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MKL1888:Kolonisation, innere

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Kolonisation, innere“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Kolonisation, innere“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 9 (1887), Seite 959
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Kolonisation, innere. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 959. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kolonisation,_innere (Version vom 22.04.2024)

[959] Kolonisation, innere, s. Kolonien, S. 954 f.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 540541
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[540] Kolonisation, innere. Während man unter K. im eigentlichen Sinne des Wortes die erstmalige Okkupation eines Landes, Hand in Hand gehend mit der Urbarmachung der in Besitz genommenen Ländereien und mit der erstmaligen Organisation kommunaler und staatlicher Verbände, zu verstehen pflegt, begreift man unter dem Ausdruck „innere K.“ jene Maßnahmen, welche zum Zwecke haben, innerhalb der bereits vorhandenen staatlichen Gemeinschaft und auf bereits in Besitz genommenem Boden eine günstigere landwirtschaftliche Besitzverteilung, im besondern hinsichtlich der Schaffung kleinerer und mittlerer, namentlich also bäuerlicher Besitzeinheiten, herbeizuführen. Als Gebiete der innern K. eignen sich daher diejenigen des vorwiegenden oder ausschließlichen Großgrundbesitzes, in denen es an einer harmonischen Entwickelung der Besitzverhältnisse gebricht, vielmehr meist unvermittelt die Extreme des Latifundienbesitzes einer-, des brotlosen Arbeiterproletariats anderseits sich gegenüberstehen; in denen also der Mangel einer ununterbrochenen Stufenleiter der Besitzer die sozialen Gegensätze verschärft und, wie die Erfahrung zeigt, jene besitzlosen Elemente mehr und mehr den Lehren der sozialdemokratischen Bewegung zugänglich macht. Selbst da, wo die auf Arbeit auf den großen Gütern angewiesene Landbevölkerung nach dem Maße der erhaltenen Löhnung (neben Geld vielfach noch naturale Bezüge, bestehend in Einräumung von Wohnung und etwas Nutzland, wie bei den Gutstagelöhnern, Instleuten des Nordens und Nordostens von Deutschland) an sich leidlich befriedigende Existenzbedingungen findet, wird doch der Zustand des Ausgeschlossenseins vom eigentümlichen Besitz von Grund und Boden in wachsendem Maße hart empfunden, und die Aussichtslosigkeit, in der Heimat selber zu einer selbständigen Lebensstellung, wie sie der Besitz eines noch so bescheidenen Grundbesitzes gewährt, je zu gelangen, bildet alljährlich für viele Tausende dieser Leute die Veranlassung zum Aufgeben der heimatlichen Beziehungen, sei es durch Abzug in die Städte oder durch Auswanderung in das Ausland. Daher die Gegenden des Großgrundbesitzes das merkwürdige Schauspiel liefern, daß sie trotz ihrer an sich dünnen Bevölkerung in der Regel eine sehr viel stärkere Auswanderungsquote als dichter bevölkerte Landstriche liefern, eben deshalb aber in ihren wirtschaftlichen Bedingungen (wegen der zunehmenden Menschenverarmung) in steigendem Maße beeinträchtigt werden. Dies trifft namentlich wiederum für den Großgrundbesitz selber zu, der, in je stärkerer Ausdehnung das Abströmen der arbeitenden Bevölkerung sich vollzieht, an Arbeitskräften Mangel leiden und an der guten Bewirtschaftung seiner Besitztümer sich in störendster Weise behindert sehen muß. Solange die Arbeitsverfassung auf dem flachen Lande eine unfreie, d. h. die ländliche Bevölkerung rechtlich an die Scholle gebunden oder doch in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt war, brauchte zwar jene einseitige Grundbesitzverfassung die vorerwähnten Folgen nicht zu zeitigen und hat sie thatsächlich nicht gehabt, wohl aber, seit die alten Schranken der Gebundenheit der Landbevölkerung gefallen, die sozialen Freiheitsrechte des modernen Staates auch dieser uneingeschränkt eingeräumt worden sind, seit also die Freiheit der Berufswahl und der unbehinderten [541] Niederlassungsmöglichkeit, zumal in Verbindung mit der Vervielfältigung und Verbilligung der neuzeitlichen Verkehrsmittel die Weg- und Auswanderung so sehr erleichtert und begünstigt haben. Deshalb ist für Deutschland, soweit die Gegenden des Latifundien- und Großgrundbesitzes in Frage kommen (also namentlich die nördlichen und östlichen preußischen Provinzen), die Frage einer Eindämmung dieser Erscheinung mehr und mehr eine brennende geworden, und nachdem eine Anzahl Grundbesitzer schon vor längerer Zeit aus eignen Stücken mit der eigentümlichen Verleihung von Land an ihre Arbeiter erfolgreich vorgegangen sind, ja selbst die Ansässigmachung von bäuerlichen Wirten in großem Stile in die Hand genommen haben (Kolonisationsversuche des Rittergutsbesitzers Sombart), darf es als ein wichtiger sozialpolitischer Akt bezeichnet werden, wenn der Staat selber zu einem planmäßigen Vorgehen auf diesem Gebiete sich entschließt, also