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MKL1888:Kohlehydrate

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kohlehydrate“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 915916
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Kohlehydrate. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 915–916. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kohlehydrate (Version vom 06.10.2024)

[915] Kohlehydrate, eine Gruppe meist vegetabilischer Substanzen, welche neben 6 oder 12 Atomen Kohlenstoff Sauerstoff und Wasserstoff in dem Verhältnis enthalten, in welchem diese Elemente Wasser [916] bilden. Man könnte diese Körper also betrachten als Verbindungen von Kohlenstoff mit verschiedenen Mengen Wasser, als Hydrate des Kohlenstoffs, und dieser Anschauung verdanken sie ihren Namen. Die K. gehören zu den wichtigsten Bestandteilen des Pflanzenkörpers; Cellulose bildet z. B. die Wandungen der vegetabilischen Zellen, während Stärkemehl, Inulin, Zucker oft in großer Menge in verschiedenen Teilen der Pflanzen (Stämme, Knollen, Wurzeln, Samen) als Reservestoffe aufgespeichert sind. Im Tierreich findet man K. besonders in der Milch und im Blut. Sie entstehen ganz allgemein in den Pflanzen, im tierischen Körper aber wohl nur als Zersetzungsprodukte komplizierterer Substanzen, dagegen werden in den Pflanzen wie in den Tieren häufig verschiedene K. ineinander übergeführt. Man hat mehrere K. auch künstlich dargestellt, aber gerade von den in der Natur verbreitetsten ist die Synthese bisher noch nicht gelungen. Alle K. sind starre Körper, teils kristallisiert, teils amorph oder organisiert, nicht flüchtig, meist in Wasser löslich und stets von neutraler Reaktion. Die chemischen Beziehungen der K. sind noch nicht erforscht; jedenfalls sind sie nicht als einfache Hydrate des Kohlenstoffs zu betrachten, ebensowenig wie Essig- und Milchsäure, welche gleichfalls Sauerstoff und Wasserstoff in dem Verhältnis enthalten, in welchem die Elemente Wasser bilden. Manche Reaktionen stellen die K. den Alkoholen sehr nahe; namentlich geben sie mit Säuren Verbindungen, welche den zusammengesetzten Äthern vergleichbar sind. Bei der trocknen Destillation geben die K. brennbare und nicht brennbare Gase, Teer, saure Produkte und Kohle, bei der Oxydation Oxalsäure, oft erst nach vorhergehender Bildung von Zucker- und Schleimsäure; mit konzentrierter Salpetersäure bilden sie zum Teil explosive Nitroprodukte. Unter sich stehen die K. jedenfalls in innigem Zusammenhang, und beim Kochen mit verdünnter Schwefelsäure verwandeln sich die meisten in gärungsfähigen Zucker. Alle K. unterliegen dem Einfluß von Fermenten. Die meisten zeigen charakteristisches Verhalten gegen polarisiertes Licht. Nach ihrer Zusammensetzung kann man drei Gruppen unterscheiden, die wahren Zuckerarten C12H22O11: Rohrzucker, Milchzucker, Melitose, Melizitose, Mykose; die Glykosen C6H12O6: Traubenzucker, Fruchtzucker, Galaktose, Sorbin, Eukalin, Inosit, und eine dritte Gruppe, entsprechend der allgemeinen Formel C6H10O5: Stärkemehl, Glykogen, Dextrin, Inulin, Gummi, Cellulose, Tunicin. Die K. zeigen wichtige Beziehungen zu mehreren andern Gruppen, so zu den Säuren, von denen viele aus Kohlehydraten entstehen, zu den Humuskörpern, welche sich ganz allgemein aus Kohlehydraten bilden, zu den Pektinkörpern, Fetten, Alkoholen, zu den sogen. Pseudozuckern und zu sehr vielen komplizierten Stoffen, in welchen sich ein Kohlehydrat, namentlich oft Zucker, als Paarling findet (vgl. Glykoside). Die K. spielen im Pflanzen- und Tierleben die wichtigste Rolle. Sie sind in der Pflanze neben Proteinkörpern das hauptsächlichste organisationsfähige Material und werden in der Zeit der höchsten Assimilationsthätigkeit weit über den augenblicklichen Bedarf hinaus gebildet und als Reservestoffe abgelagert. Beim neuen Erwachen der Vegetation und noch vor Ausbildung der assimilierenden Blätter werden diese Reservestoffe zur Bildung neuer Organe verwendet. Im tierischen Körper werden die K., welche zu den wichtigsten Nahrungsmitteln gehören, wohl größtenteils in Fett verwandelt (daher auch Fettbildner) und im Blut verbrannt. In der Technik finden viele K. ausgedehnte Verwendung, besonders die Cellulose, Zucker, Stärkemehl; sämtlicher Alkohol wird aus Kohlehydraten dargestellt. Vgl. Sachsse, Die Chemie und Physiologie der Farbstoffe, K. und Proteinsubstanzen (Leipz. 1876).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 530533
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[530] Kohlehydrate, Gruppe chemischer Verbindungen, in welchen das Verhältnis von Wasserstoff zu Sauerstoff meist dasselbe ist wie im Wasser, und von denen die wichtigsten und am längsten bekannten 6 oder ein Vielfaches von 6 Atomen Kohlenstoff im Molekül enthalten. Das genannte Verhältnis zwischen Wasserstoff und Sauerstoff und die Zugehörigkeit zur C6-Reihe galten früher als Kennzeichen der K. Jedoch ist für einzelne vegetabilische Substanzen von Kohlehydratnatur (Arabinose, Xylose) neuerdings nachgewiesen, daß sie 5 Atome Kohlenstoff im Molekül enthalten (zur C5-Reihe gehören); auch sind K. der C3-, C4- etc. bis C9-Reihe von E. Fischer künstlich dargestellt worden, und die Rhamnose C6H12O5, die unzweifelhaft zu den Kohlehydraten gehört, zeigt ein andres Verhältnis zwischen Wasserstoff und Sauerstoff als die übrigen. Demgemäß bleibt als Kennzeichen der Gruppe nur der gemeinsame chemische Charakter. Alle K. sind Oxyaldehyde oder Oxyketone, bez. ätherartige Verbindungen solcher Oxyaldehyde und Oxyketone.

