MKL1888:Phönikĭen

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Phönikĭen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 13 (1889), Seite 35
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Phönikĭen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 3–5. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ph%C3%B6nik%C4%ADen (Version vom 30.05.2023)

[3] Phönikĭen (Phoenike, ein Name dunkeln Ursprungs, vielleicht das „rote oder Purpurland“), der schmale Küstenstrich Syriens vom Fuß des Libanon bis zum Mittelländischen Meer, welcher sich von dem Vorgebirge Karmel im S. bis gegenüber der Insel Kypros erstreckte, schön, fruchtbar, reich an Waldungen und erzreichen Bergwerken. Es wurde bewohnt von den semitischen Stämmen der Sidonier, Gibliter, Arkiter und Arvaditer in ihren alten Städten Sidon, Tyros, Byblos (Gebal), Arka, Arvad und Berytos. Diese waren völlig unabhängig voneinander und standen unter der Herrschaft von Königen, deren Gewalt jedoch durch ein mächtiges Priestertum sowie durch einen aus den ältesten Geschlechtern und den reichsten Bürgern gebildeten Rat beschränkt war. Sehr früh wendeten sich die Phöniker dem Meer zu und betrieben neben Ackerbau und Viehzucht lebhaften Fischfang. Die Kriege in Kanaan, die Vertreibung der Chetiter und Cheviter im 13., dann der Amoriter im 12. Jahrh. aus diesem Land hatten die Ansammlung zahlreicher Flüchtlinge in P. zur Folge, welche die Phöniker zu deren Ansiedelung auf der Insel Kypros veranlaßte. Nachdem einmal dieser Anfang gemacht war, erstreckte sich die Kolonisation der Phöniker bald (um 1200) auf das Ägeische Meer, dessen Inseln und Küsten sie mit Handelsfaktoreien, festen Plätzen und Städten besetzten, dessen Handel und Verkehr sie beherrschen, und in dessen Gebiet sie ihren Kultus, die Schrift u. a. verbreiteten; sie tauschten gegen die Erzeugnisse ihrer Industrie und Kunst Sklaven, Felle und Wolle ein, beuteten Bergwerke aus und bereiteten aus den an der Ostküste von Hellas zahlreich vorhandenen Purpurschnecken den für ihre Färbereien notwendigen Farbstoff. Hierauf drangen sie weiter nach W. vor, kolonisierten Malta, Sardinien und die Küsten Siziliens, wo Motye, Soloeis und Machanath (Panormos) ihre bedeutendsten Ansiedelungen waren; auf der Nordküste Afrikas gründeten sie Hippo und Ityke (Utica), und bereits 1100 durchfuhren sie die Säulen des Melkart, wie sie die Straße von Gibraltar nannten, und legten jenseit derselben an der Küste des silberreichen Tarsis Gades (Cadiz) an, welches sofort Mittelpunkt eines ausgedehnten Handels und Verkehrs auf dem Atlantischen Ozean wurde. Die Phöniker haben Madeira und die Kanarischen Inseln besucht und von den britischen Inseln Zinn sowie von der deutschen Nordseeküste Bernstein geholt. Auch im Osten und Süden erstreckte sich ihr Handel in weit entfernte Gegenden. Die Stammverwandtschaft der Völker Syriens, des Euphrat- und Tigrisgebiets sowie Arabiens kam ihnen dabei zu statten sowie die Bedürfnisse dieser Binnenländer nach den Waren und Erzeugnissen Phönikiens. Außerdem aber vermittelten sie den Austausch der Waren Ägyptens gegen die Syriens und Babyloniens und machten ihre Städte zu Stapelplätzen für den gesamten Handel des Ostens. Karawanenstraßen, welche durch Verträge mit den Herrschern gesichert und mit Warenhäusern versehen wurden, führten in das Innere Vorderasiens sowie nach Südarabien, von wo sie die Produkte Indiens (Ophirs) und Ostafrikas holten. So fand ein reger [4] Verkehr zwischen den äußersten Grenzen der damals bekannten Welt durch