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MKL1888:Satire

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Satire“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 337
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Satire. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 337. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Satire (Version vom 25.09.2021)

[337] Satire (lat.), im allgemeinen s. v. w. Spott- und Strafgedicht, das als solches in jeder beliebigen poetischen Form (als satirisches Drama, satirisches Epos, satirischer Roman etc.) auftreten kann; insbesondere eine Gattung des poetischen Briefs (s. Lyrik, S. 14) und zwar diejenige, an deren Abfassung nicht allein, wie in der Epistel (s. d.), der Verstand und ebensowenig, wie in der Elegie (s. d.), allein das Gemüt, sondern vornehmlich das (moralische) Gewissen, die sittliche Be- (richtiger Ver-)urteilung der Sitten andrer, beteiligt ist (moralische Epistel, poetisches Sittengericht). Dieselbe hat, da der Dichter sich zum (moralischen) Richter aufwirft, jederzeit lehrhaften (didaktischen), je nachdem er die Sitten der andern dem Gelächter (lachende, horazische S.) oder der (sittlichen) Verachtung (strafende, juvenalische S.) preisgibt, heitern oder ernsten Charakter. Werden hierbei statt der Sitten einer Mehrheit (eines Standes, Volkes, Zeitalters) nur die eines bestimmten Einzelnen zur Zielscheibe gemacht, so wird die S. zum Pasquill. Der Name selbst stammt von satura, was ursprünglich eine Schüssel mit allerlei Früchten, sodann jedes Allerlei bezeichnete und zuerst von dem römischen Dichter Lucilius auf dasjenige angewendet wurde, was heutzutage S. heißt. Das Pasquill wurde zuerst von den Griechen (Iamben des Archilochos), die eigentliche S. dagegen durch die Römer ausgebildet. In derselben glänzten, nachdem sie durch Ennius eine geordnete poetische Form erhalten hatte und durch Lucilius zur litterarischen Kunstgattung erhoben worden war, vorzüglich Horatius, Persius und Juvenalis. Bei den Deutschen findet sich die eigentliche S. erst seit den Tagen der Meistersinger, wo in Brants „Narrenschiff“, Murners „Schelmenzunft“, in den „Epistolae obscurorum virorum“, den Schriften Ulrichs von Hutten, Fischarts u. a. die didaktische S. angebaut ward. Seit Opitz zeichneten sich vorzüglich Lauremberg (mit plattdeutschen Satiren), Rachel, A. Gryphius, Moscherosch, Kanitz, Hunold u. a. aus. Später herrschte der ernste, prosaische Ton vor, worin Liscow, Rabener und Löwen zu nennen sind. Hagedorn lieferte Nachbildungen des Horaz, Rost kecke Satiren auf Gottsched und dessen Anhänger. Poetischer wurde die S. von Lichtenberg, F. L. v. Stolberg, Wieland, Falk u. a. behandelt; Vorzügliches leistete aber nur Jean Paul in der humoristischen S. Aus neuerer Zeit ist besonders H. Heine („Atta Troll“, „Wintermärchen“) als bedeutender Satiriker zu nennen. Die satirische Komödie ward mit Glück angebaut von Tieck, Platen, Grabbe, L. Robert, Prutz, Hamerling u. a., die politische S. zuerst von Liscow, neuerlich von Hoffmann von Fallersleben, Bauernfeld u. a. Unter den Satirikern der übrigen neuern Völker sind vorzüglich zu nennen bei den Italienern: Ariosto, Alemanni, Salvator Rosa, Gozzi und Alfieri; bei den Spaniern: Cervantes de Saavedra, Quevedo; bei den Franzosen: Rabelais, Regnier, Boileau, Voltaire, J. Chénier, Courier und Béranger; bei den Engländern: John Hall, J. Marston, J. Donne, Pope, Swift, Churchill und Wolcott; bei den Polen: Krasicki. Auch der politischen Witzblätter, die sich zugleich der bildlichen S., der Karikatur, als Illustration bedienen, wie der englische „Punch“, der französische „Charivari“, der „Kladderadatsch“, die „Wespen“ etc., ist hier zu gedenken.