I. Die Oxyaldehyde, Aldehydzucker (Aldosen), und Oxyketone, Ketonzucker (Ketosen), selbst bilden zusammen die erste Gruppe der K. und werden im Gegensatze zu den ätherartigen Verbindungen, die aus zwei oder mehreren Aldosen oder Ketosen sich zusammensetzen, als Monosaccharide (Monosen) oder gewöhnlich nach dem am längsten bekannten Gliede der Gruppe, der Glykose (Glukose), als Glykosen bezeichnet. Die Zahl der nach der Theorie vorauszusehenden Glykosen ist außerordentlich groß; die Zahl der in Naturprodukten aufgefundenen und sicher als chemische Individuen erkannten beträgt nicht mehr als acht. Die folgende Übersicht enthält die wichtigern Glykosen; die aus vegetabilischen oder animalischen Substanzen gewonnenen sind durch den Druck hervorgehoben:

C3H6O3 Glycerose (Gemisch v. Glycerinaldehyd) CH2OH CH OH COH (Aldose) und Dioxyaceton CH2OH CO CH2OH (Ketose).
C5H10O5 Arabinose CH2(OH)CH(OH)CH(OH)CH(OH)COH
Pentosen Xylose ?
C5H9(CH3)O5 Rhamnose (Isodulcit) CH3CH2(OH)CH(OH)CH(OH)CH(OH)COH.
C6H12O6 Glykose (Traubenzucker) CH2(OH)CH(OH)CH(OH)·
CH(OH)CH(OH)COH
.
  Galaktose
  Mannose
Hexosen Fruktose (Lävulose)
CH2(OH)CH(OH)CH(OH)CH(OH)CO CH2(OH).
  Akrose ?
  Formose ?
C9H18O9 Mannonose CH2OH(CH(OH))7COH.