Vermittelung der Phöniker statt: die Metalle des Westens, das griechische Gold, das italische Kupfer, das spanische Silber wanderten nach Babylonien und Ägypten, Waffen und Erzgefäße, Schmucksachen und Gewänder von da nach Italien und an die Gestade des Atlantischen Ozeans. Vor allem war P. selbst Sitz einer thätigen und umfangreichen Fabrikation. Die Glasbereitung war daselbst zu einer hohen Vollendung gediehen, die Purpurfärberei haben die Phöniker erfunden und blieben in dieser Kunst unübertroffen. Der schimmernde Glanz der Farbe war es, der die phönikischen Purpurgewänder vor allen andern auszeichnete. Die Weberei und Buntwirkerei standen mit der Färberei in engster Verbindung. Vorzüglich verstanden es die Phöniker, den Bergbau zu betreiben und die gewonnenen Erze kunstmäßig zu verarbeiten. Ihre Gefäße und Schmucksachen aus Gold und Silber sowie Edelstein waren von alter Zeit her berühmt. Auch die Baukunst stand bei ihnen in hohem Flor, und im Schiffbau waren sie unerreichte Meister. Ihre Schiffe, aus dem besten Material, Zedern- und Eichenholz, erbaut, wurden durch Segel und Ruder sehr schnell bewegt; ihre Matrosen waren geschickt und kühn; schon früh nahmen sie den Polarstern zu ihrem Führer.

Über die Veränderungen, welche die großartige Entwickelung von Handel und Industrie in den innern Verhältnissen Phönikiens hervorbrachte, sind wir nur höchst unvollkommen unterrichtet. Während in früherer Zeit Sidon die mächtigste und reichste Stadt gewesen war, erlangte unter König Hiram (1001–967) Tyros den Vorrang vor den andern Städten und die höchste Blüte. Hiram sicherte sich durch einen vorteilhaften Vertrag mit König Salomo um 990 den Verkehr mit Elath und von da aus mit Ophir und zog nicht bloß hieraus bedeutende Summen, sondern erhielt auch für Lieferung von Bauholz und Bruchsteinen zu Salomos Bauten einen jährlichen Tribut von Lebensmitteln und 20 israelitische Ortschaften abgetreten. Er verwandte einen großen Teil der Einkünfte zur Anlage von Neutyros auf zwei Inseln gegenüber der Altstadt, das er mit Mauern umgab, und mit Hafenanlagen versah. Sein Geschlecht wurde 917 von Ethbaal, einem Priester der Astarte, gestürzt, der durch die Vermählung seiner Tochter Isebel mit König Ahab von Israel sein Reich zu befestigen suchte. Seinem Sohn Balezor (885–877) folgte dessen Sohn Mutton (877–852). Unter dessen Kindern Elissa und Pygmalion brach ein Zwist aus, infolge dessen erstere 846 auswanderte und Karthago gründete. Aber bereits damals erwuchsen den Kolonien und dem Handel der Phöniker im Westen in den Griechen gefährliche Nebenbuhler, welche sie aus dem Ägeischen Meer verdrängten, im 7. Jahrh. sich auch in Sizilien, an der Küste Galliens und Spaniens festsetzten und in Afrika Kyrene sowie Naukratis gründeten. Gleichzeitig begann die Macht der Assyrer den Phönikern gefährlich zu werden, und obwohl die phönikischen Fürsten den assyrischen Königen bereitwilligst Tribut zahlten, wurde doch ihr Handel auch im Osten durch die fortwährenden Kriege derselben mit Babylonien, Damaskus, Hamat und Israel arg geschädigt. Daher versuchten die Phöniker nach dem Tode des siegreichen Eroberers Tiglath Pilesar II. (727) in Gemeinschaft mit den Israeliten und Philistern und im Vertrauen auf ägyptische Hilfe sich der assyrischen Herrschaft zu entziehen, wurden aber durch Salmanassars IV. rasches Erscheinen in Syrien gezwungen, sich wieder zu unterwerfen; Neutyros allein leistete längern Widerstand und wurde erst von Sargon erobert. Nach dem Untergang des assyrischen Reichs kam