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MKL1888:Schauspielkunst

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Schauspielkunst“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 14 (1889), Seite 413417
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Schauspielkunst. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 14, Seite 413–417. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Schauspielkunst (Version vom 10.01.2023)

[413] Schauspielkunst, die Kunst, einen dramatischen Vorgang, eine künstlerisch geordnete Handlung zu voller sinnlicher Anschauung zu bringen. Sie ist die einzige, bei welcher der Künstler mit der vollen Wirklichkeit seiner Persönlichkeit eintritt und diese zum Darstellungsmittel macht, zugleich auch die einzige, welche sich sowohl an den Gesichts- als an den Gehörssinn wendet. Sie erscheint hierdurch als die realste und umfassendste aller Künste, zumal da sie auch noch die übrigen, besonders die Malerei, zu ihrer Unterstützung herbeiziehen kann, ist aber ihrem Wesen nach nicht selbst schöpferisch, sondern an das Wort des Dichters gebunden, also reproduzierend. Die Mitwirkung der Malerei bei der S. ist deshalb möglich, weil jede Handlung einen Schauplatz voraussetzt und die volle sinnliche Vergegenwärtigung derselben auch dessen sinnliche Anschauung fordert. Die Szenographie oder das, was wir heute szenische Ausstattung nennen, bildet daher einen Teil dieser Kunst. Sie gehört ausschließlich der sichtbaren Seite derselben an, hat aber zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Ausbildung gefunden, wie man von ihr sogar zeitweilig so gut wie völlig abzusehen vermochte. Weiteres s. bei Theater. – Im engern Sinn versteht man unter S. nur die Kunst des dramatischen Darstellers. Die letztere zerfällt ebenfalls in einen dem Gehörssinn und in einen dem Gesichtssinn zugewendeten Teil. Jener umfaßt den rednerischen Vortrag, bei welchem man den gedanklichen Teil der Sprache von dem Empfindungsausdruck mit seinen verschiedenen Tonstärken und Klangfarben, mit seinen Accenten, Rhythmen, Zeitmaßen und Intervallen zu unterscheiden hat; dieser die Mimik (das Mienen- und Gebärdenspiel) und die Maske, d. h. die charakteristische Erscheinungsform der darzustellenden Individualität, zu welcher auch das Kostüm gehört. Der schauspielerische Vortrag ist ebensosehr von dem des Redners und Lehrers verschieden wie der dramatische von dem epischen und lyrischen. Der Schauspieler spricht und spielt vor dem Publikum, dieses soll ihn hören und sehen; er wendet sich dabei aber nicht unmittelbar an dasselbe, sondern an seine Mitspieler. Er soll den Zuschauer nicht unmittelbar zu etwas überreden oder bestimmen, noch ihn unmittelbar unterrichten, er soll ihm nur einen Vorgang sinnlich vergegenwärtigen und zwar einen Vorgang, welcher auf Handlung beruht. Die Schöpfung des Darstellers setzt diejenige einer andern Kunst voraus, wobei es keinen Unterschied macht, ob er selbst die Worte improvisiert, oder ob sie ihm von Dichtern geboten werden. Während also nach dieser Richtung seine Kunst keine ganz selbständige und freie ist, hat sie in dem auf das Auge berechneten Teil, von welchem der Dichter bei seiner Darstellung absehen muß, eine eigne schöpferische Thätigkeit zu entfalten. Bei der Mimik des Schauspielers sind diejenigen Bewegungen, welche die Rede begleiten, von denjenigen zu unterscheiden, welche von ihr unabhängig sind. Zu letztern gehört auch das stumme Spiel sowohl der an der Handlung unmittelbar beteiligten Personen [414] als der Komparsen (Figuranten, Statisten). Der mimische Teil der S. wurde daher zu einer besondern Kunst ausgebildet, was zu den Mimen und Pantomimen und (in der Verbindung mit der Musik) zum Tanz und Ballett geführt hat, wogegen die selbständige Entwickelung des rednerischen Teils der S. die dramatische Vorlesekunst ins Leben rief.