Die Verschiedenheit der Glykose, Mannose und Galaktose, welche die gleichen Strukturformeln eines Aldehydzuckers besitzen, ebenso die Verschiedenheit der Arabinose und Xylose etc. beruhen auf Stereoisomerie (optischer Isomerie). Durch ein mit vier verschiedenen Atomen oder Atomgruppen verbundenes (asymmetrisches) Kohlenstoffatom werden stets drei Verbindungen von gleicher chemischer Struktur bedingt, zwei, die optisch aktiv sind, d. h. die Ebene des polarisierten Lichtes drehen, und zwar beide um den gleichen, durch die Natur der Substanz bestimmten, aber entgegengesetzt gerichteten Winkel, und eine dritte, die optisch inaktiv ist, durch Vermischen der gleichen Mengen der beiden andern entsteht und in diese wieder zerlegt werden kann. Für die Aldosen C6H12O6 (Glykose etc.), deren Strukturformel vier asymmetrische Kohlenstoffatome enthält, läßt die Le Bel-Van’t Hoffsche Theorie 16 mögliche optisch aktive Formen voraussehen; diese Zahl reduziert sich auf 10 für die Derivate, deren Molekül symmetrisch ist, also z. B. für die durch Reduktion der Glykosen gewonnenen zugehörigen Alkohole CH2OH(CHOH)4CH2OH oder die durch Oxydation mit Salpetersäure erhaltenen zweibasischen Säuren COOH(CH[OH])4COOH. Ebenso wird die Zahl der möglichen Isomeren vermindert, wenn bei Überführung in Derivate eins oder mehrere der asymmetrischen Kohlenstoffatome ihre Asymmetrie verlieren. Dabei können also aus optisch isomeren Glykosen identische Derivate entstehen, wenn nämlich die Ursache der Verschiedenheit der Glykosen in der Stellung der Gruppen zu dem Kohlenstoffatom lag, das seine Asymmetrie in dem Derivat verloren hat.

Von den Glykosen der Formel C6H12O6 sind Glykose, Fruktose und Mannose von E. Fischer neuerdings synthetisch dargestellt worden. Schon früher war durch Einwirkung von Kondensationsmitteln auf Formaldehyd CH2O ein süßer Sirup erhalten worden, der, wie die Zuckerarten, Fehlingsche Lösung (alkalische Kupferoxydlösung) reduzierte (Methylennitan, Formose). Hierbei konnte durch wiederholte Aldolkondensation

CH2O + CH2O = CH2(OH)·CHO
CH2(OH)·CHO + CH2O = CH2(OH)·CH(OH)·CHO
etc.

wohl Glykose oder eine isomere Verbindung entstanden sein, aber es gelang nicht, aus dem sirupösen Gemisch eine wohlcharakterisierte Verbindung der Kohlehydratgruppe abzuscheiden.

Ein sirupöses Gemenge von ähnlichen Eigenschaften entsteht auch bei der Einwirkung von Basen auf Akroleïnbromid CH2Br·CHBrCHO, wobei zunächst die beiden Bromatome durch Hydroxylgruppen ersetzt werden. Der so entstandene Glycerinaldehyd CH2(OH)·CH(OH)·CHO konnte sich in gleicher Weise unter dem Einfluß des überschüssigen Alkalis zu Glykose oder einem Isomeren kondensieren

CH2(OH)·CH2(OH)·CHO + CH2(OH)CH2(OH)·CHO =
H2O + CH2(OH)·CH2(OH)CH2(OH)·CH2(OH)·CH2(OH)CHO
.

Auch die gemäßigte Oxydation der mehrwertigen Alkohole führt zu gärbaren Sirupen, die Glykoseeigenschaften zeigen; so ergibt die Oxydation von Glycerin mit Brom und Alkali ein Gemenge von Glycerinaldehyd und Dioxyaceton (Glycerose), und dieses wird durch verdünntes Alkali nach der oben angeführten Gleichung weiter zu zuckerartigen Verbindungen kondensiert. Aus dem Mannit

CH2(OH)·(CH[OH])4·CH2(OH)

wird durch Oxydation ein Produkt erhalten, das neben andern Substanzen Fruktose enthält; aber die [531] Isolierung eines wohlcharakterisierten Kohlehydrates ist auch hier lange Zeit nicht gelungen.

