MKL1888:Mandschu

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Mandschu“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 11 (1888), Seite 183
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Mandschu. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 11, Seite 183. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Mandschu (Version vom 07.12.2023)

[183] Mandschu (Mandschusprache), eine dem tungusischen Zweig des uralaltaischen Stammes angehörige Sprache, die verbreitetste, anscheinend aber auch abgeschliffenste unter ihren Schwestern sowie die einzige, die es zu einer gewissen Litteratur gebracht hat. Das Gepräge ihres Stammes trägt sie in vollem Maß: 1) die Vokalharmonie, insofern die Vokale in zwei Reihen zerfallen, nämlich harte: a, o, ô, und weiche: ĕ und u, während i neutral ist, und Gesetze bestehen, nach welchen im Wortstamm, oft im ganzen Worte, der erste Vokal für die folgenden bestimmend ist; 2) die bald ein-, bald zweisilbigen Wortstämme sind unveränderlich; Agglutination und zwar durch Suffixe ist das einzige Mittel der Wort- und Formenbildung; 3) im Satz nimmt das Verbum die letzte Stelle, das Objekt die zwischen Subjekt und Verbum ein, und jedes Wort, das die nähere Bestimmung eines andern enthält, tritt vor dieses letztere. Dank der Bildsamkeit der Sprache ist deren Wortschatz kein geringer, und ein gesunder Purismus hat den größten Teil der seiner Zeit aufgenommenen chinesischen Fremdwörter wiederum ausgemerzt. Das Substantivum hat kein grammatisches Genus; das natürliche Geschlecht wird bald durch Vokalgegensätze (wie ama, Vater, eme, Mutter), bald durch selbständige Wörter des Sinnes „männlich, weiblich“ ausgedrückt; der Plural bleibt oft unbezeichnet. Das Adjektiv entbehrt der Steigerungsformen. Das Verbum ist der weitaus bildsamste Redeteil, z. B.: tuwa, sehen, tuabu, sehen lassen, tuwana, zu sehen gehen, tuwandschi, zu sehen kommen, tuwanu, zusammen sehen, tuwascha, besehen, tuwaschata, untersuchen, tuwakiya, bewachen, etc. Person und Zahl werden am Verbum nicht ausgedrückt, wohl aber die Tempora, die Konditionalform, das Wollen etc. Partizipialkonstruktionen sind sehr gebräuchlich und das Hauptverbindungsmittel der oft ellenlangen Sätze. Die Mandschusprache ist dank ihrer Regelmäßigkeit nicht schwer zu erlernen, und ihr Studium ist lohnend und für denjenigen, welcher sich mit der chinesischen Litteratur beschäftigen will, fast unentbehrlich. Denn seit die jetzige Dynastie über China herrscht (also seit 1644), sind zahlreiche und gerade die wichtigsten chinesischen Litteraturwerke in das M. übersetzt worden; diese Übersetzungen dürfen als authentische gelten, und sie sind weit leichter zu verstehen als die Originale. Als Schrift bedienen sich die Mandschu seit etwa dritthalbhundert Jahren eines aus dem Mongolischen weitergebildeten Alphabets. Wörterbücher des M. lieferten Amyot (Par. 1789–90), v. d. Gabelentz (Leipz. 1864), Wassiljew (Petersb. 1866) und Zacharow (das. 1875); Grammatiken v. d. Gabelentz (Altenb. 1832), Kaulen (Regensb. 1856), L. Adam (Par. 1873), Orlow (Petersb. 1873), Zacharow (das. 1879); Chrestomathien Klaproth (Par. 1828) und Wassiljew (Petersb. 1863).