durch seine Gesetzgebung und sonstige Veranstaltungen der Ansässigmachung von kleinen Leuten auf dem flachen Lande, d. h. der innern K., kräftigen Vorschub leistet und, indem er einen festangesessenen Stand kleiner und mittlerer Bauern neu zu schaffen sich bemüht, zur Milderung der sozialen Klassengegensätze zu seinem Teile beiträgt. Dabei kann zur Verwirklichung des Zieles entweder diese innere K. den Charakter einer Zwangsmaßregel annehmen, indem die Ansässigmachung von bäuerlichen Wirten auf dem Wege der Enteignung von dazu ausersehenen Privatgütern erfolgt, welcher Weg wohl aber nur dann zu beschreiten ist, wenn der seitherige Zustand der landwirtschaftlichen Besitzverteilung von schweren Gefahren für das öffentliche Wohl begleitet sich zeigt (wie etwa in Irland, für welches die neuerlichen Landgesetze die allmähliche Umwandlung der seitherigen Kleinpachter in selbständige Grundeigentümer anstreben); oder aber die innere K. vollzieht sich in der freien Weise, daß der Staat das Kolonisationswerk, sei es durch Zerschlagung von Domänenbesitz, sei es im Wege des freihändigen Aufkaufes von Gütern und Zerlegung derselben in kleinere Besitzeseinheiten, selber in die Hand nimmt oder die etwanigen Kolonisationsunternehmungen Privater durch eine entsprechende Gesetzgebung begünstigt, also das zu erstrebende Ziel unter Vermeidung radikaler Änderung der bestehenden Verhältnisse durch eine allmähliche Besserung der Mängel der Grundbesitzverfassung zu erreichen trachtet.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, unterscheidet sich die neuzeitliche innere K. sehr wesentlich von frühern Bestrebungen ähnlicher Art, insbesondere von den Kolonisationsunternehmungen, wie sie nach dem Dreißigjährigen Kriege allüberall in Deutschland, später namentlich in Preußen wieder, besonders unter Friedrich d. Gr., in Angriff genommen worden sind. Denn bei diesen Unternehmungen stand neben populationistischen Ideen das Interesse an der Wiederbebauung zahlloser wüst gewordener Ländereien, an der Neubesiedelung verlassener Dörfer, mit einem Worte die Rückgewinnung einer früher eingenommenen und durch die Schrecken jenes großen Krieges verloren gegangenen Bodenkultur im Vordergrund; während heutzutage ein solches Produktionsinteresse höchstens bei der Besiedelung der mangelhaft ausgenutzten zahlreichen Moore mit tüchtigen, leistungsfähigen Wirten entscheidend in die Wagschale fällt, im übrigen aber es das sozialpolitische Interesse an einer günstigern, harmonischern Grundeigentumsverteilung ist, welches ganz vorwiegend der Wiederaufnahme innerer K. die Wege geebnet hat. Der glückliche Erfolg solcher Kolonisationsbestrebungen ist augenscheinlich mit dadurch bedingt, daß der kolonisierenden Stelle (Staat oder Private) wenigstens für eine gewisse Zeit ein Einfluß auf den Kolonisten gewahrt bleibt, durch dessen Geltendmachung etwanigen wirtschaftlichen Verirrungen des letztern vorgebeugt werden kann; wie denn die Geschichte einzelner solcher Unternehmungen zeigt, daß, wo ein derartiger Einfluß fehlte, die neuen Kolonistenstellen, sei es durch unwirtschaftliche Zerstückelung, sei es durch rasche Häufung der Verschuldung, bald dem Siechtum verfielen und, statt eine wirtschaftliche Stütze des Großgrundbesitzes zu sein, sehr bald zu einer drückenden Last für denselben wurden, was selbstredend nicht ermutigend für ein weiteres Vorgehen sein konnte. Aber auch davon ist jener Erfolg bedingt, daß dem einzusetzenden Kolonisten die Landstelle unter Bedingungen überlassen wird, welche ein wirtschaftliches Gedeihen einigermaßen verbürgen und, abgesehen hiervon, auch den mittellosern Elementen die Ansässigmachung erleichtern, was indessen dann vielfach nicht der Fall wäre, wenn die Ansetzung in den gewöhnlichen Formen des Kaufes geschähe, weil eben die meisten der in Betracht kommenden ländlichen Existenzen der Mittel zur baren Erlegung des Ganzen oder auch nur eines nennenswerten Teiles der Kaufschuld entbehren. Während nun aus diesem Grunde in Mecklenburg für die Ansetzung von Tagelöhnerfamilien die Form der Erbpacht gewählt worden ist, hat man in Preußen sog. Rentengüter neu in das Agrarrecht eingeführt, bei denen der Kauf gegen Rente oder gegen Entrichtung von die Kaufschuld langsam tilgenden Annuitäten stattfindet, und hat, um den an der Kolonisationsarbeit sich beteiligenden Großgrundbesitz gleichwohl alsbald in den Besitz seiner Kaufschillingsforderungen zu setzen und gleichzeitig den Kolonisten selbst unabhängiger von der kolonisierenden Stelle zu machen, die seiner Zeit für die Zwecke der Ablösungsgesetzgebung geschaffenen Rentenbanken mit der Übernahme und Verwaltung dieser Rentenschulden betraut (vgl. Rentengüter, Bd. 18 u. 19, und Deutsche Kolonisation in Posen und Westpreußen, Bd. 19). Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 32: „Zur innern K.“, und Bd. 30, Verhandlungen über diesen Gegenstand im J. 1879 und Gesetzesmaterialien zu den oben aufgeführten Gesetzen.