Doch nicht nur von der Dichtung, auch von seinen Mitspielern, vom Zusammenspiel, ist der Schauspieler abhängig. Er hat die doppelte Aufgabe, die darzustellende Rolle in ihrer charakteristischen Individualität, zugleich aber auch in der ihr durch das Ganze angewiesenen Stellung und Beleuchtung zur Darstellung zu bringen. Diese doppelte Abhängigkeit hat die Schauspieler zu Versuchen, sich selbständig zu machen, veranlaßt. Der Versuch, sich von der Kunst des Dichters unabhängig zu machen, führte zur Erfindung des Stegreifspiels, das den Schauspieler freilich in um so größere Abhängigkeit von seinen Mitspielern brachte. Die Befreiung von letztern führte dagegen zur Umkehrung des zwischen dem einzelnen Darsteller und der Darstellung des Ganzen bestehenden natürlichen Verhältnisses, zur Unterordnung des Zusammenspiels unter die Virtuosität des einzelnen Darstellers oder, wie man die hieraus entspringenden Erscheinungen jetzt nennt, zum Virtuosentum. Wie alle nachahmenden Künste, ist ferner die S. noch abhängig von den Erscheinungen und den Gesetzen der Natur und des wirklichen Lebens. Wenn die Naturwahrheit aber auch eine unerläßliche Forderung an sie ist, so ist sie doch nicht der letzte Zweck derselben. Vielmehr sehen wir die verschiedenen Künste, um die ihnen eigentümlichen Zwecke erreichen zu können, in verschiedener Weise und in verschiedenem Umfang von einem bestimmten Teil der Wirklichkeit absehen. Wie in der Nachahmung der Natur und Wirklichkeit nicht der letzte Zweck der Kunst beruht, so muß es sich auch bei der S., den höhern Zwecken der Kunst entsprechend, noch um eine höhere Wahrheit als um die der Natur und Wirklichkeit handeln. Die einseitige und ausschließliche Naturnachahmung führt hier, wie in aller Kunst, zum Naturalismus. Die S. gerät aber nicht selten auch in den entgegengesetzten Fehler, die Natur- und Lebensbeobachtung ganz zu vernachlässigen und sich im Gegensatz dazu eine unwahre Ausdrucksart zu bilden, welche man theatralisch nennt. So wichtig der fortwirkende Einfluß früherer Kunstformen und Kunstwerke auf die Entwickelung der Künste, insbesondere der Stile, ist, so wird doch die Ausschließlichkeit eines solchen Einflusses allmählich zur Verflachung und Erstarrung der künstlerischen Formen, zum Formalismus, führen. Wenn die S. sich einerseits vielfach von der Abhängigkeit von andern Künsten zu befreien gesucht hat, so hat sie anderseits wieder nicht selten eine Anlehnung an sie und eine Verbindung mit ihnen, insbesondere mit der Musik, gesucht und im musikalischen Drama, im Singspiel und in der Oper, gefunden. Dies erklärt sich daraus, daß die in der Zeit darstellenden Künste in ebenso innigen Beziehungen zu einander stehen wie die im Raum darstellenden oder bildenden Künste und die S. bei verschiedenen Völkern vom Gesang ausgegangen ist. Über das Technische der S. vgl. Engel, Ideen zu einer Mimik (Berl. 1775, 2 Bde.); A. W. v. Schlegel, Vorlesungen über dramatische Kunst (2. Aufl., Heidelb. 1817, 3 Bde.); Rötscher, Die Kunst der dramatischen Darstellung (2. Aufl., Leipz. 1864); Derselbe, Entwickelung dramatischer Charaktere aus Lessings, Schillers und Goethes Werken (Hannov. 1869); Michel, Die Gebärdensprache, dargestellt für Schauspieler (Köln 1886); Benedix, Der mündliche Vortrag (6. Aufl., Leipz. 1888, 3 Bde.); Derselbe, Katechismus der Redekunst (3. Aufl., das. 1881).

Geschichte der Schauspielkunst.