P. unter babylonische Herrschaft. Eine Erhebung gegen dieselbe ward 593 von Nebukadnezar unterdrückt, der 573 nach 13jähriger Belagerung auch Tyros zur Anerkennung seiner Oberhoheit zwang und Baal zum König einsetzte. Auch dem Perserkönig Kyros unterwarfen sich 538 die phönikischen Städte (mit Einschluß von Tyros) und bildeten fortan mit den kleinasiatischen Griechen den Kern der persischen Seemacht; in ihren innern Verhältnissen aber blieben sie frei, behielten ihre politischen Einrichtungen, ihre eigne Verwaltung und ordneten auf einem Kongreß zu Tripolis ihre gemeinsamen Angelegenheiten. Sidon fing jetzt wieder an aufzublühen und von neuem der Mittelpunkt des phönikischen Handels zu werden. Die Könige von Tyros und Sidon, Mapen und Tetramnestos, waren in der Schlacht von Salamis (480) die hervorragendsten Anführer auf der persischen Flotte. Doch ward Sidon, als es sich in der Mitte des 4. Jahrh. der Empörung der Ägypter gegen die persische Herrschaft angeschlossen hatte, von König Tennes verräterisch den Persern übergeben und von diesen gänzlich zerstört. Tyros erhielt durch diese Katastrophe von neuem das Übergewicht in Handel und Industrie und blieb nun der Sitz des Welthandels bis auf Alexander d. Gr. Dieser kam nach der Schlacht bei Issos 333 nach P. Sidon nebst den übrigen phönikischen Städten unterwarfen sich ihm freiwillig; Tyros aber, welches damals lediglich aus der Inselstadt bestand, fiel erst 332 nach siebenmonatlicher Belagerung. Obwohl sich die Stadt nochmals aus ihren Trümmern erhob und noch in römischer Zeit Metallindustrie, Leinweberei und Purpurfärberei daselbst blühten, so hatte doch inzwischen der Welthandel im neugegründeten Alexandria einen andern Mittelpunkt gefunden, wodurch P. seine welthistorische Bedeutung verlor. Es teilte fortan die Schicksale Syriens.

Die Religion der Phöniker war ein Naturdienst. Sie verehrten die Lichtmächte des Himmels und die schaffende Naturkraft, wie die Babylonier; doch blieb ihre Auffassung der Gottheiten wie deren Kultus sinnlich: denjenigen, welche dem natürlichen Leben fremd und feindselig gedacht waren, dienten sie mit scharfer Asketik, Selbstverstümmelung und Menschenopfern, den dem menschlichen Leben günstig vorgestellten, den Göttern der Zeugung und der Geburt, mit zügelloser Wollust und Ausschweifung, die um so mehr ausarteten, je üppiger sich das Leben in den reichen Städten entfaltete. Der höchste Gott war Baal, die wohlthätig wirkende Kraft der Sonne; ihm stand als Göttin des Liebestriebs und der Zeugung Baaltis (Aschera) zur Seite, der männliche und weibliche Hierodulen mit ihrem Leib dienten. Der Gott der sengenden Glut der Sonne, der verzehrenden, aber auch reinigenden Kraft des Feuers war Moloch mit dem Stierhaupt dargestellt, dem, um seinen Zorn auf das Haupt weniger abzulenken, Menschenopfer, oft die liebsten Kinder oder der älteste Sohn, dargebracht wurden. Göttin des Kriegs und des Todes war Astarte (Dido), die jungfräuliche Göttin, welcher zu Ehren ebenfalls Menschenopfer dargebracht wurden und Männer sich selbst entmannten. Eine Zusammenfassung der wohlthätigen und verderblichen Mächte des Himmels ist Melkart, der aus der Zerstörung neues Leben schafft, der in der Gluthitze des Sommers sich selbst verbrennt, um im Frühling zu neuem Leben zu erstehen, und besonders als Beschützer der Kolonisation verehrt ward. Andre Gottheiten sind: Adonis, Samemrumos, Usoos. Die bedeutendsten [5] Gottheiten wurden zu einem System, der heiligen Siebenzahl der Kabirim (der Gewaltigen), zusammengefaßt.

