MKL1888:Kiefernspinner

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kiefernspinner“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 715
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Kiefernspinner. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 715. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kiefernspinner (Version vom 16.12.2023)

[715] Kiefernspinner (Fichtenspinner, Gastropacha [Lasiocampa] pini L.), Schmetterling aus der Familie der Spinner (Bombycidae) und der Gattung Glucke (s. d.), 6 cm (das Weibchen bis 8,4 cm) breit, grau oder braun, sehr veränderlich, aber stets mit weißem Halbmondfleckchen auf dem Vorderflügel und unregelmäßiger, rotbrauner Querbinde hinter demselben, findet sich in fast ganz Europa und bis zum Altai, fehlt im nordwestlichen Europa manchen Gegenden ganz, erscheint um Mitte Juli überall, wo Kiefern wachsen, und (besonders das Weibchen) ist sehr träge. Bisweilen unternimmt er weitere Wanderungen. Das Weibchen legt 100–200 blaugrüne, später graue Eier von Größe und Gestalt eines Hanfkorns an den Stamm, die Nadeln oder einen Zweig in kleinern oder größern Partien, bis 50 Stück, besonders an die untern Partien des Holzes. Nach 2–4 Wochen erscheinen die Räupchen, begeben sich alsbald zum Fraß auf die Nadeln und beziehen im Oktober oder November, meist halbwüchsig, Winterlager unter Moos oder Kraut am Fuß der Stämme, wo sie in einer Höhlung uhrfederartig zusammengerollt liegen. Sie sind dunkelbraun, grau oder rötlich mit Weißgrau mannigfach wechselnd, stellenweise mit filziger Behaarung und je einem stahlblauen Samtfleck (Spiegel) in den Einschnitten des zweiten und dritten Ringes, auf den übrigen Ringen sind dunkle Flecke angedeutet. Zur Seite der dunkeln Rückenzeichnung, über den Beinen und hinter dem Kopf stehen Warzenreihen mit Schuppen- und Borstenhaaren. Sie erscheinen zeitig wieder im Frühjahr, bei 8° Lufttemperatur, und beginnen im April den Fraß. Eine einzige Raupe verzehrt zur Erlangung der Reife durchschnittlich 1000 Nadeln, und die halbwüchsige Raupe verzehrt eine Nadel, wenn sie sich nicht unterbricht, in 5 Minuten. Im Juni sind die Raupen ausgewachsen und verspinnen sich in der Krone an Nadeln und Zweigen, am Stamm oder an der Erde. Der Kokon ist wattenartig, fest, schmutzigweiß oder graubraun und enthält eine dunkelbraune Puppe, aus welcher nach drei Wochen der Schmetterling ausschlüpft. Eier und Raupen sind den Angriffen der Schlupfwespen stark ausgesetzt, und oft kriechen aus einer einzigen Raupe Hunderte von Schlupfwespenlärvchen hervor, um sich auf der allein noch übrigen Raupenhaut zu verpuppen. Auch ein im Innern der Raupe wuchernder Pilz (Botrytis Bassiana) setzt der übermäßigen Verbreitung Schranken. Der K., welcher hauptsächlich auf ältern Kiefern lebt, gehört zu den schädlichsten Insekten. Besonders gefährdet sind 60–80jährige Bestände, auch jüngere Bäume, welche auf schlechtem Boden kümmerlich gedeihen. Die Raupe frißt die Kiefern ganz kahl und zerstört auch die Spitzknospen, so daß sich der Stamm nicht wieder vollständig erholen kann. Je frischer und besser der Boden, desto seltener ist die Raupe; nach mehreren heißen, trocknen Sommern muß man in großen, reinen Kiefernforsten auf trocknem Sand stets auf das Erscheinen der Raupe vorbereitet sein. Man revidiert zweimal im Jahr, sucht die Raupen im Winterlager (das häufige Anfassen der Raupen erzeugt bisweilen böse Krankheiten