Die Aufklärung dieser Verhältnisse ist der Anwendung der von E. Fischer entdeckten Phenylhydrazinreaktion zu verdanken. Phenylhydrazin C6H5NH·NH2 vereinigt sich mit den Glykosen zu schwerlöslichen Verbindungen, indem 1 Molekül der Glykose unter Austritt von 2 Molekülen Wasser mit 2 Molekülen Phenylhydrazin zusammentritt unter gleichzeitiger Aboxydation zweier Wasseratome. Die beiden Wasserstoffatome werden bei der Glykose

CH2(OH)·(CH[OH])3·C*H(OH)·COH

dem mit einem Stern bezeichneten, der Aldehydgruppe benachbarten Kohlenstoffatom, bei der Fruktose

CH2(OH)·(CH[OH])3·CO·C*H2(OH)

dem mit einem Stern bezeichneten, der Ketongruppe benachbarten Kohlenstoffatom entzogen; es entsteht also aus Glykose und Fruktose dasselbe Zwischenprodukt (Oson) CH2(OH)·(CH[OH])3·CO·COH, in welchem sich dann die Sauerstoffatome der beiden CO-Gruppen mit 2 Wasserstoffatomen je eines Moleküls Phenylhydrazin zu Wasser verbinden, während an ihre Stelle je ein Rest des Phenylhydrazins C6H5NH·N= eintritt. Aus Glykose und Fruktose bildet sich so das gleiche Osazon

CH2(OH)·(CH[OH])3C(N2HC6H5)·CH(N2HC6H5);

sonst haben die Osazone verschiedener Glykosen verschiedene Schmelzpunkt- und Löslichkeitsverhältnisse und können somit bei ihrer Schwerlöslichkeit dazu dienen, die Glykosen aus Gemengen abzuscheiden und zu charakterisieren. Durch Säuren werden die Osazone in Phenylhydrazin und ein Oson gespalten, das durch Wiederzuführen der beiden zuvor abgespaltenen Wasserstoffatome in eine Glykose zurückverwandelt wird. Diese Rückverwandlung kann auch so bewirkt werden, daß das Osazon, z. B. Glykosazon, zuerst durch Reduktionsmittel in eine Base

CH2(OH)·(CH[OH])3·CO·CH2NH2

(Isoglykosamin) verwandelt wird, aus welcher Säuren Ammoniak abspalten. In beiden Fällen entsteht aus den identischen Osazonen der Glykose und Fruktose nur die letztere Verbindung. Auf diesem Wege, durch das Osazon wird Glykose in Fruktose umgewandelt und lassen sich allgemein Aldehydzucker in die zugehörigen Ketonzucker umwandeln.

Bei der Behandlung des Methylennitans (Formose) wie des aus Akroleïnbromid oder Glycerose entstandenen Kondensationsproduktes mit Phenylhydrazin bildet sich nun, wie E. Fischer fand, neben vielen andern Produkten regelmäßig ein Osazon C6H10O4(N2HC6H5)2, α-Akrosazon, das dem Glykosazon sehr ähnlich ist und in der That das optisch inaktive Glykosazon (bez. Fruktosazon) darstellt. In die zugehörige Glykose umgewandelt, liefert das α-Akrosazon einen süßen Sirup (α-Akrose), der sich als inaktive Fruktose erwies. Zur Durchführung des synthetischen Aufbaues der Fruktose aus dem Formaldehyd, Akroleïnbromid oder Glycerin bedurfte es demnach nur noch der Spaltung der synthetischen inaktiven Fruktose in die beiden optisch aktiven Isomeren, deren eine die gewöhnliche Fruktose sein mußte. Die direkte Spaltung durch Gärung führt bei der α-Akrose nicht zu der bekannten, sondern zu der hierbei zuerst aufgefundenen optisch isomeren Fruktose, da die Hefe gerade den gesuchten Teil der inaktiven Substanz verbraucht, der leichter vergärbar ist. Dagegen führte der folgende Weg zum Ziele. α-Akrose liefert bei der Reduktion mit Natriumamalgam den zugehörigen Alkohol C6H14O6, α-Akrit, und dieser ist die inaktive Form des Mannits, dessen bekanntes aktives Isomeres ganz entsprechend auch durch Reduktion der gewöhnlichen Fruktose erhalten werden kann. Wird der gewöhnliche Mannit mit verdünnter Salpetersäure oxydiert, so entsteht neben Fruktose Mannose, die auch aus vegetabilischen Produkten gewonnen ist; der α-Akrit liefert demgemäß inaktive Mannose. Diese kann, wie Glykose in Glykonsäure, durch Oxydation mit Bromin in die inaktive, einbasische Mannonsäure CH2(OH)·(CH[OH])4·COOH verwandelt werden, und inaktive Mannonsäure läßt sich nach dem Pasteurschen Verfahren durch Kristallisation des Strychnin- oder Morphinsalzes in die beiden optisch aktiven Isomeren spalten, deren eins mit der bekannten Mannonsäure identisch sein muß. Nach der Überführung des α-Akrits in die von der natürlichen Mannose sich ableitende Mannonsäure bedarf es zur völligen Synthese der Mannose nur der Rückverwandlung der Mannonsäure in diese Glykose; diese Rückverwandlung gelingt gut durch Reduktion der durch Erhitzen teilweise in das Lakton verwandelten Mannonsäure mittels Natriumamalgam in saurer Lösung.