Die Schauspielkunst der Griechen, die älteste, bei welcher von Kunst in modernem Sinn die Rede sein kann, hat ihren Ausgang von den Dionysischen Dithyrambenchören genommen. Die Entwickelung vollzog sich dergestalt, daß der Dichter, welcher bis dahin der Chorführer gewesen war, als erster und zunächst auch als einziger Schauspieler aus dem Chor heraus- und ihm gegenübertrat, der anfangs sein Gegenspieler blieb. Allmählich sonderte sich aber die Handlung mehr und mehr von dem Chor ab. Die gesprochene Streitrede, aus welcher sich endlich das Drama entwickelte, trat dem Chorgesang gegenüber, der zuletzt ganz in den Hintergrund kam. Die Griechen mußten bei ihren Darstellungen schon deshalb von einem bestimmten Teil der Naturwahrheit absehen, weil sie auf dem Kothurn oder Soccus und in Masken mit Vorrichtungen zur Verstärkung des Schalles, wozu sie durch die Größe der oben offenen Theater genötigt waren, spielten. Wenn auch dadurch der Vorteil erreicht wurde, daß die Persönlichkeit des Darstellers nicht in störender Weise aus der Erscheinung des darzustellenden Charakters hervortrat und die Feierlichkeit der Darstellung erhöht wurde, so ging man zugleich eines bedeutsamen Darstellungsmittels, des Mienenspiels, verlustig. Um wieviel höher und reicher man zu dessen Ersatz auch die Gesten, besonders der Hände, entwickeln mochte, so wurde doch hierdurch der individuelle Ausdruck des Charakteristischen und der Empfindungen im hohen Grad beschränkt. Thespis wird nicht nur als der Erfinder des Schauspiels bezeichnet, sondern es wird auch von ihm gesagt, daß er bei seinen Darstellungen nacheinander in drei verschiedenen Masken erschienen sei, worauf sich vielleicht die Dreizahl der Schauspieler (des Protagonisten, des Deuteragonisten und des Tritagonisten) zurückführen läßt. Der Gebrauch der Masken und der damit verbundene Mangel schärferer Individualisierung gestatteten nämlich, daß ein und derselbe Schauspieler in einem Stück verschiedene Rollen darstellen konnte, was eine Beschränkung des Personals ermöglichte. Doch beweisen die uns erhaltenen Dramen, daß auch zuweilen mehr als drei Schauspieler darin thätig und jene drei ersten Schauspieler wohl die einzigen waren, welche vom Staat bezahlt wurden. Die Frauen waren noch ganz von der griechischen Bühne ausgeschlossen. Von Athen aus verbreitete sich das attische Schauspielwesen über ganz Griechenland und die Kolonien. Zur Zeit des Demosthenes bildeten die Schauspieler bereits einen eignen Stand, und die meisten öffentlichen Festlichkeiten fanden unter ihrer Mitwirkung statt. In Rom, welches die griechische S. bei sich einführte, aber bald selbständig ausbildete und die Zahl der Schauspieler dem Bedürfnis des aufzuführenden Stückes anpaßte, entwickelte sich besonders die Mimik zu höchster Vollendung. Da man hier teilweise ohne Masken spielte, so bildete sich auch noch das Mienenspiel aus. Die Pantomime wurde später die herrschende Form. In der Tragödie erlangten besonders Äsopus, in der Komödie Roscius, in der Pantomime Pylades und Bathyllos große Berühmtheit. Auch Frauen betraten die Bühne, doch, mit Ausnahme der Mimen, erst in der Kaiserzeit. So sehr sich hier aber auch die S. nach ihrer technischen Seite vervollkommte, so verlor sie doch mehr und mehr an Würde. Sie geriet [415] endlich ganz in den Dienst des Sinnengenusses und hat zum Verfall der Sitten nicht wenig beigetragen, daher sie von dem erstarkenden Christentum mit besonderer Heftigkeit bekämpft wurde.