an den Fingern), fängt sie durch Anprellen und sammelt auch die Puppen, Schmetterlinge und Eier. Namentlich bei den Raupen überzeugt man sich, ob sie Ichneumone enthalten, und tötet sie in diesem Fall nicht, weil die ausschlüpfenden Ichneumone mehr zur Vertilgung beitragen als die angestrengteste Arbeit. Man sucht die Raupen auch durch Ziehen von Gräben, scharfes Durchforsten der Stangenhölzer und Schonungen und namentlich durch Anbringen eines Teerringes am Stamm zu bekämpfen, hat aber trotz aller Bemühungen immer noch die größten Verluste zu beklagen gehabt. S. Tafel „Waldverderber II“.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 520
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[520] Kiefernspinner (Gastropacha pini). Der dunkle Rückenstreifen der Raupe besteht aus dicht nebeneinander stehenden, stachelartigen Härchen, welche nach außen und oben gerichtete, mit dem innern Hohlraum in Verbindung stehende Seitenästchen tragen, die allgemein als Widerhäkchen bezeichnet werden. In den größern erkennt man, namentlich in den untern Teilen, einen Inhalt von grünlich-bläulicher Farbe, der hier und da mit größern hellen Stellen, anscheinend Hohlräumen, durchsetzt ist. Dieser Inhalt besteht aus konzentrierter Ameisensäure, die sich auch in allen Teilen der Haut wie auch in Giftorganen andrer Insekten findet. Die Haut wird mit den Haaren in vier- bis fünfmaliger Häutung abgestreift, gelangt so in die Moosdecke, unter welche sich die Raupen zur Verpuppung, die mit Abstreifen der Haare beginnt, zurückgezogen haben, und durchfilzt den Boden; die Haare können in so gewaltigen Mengen vorhanden sein, daß sie auf den Gewächsen des Waldes und im Sande der Wege nachweisbar sind, und daher auch nach Stellen verweht werden, wo die Raupen wegen Mangel an Nahrung nicht mehr nisten. Diese Härchen nun spießen sich in die Haut der Menschen und der Tiere, und die in ihnen enthaltene Ameisensäure übt einen Reiz aus, der einen Nesselausschlag erzeugt. Dieser zeigt sich zuerst meist auf der Haut der Beugeseiten (Kniekehle, Schenkelbeuge, Fußgelenk), kann sich aber schließlich über den ganzen Körper verbreiten. Ein peinigendes, heftiges Jucken stört die Nachtruhe, auch die Schleimhäute erkranken, es kommt zu Schwellungen im Kehlkopf und Rachen und dadurch zu Schluckbeschwerden und Heiserkeit, ferner auch zu Augenentzündung. Die Härchen wandern wie andre spitze Körper auch in die tiefern Hautschichten; bei Vögeln und Amphibien, die sich von Insekten mit Hauthaaren nähren, fand Siebold abgebrochene Haare und borstige Teile außerhalb der Darmwand in der Körperhöhle. Wie die Menschen, so erkranken auch Haustiere, Hunde, Schafe, Ziegen, Rinder daran, und Pferde schon durch bloßes Passieren eines Waldes mit Raupennestern; Wild und Singvögel sollen solche Wälder verlassen. Wie verhängnisvoll das massenhafte Auftreten des Kiefernspinners in dieser Richtung werden kann, geht daraus hervor, daß ein bisher in starkem Aufblühen begriffener See- und klimatischer Kurort, der auf der Frischen Nehrung in einem schönen Kiefernwalde liegt und mit großem Aufwande durch künstliche Anpflanzungen zu einem lieblichen Stückchen Erde umgeschaffen ist, seit dem Erscheinen des Kiefernspinners mehr und mehr gemieden wird. Die einzigen Vertilger der Raupen des Kiefernspinners sind, soweit bekannt, der Kuckuck und der Raubkäfer Calosoma sycophanta, dessen Larve sich sogar in den Raupennestern findet.