MKL1888:Phrygĭen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Phrygĭen“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Phrygĭen“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 13 (1889), Seite 30
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Phrygien
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Phrygĭen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 13, Seite 30. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Phryg%C4%ADen (Version vom 30.05.2023)

[30] Phrygĭen, im Altertum Landschaft Kleinasiens, umfaßte ursprünglich das ganze Innere der Westhälfte der Halbinsel, vom mittlern Halys (Kisil Irmak) und dem Salzsee Tatta (Tuz Tschöllü) im O. bis zu den Quellgebieten des Hermos (Groß-P.), sowie die später zu Mysien gerechnete Südküste der Propontis bis zum Hellespont (Klein-P. oder P. am Hellespont) und wurde später, nachdem der ganze Nordosten 278 v. Chr. von den Galatern erobert worden und im SO. viel Land westlich von Ikonion an Lykaonien verloren gegangen war, von Bithynien, Mysien, Lydien, Karien, Pisidien, Lykaonien und Galatien begrenzt. Eine eigne Geschichte hat P. eigentlich nicht. Es kam frühzeitig zum lydischen, nachher zum persischen Reich, wurde von Alexander d. Gr. erobert, war nach dessen Tod im wechselnden Besitz seiner Feldherren, ward 189 den pergamenischen Königen unterthan und kam 130 zur römischen Provinz Asia. P. ist vorwiegend Hochebene mit teilweise tief eingeschnittenen, engen Flußthälern und vereinzelten, meist nicht hohen Gebirgen (darunter der Dindymos, jetzt Murad Dagh); Hauptflüsse sind: Hermos und Mäander im W., der Thymbres (Pursak) im NO.; im S. fanden sich mehrere große Salzseen. Als die bedeutendsten Städte sind anzuführen im Gebiet des Mäander: Kelänä, später Residenz der einheimischen Könige, Apameia Kibotos, Kolossä, Laodikeia und Hierapolis; im N.: Doryläon, Kotyäon, Prymnessos und das schlachtenberühmte Ipsos. P. war reich an allerlei Produkten der Natur und des Ackerbaues. Den Goldreichtum bezeugt die dort einheimische Midassage; Marmor wurde besonders bei Synnada gebrochen, und vor allem berühmt waren die Schafe des Landes und ihre treffliche Wolle. Das Volk der Phrygier ist in seine Sitze von Osten her durch Armenien und Kappadokien eingewandert. Schon Herodot hebt ihre Verwandtschaft mit den Armeniern hervor, und daß beide Völker verwandt und arischen Stammes sind, haben die neuern Forschungen bewiesen. Einzelne Teile der Phrygier drangen in vorhistorischer Zeit bis in die Balkanhalbinsel vor, wo sie sich unter dem Namen „Bryger“ oder „Briger“ niederließen. In ältester Zeit nahmen die Phrygier einen viel bedeutendern Raum ein als in historischer; Spuren ihrer Nationalität begegnen uns in der Troas, in Lykien, Bithynien, am Sipylos, bei Milet etc. Das Vorrücken semitischer Völker beschränkte dann diese weite Ausdehnung: der sagenhafte Ninos soll seine Eroberungszüge bis P. ausgedehnt haben; Lydier und Karier, welche starke Spuren semitischer Beimischung zeigen, vergrößerten ihr Gebiet auf Kosten der Phrygier, während im NW. Thraker über den Hellespont in phrygisches Gebiet eindrangen. Im 6. Jahrh. unterwarf der Lydier Krösos das ganze Land bis an den Halys, verlor es aber 549 mit seinem ganzen Reich an die Perser. Die Phrygier erscheinen als ein friedliches, gegen fremde Eindrücke fast widerstandsloses Volk. Ein wunderlicher, mystisch-phantastischer Grundzug geht durch ihr Wesen hindurch und unterscheidet sie unverkennbar von den Hellenen. Der Ackerbau erscheint als ihre Hauptbeschäftigung; auch der Handel muß schon frühzeitig bei ihnen geblüht haben. Die Kunst des Stickens und Teppichwebens, der Acker-, Wein- und Bergbau und deren Geräte, besonders der Wagen, galten für phrygische Erfindungen. Das schlagendste Zeugnis von ihrer Kultur aber gaben ihre wohlgebauten Städte, deren schon Homer erwähnt. Vitruvs Angabe, daß die Phrygier die Felshügel aushöhlten und die Räume zu Wohnungen erweiterten, erhält durch die Entdeckungen neuerer Reisenden (Hamilton, Texier, H. Barth etc.) Bestätigung. Dieselben fanden z. B. im Thal des Seid Su bei Doghanly prächtige Höhlengräber und Felsenstädte, zum Teil mit Inschriften. Was die Religion der Phrygier anlangt, so war deren Einwirkung auf die hellenischen Religionsbegriffe höchst bedeutend. Manche dunkle griechische Mythen sind offenbar phrygischen Ursprungs. Als eigentliche Landesgottheiten sind ein Gott Men oder Manes (der phrygische Zeus der Griechen?), Kybele (Rhea, Agdistis) und, ihr zur Seite stehend, Attys anzusehen, denen ein orgiastischer Kultus mit wildem Lärm gewidmet war.