Gleichwohl sollte die Kirche die Wiege einer neuen Kunst werden. Aus den kirchlichen Wechselgesängen der Liturgie entwickelten sich allmählich die geistlichen Schauspiele oder Mysterien (s. d., S. 956). Sie wurden anfangs (etwa seit dem 11. Jahrh.) nur von Geistlichen, Chorknaben, Mönchen und Klosterbrüdern aufgeführt; später beteiligten sich auch Laien daran. Durch die dagegen gerichteten Verbote ging ihre Pflege nach und nach an bestimmte Gesellschaften, Verbrüderungen und Genossenschaften über. Daneben liefen aber wohl immer volkstümliche Spiele her, welche von fahrenden Leuten und den aus diesen hervorgegangenen Minstrels und Instrumenteuren ausgeführt wurden. Während die Spiele der erstern meist nur possenhafte Elemente enthielten, scheinen die Spiele der letztern vorzugsweise allegorischen Charakters gewesen zu sein. Aus jenen gingen die Farcen, Fastnachtsspiele und Schwänke sowie die Entremeses und die Commedia dell’ arte hervor, aus diesen die Moralitäten und Schäferspiele. Letztere, die einen teils gelehrten, teils höfischen Charakter hatten, waren vornehmlich an den Höfen und in den Häusern der Großen beliebt, wogegen erstere, die von einem volkstümlichen Charakter waren, auch selbst an das Volk übergingen und lange von Handwerkern gepflegt wurden. Natürlich beeinflußten aber diese verschiedenen Formen einander, so daß bald jede von ihnen Bestandteile der andern mit in sich aufnahm. Die Mysterien mußten zuletzt den Moralitäten und Schäferspielen, die letztern den volkstümlichen Possen und Schwänken, die Genossenschafts- und Zunftschauspieler den Berufsschauspielern weichen, welche damals sämtliche in der Zeit verlaufende Künste (Musik, Schauspiel, Tanz, das Fechten und Springen) in sich vereinigten. Doch scheinen sich erst unter dem Einfluß und unter der Anregung des antiken Dramas höhere Formen eines neuen weltlichen Dramas entwickelt zu haben. Nur in Spanien und England gewann diese Entwickelung an der Hand großer Dichter (Lope de Vega und Shakespeare) einen wahrhaft nationalen Charakter und eine nie wieder erreichte Blüte, welche in das letzte Viertel des 16. und in die erste Hälfte des 17. Jahrh. fiel, wogegen in Italien und Frankreich die nationalen Anläufe des Dramas jenem Einfluß fast völlig, besonders in der Tragödie, erlagen und nur in den niedern Formen des Lustspiels demselben zu widerstehen vermochten. Es ist aber, wie das nationale Drama der Spanier beweist, doch mehr die Neigung des romanischen Geistes zur Ausbildung der Form auf Kosten des lebendigen, individuellen Empfindungsausdrucks als der Einfluß des antiken Dramas gewesen, was bei den romanischen Völkern zu einer im Dienst und Zwang von Regeln stehenden, formalistischen Darstellungsweise hingeführt hat, wogegen der Geist der germanischen Völker zur Ausprägung des individuellen Charakters, der individuellen Empfindung, zu einer mehr ausdrucks- und stimmungsvollen Darstellungsweise hindrängte. Bei der Wechselwirkung, in welcher die Kulturentwickelung der verschiedenen Völker zu einander steht, hat es nicht fehlen können, daß diese beiden Darstellungsweisen, welche sich bei jedem Volk zu eigentümlichen Formen ausgebildet haben und bald mit dem Namen der klassischen und romantischen, bald mit dem der idealistischen und realistischen bezeichnet worden sind, einander wechselseitig beeinflußten, bekämpften und verdrängten. In Italien, wo das antike Drama zuerst unter dem Einfluß von Gelehrten und Akademien wieder auflebte, dachte man auch zuerst wieder an die Aufnahme der Bühnendekoration, von welcher die altspanische und altenglische Bühne ganz abgesehen hatten. Auch führten die Versuche, die Musik der Alten wiederherzustellen, zu der Entwickelung der Oper. In dieser, der Maskenkomödie und dem Stegreifspiel, der