerung von Kars (a. d. Engl., Braunschw. 1856).