MKL1888:Magen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Magen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 6263
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Magen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 62–63. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Magen (Version vom 20.11.2023)

[62] Magen (Gaster, Stomachus, Ventriculus), diejenige Höhle im tierischen Körper, in welcher die Verdauung vor sich geht, besteht in der einfachsten Form aus einer einzigen Zellschicht, dem sogen. Entoderm, ist hinten geschlossen, hat nur vorn eine Öffnung, den Mund, und stellt den ganzen Darmkanal vor. Indem sich sein vorderer Teil verlängert und zur Speiseröhre wird, hinten gleichfalls eine Öffnung, der After, entsteht und gewöhnlich auch der hintere Abschnitt sich in die Länge zieht, nimmt er die Gestalt an, die er bei weitaus dem größten Teil der Tiere besitzt. Er bildet so nur noch den mittlern Abschnitt des Darmkanals, den Mitteldarm. Indessen bezeichnet man auch als M. z. B. bei den höhern Krebsen und Insekten einen Teil des Vorderdarms, welcher eine Erweiterung der Speiseröhre vorstellt und mit Apparaten zur Zerkleinerung der Speisen versehen ist (daher auch Kaumagen, s. d.). Bei den Wirbeltieren erhält gleichfalls das Endstück des Vorderdarms den Namen M. – Auch die Wandungen des Magens erlangen bei den meisten Tieren eine höhere Ausbildung. Die verdauende Zellschicht, das Entoderm, vergrößert ihre Oberfläche, indem sie zu Drüsenschläuchen auswächst, welche den Verdauungssaft absondern (Labdrüsen); um sie herum lagert sich eine Muskelschicht, welche den M. zu Kontraktionen behufs Weiterbeförderung der Speisen in den Hinterdarm befähigt.

Der M. der Wirbeltiere ist bei den niedern Gruppen (Fischen, Amphibien, Reptilien) vielfach äußerlich kaum von der Speiseröhre unterschieden, die ohne scharfe Grenze in ihn übergeht. Bei den Fischen ist er in der Regel ein nach hinten gerichteter Blindsack, von dem sich nach vorn ein engeres Rohr zur Verbindung mit dem Darm abzweigt. Bei Amphibien und Reptilien liegt er vielfach schon quer, und diese Querlage wird bei den Säugetieren mit wenigen Ausnahmen zur Regel. Bei den Vögeln zerfällt er gewöhnlich in zwei Abschnitte, den drüsigen Vormagen (proventriculus) und den mit einer vielfach (z. B. bei Hühnern) sehr starken Muskelschicht versehenen Muskelmagen, in welchem sich Vorkehrungen zur Zerreibung der unzerkleinert in ihn gelangenden Nahrung befinden. Bei den Säugetieren ist der M. häufig gleichfalls aus mehreren Stücken zusammengesetzt (Wiederkäuer; s. im einzelnen die betreffenden Artikel). Der M. des Menschen endlich (s. Tafel „Eingeweide II“, Fig. 1) hat seine Lage in dem obersten Teil der Bauchhöhle (Magengrube). Seine Größe richtet sich nach der Masse seines Inhalts; ein nicht zu sehr gedehnter M. ist 27–32 cm lang, 9–12 cm breit und faßt etwa 3 Lit. Flüssigkeit. Seine obere Öffnung heißt Magenmund (cardia) und liegt gerade da, wo die Speiseröhre durch das Zwerchfell tritt. Die untere Öffnung (Pförtner, pylorus) schließt ihn gegen den Darm hin ab. Nach unten und links von dem Magenmund liegt der sogen. Magengrund (fundus). Die Wandung des Magens, deren Dicke im zusammengezogenen Zustand auf 13 mm angegeben wird, aber gleichfalls nach dem Grad seiner Ausdehnung außerordentlich wechselt, besteht aus drei Häuten. Die äußerste von diesen gehört eigentlich dem Bauchfell (s. d.) an, das sich auf den M. umschlägt und ihn ganz einhüllt; dann kommt eine etwa 1 mm dicke Lage von Längs- und Ringmuskeln und zu innerst die Schleimhaut. Die Muskelschicht verdickt sich am Pförtner zu einem Wulste, dem Schließmuskel des Pförtners (sphincter pylori), welcher wie eine Klappe (valvula pylori) in das Innere vorspringt. Die Bewegungen des Magens, welche durch die abwechselnde Zusammenziehung seiner Längs- und Ringfasern bewerkstelligt werden, bringen nach und nach jedes Teilchen des Mageninhalts mit der Schleimhaut in Berührung und drücken die bereits gelösten Speisen in den Zwölffingerdarm hinein. Die Kraft, mit welcher beim Erbrechen der Mageninhalt ausgeworfen wird, hängt aber nicht von der Stärke der Muskelhaut des Magens, sondern hauptsächlich vom Druck der Bauchmuskeln ab. Die Schleimhaut, d. h. die innerste der drei Häute, ist samtartig weich und je nach ihrem Blutgehalt gelbgrau bis graurötlich. Sie enthält Schleim- und Balgdrüsen oder geschlossene Follikel, besonders aber verschiedene Arten von Drüsen, die Labdrüsen (Textfigur a, b), einfache cylindrische Schläuche, welche von feinen Blutgefäßen umsponnen sind und im Innern den Magensaft erzeugen. Sie [63] sind nämlich mit einer Lage sogen. Labzellen ausgekleidet, die sich am blinden Ende des Schlauchs immer