Die Spaltung der inaktiven Mannonsäure in die optisch aktiven Isomeren eröffnet ferner den Weg zur Synthese des Traubenzuckers. Die Mannonsäure läßt sich durch Erhitzen mit Chinolin auf 140° zum Teil in Glykonsäure verwandeln und umgekehrt, ebenso wie beim Erhitzen von Traubensäure oder Mesoweinsäure ein teilweiser Übergang des einen in das andre Stereoisomere stattfindet. Aus der gewöhnlichen aktiven Mannonsäure, die Mannose liefert, entsteht beim Erhitzen die der Glykose entsprechende Glykonsäure, und diese läßt sich auf demselben Wege in Traubenzucker verwandeln, wie aus Mannonsäure Mannose sich bildet. Damit ist die Synthese des Traubenzuckers, zugleich aber auch die Synthese der Fruktose durchgeführt, da dieselbe, wie oben beschrieben, aus dem Glykosazon gewonnen werden kann, und ebenso aus dem Osazon der Mannose, das mit Glykosazon identisch ist.

Die neuern Methoden, die zu den angegebenen Synthesen geführt haben, sind von sehr allgemeiner Verwendbarkeit und gestatten die künstliche Gewinnung einer großen Zahl neuer Glieder der Kohlehydratgruppe wie die Klarstellung des Zusammenhanges unter denselben. Eine ungemein umfassende synthetische Methode gründet sich auf die oben angegebene Reduktion der Laktone der einbasischen Oxysäuren zu Glykosen. Solche einbasische Säuren mit einem um ein Atom erhöhten Kohlenstossgehalt entstehen aus den Glykosen, z. B. aus Glykose, durch Addition von Blausäure und nachfolgende Verseifung des Nitrits entsprechend den Gleichungen

CH2(OH)·(CH[OH])4·COH + HCN
= CH2(OH)·(CH[OH])4CH(OH)CN
CH2(OH)·(CH[OH])4·CH(OH)CN + 2H2O
= CH2(OH)·(CH[OH])4·CH(OH)·COOH + NH3
.

Die gebildete Säure gibt bei der Reduktion auch eine Glykose von um ein Atom höherm Kohlenstoffgehalt als die Ausgangssubstanz; diese neugebildete Glykose kann wieder mit Blausäure behandelt, das entstandene Nitril verseift und das Lakton der Säure zu einer neuen Glykose von noch höherm Kohlenstoffgehalt reduziert werden u. s. f. Auf diesem Wege sind von E. Fischer die Glykosen mit 7, 8 und 9 Atomen Kohlenstoff gewonnen worden. Bemerkenswert ist die Beobachtung, daß nur die Glykosen der C3-, C6- und C9-Reihe, nicht aber die andern gärungsfähig sind.