Commedia dell’ arte, haben die Italiener immer das Höchste geleistet. Italienische Sänger und Stegreifspieler verbreiteten sich über ganz Europa. Das Trauerspiel, welches romantischen Einflüssen zuweilen zugänglich war, fand bei ihnen fast durchweg eine formalistische Darstellungsweise, wogegen das Lustspiel, besonders das bürgerliche, seinem Charakter nach auf Naturwahrheit drang. In Frankreich kämpfte schon Molière zu gunsten der Natur gegen die formalistische Darstellungsweise der klassischen Tragödie, doch vergeblich. Erst mit der sogen. Comédie larmoyante und unter dem Einfluß Rousseaus und der Engländer gelangte der Ausdruck natürlicher Empfindungen auch in dem ernsten Drama zu größerm Recht, um unter dem Kaiserreich ganz wieder zurückgedrängt zu werden. Erst mit dem Aufblühen der romantischen Schule in Frankreich trat die realistische Darstellungsweise aufs neue hervor und drängte das klassische Drama mehr und mehr in den Hintergrund, dessen seltene Aufführungen auf dem Théâtre-Français in Paris, der Musterbühne Frankreichs, sich auch jetzt noch an die klassische Überlieferung anschließen, während im modernen Schau- und Lustspiel die Natur als das höchste Vorbild gilt. Das Théâtre-Français (s. d.), eine unter der Verwaltung des Staats stehende und vom Staat unterhaltene Schauspielergesellschaft, ist aus der 1680 von Ludwig XIV. gestifteten Comédie-Française hervorgegangen. In England wurde dem alten nationalen Drama durch die Revolution der Untergang bereitet. Mit der Restauration trat nach französischem Vorbild das akademische Drama mit der italienischen Dekoration, dem Orchester und den Frauen, die damals ganz allgemein zu einem neuen Reizmittel der Bühne wurden, an dessen Stelle. Außer dem Lustspiel reagierte hier aber sehr bald das Rührstück zu gunsten einer allerdings nur schwächlichen Natürlichkeitsrichtung, bis durch Garrick sowie später durch Kemble Shakespeare, wenn auch verstümmelt, wieder in Aufnahme kam. Die beiden Kean, welchen in neuerer Zeit Irving und E. Booth (letztere vorzugsweise in Amerika thätig) folgten, übten ebenfalls als Shakespeare-Darsteller eine umfassende Wirksamkeit aus. Doch hat die neueste Zeit, in welcher die Dramen Shakespeares mit größtem Pomp in Szene gesetzt und fast als Ausstattungsstücke behandelt werden, die Anläufe zu einer edlern Auffassung der S. wieder zurückgedrängt. In modernen Volksstücken und Possen tritt das mimische Element so stark in den Vordergrund, daß diese Art von Aufführungen bereits an die Pantomime streift.

Der lebhafteste und wechselvollste Kampf zwischen naturalistischer und formalistischer, zwischen realistischer und idealistischer Darstellungsweise fand in Deutschland statt, wo die Pflege des Dramas im 15. und 16. Jahrh. fast ganz an die Handwerker übergegangen war. Die von Hans Sachs so glücklich eingeschlagene Richtung mußte dem von den Humanisten begünstigten Schuldramen (s. d.) weichen, bis auch diese wieder dem Einfluß der aus Holland und England eingewanderten Komödiantentruppen erlag, durch welche ein mit bombastischem [416] Schwulst untermischter krasser Naturalismus ins Leben gerufen wurde. Doch sollten unter diesem Einfluß gerade aus ihr die ersten Keime einer deutschen S., die ersten deutschen Berufsschauspieler, hervorgehen. Studenten bildeten lange Zeit den Stamm und das Hauptkontingent derselben. Unter ihnen ragte Magister Velthen vor allen hervor, welcher an die Spitze einer Schauspielergesellschaft trat, in der auch zum erstenmal Frauen Aufnahme fanden. Er erwarb sich besonders durch eine bessere Übersetzung der Molièreschen Stücke große Verdienste, förderte aber zugleich die Hanswurstiaden, das Stegreifspiel und die sogen. Haupt- u. Staatsaktionen (s. d.), welche jedoch erst Ende des Jahrhunderts