Die phönikische Sprache, zur nördlichen Gruppe des semitischen Sprachstammes gehörig, stimmt bis auf unbedeutende Abweichungen mit dem Hebräischen überein. Durch die zahlreichen Kolonien der Phöniker wurde ihre Sprache über Afrika, Cypern, Sardinien, Sizilien und Spanien verbreitet. Auf der afrikanischen Küste erhielt sie sich am längsten; nach glaubwürdigen Berichten wurde sie daselbst noch im 5. Jahrh. n. Chr. gesprochen. Die Annahme, daß die vokallose phönikische Schrift die Mutter sowohl der übrigen semitischen (und dadurch indirekt der meisten asiatischen Alphabete) als auch der griechischen sei, aus welcher dann die lateinische und mittelbar alle europäischen geflossen sind, bestätigt sich vollkommen durch die auf den Monumenten sich vorfindenden Schriftzüge. Die phönikische Schrift ihrerseits stammt wahrscheinlich von der ägyptischen ab (s. Schrift nebst der Schrifttafel). Die Originaltexte der größern Werke der phönikischen Litteratur, welche ziemlich reichhaltig gewesen zu sein scheint, sind verloren gegangen. Für das älteste Schriftdenkmal galt den Griechen ein Werk über die Götterwelt und den Ursprung der Dinge, das um 1200 v. Chr. von einem gewissen Sanchuniathon (s. d.) verfaßt sein soll, und von welchem sich Überbleibsel in der griechischen Übersetzung des Philon von Byblos erhalten haben; außerdem werden noch die Historiker Theodotos, Hypsieratos und Mochos erwähnt. Unter den Puniern (Karthagern) werden als Schriftsteller genannt: Mago, ein Suffet, der um 500 v. Chr. über Ackerbau schrieb (ins Lateinische übersetzt), Hamilkar, Hanno, Himilko, Hannibal und Hiempsal, König von Numidien. Von einem wichtigen geographischen Werk, dem „Periplus“ des Hanno (s. d. 1), einem der ältesten Reisewerke, die es gibt, hat sich eine griechische Übersetzung erhalten. In alten Inschriften, auf Grabsteinen und Votivsteinen, auf Gemmen, Siegeln, Papyrusrollen und Münzen, dann bei römischen Schriftstellern, namentlich in der Komödie „Poenulus“ von Plautus, sind uns manche Überreste der phönikischen Sprache erhalten, deren Entzifferung den Scharfsinn der Gelehrten vielfach in Thätigkeit gesetzt hat. Die wichtigste Inschrift ist die 1855 auf dem Sarkophag eines Königs von Sidon gefundene, die dem 6. Jahrh. v. Chr. angehört. Die meisten übrigen Inschriften datieren erst aus der Zeit kurz vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung und sind nicht in P. selbst, sondern an der nordafrikanischen Küste, in Spanien, Marseille und auf den Inseln Cypern, Sardinien und Malta gefunden worden. Die meist in Tunis und im Osten von Algier gefundenen punischen (karthagischen) Inschriften zeigen in der ältern Zeit dieselbe Sprache und Schrift wie die übrigen phönikischen Inschriften; später entsteht aber daraus das Neupunische, das auch in betreff der Schrift bedeutende Veränderungen aufweist. Die Münzen gehören in die Periode der Seleukiden und der römischen Herrschaft. Vgl. Movers, Die Phönicier (Berl. 1840–56, 3 Bde.); Levy, Phönicische Studien (das. 1856–70, 4 Hefte); Derselbe, Phönicisches Wörterbuch (das. 1864); E. Meier, Die Grabschrift des sidonischen Königs Eschmunézer (Leipz. 1866); Schröder, Die phönizische Sprache (Halle 1869); Renan, Mission de Phénicie (Par. 1865–74, 9 Hefte); Prutz, Aus P. (Leipz. 1875); Lenormant, Die Anfänge der Kultur, Bd. 2 (deutsch, Jena 1875).