[532] Die Glykosen, und zwar sowohl die Aldehyd- als auch die Ketonzucker, werden durch Reduktionsmittel in die zugehörigen mehrwertigen Alkohole übergeführt; Oxydationsmittel verwandeln die Aldehydzucker, z. B. Glykose, zunächst in einbasische Säuren, CH2(OH)·(CH[OH])4·COOH Glykonsäure, indem die Aldehydgruppe oxydiert wird; durch stärkere Oxydation wird auch die endständige primäre Alkoholgruppe CH2OH in die Karboxylgruppe verwandelt und zweibasische Säuren, z. B. COOH·(CH[OH])4·COOH Zuckersäure, gebildet. Ketonzucker werden durch Oxydationsmittel gespalten und in zwei oder mehr Säuren von geringerm Kohlenstoffgehalt übergeführt, z. B. Fruktose in Traubensäure und Glykolsäure, bez. deren weitere Oxydationsprodukte.

Bei der Reduktion und Oxydation der Aldehydzucker C6H12O6 bleiben die vier asymmetrischen Kohlenstoffatome intakt und demnach die Stereoisomerie der Derivate bestehen. So entstehen die optisch isomeren Reihen

Alkohol C6H14O6 Sorbit Mannit Dulcit
Glykose C6H12O6 Glykose Mannose Galaktose
Einbas. Säure C6H12O7 Glykonsäure Mannonsäure Galakton­säure
Zweibas. Säure C6H10O8 Zuckersäure Mannozucker­säure Schleim­säure.

Die Überführung der Glykosen durch Oxydation mit Salpetersäure in die leichter zu unterscheidenden zugehörigen zweibasischen Säuren kann zur Erkennung der einzelnen Glykosen dienen; sonst werden dieselben am leichtesten durch ihre Osazone (s. o.) charakterisiert, die sich durch ihren Schmelzpunkt unterscheiden lassen. Zur quantitativen Bestimmung der Glykosen, wenn sie einzeln vorliegen, dient die Oxydation mittels Fehlingscher Lösung, einer Auflösung von Kupferoxyd in alkalischer Seignettesalzlösung (weinsaurem Natronkali). Das Wirksame ist dabei das gelöste Kupferoxyd CuO, das Sauerstoff abgibt und in unlösliches Kupferoxydul Cu2O übergeht; die Menge des letztern ist dann ein Maß für die Menge der vorhanden gewesenen oxydierten Glykose. Da aber die Oxydation bei verschiedenen Glykosen nicht gleich weit geht, dies auch von Temperatur und Konzentration der Lösung etc. beeinflußt wird, so sind für die praktisch wichtigen Glykosen Tabellen aufgestellt, die unter der Voraussetzung der Einhaltung stets gleicher Versuchsbedingungen aus der gefundenen Cu2O-Menge die gesuchte Menge der Glykose finden lassen. Ferner können die einzelnen Glykosen quantitativ bestimmt werden mittels des Polarisationsapparates aus der Winkelgröße, um welche ihre Lösungen die Ebene des polarisierten Lichtes ablenken. Beide Methoden dienen z. B., um bei Diabetes (Zuckerharnruhr) im Harne die Menge der krankhaft auftretenden Glykose zu bestimmen. In Gemengen von Glykosen lassen sich die einzelnen Bestandteile nur unter besondern Umständen und angenähert quantitativ bestimmen. Beim Erhitzen ihrer Lösungen mit Säuren oder Alkalien werden die Glykosen zersetzt unter Bildung von gelb und bei weiterer Einwirkung immer dunkler gefärbter Produkte (Huminsubstanzen); die Ketonzucker, z. B. Fruktose, werden hierbei schneller und leichter angegriffen als die Aldehydzucker.