herrschend wurden. Daneben zeigte sich aber auch schon ein von den Höfen und den hier unterhaltenen französischen Schauspielern ausgehender Einfluß des regelmäßigen Dramas, welcher in den 20er Jahren des 18. Jahrh. die Gottsched-Neubersche Bühnenreform ins Leben rief. Wieder waren es fremde und zwar englische Einflüsse, welche eine auf Naturwahrheit dringende Gegenströmung bedingten. Ackermann, Ekhof, Schröder sind als die Schöpfer einer wahrhaft nationalen deutschen S. zu bezeichnen, der aber doch erst ein geistiger Führer wie Lessing zu dauerndem Sieg verhalf. Hamburg, wo die drei genannten Künstler wirkten, und Mannheim, wo Freiherr v. Dalberg das Hoftheater leitete, und wo Iffland seine Laufbahn begann, waren im letzten Viertel des 18. Jahrh. die Hauptsitze der deutschen S., denen sich gegen Ende des Jahrhunderts Weimar und Berlin anreihten. In Weimar machte sich unter dem Einfluß Goethes, welcher an die Spitze des dortigen Hoftheaters trat, zunächst eine Reaktion gegen den überhandnehmenden Naturalismus zu gunsten der künstlerischen Form geltend. Sie war in ihren Anfängen nicht gegen die Natur, sondern nur gegen das Unkünstlerische der Auffassung derselben gerichtet; sie wollte der Natur zu ihrem reinsten und höchsten, aber doch zu einem durchaus künstlerischen Ausdruck verhelfen. Gleichwohl standen diese Antriebe zu sehr unter dem Einfluß des romanischen Kunstprinzips, um nicht mit der Zeit in einen immer leerer werdenden Formalismus auszuarten. Demnach versteht man unter der „Weimarer Schule“, als deren Hauptvertreter in der Goetheschen und in der unmittelbar auf Goethe folgenden Zeit Unzelmann, P. A. Wolff und Frau, Graff, Genast, Malcolmi, Karoline Jagemann zu erwähnen sind, die akademisch-idealistische Richtung der S. im Gegensatz zu der realistischen, welche um dieselbe Zeit vorzugsweise in Berlin, wo 1786 durch die Truppe des Schauspieldirektors Döbbelin (s. d.) das königliche Nationaltheater gegründet wurde, das 1796–1814 unter der Leitung Ifflands stand, und in Wien, wo seit der Mitte der 60er Jahre das (seit 1814 so genannte) Hofburgtheater der Mittelpunkt einer ersprießlichen Bühnenthätigkeit geworden war, eine Pflegestätte fand. Diese realistische Richtung beförderte aber auch das Hervortreten einzelner besonders begabter oder willenskräftiger Künstler aus der Gesamtheit, deren einheitliches Zusammenwirken von Goethe als das Hauptziel eines Theaterleiters, der zugleich Erzieher sein will, betrachtet wurde. Goethe erkannte auch bereits die Gefahren des Virtuosentums, dessen Hauptvertreter zu seiner Zeit Iffland war, der seine Kunst in den Dienst unwürdiger Rollen stellte, um seine Persönlichkeit in ein desto helleres Licht zu rücken. Die Hauptvertreter der S. am Berliner Hoftheater (seit 1815 „königliche Schauspiele“, deren Generalintendanten Graf Brühl 1815–21, Graf v. Redern 1821–42, Th. v. Küstner 1842–51, v. Hülsen 1851–86, Graf Hochberg) waren seit Ende des vorigen Jahrhunderts Karoline Döbbelin, Fleck, Friederike Unzelmann, Beschort, die Hendel-Schütz, Ludwig Devrient, der Komiker Gern, Auguste Crelinger und ihre Töchter Bertha und Klara Stich, Rüthling, Stawinsky, Rott, Grua, der Charakterdarsteller Seydelmann, Charlotte v. Hagn, der Heldenspieler Hendrichs, der später sich dem Gastspiel zuwandte, L. Dessoir, Th. Döring, Th. Liedtcke, Berndal und Minona Frieb-Blumauer. Die Entwickelung und die Blüte der S. am Wiener Hofburgtheater knüpfen sich seit ca. 1814 (artistische Leiter: Schreyvogel 1815–32, Deinhardstein 1832–41, Holbein 1841–49, Laube 1849–67, Dingelstedt 1867–81, Wilbrandt 1881–87, Förster seit 1888) an die Namen Toni Adamberger, Korn, Julie Löwe, Roose, Anschütz (Charakterdarsteller u. Heldenvater), Sophie Schröder (Heroine), Löwe, Fichtner, Laroche (Charakterkomiker), Julie Rettich, Luise Neumann, Joseph Wagner, Dawison, Meixner, Beckmann, das Ehepaar Gabillon, Sonnenthal, Charlotte Wolter, Friederike Goßmann, Amalie Haizinger, Friederike Bognar, A. Förster, J. Lewinsky, Baumeister, Auguste Baudius, das Ehepaar Hartmann, Krastl, E. Robert. Auch das Hoftheater in Dresden war in den 40er, 50er und 60er Jahren eine Hauptpflegestätte der deutschen S., an welcher B. Dawison, Karl und Emil Devrient, Karoline Bauer, Frau Bayer-Bürck, Frau Seebach u. a. thätig waren. In den 70er Jahren haben sich dort Dettmer (Heldenspieler) und Pauline Ulrich besonders hervorgethan. Das Virtuosentum ist in neuester Zeit, gehoben durch das Gastspielwesen, die am meisten charakteristische Eigentümlichkeit der modernen S. geworden, wozu freilich auch die Freigebung des Theatererwerbs beigetragen hat, durch welche die künstlerischen Interessen völlig in den Hintergrund gedrängt und den geschäftlichen des Geldgewinns geopfert worden sind. Unter der Konkurrenz der Privattheater haben auch die subventionierten Hoftheater zu leiden, welche bei dem beständigen Wechsel des Personals nicht mehr im stande sind, auf eine systematische Pflege und Weiterentwickelung der S. hinzuwirken. Am meisten wird noch das Hofburgtheater in Wien dieser Verpflichtung gerecht, wo freilich die Natürlichkeitsrichtung unumschränkt herrscht. Die Herrschaft der letztern ist in Deutschland noch weiter durch Gastspielreisen fremder Virtuosen (Rossi, Salvini, E. Booth, die Ristori) befestigt worden. Die bekanntesten Virtuosen der deutschen S. sind: F. Eßlair, W. Kunst, Dawison, E. Devrient, Dessoir, Fr. Haase, Barnay, Frau Seebach, Frau Ziegler, Frau Niemann-Rabe. Alle Versuche, die S. durch Errichtung von Theaterakademien, durch die Einwirkung der Staatsbehörden etc. künstlerisch zu heben, haben bis jetzt zu keinem praktischen Ergebnis geführt. Vgl. (L. Hahn,) Das deutsche Theater und seine Zukunft (anonym, 2. Aufl., Berl. 1880). Eine Reaktion gegen das Virtuosentum ist seit dem Beginn der 70er Jahre durch die Bestrebungen des Meininger Hoftheaters (s. Meininger) eingetreten, welche auf Einordnung der einzelnen Mitwirkenden in den Organismus der gesamten Darstellung abzielen und damit die Erreichung strengster Naturwahrheit auch in allen Äußerlichkeiten (Kostümen, Requisiten, Dekorationen etc.) verbinden. In letzterer Richtung sind die Meininger für alle bessern Bühnen vorbildlich geworden. Vgl. E. Devrient, Geschichte der deutschen S. (Leipz. 1848–74, 5 Bde.); Genée, Lehr- und Wanderjahre des deutschen Schauspiels (Berl. [417] 1882); Prölß, Katechismus der Dramaturgie (Leipz. 1877); Pougin, Dictionnaire historique et pittoresque du théâtre (Par. 1884); Gettke, Theater-Lexikon (Leipz. 1886–88). Über die Geschichte der Hauptbühnen in Deutschland vgl. Laube, Das Burgtheater (Leipz. 1868); Derselbe, Das norddeutsche Theater (das. 1872); Derselbe, Das Wiener Stadttheater (das. 1875); Brachvogel, Geschichte des königlichen Theaters zu Berlin (Berl. 1877–78, 2 Bde., bis Iffland reichend); Genée, Hundert Jahre des königlichen Schauspiels in Berlin (das. 1886); R. Prölß, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden (Dresd. 1877); Uhde, Das Stadttheater in Hamburg 1827–77 (Stuttg. 1879); Pichler, Chronik des Hof- und Nationaltheaters in Mannheim (das. 1879); Grandaur, Chronik des königlichen Hof- und Nationaltheaters in München (das. 1878); Fellner, Immermanns Theaterleitung in Düsseldorf (das. 1888); Genast, Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers (Leipz. 1862–66, 4 Bde.; für die Geschichte des Hoftheaters zu Weimar von Wichtigkeit). Um die Geschichte der S. in Frankreich machten sich besonders Despois, Royer, Petit de Julleville, Jullien, Campardon und Baschet verdient.