Labdrüsen. a Entstehende Labdrüse (Einstülpung der Schleimhaut des Magens), b fertige Drüse.

neu bilden und allmählich der Öffnung näherrücken, wo sie zerfallen und ihren Inhalt, den Magensaft (s. d.), frei werden lassen. Bei jeder Mahlzeit findet die Bildung von Labzellen in verstärktem Maße statt; die Schleimhaut ist dabei stets stärker gerötet und etwas geschwollen. Im vollen M. ist sie übrigens glatt, im leeren dagegen in Falten gelegt. – Die großen Blutgefäße des Magens, die sogenannten Kranzadern, stammen aus der Eingeweide- und obern Gekrösarterie; das venöse Blut ergießt sich in die Pfortader (s. Tafel „Blutgefäße“, Fig. 4). Lymphgefäße und Lymphdrüsen sind zahlreich vorhanden. Die Nerven kommen vom Vagus (s. d.) u. Sympathikus (s. d.) her. Magenkrankheiten betreffen am häufigsten die Schleimhaut, wie der Magenkatarrh; in manchen Fällen kommen dabei flache Substanzverluste, die hämorrhagischen Erosionen, vor, selten sind der Soor und die Tuberkulose der Magenschleimhaut. Als Magenentzündung (Gastritis) bezeichnet man einmal eine leichtere Form der Drüsenveränderung (Gastritis parenchymatosa), welche beim Katarrh nicht selten vorkommt, zweitens aber eine höchst gefährliche Eiterinfiltration in der Submukosa (phlegmonöse Gastritis). Eins der häufigsten Magenleiden, namentlich bei Bleichsüchtigen, ist das runde Magengeschwür, ebenfalls häufig bei ältern Personen der Magenkrebs. Beide gehen mit Schmerzen, Magenkrampf, nicht selten mit Blutbrechen einher und können zuweilen zur Magenerweiterung, seltener zur Magenschrumpfung oder Verengerung führen. Vielerlei kolikartige Schmerzen, welche der Laie kurzweg als Magenschmerzen bezeichnet, rühren von Überfüllung des Darms, wirklicher Kolik, Stuhlverstopfung, Darmverengerung etc. her. Ein sehr verbreitetes Übel ist die nervöse Magenschwäche, meist Teilerscheinung allgemeiner Nervosität. – Auch die Haustiere sind oft von Magenkrankheiten befallen. Bei den Pferden entstehen infolge überreicher Aufnahme schweren Körnerfutters Magenkolik, die sehr oft zur Zerreißung der Magenwand führt, ferner der Gastrizismus (Dyspepsie). Häufiger erkranken die Wiederkäuer, besonders die Rinder, an Magenleiden. Indes ist der eigentliche M. (vierter M. oder Labmagen) nur selten betroffen. Sehr oft liegt die Störung in den drei ersten oder Vormagen (Pansen, Haube oder Netzmagen und Löser oder Blättermagen). Durch Überfütterung mit grünem Klee oder andern Leguminosen entsteht das Aufblähen (Blähsucht, Tympanitis). Als Folge des Genusses schwerverdaulicher oder verdorbener Futterstoffe können die Rinder an der akuten sowie an der chronischen Indigestion erkranken. Innere Verwundungen durch verschluckte scharfe Gegenstände (Nadeln, Nägel etc.), die bei Rindern häufig, bei Ziegen seltener vorkommen, werden bei Schafen nie beobachtet. Von den malignen Geschwülsten entstehen Sarkome in der Wandung des vierten Magens bei Rindern zuweilen. Bei Schweinen und Hunden kommt die Indigestion in der akuten und in der chronischen Form vor; eigentliche Entzündungen des Magens sind meist die Folge von Vergiftungen.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 597598
korrigiert
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[597] Magen. Die Ansichten über das Verhalten des Magens im leeren und im gefüllten Zustand lauten widersprechend, auch ist man nicht einig über das Verhalten des Pylorus und des Zwölffingerdarms. Roßbach hat die Frage experimentell zu lösen versucht, indem er M. und Darm von Hunden bloßlegte und Beobachtungen anstellte. Im vollen M. beginnen die peristaltischen Bewegungen zuerst schwach, werden dann immer stärker und dauern 4–8 Stunden fort. Die Bewegungen verlaufen nur in der dem Pylorus benachbarten