MKL1888:Raum
[606] Raum, das Verhältnis der Dinge nebeneinander, wie Zeit das Verhältnis der Dinge nacheinander angibt. Die nähere Bestimmung des Begriffs R. gehört zu den schwierigsten metaphysischen Problemen. Bei den meisten ältern Philosophen ist R. das Umschließende, Umspannende, gleichsam ein unendlicher, an sich leerer Wohnort, in welchem die Körper gewisse Plätze besetzen, oder von dem sie sich einige Teile aneignen. Newton (und nach ihm Clarke) erklärte denselben für das „sensorium commune“ der Gottheit. Erst durch Locke, Leibniz und Lambert wurde die Ansicht vertreten, daß der R. nichts für sich Bestehendes, nichts Reelles sei, sondern nur eine Form für mögliche Beziehungen und Verknüpfungen, ein Vorgestelltes. Kant erklärte R. und Zeit für apriorische Anschauungsformen des menschlichen Geistes. Der R. ist nach ihm die Form des äußern Sinnes, vermittelst dessen uns Gegenstände als außer uns und als außereinander und nebeneinander existierend gegeben werden; die Zeit dagegen die Form des innern Sinnes, vermittelst dessen uns Zustände unsers eignen Seelenlebens gegenständlich werden. Im Widerspruch hiermit suchte Herbart (wie vor ihm Berkeley) nachzuweisen, daß auch die Vorstellungen des Räumlichen und Zeitlichen empirisch nicht mit den Sinnesempfindungen, aber mittels derselben und zwar nach Analogie andrer Abstrakta durch Erfahrungen des Tastsinnes mit Kontrolle des Gesichtssinns gegeben seien. Die Anhänger der erstern Ansicht, welcher zufolge die Raumvorstellung eine „angeborne“ sei, werden als Nativisten, die der letztern, welcher zufolge sie eine (durch Erfahrung) erworbene sein soll, als Empiriker bezeichnet. Die Geometrie setzt den R. mit seinen Dimensionen, Länge, Breite und Tiefe, voraus und konstruiert darin ihre Gestalten, und indem sie einzelne Teile des allgemeinen Raums begrenzt, erhält sie relative Räume. Vgl. Stumpf, Über den psychologischen Ursprung der Raumvorstellung (Leipz. 1873); Baumann, Die Lehren von R., Zeit und Mathematik in der neuern Philosophie (Berl. 1868–69, 2 Bde.).