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MKL1888:Kohlenwasserstoffe

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kohlenwasserstoffe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 921
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Kohlenwasserstoffe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 921. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kohlenwasserstoffe (Version vom 04.10.2024)

[921] Kohlenwasserstoffe, chemische Verbindungen von Kohlenstoff mit Wasserstoff. Beide Elemente vereinigen sich nicht direkt miteinander; aber sie bilden sehr zahlreiche Verbindungen, welche zum Teil gasförmig, meist aber flüssig oder fest sind, sämtlich sich bei hoher Temperatur verflüchtigen und mit stark leuchtender, rußender Flamme verbrennen; nur das Sumpfgas hat eine wenig leuchtende Flamme. Die K. finden sich teils in der Natur, teils werden sie aus pflanzlichen oder tierischen Stoffen, auch durch Synthese aus den Elementen künstlich dargestellt, und alle bilden den Ausgangspunkt für die Entstehung sehr zahlreicher chemischer Verbindungen. Die K. lassen sich in homologe Reihen ordnen, von denen jede durch eine allgemeine Formel ausgedrückt werden kann, z. B.:

CnH2n+2   CnH2n   CnH2n−2
CH4 Methan  
C2H6 Äthan C2H4 Äthylen C2H2 Acetylen
C3H8 Propan C3H6 Propylen C3H4 Allylen
C4H10 Butan C4H8 Butylen C4H6 Krotonylen
C5H12 Pentan C5H10 Amylen C5H8 Valerylen
C6H14 Hexan C6H12 Hexylen C6H10 Hexoylen
etc. etc. etc.

Die ersten Glieder solcher Reihen sind gasförmig, die mittlern flüssig mit steigendem Siedepunkt, die höchsten fest mit steigendem Schmelzpunkt. Das erste Glied der ersten Reihe, das Methan, entwickelt sich bei der Fäulnis von Pflanzensubstanz unter Wasser (Sumpfgas), die übrigen Glieder finden sich im Erdöl, und Gemische der höchsten Glieder bilden das Paraffin; viele K., wie Methan, Äthylen etc., entstehen bei trockner Destillation organischer Substanz und finden sich daher im Leuchtgas und im Teer. Zu der Reihe CnH2n−4 gehören die Kamphene (Terpene) C10H16, welche in zahlreichen Isomerien die Mehrzahl der ätherischen Öle bilden. Der Reihe CnH2n−6 gehören vor allen die aromatischen K. an, deren einfachster das Benzol C6H6 ist. Aus den Kohlenwasserstoffen entstehen zahlreiche Verbindungen, indem an die Stelle von Wasserstoffatomen andre Elemente oder Atomgruppen treten. So wird aus dem Kohlenwasserstoff C2H6, wenn an die Stelle von 1 Atom Wasserstoff 1 Atom Chlor tritt, Äthylchlorür C2H5Cl oder durch Eintritt von OH Äthylalkohol C2H5OH etc.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 486
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[486] Kohlenwasserstoffe. Bei der großen Bedeutung, welche der Steinkohlenteer für so viele Industriezweige gewonnen hat, indem er das Rohmaterial für die Herstellung einer überraschend großen Anzahl in der vielseitigsten Weise verwertbarer Substanzen geworden ist, erweckt jeder Fortschritt der Kenntnis seiner Bestandteile erhebliches Interesse. Ein neu entdeckter Bestandteil des Steinkohlenteers, das Cumaron C8H6O, ist schon früher aus Cumarin, dem bekannten Riechstoff des Waldmeisters, dargestellt worden. Erhitzt man Cumaron, welches im allgemeinen ziemlich indifferent ist, mit einem aromatischen Kohlenwasserstoff, so wird Wasser ausgeschieden, und es entsteht ein höherer Kohlenwasserstoff. So gibt Cumaron C8H6O mit Benzol C6H6 Phenanthren C14H10 und Wasser H2O. Auf gleiche Weise wurde auch Chrysen erhalten, welches wie Phenanthren im Steinkohlenteer vorkommt. Hiernach scheint das Cumaron im Teer eine große Rolle zu spielen. Man hatte bisher angenommen, daß die höhern K. des Teers durch Zusammentreten von Acetylengruppen CH und deren weitern Kondensationsprodukten unter Austritt von Wasserstoff entstehen. Nun aber lernen wir eine andre Reaktion kennen, welche zu höhern Kohlenwasserstoffen führt, und so zeigt der Teer auch in dieser Beziehung Mannigfaltigkeit.