Magenhälfte, der Magengrund bleibt während der ganzen Verdauungszeit ohne jegliche Eigenbewegung und ist nur mäßig um seinen Inhalt kontrahiert. Die Bewegungen des Magens beginnen immer an derselben Stelle, ungefähr in der Mitte des Magens, schnüren den M. daselbst tief ein und laufen in etwa 20 Sekunden wellenförmig zum Pylorus, wo sie wie abgeschnitten aufhören. Die Kontraktionswelle schneidet auf der Höhe der Verdauung so tief ein, daß das Lumen des Magens verschwindet. Die peristaltischen Bewegungen können durch nicht zu große Mengen kalten und warmen Getränkes vermehrt werden, große Mengen kalten Wassers heben die Bewegung auf, was therapeutisch wichtig ist; ebenso hemmen sie Narkotika. Der leere, nüchterne M. von Hunden, die 24–71 Stunden gefastet haben, erscheint klein und welk, zeigt nur selten schwache Kontraktionen. Der Pylorus [598] ist während der 4–8stündigen Verdauungszeit fest verschlossen und läßt keinen Tropfen Speisebrei ins Duodenum übertreten. Die Entleerung des Magens in den Darm erfolgt plötzlich, nachdem die Massen verdaut sind, und zwar spritzend in 4–5 Absätzen. Die Magenkontraktionen sind zu dieser Zeit nicht stärker als vorher, nur die Kontraktion des Pylorus läßt nach. Bei nüchternem M. schien der Pylorusschluß nicht so dicht zu sein wie während der Verdauung. Jedenfalls ist der Schließmuskel am Pylorus sowohl während der Verdauung als auch außerhalb derselben in solcher Spannung, daß der M. vom Darm abgeschlossen ist. Eine Füllung und Auftreibung des Magens zu diagnostischen Zwecken wäre auch sonst nicht möglich. Durchschneidung der Vagi oder Curarisierung hebt den Verschluß auf. Gießt man viel kaltes Wasser in den M., so erschlafft der Pylorus vollständig, schließt aber wieder fester, sobald sich der Mageninhalt erwärmt. Das Duodenum bleibt während der ganzen Magenverdauung ohne jede Eigenbewegung, wohl aber geht die Sekretion von statten. Erst wenn der Pylorus sich öffnet und Speisebrei in den M. spritzt, beginnen die peristaltischen Bewegungen des Duodenums und dauern so lange fort, als noch Speisebrei übertritt. Hört der M. auf zu arbeiten, so sistieren auch die Bewegungen im obersten Teile des Darmes. Nach Roßbach besteht ein nervöser Zusammenhang zwischen Innervation des Magens, Pylorus und des Duodenums, so zwar, daß die durch die Speisen gesetzten sensibeln Reize der Magenschleimhaut reflektorisch zuerst eine stärkere Innervation des Pylorusschließmuskels und eine Hemmung der Duodenalmuskelbewegung bewirken; zuletzt findet dann das Gegenteil statt. Die Duodenalruhe während der Verdauung im M. bezweckt, die Darmsäfte sich ansammeln zu lassen, um dadurch den sauren Magensaft zu neutralisieren, d. h. darmgerecht zu machen.

Roßbach machte auch Beobachtungen über die Darmbewegung des Menschen bei einer Patientin, welche so dünne Bauchdecken hatte, daß durch dieselben die Därme und deren peristaltische Bewegungen auf das deutlichste sichtbar waren. In den frühsten Morgenstunden schien die Dünndarmperistaltik zu ruhen, sie begann deutlich, wenn Speisen in M. und Darm gelangten; besonders rief Kaffee die Peristaltik stark hervor. Abends nahm die Erregbarkeit des Darmes ab. Geringe Kälte befördert die Peristaltik, größere Kälte steigert schon vorhandene nur in geringem Grade; Trinken kalten Wassers erregt sofort lebhafte Peristaltik; mäßiger Druck auf den Raum zwischen beiden geraden Bauchmuskeln ruft sie lebhaft hervor, Pressen und Husten machen sie deutlicher; bei längerm Anhalten des Atems wird die Peristaltik schwach, resp. verschwindet, bei starkem Hungergefühl tritt sie lebhaft ein; befördert wird sie durch abführende Mittel, Gemütsaffekte hemmen sie. Konstanter und faradischer Strom hatten keinen gleichbleibenden Einfluß.