II. Disaccharide Zuckerarten C12H22O11 (Saccharosen, Biosen). Die zweite Gruppe der K. besteht aus ätherartigen (bez. acetalartigen) Verbindungen von zwei gleichen oder verschiedenen Glykosen, die unter Austritt eines Moleküls Wasser zusammengetreten sind. Es sind nur Disaccharide der Formel C12H22O11 bekannt, also solche, die der Reihe der Hexosen angehören und als Bihexosen bezeichnet werden können. Der Zusammentritt der beiden Komponenten kann entweder so erfolgt sein, daß bei der Ätherbildung beide Aldehyd-, bez. Äthergruppen gebunden worden sind, oder so, daß die Aldehyd-, bez. Ketongruppe der einen Glykose auf eine Hydroxylgruppe der andern unter Wasserabspaltung eingewirkt hat. Der erstere Fall liegt beim Rohrzucker vor, der aus Glykose und Fruktose besteht. Hier sind dem entsprechend alle Eigenschaften der Glykosen, die durch die freie Aldehyd-, bez. Ketongruppe bedingt werden, verschwunden. Rohrzucker wird nicht von alkalischer Kupferlösung oxydiert, nicht durch Reduktionsmittel zum Alkohol reduziert, bildet kein Osazon und wird nicht in alkalischer Lösung leicht unter Färbung zersetzt, ist nicht direkt gärungsfähig etc. Im zweiten Falle dagegen sind mit der einen intakt gebliebenen Aldehyd-, bez. Ketongruppe auch die angeführten charakteristischen Glykose-Eigenschaften unverändert erhalten, so bei der Maltose, die aus zwei Molekülen Glykose, und beim Milchzucker (Laktose), der aus einem Molekül Glykose und einem Molekül Galaktose sich zusammensetzt, wobei die Aldehydgruppe der Glykose intakt geblieben ist.

Durch Erhitzen mit verdünnten Säuren werden die Saccharosen in ihre Komponenten zerlegt (hydrolytische Spaltung), und zwar um so glatter, je verdünnter die Säure und die Lösung der Saccharosen ist; bei stärkerer Konzentration von Lösung und Säure wirkt letztere kondensierend auf die gebildeten Glykosen und verwandelt dieselben zuletzt in Huminsubstanzen.

Ketonzucker, insbesondere Fruktose, werden schneller und leichter hydrolytisch abgespalten als Aldehydzucker; so kann die Umwandlung des Rohrzuckers in das Gemenge gleicher Moleküle Glykose und Fruktose (Invertzucker) durch außerordentlich geringe Säuremengen bewirkt werden.

Der Aufbau einer Saccharose durch Wiederzusammenfügen der Glykosen, aus denen sie besteht, ist bisher nicht gelungen.

Für die Erkennung und die quantitative Bestimmung der Saccharosen gilt das bei den Glykosen Angeführte, nur daß der Rohrzucker sowohl bei der Osazonprobe als bei der Bestimmung mittels Fehlingscher Lösung zuvor durch Behandlung mit Säuren in Invertzucker übergeführt sein muß.

III. Polysaccharide. In der Art wie zwei können auch mehrere Glykosen unter Wasserabspaltung zusammentreten. Eine Triose, aus Glykose, Fruktose und Galaktose zusammengesetzt, deren Aldehyd-, bez. Ketongruppen wie beim Rohrzucker sämtlich gebunden sind, ist die Raffinose C18H32O16 + 5aq. Bei den Dextrinen, die bei der hydrolytischen Spaltung der noch höher molekularen K. als Zwischenprodukte auftreten, ist die Bindung wohl zwischen je einer Aldehyd-, bez. Ketongruppe und einer Hydroxylgruppe anzunehmen, so daß im ganzen eine Aldehyd- oder Ketongruppe frei bleibt; dies erklärt, daß die Dextrine mit steigendem Molekulargewicht immer schwächere Glykose-Eigenschaften zeigen und Fehlingsche Lösung reduzieren. Soweit sie der Reihe der Hexosen angehören, nähert sich ihre Zusammensetzung mit steigendem Molekulargewicht immer mehr der Formel (C6H10O5)n. Den Dextrinen sehr ähnliche Substanzen entstehen auch durch die bereits oben erwähnte kondensierende Einwirkung der Säuren auf die Glykosen. Von den hochmolekularen Verbindungen der Formel (C6H10O5)n, die keine Glykose-Eigenschaften mehr besitzen, bilden die Stärke und die eigentliche [533] (Baumwoll-) Cellulose Anhydride der Glykose und liefern bei der hydrolytischen Spaltung nur diese. Das Inulin ist ein Anhydrid der Fruktose. Die Pflanzenschleime, Gummiarten, inkrustierenden Bestandteile des Holzes und die Pektinkörper etc. sind Gemenge von Anhydriden oder vielleicht gemischte Anhydride der Arabinose und Galaktose, liefern zum Teil auch Xylose und Mannose. Vgl. Tollens, Handbuch der K. (Bresl. 1889).