Die aromatischen K. sind im stande, Wasserstoff aufzunehmen, und wenn man sie nachhaltig mit Jodwasserstoff und Phosphor behandelt, so gelangt man zu Körpern, welche die größtmögliche Menge Wasserstoff enthalten. Aus Anthracen C14H10 entsteht der Kohlenwasserstoff C14H24, aus Chrysen C18H12 die Verbindung C18H30. Diese hydrierten K. weichen in ihrem Verhalten von der Stammsubstanz erheblich ab, sie zeigen ungefähr den Charakter der Paraffine, namentlich deren hervorragende Indifferenz, und bilden gewissermaßen eine Annäherung der aromatischen Reihe an die Fettreihe, welcher die Paraffine angehören. Zu der erstern gehört ein Mineral, der Fichtelit C18H32, welcher sich im Kolbermoor bei Rosenheim auf den zwischen dem Torfe eingebetteten Wurzelstöcken fossiler Fichten als weiße Effloreszenz, häufig auch in Form wohl ausgebildeter Kristalle findet. Alle Versuche, die Konstitution dieses Körpers zu ermitteln, scheiterten bisher an seiner außerordentlichen Widerstandsfähigkeit gegen chemische Reagenzien, und erst jetzt hat man in demselben die höchste Hydrierungsstufe des Retēns C18H18 erkannt, der im Holzteer vorkommt und auch häufig neben Fichtelit auf fossilen Holzstämmen anzutreffen ist. Zwar gelang es nicht, Reten in Fichtelit überzuführen, man erhielt nach der angedeuteten Methode nur den Kohlenwasserstoff C18H30, indessen konnten dem Fichtelit 2 Atome Wasserstoff entzogen werden, und das Produkt erwies sich als identisch mit dem Hydrierungsprodukt des Retens. Diese Erkenntnis wirft auch einiges Licht auf die Bildung beider K. Man findet sie in vertorften Wurzelstöcken der Hochmoore an denselben Stellen, an welchen sich im lebenden Baume die Harzgänge befinden, und man hat daher wohl im Harze die Muttersubstanz beider Körper zu suchen. Findet sich doch auch die Cymolgruppe C6H5.C3H7, welche man in den Bestandteilen des Baumharzes nachgewiesen hat, im Reten und Fichtelit wieder. Bemerkenswert ist die Analogie dieses gemeinsamen Vorkommens mit der Thatsache, daß auch im Petroleum die aromatischen K. von ihren Hydrüren, den Naphthenen, begleitet werden.

Die Reihe der gesättigten K. schließt ab mit der Verbindung C35H72, und auch die bei der trocknen Destillation der Braunkohle, des Holzes etc. erhaltenen festen Paraffine sind, vielleicht mit Ausnahme der aus Ozokerit gewonnenen K., solche, in welchen die unter sich verbundenen Kohlenstoffatome die Zahl 30 nicht überschreiten. Es ist aber von hohem theoretischen Interesse, ob eine Grenze besteht, über welche hinaus eine normale Verkettung der Kohlenstoffatome nicht mehr möglich ist. Hall hat nun aus dem kohlenstoffreichsten Alkohol der Fettreihe, dem Myricylalkohol C30H61.OH, welcher im Bienen- und Carnaubawachs vorkommt, das Jodid dargestellt und dies mit Kalium erhitzt. Unter Jodentziehung erfolgt dann Verkettung zweier Moleküle zu dem Kohlenwasserstoff C60H122. Dieser ist farblos, pulverförmig, in den meisten Lösungsmitteln schwer löslich und schmilzt bei 101–102°. Beim Erhitzen zersetzt er sich teilweise, bei vermindertem Luftdruck aber kann er unzersetzt destilliert werden. Seine Beständigkeit scheint anzudeuten, daß auch noch längere Kohlenstoffketten existenzfähig sind.